Ein großes Nachwuchstalent

Von Gerrit Stratmann |
Mit 15 Jahren bekam sie ihre erste Rolle in einem Spielfilm. Heute, mit 25, wird sie als großes Nachwuchstalent gehandelt und ist für den diesjährigen New Faces Award nominiert. Doch als Newcomerin fühlt sich die Wahlberlinerin, die nie eine Schlauspielschule besucht hat, schon lange nicht mehr.
Viele Wege führen zum Film, die meisten über eine Schauspielschule. Einige Talente werden zufällig auf der Straße entdeckt. Und manche gehen einfach mal auf ein Casting und hoffen auf ihr Glück. So wie Anna Brüggemann. Mit gerade einmal 15 Jahren ergatterte sie ihre erste Rolle in einem abendfüllenden Spielfilm.

"Ich hätte nie gedacht, dass ich das kriege, und ich hab mich wahnsinnig gefreut, und ich fand das so toll und dachte danach so: Gott, hoffentlich werde ich wieder einen Film drehen, weil das hat viel mehr Spaß gemacht, als ich's mir hätte träumen können."

Ihre Gebete wurden erhört. Seit sechs Jahren steht Anna Brüggemann fürs Fernsehen und fürs Kino vor der Kamera. Sie hat prämierte Kurzfilme gedreht, eine Nebenrolle in "Anatomie" und eine Hauptrolle in dem Kinofilm "Kleinruppin forever" gespielt, war schon mehrmals beim Tatort dabei und steht auch gerne für Low-Budget-Produktionen vor der Kamera, wenn sie dort interessante Herausforderungen für sich entdeckt. Nominiert wurde unter anderem ihre Darstellung der Halbwaise Lilly in einer Folge der Serie "Polizeiruf 110"'.

Filmausschnitt: "Hast Du irgendeine Ausbildung? - Für'n Arsch.
Und wovon lebst du? - Dies und das.
Wie, was, dies und das? - Dies und das, Dick und Doof, Ebbe und Flut, Starsky und Hutch.
Ah. - Was bist'n du eigentlich von Beruf?
Polizist.
Was ist denn da so komisch? Hast du mal was mit der Polizei zu tun gehabt? - Ich? Was denkst'n du von mir?"

Wer der Schauspielerin auf der Straße begegnet, dem käme wohl nicht in den Sinn, sie mit "Frau Brüggemann" anzureden. Zum Interview erscheint Anna in Blue Jeans und blau-roter Strickweste, die blonden Haare im Nacken zusammengebunden. Mit dem herzlichen Lächeln ihrer vollen Lippen wirkt sie wie das Mädchen von nebenan, mit dem man sich gerne auf einen Kaffee trifft.
Ganz im Kontrast dazu stehen manche ihrer Rollen, die sie bisher verkörpert hat, darunter eine Drogensüchtige, eine Behinderte und eine Krebskranke. Figuren, die Entwicklungen durchmachen und deshalb interessant sind, sagt sie.

Anna Brüggemann ist die jüngste Tochter eines Germanistenehepaares und hat in ihrer Kindheit vier Jahre in Südafrika gelebt. Ihre Eltern hat es nie lange an einem Ort gehalten. Immer wieder sind sie mit den vier Kindern umgezogen, von München nach Johannesburg, nach Stuttgart, weiter nach Regensburg, dann wieder nach München, bis Anna schließlich in Berlin landete:

"Ja, wir sind halt oft umgezogen wegen meinem Vater, weil der sehr reiselustig war. Und ich weiß nicht, ob das gut war oder nicht. Auf der einen Seite möchte ich es nicht missen. Auf der anderen Seite ist es natürlich nicht gut, immer wieder entwurzelt zu werden und immer wieder vor der Klasse zu stehen und zu sagen: Hallo, ich bin die Anna. Wenn ich mal Kinder hab, glaub ich, möchte ich weniger oft umziehen."

Nach Berlin ist sie nicht nur wegen der Arbeit gezogen, sondern auch wegen ihres älteren Bruders. Der Filmemacher Dietrich Brüggemann hat mit seiner Schwester zusammen zuletzt seinen ersten Spielfilm "Neun Szenen" entwickelt und gedreht. Mit Dietrich verbindet sie ein inniges Verhältnis, auch wenn das nicht immer so war.

"Ich kann mich daran nicht erinnern. Er sagt, man konnte erst mit mir vernünftig reden, als ich 'ironiefähig' wurde, so mit zwölf. Naja, ich find das nicht."

Eine weitere Person darf in ihrer Biographie niemals unerwähnt bleiben. In gewisser Weise ist ihre Klavierlehrerin aus Regensburg schuld an ihrer Karriere, und dass, obwohl – oder vielleicht auch gerade weil Anna es mit dem Üben nicht allzu genau nahm.

"Ich war nicht so fleißig, weil mein Bruder und meine Mutter so gut Klavier spielen und ich wusste einfach, ich komm da nie ran. Die waren einfach immer besser. Und die war sehr nett, wir haben uns sehr gut verstanden und wir haben oft viel zu viel geredet, und daher wusste die halt auch, was ich gerne mache, und hat dann irgendwann gesagt: Mensch, Anna, guck mal, da ist ne Castingagentur, genau das willst du doch."

Das Casting war ihr Sprungbrett in den Beruf. Eine Schauspielschule hat sie nie besucht. Spielen, das ist für Anna Brüggemann vor allem mit Freude verbunden. Ein Ort, an dem man das Spielen lernen soll, war ihr nicht geheuer. Wahrscheinlich wäre sie mit der Ausbildung auch nicht da, wo sie jetzt ist.

"Ich weiß es nicht, vielleicht hätte ich abgebrochen, vielleicht hätten die mich rausgeschmissen, vielleicht wär's alles ganz toll geworden, vielleicht wär's alles ganz schrecklich geworden und ich würde jetzt was studieren, weil ich es so bescheuert fand, weiß man ja nicht. Ich hatte einfach Angst, dass man mich da bricht und die Spielfreude einem schön zertrampelt oder dass man alles totanalysiert, und ich hatte einfach Angst, dass dann so dieses Ursprüngliche weg ist."

Das Ursprüngliche hat sie sich bis heute in Beruf und Alltag bewahrt. Wohl auch deswegen läuft es im Augenblick sehr gut, und es gibt genügend Rollenangebote. Trotzdem blickt sie bodenständig in eine ungeschminkte Zukunft. Die Auftragslage ist in ihrem Beruf unvorhersehbar. Jede neue Rolle ist deshalb für Anna ein Geschenk.

"Ich weiß, dass der Beruf ein Seiltanz ist bis zum Schluss und dass auch ältere Kollegen immer hoffen, dass sie einen neuen Job kriegen. Und selbst wenn man mal irgendwie den Durchbruch schafft und ein paar Jahre richtig doll zu drehen hat und alle einen toll finden, dann heißt das ja nicht, dass es bleibt. Das ist wirklich ein sehr flüchtiger Beruf."