Ein Großstadtcowboy wird Vater
<strong> Nach über 30 Jahren ist er wieder da, Chuck, der Rock 'n' Roller der Siebziger, ein vor Männlichkeit strotzender Großstadtwolf, der nachts um die Häuser zog, kiffte und sich niemals schonte. Er war Wolf Wondratscheks Held in seinem 1974 erschienenen Gedichtband "Chucks Zimmer", der sich – eine Sensation für einen Lyrikband – 300.000 Mal verkaufte. </strong>
Heute hat Chuck, nach überstandener Drogensucht, Probleme mit Prostata und Blase. Er ist die zentrale Figur in Wondratscheks neuer Erzählung "Das Geschenk". Mit seinem Erfinder verbindet ihn neben dem Alter der Beruf. Auch Chuck ist Schriftsteller geworden.
"Das Geschenk" beginnt mit dem Gedicht "Warum Gefühle zeigen?" aus "Chucks Zimmer" über den Hippie-Traum von der Liebe ohne Bindung. Ein Lebensprogramm, dem Chuck, der notorische Junggeselle, noch immer huldigt. Dann passiert, worauf er am allerwenigsten vorbereitet ist: Er wird Vater. Er, der das Alleinsein kultivierte, das "rücksichtslos eigensinnige Leben", lernt, das Wort Verantwortung zu buchstabieren. Und er lernt eine andere Seite an sich kennen: Der Poseur in ihm wird demaskiert als lächerliche Figur. Ein Saulus-Paulus-Erlebnis also? Das verspricht, larmoyant zu werden. Aber Fehlanzeige.
Der Junge, der ab und zu beim Vater vorbeischaut und eigentlich bei der Mutter lebt, ist vierzehn, maulfaul, meistens gelangweilt. Er hängt rum, hat zu nichts Lust und interessiert sich nicht die Bohne für die Ergüsse des Vaters. Vor allem nicht, wenn der loslegt mit Altersweisheiten und wie ein sentimentaler Großstadtcowboy über Geld, Boxen, Alleinsein, bürgerliches Leben schwadroniert. Chuck strengt sich an, um den Sohn zu begeistern, und gibt wie ein Schauspieler beim Vorsprechen alles – doch der Sohn hält die Lider geschlossen. Diese Szenen sind von hinreißender Komik und gehören zum Besten, was man über die Mühsal von Vätern mit pubertierenden Söhnen lesen kann. Sie sind deshalb so brillant, weil Wondratschek die beiden Positionen in schnellem Perspektivwechsel ineinander schneidet. Zudem kommt Chuck nicht umhin, sich an seinen eigenen, hartnäckig gehassten Vater zu erinnern. Zum ersten Mal bringt er Verständnis für ihn auf, und beim Buhlen um die Zuneigung seines Sohnes kommt er sich so wehrlos vor wie die Frauen, denen er, "nachdem er sie verführt hatte, eine Abfuhr erteilt hatte. "Wir sehen uns, wir sehen uns nicht! Was weiß ich!"
Der Rest der Erzählung fällt dagegen ab. Es ist Selbstvergewisserungsprosa, nicht unelegant, doch zuweilen gnadenlos kalauernd. Manches wirkt austauschbar, weil Wondratschek in gemessenem Tempo episodisch durch zwei Dekaden eilt, von der einzig großen Amour fou erzählt, vom verkorksten Leben mit Koks und dem schmerzlichen Tod wichtiger Freunde, von einer Festrede über Donald Duck, der Liebe zu den Büchern, zum Schreiben. Wie viel Wondratschek übrigens in Chuck steckt, lässt sich nur vermuten. Wenig aber dürfte es nicht sein.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Wolf Wondratschek: "Das Geschenk", Roman,
Hanser Verlag, München 2011,
173 Seiten, 17,90 Euro
"Das Geschenk" beginnt mit dem Gedicht "Warum Gefühle zeigen?" aus "Chucks Zimmer" über den Hippie-Traum von der Liebe ohne Bindung. Ein Lebensprogramm, dem Chuck, der notorische Junggeselle, noch immer huldigt. Dann passiert, worauf er am allerwenigsten vorbereitet ist: Er wird Vater. Er, der das Alleinsein kultivierte, das "rücksichtslos eigensinnige Leben", lernt, das Wort Verantwortung zu buchstabieren. Und er lernt eine andere Seite an sich kennen: Der Poseur in ihm wird demaskiert als lächerliche Figur. Ein Saulus-Paulus-Erlebnis also? Das verspricht, larmoyant zu werden. Aber Fehlanzeige.
Der Junge, der ab und zu beim Vater vorbeischaut und eigentlich bei der Mutter lebt, ist vierzehn, maulfaul, meistens gelangweilt. Er hängt rum, hat zu nichts Lust und interessiert sich nicht die Bohne für die Ergüsse des Vaters. Vor allem nicht, wenn der loslegt mit Altersweisheiten und wie ein sentimentaler Großstadtcowboy über Geld, Boxen, Alleinsein, bürgerliches Leben schwadroniert. Chuck strengt sich an, um den Sohn zu begeistern, und gibt wie ein Schauspieler beim Vorsprechen alles – doch der Sohn hält die Lider geschlossen. Diese Szenen sind von hinreißender Komik und gehören zum Besten, was man über die Mühsal von Vätern mit pubertierenden Söhnen lesen kann. Sie sind deshalb so brillant, weil Wondratschek die beiden Positionen in schnellem Perspektivwechsel ineinander schneidet. Zudem kommt Chuck nicht umhin, sich an seinen eigenen, hartnäckig gehassten Vater zu erinnern. Zum ersten Mal bringt er Verständnis für ihn auf, und beim Buhlen um die Zuneigung seines Sohnes kommt er sich so wehrlos vor wie die Frauen, denen er, "nachdem er sie verführt hatte, eine Abfuhr erteilt hatte. "Wir sehen uns, wir sehen uns nicht! Was weiß ich!"
Der Rest der Erzählung fällt dagegen ab. Es ist Selbstvergewisserungsprosa, nicht unelegant, doch zuweilen gnadenlos kalauernd. Manches wirkt austauschbar, weil Wondratschek in gemessenem Tempo episodisch durch zwei Dekaden eilt, von der einzig großen Amour fou erzählt, vom verkorksten Leben mit Koks und dem schmerzlichen Tod wichtiger Freunde, von einer Festrede über Donald Duck, der Liebe zu den Büchern, zum Schreiben. Wie viel Wondratschek übrigens in Chuck steckt, lässt sich nur vermuten. Wenig aber dürfte es nicht sein.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Wolf Wondratschek: "Das Geschenk", Roman,
Hanser Verlag, München 2011,
173 Seiten, 17,90 Euro