"Ein glückliches Leben"
Die deutsche Widerstandskämpferin Freya Gräfin von Moltke wurde heute vor 100 Jahren geboren. Die Juristin hatte 1940 mit ihrem Mann Helmuth James Graf von Moltke den "Kreisauer Kreis" initiiert. 2010 starb sie im Alter von 98 Jahren. Zum Gedenken wiederholen wir ein Interview mit ihr.
Jürgen König: Frau von Moltke, im Vorwort eines Bandes mit Briefen Ihres Mannes schreiben Sie, Zitat: "Um ihn wirklich kennenzulernen, musste man ihn in Kreisau erleben. Wie war Helmuth James von Moltke, wenn er in Kreisau war?
Freya von Moltke: Da war er eigentlich glücklich. Er hat zwar sehr viel Sorgen um Kreisau gehabt, denn es kamen für die Landwirtschaft damals schwere Zeiten, und sein Vater wusste nicht viel von Finanzen, und dann war das mal sehr im Argen. Und dann musste sein ältester Sohn, eben mein Mann, einspringen und musste das wieder in Ordnung bringen. Und das war eine schwere, schwere Arbeit, es ist ihm aber ganz gut gelungen. Und dann war eigentlich Kreisau eine große Freude für ihn.
König: Er blühte auf.
von Moltke: Er lebte das, und vor allen Dingen in den ganz schweren Zeiten, wo ich dann mit den zwei kleinen Kindern meistens doch in Kreisau war, war das für ihn ein großer Ruhepunkt und eine Beruhigung, dass es Kreisau gab. Aber er war natürlich so weitsichtig, dass er mir sagte, es kann gut sein, dass Kreisau eines Tages nach dem Krieg tschechisch oder polnisch wird, und dann müsst ihr wahrscheinlich weg.
König: Woher kam bei Ihrem Mann dieses klare Wissen, welchen Weg er zu gehen habe, woher auch dieses Bedürfnis, das Gespräch mit Menschen verschiedener Konfession, verschiedenster Überzeugung so entschieden und über alle Risiken hinweg zu suchen?
von Moltke: Es ist eigentlich ein demokratischer Ansatz zurzeit der Nazis, denn es müssen in jeder Demokratie müssen die Leute miteinander sprechen, sich zanken und sich dann aber auch mit Kompromissen einigen. Das ist im Grunde das Wesen der Demokratie. Aber die Deutschen hatten sich an die Demokratie aufgegeben sozusagen, nicht gewusst, was sie da Gutes hatten. Und dieses ganze Denken dieser Gruppe, dass sie so verschieden waren, das war gerade der Sinn dieser Gruppe. Er hat gesagt, Evangelische haben wir schon genug, jetzt müssen wir noch ein paar Katholische haben. Kapitalisten haben wir auch, jetzt müssen wir Sozialisten haben. Und die waren alle vertreten. Und wenn Sie ein Parlament haben, dann sind die da auch alle vertreten.
König: Wollte ich gerade sagen, das ist wie ein Parlament im Kleinen.
von Moltke: Wenn man die Pläne jetzt liest, dann passen die auf heute nicht mehr sehr gut, dann sieht man, dass der demokratische Ansatz sehr da war. Es gibt ja immer Kritiker, und die sagen dann, ach, die sind ganz autoritär. Stimmt gar nicht, die waren schon in dieser Urzelle waren sie ganz demokratisch.
König: Der Kreisauer Kreis, Carlo Mierendorff, Adolf Reichwein, Horst von Einsiedel, Adam von Trott zu Solz, Hans-Bernd von Haeften, Theodor Haubach, um einige zu nennen. Sie, Freya von Moltke, haben die Sitzungen miterlebt. Wie war das, wie kam man zusammen, wie ...
von Moltke: Ja, das sind alles auch meine Freunde geworden. Ich habe sie dreimal in Kreisau bewirtet, und das war, weil das ja eine konspirative Tätigkeit war, konnte man das in Berlin in großem Kreise überhaupt gar nicht vornehmen. Aber in Kreisau war man gewöhnt, dass Gäste zum Wochenende kamen. Und dann wollten die Leute auch essen, denn wir waren zwar sparsam mit dem Essen, aber wir hatten doch alles immer noch im Krieg. Also wir hatten immer Besuch, und das waren die Menschen gewöhnt, und da sagten wir, dann können wir riskieren, eine größere Gruppe zusammenzubringen, damit die sich im größeren Kreise einigen können. Sonst in Berlin, wo die Hauptarbeit stattgefunden hat, da waren es immer nur zwei, drei, vier.
König: Können Sie uns ein solches Miteinander mal beschreiben?
von Moltke: Es war wirklich wie Besuch, um den runden Tisch, und es war ausgesprochen heiter. Ich würde sagen, gerade die erste Sitzung, da waren sie noch so ganz locker. Nachher kam der Drang der Zeit dazu, die Sorge des Entdeckens, da war es belasteter.
König: Welche Pläne wurden da gesponnen?
von Moltke: Ja, es wurde eben, an den negativen Erfahrungen entstanden die neuen Gedanken. Also ich würde mal sagen, von Weimar ging man aus. Aber da das den Deutschen nicht gepasst hatte, was muss geändert werden. Und im Grunde war das Thema: Wie kann man aus den Deutschen Demokraten machen? Weil sie ja die erste Demokratie verworfen hatten.
König: Das heißt, sie glaubten immer noch daran, dass es überhaupt möglich war?
von Moltke: Daran glaubten sie, ja. Das ist eine sehr gute Frage. Im Grunde waren sie Optimisten. Und im Grunde haben sie auch Recht behalten, denn zwar ist Deutschland, es ist eine Demokratie geworden, es waren nicht die Kreisauer, die sie eingeführt haben, sondern die Alliierten, aber es hat sich doch sehr gewandelt und ist auch europäisch geworden. Das alles, was sie sich wünschten, ist mehr oder weniger wirklich ... in der Richtung hat es sich entwickelt, ich will hier nicht zu optimistisch reden, es gibt auch Sachen, die nicht so erfreulich sind. Und sie wollten vor allen Dingen auch den Zerfall Deutschlands verhindern. Sie dachten, wird es getrennt, es wird ja Besatzer geben, und dann, wenn es Besetzungen gibt, dann müssen Leute da sein, die sagen, hier sind wir, und das haben wir vor. Es war also absolut auf die Zeit nach dem Zusammenbruch. Und immer hieß es, kommt der Zusammenbruch von innen, bringt einer den Hitler um, oder tun es die Alliierten? Aber dass das passieren würde, dass die Nazis wegfallen würden, daran glaubten sie alle.
König: Ihr Mann war gegen ein Attentat.
von Moltke: Ja, das wissen Sie sogar. Ja, mein Mann sah die schlechten Erfahrungen nach dem Ersten Weltkrieg, wo nachher Hitler zur Macht kam, indem er den Deutsch ... , erstens Mal die Alliierten die Deutschen sehr schlecht behandelten, sehr dumm würde ich sagen, was nach dem Zweiten Weltkrieg nicht passiert ist. Und da meinte er, dann würden die Deutschen, wenn Hitler sich nicht selbst vernichtete, würden die Deutschen geneigt sein, wieder zu sagen, hätte er gelebt, hätten wir den Krieg gewonnen.
König: Die neue Regierung hat es verbockt.
von Moltke: Ja, und darum habe ich jetzt die Tage schon paar Mal gesagt, was eigentlich auch sehr wichtig ist, dass es zwar für uns persönlich schlecht ausgegangen ist, dass es aber für Deutschland ganz gut ausgegangen ist, dass ein Versuch gemacht worden ist, dass es also einen Widerstand gibt, den man, wenn er auch schwach ist, aber man kann doch zeigen, dass es Widerstand gegeben hat und dass dann schließlich Hitler sich doch selbst vernichtet hat.
König: Ihr Mann wurde verhaftet, weil die Gestapo erfahren hatte, dass Ihr Mann einen Freund gewarnt hatte vor einer möglichen Verhaftung. Wie erging es Ihnen mit alledem?
von Moltke: Schlecht. Aber was soll ich sagen? Ich hatte alle Hände voll zu tun, nicht wahr. Er hat mich immer ins Vertrauen gezogen, nicht wahr, und deswegen hat er mir da – indirekt hat er mir da Aufgaben gegeben, die haben mein Leben sehr erfüllt. Ich konnte dann auch schreiben, ich konnte ihn besuchen, ich musste sozusagen Kreisau in Frieden halten. Es ist natürlich ein furchtbarer Schlag gewesen. Ich habe es übrigens durch Peter York (Anm. d. Red.: Name wie gehört) per Telefon erfahren, und der sagte zu mir: Helmuth ist verreist. Und da war ich so dumm und dauerte ganz lange, da ging mir auf, was das bedeutete. Er hat nicht gesagt, er ist verhaftet worden. Bin ich sofort nach Berlin gefahren. Und dann habe ich ihn auch sofort gesehen. Ich habe immer Glück mit den Nazis gehabt, persönlich. Ich habe mich immer durchgesetzt. Sie haben mir immer Erlaubnisse gegeben, sie haben mich immer reingelassen, sie haben mich empfangen, sie haben mich immer gut behandelt.
König: War das nur Glück oder lag das auch an Ihnen? An Ihrer Art, auf die Menschen zuzugehen?
von Moltke: Es ist wohl meine Art und Glück dazu. Aber das brauchten wir auch.
König: Hat man Sie eigentlich oder auch die anderen Frauen der Herren des Kreisauer Kreises in irgendeiner Weise auch verhört ...
von Moltke: Ja …
König: ... , weil Sie, man konnte ja davon ausgehen, dass Sie über letztlich alles, was dort beredet worden war, Bescheid wussten?
von Moltke: Ich bin nicht verhaftet worden, und eigentlich als eine der wenigen der Frauen. Die Frauen sind alle verhaftet worden und nach etwa drei Monaten wieder freigelassen. Und ich glaube, das lag daran, dass sie mich kannten, weil mein Mann ja schon das ganze Jahr gesessen hatte.
König: Mitte der 80er-Jahre wurde in Kreisau, inzwischen polnisch Krzyżowa, die Erinnerung an den Kreisauer Kreis, an den Widerstand wiederbelebt. Wie kam das eigentlich, welche Leute haben sich damals plötzlich darum gekümmert?
von Moltke: Also es ist ein langsamer Prozess gewesen. Und dann gibt es einen Menschen, der eine ganz große Rolle bei diesem Wachsen des Interesses der Polen für den Kreisauer Kreis, nicht wahr. Und da gibt es Professor Karol Jonca, ist heute noch Lehrer an der Universität in Breslau, der hat sich für meinen Mann, für Kreisau, für die Gruppe interessiert und hat angefangen, Vorträge über den Kreisauer Kreis in Polen zu halten. Und da gibt es in Breslau eine katholische Kulturgruppe, und die hat dann davon sehr viel gewusst. Und dann haben paar Vertreter aus Ostdeutschland, hauptsächlich damals Ostdeutschland, die haben eine erste Zusammenkunft gehabt. Und das war genau zu der Zeit, wo Polen sich öffnete, da trafen die sich zum ersten Mal in Breslau, nicht wahr, und sagten, wir wollen dort in Kreisau was machen. Und die Familie Moltke hat sogar helfen dürfen dabei.
König: Aber jetzt untertreiben Sie, glaube ich, ein bisschen. Seit 2004 gibt es die Freya von Moltke-Stiftung für das neue Kreisau, gegründet von Bürgerinnen und Bürgern aus Deutschland und vielen anderen Ländern. Erzählen Sie doch von der Arbeit, die Sie heute dort in Kreisau machen.
von Moltke: Ja, das tue ich sehr gerne. Da treffen sich eben – was wir gerade hatten, ich will keine falschen Zahlen sagen, aber mindestens 6000 junge Leute jedes Jahr, das weiß ich, und es sind hauptsächlich polnische und deutsche junge Leute, aber es kommen doch aus den östlicheren Ländern auch sehr viele.
König: Und was machen die da miteinander?
von Moltke: Ach, die machen, was auch in anderen Begegnungsstätten gemacht wird. Die treiben Sport, die machen Theater, die malen. Es gibt im Sommer wunderschöne Kunstwochen für junge Leute, die werden von Breslau aus gemacht.
König: Und dieses Miteinander von Jungen und Alten, auf das Sie so viel Wert gelegt haben?
von Moltke: Das ist auch gut, obwohl das funktioniert nicht so gut. Es ist viel schwieriger, dass die Alten zu organisieren wie die Kinder. Aber die Freya-Stiftung hier, erst mal meinen Namen habe ich ungern gegeben, aber ich bin eben mit Kreisau dreifach verbunden: durch meine Familie, durch den Kreisauer Kreis und jetzt mit dem neuen Kreis.
König: Wenn Sie heute auf Ihr Leben zurückschauen, wie würden Sie das benennen?
von Moltke: Ein glückliches Leben, ein gutes Leben, sehr glückliches Leben!
Freya von Moltke: Da war er eigentlich glücklich. Er hat zwar sehr viel Sorgen um Kreisau gehabt, denn es kamen für die Landwirtschaft damals schwere Zeiten, und sein Vater wusste nicht viel von Finanzen, und dann war das mal sehr im Argen. Und dann musste sein ältester Sohn, eben mein Mann, einspringen und musste das wieder in Ordnung bringen. Und das war eine schwere, schwere Arbeit, es ist ihm aber ganz gut gelungen. Und dann war eigentlich Kreisau eine große Freude für ihn.
König: Er blühte auf.
von Moltke: Er lebte das, und vor allen Dingen in den ganz schweren Zeiten, wo ich dann mit den zwei kleinen Kindern meistens doch in Kreisau war, war das für ihn ein großer Ruhepunkt und eine Beruhigung, dass es Kreisau gab. Aber er war natürlich so weitsichtig, dass er mir sagte, es kann gut sein, dass Kreisau eines Tages nach dem Krieg tschechisch oder polnisch wird, und dann müsst ihr wahrscheinlich weg.
König: Woher kam bei Ihrem Mann dieses klare Wissen, welchen Weg er zu gehen habe, woher auch dieses Bedürfnis, das Gespräch mit Menschen verschiedener Konfession, verschiedenster Überzeugung so entschieden und über alle Risiken hinweg zu suchen?
von Moltke: Es ist eigentlich ein demokratischer Ansatz zurzeit der Nazis, denn es müssen in jeder Demokratie müssen die Leute miteinander sprechen, sich zanken und sich dann aber auch mit Kompromissen einigen. Das ist im Grunde das Wesen der Demokratie. Aber die Deutschen hatten sich an die Demokratie aufgegeben sozusagen, nicht gewusst, was sie da Gutes hatten. Und dieses ganze Denken dieser Gruppe, dass sie so verschieden waren, das war gerade der Sinn dieser Gruppe. Er hat gesagt, Evangelische haben wir schon genug, jetzt müssen wir noch ein paar Katholische haben. Kapitalisten haben wir auch, jetzt müssen wir Sozialisten haben. Und die waren alle vertreten. Und wenn Sie ein Parlament haben, dann sind die da auch alle vertreten.
König: Wollte ich gerade sagen, das ist wie ein Parlament im Kleinen.
von Moltke: Wenn man die Pläne jetzt liest, dann passen die auf heute nicht mehr sehr gut, dann sieht man, dass der demokratische Ansatz sehr da war. Es gibt ja immer Kritiker, und die sagen dann, ach, die sind ganz autoritär. Stimmt gar nicht, die waren schon in dieser Urzelle waren sie ganz demokratisch.
König: Der Kreisauer Kreis, Carlo Mierendorff, Adolf Reichwein, Horst von Einsiedel, Adam von Trott zu Solz, Hans-Bernd von Haeften, Theodor Haubach, um einige zu nennen. Sie, Freya von Moltke, haben die Sitzungen miterlebt. Wie war das, wie kam man zusammen, wie ...
von Moltke: Ja, das sind alles auch meine Freunde geworden. Ich habe sie dreimal in Kreisau bewirtet, und das war, weil das ja eine konspirative Tätigkeit war, konnte man das in Berlin in großem Kreise überhaupt gar nicht vornehmen. Aber in Kreisau war man gewöhnt, dass Gäste zum Wochenende kamen. Und dann wollten die Leute auch essen, denn wir waren zwar sparsam mit dem Essen, aber wir hatten doch alles immer noch im Krieg. Also wir hatten immer Besuch, und das waren die Menschen gewöhnt, und da sagten wir, dann können wir riskieren, eine größere Gruppe zusammenzubringen, damit die sich im größeren Kreise einigen können. Sonst in Berlin, wo die Hauptarbeit stattgefunden hat, da waren es immer nur zwei, drei, vier.
König: Können Sie uns ein solches Miteinander mal beschreiben?
von Moltke: Es war wirklich wie Besuch, um den runden Tisch, und es war ausgesprochen heiter. Ich würde sagen, gerade die erste Sitzung, da waren sie noch so ganz locker. Nachher kam der Drang der Zeit dazu, die Sorge des Entdeckens, da war es belasteter.
König: Welche Pläne wurden da gesponnen?
von Moltke: Ja, es wurde eben, an den negativen Erfahrungen entstanden die neuen Gedanken. Also ich würde mal sagen, von Weimar ging man aus. Aber da das den Deutschen nicht gepasst hatte, was muss geändert werden. Und im Grunde war das Thema: Wie kann man aus den Deutschen Demokraten machen? Weil sie ja die erste Demokratie verworfen hatten.
König: Das heißt, sie glaubten immer noch daran, dass es überhaupt möglich war?
von Moltke: Daran glaubten sie, ja. Das ist eine sehr gute Frage. Im Grunde waren sie Optimisten. Und im Grunde haben sie auch Recht behalten, denn zwar ist Deutschland, es ist eine Demokratie geworden, es waren nicht die Kreisauer, die sie eingeführt haben, sondern die Alliierten, aber es hat sich doch sehr gewandelt und ist auch europäisch geworden. Das alles, was sie sich wünschten, ist mehr oder weniger wirklich ... in der Richtung hat es sich entwickelt, ich will hier nicht zu optimistisch reden, es gibt auch Sachen, die nicht so erfreulich sind. Und sie wollten vor allen Dingen auch den Zerfall Deutschlands verhindern. Sie dachten, wird es getrennt, es wird ja Besatzer geben, und dann, wenn es Besetzungen gibt, dann müssen Leute da sein, die sagen, hier sind wir, und das haben wir vor. Es war also absolut auf die Zeit nach dem Zusammenbruch. Und immer hieß es, kommt der Zusammenbruch von innen, bringt einer den Hitler um, oder tun es die Alliierten? Aber dass das passieren würde, dass die Nazis wegfallen würden, daran glaubten sie alle.
König: Ihr Mann war gegen ein Attentat.
von Moltke: Ja, das wissen Sie sogar. Ja, mein Mann sah die schlechten Erfahrungen nach dem Ersten Weltkrieg, wo nachher Hitler zur Macht kam, indem er den Deutsch ... , erstens Mal die Alliierten die Deutschen sehr schlecht behandelten, sehr dumm würde ich sagen, was nach dem Zweiten Weltkrieg nicht passiert ist. Und da meinte er, dann würden die Deutschen, wenn Hitler sich nicht selbst vernichtete, würden die Deutschen geneigt sein, wieder zu sagen, hätte er gelebt, hätten wir den Krieg gewonnen.
König: Die neue Regierung hat es verbockt.
von Moltke: Ja, und darum habe ich jetzt die Tage schon paar Mal gesagt, was eigentlich auch sehr wichtig ist, dass es zwar für uns persönlich schlecht ausgegangen ist, dass es aber für Deutschland ganz gut ausgegangen ist, dass ein Versuch gemacht worden ist, dass es also einen Widerstand gibt, den man, wenn er auch schwach ist, aber man kann doch zeigen, dass es Widerstand gegeben hat und dass dann schließlich Hitler sich doch selbst vernichtet hat.
König: Ihr Mann wurde verhaftet, weil die Gestapo erfahren hatte, dass Ihr Mann einen Freund gewarnt hatte vor einer möglichen Verhaftung. Wie erging es Ihnen mit alledem?
von Moltke: Schlecht. Aber was soll ich sagen? Ich hatte alle Hände voll zu tun, nicht wahr. Er hat mich immer ins Vertrauen gezogen, nicht wahr, und deswegen hat er mir da – indirekt hat er mir da Aufgaben gegeben, die haben mein Leben sehr erfüllt. Ich konnte dann auch schreiben, ich konnte ihn besuchen, ich musste sozusagen Kreisau in Frieden halten. Es ist natürlich ein furchtbarer Schlag gewesen. Ich habe es übrigens durch Peter York (Anm. d. Red.: Name wie gehört) per Telefon erfahren, und der sagte zu mir: Helmuth ist verreist. Und da war ich so dumm und dauerte ganz lange, da ging mir auf, was das bedeutete. Er hat nicht gesagt, er ist verhaftet worden. Bin ich sofort nach Berlin gefahren. Und dann habe ich ihn auch sofort gesehen. Ich habe immer Glück mit den Nazis gehabt, persönlich. Ich habe mich immer durchgesetzt. Sie haben mir immer Erlaubnisse gegeben, sie haben mich immer reingelassen, sie haben mich empfangen, sie haben mich immer gut behandelt.
König: War das nur Glück oder lag das auch an Ihnen? An Ihrer Art, auf die Menschen zuzugehen?
von Moltke: Es ist wohl meine Art und Glück dazu. Aber das brauchten wir auch.
König: Hat man Sie eigentlich oder auch die anderen Frauen der Herren des Kreisauer Kreises in irgendeiner Weise auch verhört ...
von Moltke: Ja …
König: ... , weil Sie, man konnte ja davon ausgehen, dass Sie über letztlich alles, was dort beredet worden war, Bescheid wussten?
von Moltke: Ich bin nicht verhaftet worden, und eigentlich als eine der wenigen der Frauen. Die Frauen sind alle verhaftet worden und nach etwa drei Monaten wieder freigelassen. Und ich glaube, das lag daran, dass sie mich kannten, weil mein Mann ja schon das ganze Jahr gesessen hatte.
König: Mitte der 80er-Jahre wurde in Kreisau, inzwischen polnisch Krzyżowa, die Erinnerung an den Kreisauer Kreis, an den Widerstand wiederbelebt. Wie kam das eigentlich, welche Leute haben sich damals plötzlich darum gekümmert?
von Moltke: Also es ist ein langsamer Prozess gewesen. Und dann gibt es einen Menschen, der eine ganz große Rolle bei diesem Wachsen des Interesses der Polen für den Kreisauer Kreis, nicht wahr. Und da gibt es Professor Karol Jonca, ist heute noch Lehrer an der Universität in Breslau, der hat sich für meinen Mann, für Kreisau, für die Gruppe interessiert und hat angefangen, Vorträge über den Kreisauer Kreis in Polen zu halten. Und da gibt es in Breslau eine katholische Kulturgruppe, und die hat dann davon sehr viel gewusst. Und dann haben paar Vertreter aus Ostdeutschland, hauptsächlich damals Ostdeutschland, die haben eine erste Zusammenkunft gehabt. Und das war genau zu der Zeit, wo Polen sich öffnete, da trafen die sich zum ersten Mal in Breslau, nicht wahr, und sagten, wir wollen dort in Kreisau was machen. Und die Familie Moltke hat sogar helfen dürfen dabei.
König: Aber jetzt untertreiben Sie, glaube ich, ein bisschen. Seit 2004 gibt es die Freya von Moltke-Stiftung für das neue Kreisau, gegründet von Bürgerinnen und Bürgern aus Deutschland und vielen anderen Ländern. Erzählen Sie doch von der Arbeit, die Sie heute dort in Kreisau machen.
von Moltke: Ja, das tue ich sehr gerne. Da treffen sich eben – was wir gerade hatten, ich will keine falschen Zahlen sagen, aber mindestens 6000 junge Leute jedes Jahr, das weiß ich, und es sind hauptsächlich polnische und deutsche junge Leute, aber es kommen doch aus den östlicheren Ländern auch sehr viele.
König: Und was machen die da miteinander?
von Moltke: Ach, die machen, was auch in anderen Begegnungsstätten gemacht wird. Die treiben Sport, die machen Theater, die malen. Es gibt im Sommer wunderschöne Kunstwochen für junge Leute, die werden von Breslau aus gemacht.
König: Und dieses Miteinander von Jungen und Alten, auf das Sie so viel Wert gelegt haben?
von Moltke: Das ist auch gut, obwohl das funktioniert nicht so gut. Es ist viel schwieriger, dass die Alten zu organisieren wie die Kinder. Aber die Freya-Stiftung hier, erst mal meinen Namen habe ich ungern gegeben, aber ich bin eben mit Kreisau dreifach verbunden: durch meine Familie, durch den Kreisauer Kreis und jetzt mit dem neuen Kreis.
König: Wenn Sie heute auf Ihr Leben zurückschauen, wie würden Sie das benennen?
von Moltke: Ein glückliches Leben, ein gutes Leben, sehr glückliches Leben!