Ein grausam desillusionierter Ex-Kommunist
Vom Stalinisten zum Liberalen: Der Schriftsteller Pavel Kohout führt den Leser in seiner Autobiografie durch das Auf und Ab der tschechischen Geschichte - angereichert mit plastischen Innenansichten aus dem Milieu der Literaten und Zensoren, der Parteisekretäre und temporären Geliebten.
Diese Autobiografie ein gesamt-europäisches Geschichtsbuch zu nennen, könnte pompös anmuten, ist ihr Verfasser doch geradezu die Inkarnation eines (selbst-)ironischen Zivilisten: Pavel Kohout, geboren 1928 in Prag und seit 1989 auch wieder dort lebend – im Wechsel mit dem Wahlheimat gewordenen ehemaligen Exilort Wien. Doch wie viel hat dieser Romancier, Dramatiker, Essayist und Zeitzeuge zu erzählen, der 1968 wohl der literarische Repräsentant von Alexander Dubceks "Prager Frühling" gewesen war und nach der sowjetischen Invasion einer der entschiedensten Kritiker des neo-stalinistischen Husak-Regimes.
Denn gleichwohl ist auch Kohout ein "Mann mit Vergangenheit": Blutjunger Vorzeige-Autor und Jubel-Poet nach dem kommunistischen Putsch 1948 und bereits in den 50er- und 60er-Jahren ein viel gespielter Theaterautor mit einem wachen Gespür für Zeitströmungen. Nicht zufällig heißt dieser Memoirenband denn auch "Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel", doch sollte man sich von dem leicht frivolen Titel nicht täuschen lassen: Pavel Kohout, auch hierin in guter tschechischer Tradition, ist viel zu ernsthaft, um sich immer ernst zu nehmen, sprich die burlesken Verwicklungen des Lebens als pathetischen Strang zu versimpeln, der stets stracks von der Dunkelheit zum Lichte empor führen würde.
Der ehemalige Stalinist, dann antistalinistische Marxist und schließlich liberal-antikommunistische Intellektuelle mag nämlich ein Dissident sein, ein eifernder Renegat dagegen ist er nicht. Auch dies macht die Lektüre dieses immerhin über 500 Seiten starken Buchs (in der tschechischen Republik kam es vor fünf Jahren in zwei Bänden heraus) so bewegend und erfreulich: Plastische Innenansichten aus dem Milieu der Schriftsteller und Zensoren, der Parteisekretäre und temporären Geliebten wechseln sich permanent ab mit selbstkritischen Reflexionen, die das eigene Handeln immer wieder auf den Prüfstand stellen, ohne dabei sich selbst zum Maßstab aller Dinge zu machen.
Berührend und aufschlussreich sind da etwa die Porträts von Alexander Dubcek und dem ebenso solitären wie der Verdrängung in eigener Sache nicht ganz abholden Milan Kundera, nicht zu vergessen die lange und komplexe Freundschaftsgeschichte mit dem "Seelenbruder" Vaclav Havel. Er, der lebenslange Nicht-Marxist, und Kohout, der grausam desillusionierte Ex-Kommunist, waren in den harten Jahren nach 1968 zu einer Art Tandem geworden, das die verschiedenen Protagonisten der tschechischen Künstler-Opposition öffentlichkeitswirksam aus der Marginalität holte.
Was sich in der DDR mehr oder minder auf die recht überschaubare Szene von Wolf Biermann und Robert Havemann in Grüneheide beschränkte, zog unter den ungleich freiheitlich gesonneneren tschechischen Intellektuellen viel weitere Kreise: Gemeinsam überlistete man Zensurbehörden und Geheimdienstspitzel, schmuggelte Manuskripte außer Landes, stand Inhaftierten bei, gründete die legendäre "Charta77" – und vergaß dennoch nicht das gute, gesellige Leben bei Bier und Knödeln in den Bauernhäuschen der böhmischen Provinz.
Etwas Unprätentiöses, im besten Sinne Kameradschaftliches geht deshalb von diesem anekdotensatten Buch aus, das freilich auch die Brüche nicht verschweigt: Kohout, 1979 nach Österreich zwangsausgebürgert, kehrte nach der Revolution 1989 im Triumph nach Prag zurück – und musste doch, von Freund Havel auf die Prager Burg gerufen, bald vor dem kleinlichen Intrigantenstadl im Umfeld des Präsidenten kapitulieren. Merke: Auch die Demokratie macht Menschen nicht automatisch zu Heiligen.
Die Freundschaft der beiden ging trotzdem nicht in die Brüche; heute sind sie beide ältere Herren, die sich vor allem bei Prager Theataufführungen im Parkett treffen und miteinander plauschen. Es ist die Zimmerlautstärke zweier nicht ganz uneitler und gleichzeitig grundanständiger Schriftsteller, die trotz ihrer immensen Lebensleistung die eherne Heldenpose verschmähen. Was könnte sympathischer sein?
Besprochen von Marko Martin
Pavel Kohout: Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel. Erlebnisse-Erkenntnisse
Aus dem Tschechischen von Marcela Euler, Friederike Gürbig, Silke Klein und Ales Puda
Osburg Berlin, Berlin 2010
556 Seiten, 26,90 Euro
Denn gleichwohl ist auch Kohout ein "Mann mit Vergangenheit": Blutjunger Vorzeige-Autor und Jubel-Poet nach dem kommunistischen Putsch 1948 und bereits in den 50er- und 60er-Jahren ein viel gespielter Theaterautor mit einem wachen Gespür für Zeitströmungen. Nicht zufällig heißt dieser Memoirenband denn auch "Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel", doch sollte man sich von dem leicht frivolen Titel nicht täuschen lassen: Pavel Kohout, auch hierin in guter tschechischer Tradition, ist viel zu ernsthaft, um sich immer ernst zu nehmen, sprich die burlesken Verwicklungen des Lebens als pathetischen Strang zu versimpeln, der stets stracks von der Dunkelheit zum Lichte empor führen würde.
Der ehemalige Stalinist, dann antistalinistische Marxist und schließlich liberal-antikommunistische Intellektuelle mag nämlich ein Dissident sein, ein eifernder Renegat dagegen ist er nicht. Auch dies macht die Lektüre dieses immerhin über 500 Seiten starken Buchs (in der tschechischen Republik kam es vor fünf Jahren in zwei Bänden heraus) so bewegend und erfreulich: Plastische Innenansichten aus dem Milieu der Schriftsteller und Zensoren, der Parteisekretäre und temporären Geliebten wechseln sich permanent ab mit selbstkritischen Reflexionen, die das eigene Handeln immer wieder auf den Prüfstand stellen, ohne dabei sich selbst zum Maßstab aller Dinge zu machen.
Berührend und aufschlussreich sind da etwa die Porträts von Alexander Dubcek und dem ebenso solitären wie der Verdrängung in eigener Sache nicht ganz abholden Milan Kundera, nicht zu vergessen die lange und komplexe Freundschaftsgeschichte mit dem "Seelenbruder" Vaclav Havel. Er, der lebenslange Nicht-Marxist, und Kohout, der grausam desillusionierte Ex-Kommunist, waren in den harten Jahren nach 1968 zu einer Art Tandem geworden, das die verschiedenen Protagonisten der tschechischen Künstler-Opposition öffentlichkeitswirksam aus der Marginalität holte.
Was sich in der DDR mehr oder minder auf die recht überschaubare Szene von Wolf Biermann und Robert Havemann in Grüneheide beschränkte, zog unter den ungleich freiheitlich gesonneneren tschechischen Intellektuellen viel weitere Kreise: Gemeinsam überlistete man Zensurbehörden und Geheimdienstspitzel, schmuggelte Manuskripte außer Landes, stand Inhaftierten bei, gründete die legendäre "Charta77" – und vergaß dennoch nicht das gute, gesellige Leben bei Bier und Knödeln in den Bauernhäuschen der böhmischen Provinz.
Etwas Unprätentiöses, im besten Sinne Kameradschaftliches geht deshalb von diesem anekdotensatten Buch aus, das freilich auch die Brüche nicht verschweigt: Kohout, 1979 nach Österreich zwangsausgebürgert, kehrte nach der Revolution 1989 im Triumph nach Prag zurück – und musste doch, von Freund Havel auf die Prager Burg gerufen, bald vor dem kleinlichen Intrigantenstadl im Umfeld des Präsidenten kapitulieren. Merke: Auch die Demokratie macht Menschen nicht automatisch zu Heiligen.
Die Freundschaft der beiden ging trotzdem nicht in die Brüche; heute sind sie beide ältere Herren, die sich vor allem bei Prager Theataufführungen im Parkett treffen und miteinander plauschen. Es ist die Zimmerlautstärke zweier nicht ganz uneitler und gleichzeitig grundanständiger Schriftsteller, die trotz ihrer immensen Lebensleistung die eherne Heldenpose verschmähen. Was könnte sympathischer sein?
Besprochen von Marko Martin
Pavel Kohout: Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel. Erlebnisse-Erkenntnisse
Aus dem Tschechischen von Marcela Euler, Friederike Gürbig, Silke Klein und Ales Puda
Osburg Berlin, Berlin 2010
556 Seiten, 26,90 Euro