Ein Glücksfall jenseits der Metropolen
Der Publizist Henri Nannen war ein leidenschaftlicher Kunstfreund. Für seine Sammlung mit Bildern des deutschen Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit stiftete er in seiner Heimatstadt Emden ein Museum. Jetzt feiert die Kunsthalle Jubiläum.
Als Haus mit "menschlichen Dimensionen” pries Bundespräsident von Weizsäcker die Kunsthalle Emden zur Eröffnung - einen Klinkerbau, der damals noch eng und beschaulich wirkte. Für seine Sammlung wollte der Publizist Henri Nannen unbedingt einen Schauplatz schaffen und den Bürgern die Begegnung mit seinen großartigen Bildern ermöglichen:
"Als ich 70 wurde, habe ich mich gefragt: 'Was machst Du nun? Irgendwann musst Du ja einmal Bilanz ziehen.' Und ich hatte eine große Sammlung mit Bildern des deutschen Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit. Und ich wollte nicht gern, dass sie auseinanderfällt, und habe mir gedacht: 'Die bringst Du in Deine Heimatstadt nach Emden und verlangst nicht von der Kommune oder vom Land, dass sie ein Haus dafür baut, sondern gibst her, was Du hast.' Und wenn man einen Sohn hat, der 'ja' dazu sagt und auf sein Erbe verzichtet, kann man eigentlich ganz glücklich sein, dass man dieses Museum zuwege gebracht hat."
Nannen gab seine Sammlung in eine Stiftung, stellte auch für den Bau Millionen zur Verfügung und machte sich auf die Suche nach weiteren Geldgebern. Ein leidenschaftlicher Kunstfreund, der nicht systematisch Strömungen der klassischen und zeitgenössischen Moderne berücksichtigt hatte, sondern sich von der Kraft einzelner Bilder überzeugen ließ. Sie mussten ihm unter die Haut gehen. Seine Vorliebe für expressive farbkräftige Malerei zeigte sich auch später noch, als er russische Gemälde aus der Glasnost-Zeit kaufte, meist direkt in den Ateliers vor Ort. Eine Kunsthalle für Ostfriesland sollte das neue Haus in Emden sein: dabei wären zur Präsentation seiner Klassiker wohl auch andere Städte in Frage gekommen:
"Ja, mein Sohn hat damals gesagt: 'Du bist doch verrückt. Schau mal, da gibt es dieses schöne Haus an der Moorweide, das ist wie ein Museum, da kannst Du Deine Sammlung hinhängen und Sonderausstellungen machen und oben könntest Du in einem Penthouse leben und wärst so etwas wie der King von Hamburg.' Und ich habe dann gesagt: 'Es hat so viele Kings in Hamburg. Ich glaube, in Emden ist ein Kärrner wichtiger.' Und jemand hat daraus dann die etwas pathetische Bemerkung formuliert, ich wäre lieber Kärrner in Emden als King in Hamburg."
Jahre noch sah man, wie Henri Nannen in seiner zweiten Karriere als Sammler und Museumsgründer Besuchergruppen durch die Räume führte - und im Sommer strich er die Bänke vor dem Haus. Auch durch attraktive Sonderausstellungen hat sich die Kunsthalle in dem Vierteljahrhundert einen Namen gemacht: das Spektrum reichte von Lyonel Feininger über Franz Radziwill bis zu Edvard Munch, und in Themenausstellungen beschäftigte man sich mit dem Akt in der Kunst des 20. Jahrhunderts, mit dem Tanz in der Moderne und mit dem Motiv des Gartens.
Seine menschlichen Dimensionen hat das Haus behalten, seine Räumlichkeiten aber im Laufe der Jahrzehnte verändert. Ein 2000 eröffneter Erweiterungsbau nahm die Schenkung des Sammlers und Galeristen Otto van de Loo auf, sodass die Nachkriegskunst jetzt eindrucksvoll vertreten ist, zum Beispiel mit Künstlern der Gruppe CoBrA. Und 2007 wurde ein weiterer Modernisierungsschub sichtbar, sodass sich das Haus nun mit verbesserter Präsentationsfläche und freundlicher Glasfassade zur modernen Kunsthalle entwickelt hat.
Eske Nannen, die Witwe des Sammlers und Publizisten, ist seit vielen Jahren der Motor dieser Einrichtung, kümmert sich um die Außenwirkung und wirbt Gelder ein, die benachbarte Malschule ist ihr besonderes Anliegen: ein Ort der Kreativität für zeichnende Kinder und töpfernde Rentner.
Aber es dürfte schwieriger geworden sein, mit den Ausstellungen große Medien zu erreichen und im verstärkten Wettbewerb Kulturtouristen anzulocken. Eske Nannen:
"Wir haben viele Befragungen gemacht und erfahren, dass viele Kunstfreunde 250 Kilometer weit fahren, um zu uns zu kommen. Natürlich auch Touristen aus der Region und zunehmend auch Holländer. Wir haben einen Anteil an holländischen Besuchern von über zehn Prozent. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass wir eine holländische Audioführung haben. Das hat sich herumgesprochen."
"25 Jahre! Sammlung Henri Nannen und Überraschungsgäste” ist die neue, mit Leihgaben bestückte Jubiläums-Schau überschrieben. Beileibe keine Pflichtübung zum Geburtstag, sondern - das zeichnet sich in den Sälen schon deutlich ab - eine höchst fantasievolle Gegenüberstellung von jeweils einem Kabinettstück aus der Kollektion Nannens und einem Werk, das man hier nicht erwartet hätte. 83 Stücke von Nannen wurden insgesamt ausgewählt, bei dieser Zahl orientierte man sich an den Lebensjahren des Stifters. Kuratorin Katharina Henkel:
"Wir fanden es reizvoll, den Blick auf die eigene Sammlung noch mal zu schärfen und aufzufrischen. Wir haben viele Besucher, die immer wieder ins Haus kommen und unsere Bestände gut kennen. Und gerade für diese Besucher wollten wir etwas Neues konzipieren, ihnen einen neuen Blick auf unsere Sammlungsbestände ermöglichen."
Emil Noldes Gemälde mit rotem und violettem Mohn trifft in Emden auf eine monochrome, pinkfarbene Leinwand von Rupprecht Geiger, die Fohlen von Franz Marc - das Lieblingsbild Nannens - begegnen einer angedeuteten Tierfigur Emil Schumachers. Und das "Selbstbildnis mit Judenpaß”, das Felix Nussbaum um 1943 malte, wird auf einem zeitkritischen Bild von Bernhard Heisig zitiert. Es sind meist motivische, seltener stilistische Korrespondenzen bei diesen "Paaren”. Manchmal muss der Besucher findig sein, um zu erkennen, was das jeweilige Werkpaar vereint.
Henkel: "Eine meiner Lieblings-Gegenüberstellungen präsentiert zunächst ein kleines Aquarell von Emil Nolde mit einem Paar in der Loge. Es blickt auf eine Bühne, folgt einer Theaterinszenierung. Und als Gast und Partner haben wir eine Fotografie von Candida Höfer dazugestellt. Sie zeigt den Blick in einen Bühnenraum, den Blick, den das Paar in der Loge theoretisch hätte - nur dass eben 80 Jahre oder mehr zwischen den Entstehungszeiten beider Werke liegen."
Diese einfallsreiche Ausstellung wird ihr Publikum finden. Mit einer zweiten Schau möchte die Kunsthalle dann noch ihre eigene Geschichte dokumentieren, diesen Glücksfall jenseits der Metropolen. Seine Sammlung nach Emden zu geben, dort ein Haus dafür bauen zu lassen und so einen kulturellen Leuchtturm in die Landschaft zu setzen, war das Beste, was Henri Nannen tun konnte.
"Als ich 70 wurde, habe ich mich gefragt: 'Was machst Du nun? Irgendwann musst Du ja einmal Bilanz ziehen.' Und ich hatte eine große Sammlung mit Bildern des deutschen Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit. Und ich wollte nicht gern, dass sie auseinanderfällt, und habe mir gedacht: 'Die bringst Du in Deine Heimatstadt nach Emden und verlangst nicht von der Kommune oder vom Land, dass sie ein Haus dafür baut, sondern gibst her, was Du hast.' Und wenn man einen Sohn hat, der 'ja' dazu sagt und auf sein Erbe verzichtet, kann man eigentlich ganz glücklich sein, dass man dieses Museum zuwege gebracht hat."
Nannen gab seine Sammlung in eine Stiftung, stellte auch für den Bau Millionen zur Verfügung und machte sich auf die Suche nach weiteren Geldgebern. Ein leidenschaftlicher Kunstfreund, der nicht systematisch Strömungen der klassischen und zeitgenössischen Moderne berücksichtigt hatte, sondern sich von der Kraft einzelner Bilder überzeugen ließ. Sie mussten ihm unter die Haut gehen. Seine Vorliebe für expressive farbkräftige Malerei zeigte sich auch später noch, als er russische Gemälde aus der Glasnost-Zeit kaufte, meist direkt in den Ateliers vor Ort. Eine Kunsthalle für Ostfriesland sollte das neue Haus in Emden sein: dabei wären zur Präsentation seiner Klassiker wohl auch andere Städte in Frage gekommen:
"Ja, mein Sohn hat damals gesagt: 'Du bist doch verrückt. Schau mal, da gibt es dieses schöne Haus an der Moorweide, das ist wie ein Museum, da kannst Du Deine Sammlung hinhängen und Sonderausstellungen machen und oben könntest Du in einem Penthouse leben und wärst so etwas wie der King von Hamburg.' Und ich habe dann gesagt: 'Es hat so viele Kings in Hamburg. Ich glaube, in Emden ist ein Kärrner wichtiger.' Und jemand hat daraus dann die etwas pathetische Bemerkung formuliert, ich wäre lieber Kärrner in Emden als King in Hamburg."
Jahre noch sah man, wie Henri Nannen in seiner zweiten Karriere als Sammler und Museumsgründer Besuchergruppen durch die Räume führte - und im Sommer strich er die Bänke vor dem Haus. Auch durch attraktive Sonderausstellungen hat sich die Kunsthalle in dem Vierteljahrhundert einen Namen gemacht: das Spektrum reichte von Lyonel Feininger über Franz Radziwill bis zu Edvard Munch, und in Themenausstellungen beschäftigte man sich mit dem Akt in der Kunst des 20. Jahrhunderts, mit dem Tanz in der Moderne und mit dem Motiv des Gartens.
Seine menschlichen Dimensionen hat das Haus behalten, seine Räumlichkeiten aber im Laufe der Jahrzehnte verändert. Ein 2000 eröffneter Erweiterungsbau nahm die Schenkung des Sammlers und Galeristen Otto van de Loo auf, sodass die Nachkriegskunst jetzt eindrucksvoll vertreten ist, zum Beispiel mit Künstlern der Gruppe CoBrA. Und 2007 wurde ein weiterer Modernisierungsschub sichtbar, sodass sich das Haus nun mit verbesserter Präsentationsfläche und freundlicher Glasfassade zur modernen Kunsthalle entwickelt hat.
Eske Nannen, die Witwe des Sammlers und Publizisten, ist seit vielen Jahren der Motor dieser Einrichtung, kümmert sich um die Außenwirkung und wirbt Gelder ein, die benachbarte Malschule ist ihr besonderes Anliegen: ein Ort der Kreativität für zeichnende Kinder und töpfernde Rentner.
Aber es dürfte schwieriger geworden sein, mit den Ausstellungen große Medien zu erreichen und im verstärkten Wettbewerb Kulturtouristen anzulocken. Eske Nannen:
"Wir haben viele Befragungen gemacht und erfahren, dass viele Kunstfreunde 250 Kilometer weit fahren, um zu uns zu kommen. Natürlich auch Touristen aus der Region und zunehmend auch Holländer. Wir haben einen Anteil an holländischen Besuchern von über zehn Prozent. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass wir eine holländische Audioführung haben. Das hat sich herumgesprochen."
"25 Jahre! Sammlung Henri Nannen und Überraschungsgäste” ist die neue, mit Leihgaben bestückte Jubiläums-Schau überschrieben. Beileibe keine Pflichtübung zum Geburtstag, sondern - das zeichnet sich in den Sälen schon deutlich ab - eine höchst fantasievolle Gegenüberstellung von jeweils einem Kabinettstück aus der Kollektion Nannens und einem Werk, das man hier nicht erwartet hätte. 83 Stücke von Nannen wurden insgesamt ausgewählt, bei dieser Zahl orientierte man sich an den Lebensjahren des Stifters. Kuratorin Katharina Henkel:
"Wir fanden es reizvoll, den Blick auf die eigene Sammlung noch mal zu schärfen und aufzufrischen. Wir haben viele Besucher, die immer wieder ins Haus kommen und unsere Bestände gut kennen. Und gerade für diese Besucher wollten wir etwas Neues konzipieren, ihnen einen neuen Blick auf unsere Sammlungsbestände ermöglichen."
Emil Noldes Gemälde mit rotem und violettem Mohn trifft in Emden auf eine monochrome, pinkfarbene Leinwand von Rupprecht Geiger, die Fohlen von Franz Marc - das Lieblingsbild Nannens - begegnen einer angedeuteten Tierfigur Emil Schumachers. Und das "Selbstbildnis mit Judenpaß”, das Felix Nussbaum um 1943 malte, wird auf einem zeitkritischen Bild von Bernhard Heisig zitiert. Es sind meist motivische, seltener stilistische Korrespondenzen bei diesen "Paaren”. Manchmal muss der Besucher findig sein, um zu erkennen, was das jeweilige Werkpaar vereint.
Henkel: "Eine meiner Lieblings-Gegenüberstellungen präsentiert zunächst ein kleines Aquarell von Emil Nolde mit einem Paar in der Loge. Es blickt auf eine Bühne, folgt einer Theaterinszenierung. Und als Gast und Partner haben wir eine Fotografie von Candida Höfer dazugestellt. Sie zeigt den Blick in einen Bühnenraum, den Blick, den das Paar in der Loge theoretisch hätte - nur dass eben 80 Jahre oder mehr zwischen den Entstehungszeiten beider Werke liegen."
Diese einfallsreiche Ausstellung wird ihr Publikum finden. Mit einer zweiten Schau möchte die Kunsthalle dann noch ihre eigene Geschichte dokumentieren, diesen Glücksfall jenseits der Metropolen. Seine Sammlung nach Emden zu geben, dort ein Haus dafür bauen zu lassen und so einen kulturellen Leuchtturm in die Landschaft zu setzen, war das Beste, was Henri Nannen tun konnte.