Ein Häftling kostete 100.000 D-Mark
Zwischen 1963 und 1989 kaufte die Bundesregierung rund 33.000 politische Häftlinge aus Gefängnissen der DDR frei. Bis zum Mauerfall standen diese Geschäfte unter höchster Geheimhaltung. Eine Ausstellung in Berlin bringt nun Licht ins Dunkel.
Die heute 65-jährige Barbara Große wurde 1983 verhaftet, nachdem sie die Ständige Vertretung in Ost-Berlin und die westdeutsche Botschaft in Prag besucht hatte. Und kam ins berüchtigte Frauengefängnis Hoheneck. Bis eines Tages - acht Monate nach ihrer Verhaftung - die Tür aufging.
"Da hieß es, Große raustreten. Und das war immer das Zeichen, dass ein Freikauf, ein Transport geht. Und da haben wir den ganzen Tag – ohne Essen und Trinken – in der Schleuse gesessen. Und irgendwann ist ein Auto vorgefahren, das uns nach Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz, gebracht hat. Wieder in eine Stasi-U-Haftanstalt."
Dort wartete bereits ein ominöser westdeutscher Bus, der brachte Barbara Große ins Notaufnahmelager nach Gießen.
"Und kurz vor der Grenze hat der Bus gehalten, ist die Stasi ausgestiegen. Und wurde mit Pfiffen verabschiedet. Und Johlerei. Und dann gingen die Schranken hoch und der Bus donnerte durch."
Eine von sechs Biografien, die in der Ausstellung "Freigekauft – Wege aus der DDR-Haft" erzählt wird, um die Geschichte, die Hintergründe, den Ablauf des Häftlings-Freikaufs zu verbildlichen. An Multimediatafeln, ausgestattet mit Videos, Bildern und groß angelegten Grafiken, kann man erfahren, dass das SED-Regime einen brutalen, gewinnbringenden Handel mit politischen Häftlingen betrieben hat. Zwischen 1963 und 1989 spülte er über 3,4 Milliarden D-Mark in die klammen Kassen Ostberlins.
Der Häftlingsfreikauf startete 1963 mit einem Koffer Bargeld, den Unterhändler noch persönlich mit der S-Bahn nach Ost-Berlin brachten. Später wurden Warenlieferungen vereinbart. Anfangs waren es Südfrüchte wie Apfelsinen, dann aber wollte man Rohstoffe wie Erdöl, Kupfer oder Silber.
"Die Idee war natürlich auch, dass man in einer Form Dinge in die DDR liefert, die vielleicht irgendwie der Bevölkerung zugutekommen könnten. Und jetzt nicht diese Regierung mit so viel Devisengeld ausstattet, dass sie alles Mögliche unkontrolliert machen kann."
Bettina Effner ist die Direktorin der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde. Das Zahlenspiel der DDR war unerbittlich: Anfangs kostete ein Häftling - noch muss man sagen - rund 40.000 Mark. Ab Ende der 70er-Jahre schraubte man den Preis aber auf knapp 100.000 harte D-Mark hoch.
Neben Stasi-Major Volpert auf der Ostseite war Verleger Axel Springer auf der West-Seite einer der Initiatoren des Häftlingsfreikaufs, so wird es zumindest in der Ausstellung erzählt. Ausstellungsmacherin Bettina Effner erinnert an die "Bild"-Schlagzeile "Kauft Freiheit", mit der Axel Springer 1962, kurz nach der Verhaftung des DDR-Radrennfahrers Harry Seidel, das Thema des Häftlingsfreikaufs in die öffentliche Debatte einbringt. Und fordert:
"Die Anwälte zusammenzubringen, ein Gespräch zusammenzubringen. Da auch Rainer Barzel mit einzubeziehen ..."
... zwischen 1962 und 1963 Minister für Gesamtdeutsche Fragen ... .
"... der dann wieder Adenauer eingebunden hat und auch Zustimmung erhalten hat. Und so konnte man den ersten Freikauf auf den Weg bringen."
Der Freikauf von 33.000 politischen Häftlingen - worunter auch mehr als 400 Schwerkriminelle waren, derer sich die DDR auf diese Art entledigte - stand bis zum Mauerfall unter höchster Geheimhaltung.
In der DDR wurde der Häftlingshandel über den Anwalt Wolfgang Vogel abgewickelt. Teile seiner Korrespondenz sind in der Ausstellung erstmals zu hören und nachzulesen. In ihm haben viele einen skrupellosen Menschenhändler, den Advokaten des Teufels gesehen, der zusammen mit dem SED-Regime politische Häftlinge wie Spielfiguren zwischen Ost und West verschoben und damit viel Geld verdient hat. Daher schwelt bis heute unter Betroffenen und Experten der Streit, als was der Häftlingsfreikauf zu sehen ist: Als Menschenhandel oder humanitäre Aktion. Für die Historikerin Bettina Effner ist der Fall klar.
"Ich persönlich würde den Schwerpunkt auf die humanitäre Aktion legen.
Und die Menschen, die das erlebt haben, sehen es ähnlich. Für sie war es einfach eine Chance, in Freiheit zu kommen. Aus der DDR rauszukommen, aus dem Zuchthaus rauszukommen. Eine Chance, die sie anders nicht gehabt hätten. Also, ich finde, dem ist kaum was entgegenzusetzen."
Die kleine Ausstellung über den Häftlingsfreikauf ist eine Art Spurensuche, bei der man jedoch wenig Neues erfährt. Man greift auf die persönlichen Erinnerungen der damals Beteiligten wie auf die weitgehend bekannten Stasi-Unterlagen zurück. Und da offenbart sich das Problem der inhaltlich sehr mageren Unterfütterung des höchst interessanten Themas. Was sicherlich daran liegt, dass die Archive der bundesdeutschen Behörden bis heute wenig Quellen preisgeben, sie aus archivrechtlichen Gründen zurückhalten. Somit kann sich die Ausstellung auf keine breite Quellenbasis stützen, sondern nur einen kleinen, ja oberflächlichen Einblick geben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
"Da hieß es, Große raustreten. Und das war immer das Zeichen, dass ein Freikauf, ein Transport geht. Und da haben wir den ganzen Tag – ohne Essen und Trinken – in der Schleuse gesessen. Und irgendwann ist ein Auto vorgefahren, das uns nach Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz, gebracht hat. Wieder in eine Stasi-U-Haftanstalt."
Dort wartete bereits ein ominöser westdeutscher Bus, der brachte Barbara Große ins Notaufnahmelager nach Gießen.
"Und kurz vor der Grenze hat der Bus gehalten, ist die Stasi ausgestiegen. Und wurde mit Pfiffen verabschiedet. Und Johlerei. Und dann gingen die Schranken hoch und der Bus donnerte durch."
Eine von sechs Biografien, die in der Ausstellung "Freigekauft – Wege aus der DDR-Haft" erzählt wird, um die Geschichte, die Hintergründe, den Ablauf des Häftlings-Freikaufs zu verbildlichen. An Multimediatafeln, ausgestattet mit Videos, Bildern und groß angelegten Grafiken, kann man erfahren, dass das SED-Regime einen brutalen, gewinnbringenden Handel mit politischen Häftlingen betrieben hat. Zwischen 1963 und 1989 spülte er über 3,4 Milliarden D-Mark in die klammen Kassen Ostberlins.
Der Häftlingsfreikauf startete 1963 mit einem Koffer Bargeld, den Unterhändler noch persönlich mit der S-Bahn nach Ost-Berlin brachten. Später wurden Warenlieferungen vereinbart. Anfangs waren es Südfrüchte wie Apfelsinen, dann aber wollte man Rohstoffe wie Erdöl, Kupfer oder Silber.
"Die Idee war natürlich auch, dass man in einer Form Dinge in die DDR liefert, die vielleicht irgendwie der Bevölkerung zugutekommen könnten. Und jetzt nicht diese Regierung mit so viel Devisengeld ausstattet, dass sie alles Mögliche unkontrolliert machen kann."
Bettina Effner ist die Direktorin der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde. Das Zahlenspiel der DDR war unerbittlich: Anfangs kostete ein Häftling - noch muss man sagen - rund 40.000 Mark. Ab Ende der 70er-Jahre schraubte man den Preis aber auf knapp 100.000 harte D-Mark hoch.
Neben Stasi-Major Volpert auf der Ostseite war Verleger Axel Springer auf der West-Seite einer der Initiatoren des Häftlingsfreikaufs, so wird es zumindest in der Ausstellung erzählt. Ausstellungsmacherin Bettina Effner erinnert an die "Bild"-Schlagzeile "Kauft Freiheit", mit der Axel Springer 1962, kurz nach der Verhaftung des DDR-Radrennfahrers Harry Seidel, das Thema des Häftlingsfreikaufs in die öffentliche Debatte einbringt. Und fordert:
"Die Anwälte zusammenzubringen, ein Gespräch zusammenzubringen. Da auch Rainer Barzel mit einzubeziehen ..."
... zwischen 1962 und 1963 Minister für Gesamtdeutsche Fragen ... .
"... der dann wieder Adenauer eingebunden hat und auch Zustimmung erhalten hat. Und so konnte man den ersten Freikauf auf den Weg bringen."
Der Freikauf von 33.000 politischen Häftlingen - worunter auch mehr als 400 Schwerkriminelle waren, derer sich die DDR auf diese Art entledigte - stand bis zum Mauerfall unter höchster Geheimhaltung.
In der DDR wurde der Häftlingshandel über den Anwalt Wolfgang Vogel abgewickelt. Teile seiner Korrespondenz sind in der Ausstellung erstmals zu hören und nachzulesen. In ihm haben viele einen skrupellosen Menschenhändler, den Advokaten des Teufels gesehen, der zusammen mit dem SED-Regime politische Häftlinge wie Spielfiguren zwischen Ost und West verschoben und damit viel Geld verdient hat. Daher schwelt bis heute unter Betroffenen und Experten der Streit, als was der Häftlingsfreikauf zu sehen ist: Als Menschenhandel oder humanitäre Aktion. Für die Historikerin Bettina Effner ist der Fall klar.
"Ich persönlich würde den Schwerpunkt auf die humanitäre Aktion legen.
Und die Menschen, die das erlebt haben, sehen es ähnlich. Für sie war es einfach eine Chance, in Freiheit zu kommen. Aus der DDR rauszukommen, aus dem Zuchthaus rauszukommen. Eine Chance, die sie anders nicht gehabt hätten. Also, ich finde, dem ist kaum was entgegenzusetzen."
Die kleine Ausstellung über den Häftlingsfreikauf ist eine Art Spurensuche, bei der man jedoch wenig Neues erfährt. Man greift auf die persönlichen Erinnerungen der damals Beteiligten wie auf die weitgehend bekannten Stasi-Unterlagen zurück. Und da offenbart sich das Problem der inhaltlich sehr mageren Unterfütterung des höchst interessanten Themas. Was sicherlich daran liegt, dass die Archive der bundesdeutschen Behörden bis heute wenig Quellen preisgeben, sie aus archivrechtlichen Gründen zurückhalten. Somit kann sich die Ausstellung auf keine breite Quellenbasis stützen, sondern nur einen kleinen, ja oberflächlichen Einblick geben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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