Altenas Bürgermeister denkt nicht ans Aufgeben
Wegen seiner liberalen Haltung in der Flüchtlingspolitik wurde Andreas Hollstein am 27. November 2017 niedergestochen. Seine Gewohnheiten umzustellen oder seine Haltung zu ändern, kommt für den Bürgermeister von Altena aber nicht infrage.
Trutzig sieht es aus: das Rathaus von Altena, der Kleinstadt im Sauerland. Doch der erste Eindruck täuscht. Jeder kann rein, Kontrollen: Gibt es keine. Bürgermeister Andreas Hollstein will das so. Es ist Dienstagvormittag, kurz nach zehn. Der CDU-Mann kommt gerade vom Katholikentag in Münster. Vor über 200 Zuhörern hat er geredet: über Krisensituationen. Seine Krise: Das war der 27. November 2017; der Tag, an dem ihn ein Einheimischer wegen seiner liberalen Flüchtlingspolitik um ein Haar in einem Imbiss abgestochen hätte.
"Ich hab sofort zugesagt. Weil ich das wichtig finde, dass man gesellschaftlich über das Thema spricht. Und die Vorfälle um den frisch gewählten Oberbürgermeister von Freiburg zeigen, dass das ja nach wie vor ein Thema ist. Und auch kein Einzelfall."
"Ich hab sofort zugesagt. Weil ich das wichtig finde, dass man gesellschaftlich über das Thema spricht. Und die Vorfälle um den frisch gewählten Oberbürgermeister von Freiburg zeigen, dass das ja nach wie vor ein Thema ist. Und auch kein Einzelfall."
An der Halsschlagader vorbei
Ähnlich wie Martin Horn, der Freiburger Oberbürgermeister, hatte Andreas Hollstein Glück im Unglück: Das Messer verfehlte seine Halsschlagader. Andere hätten sich erst einmal verkrochen: Hollstein aber saß am nächsten Morgen pünktlich um halb acht am Schreibtisch. Um zu signalisieren: Das Leben geht weiter.
"Ich hab keine Gewohnheiten umgestellt. Das war am Anfang nicht ganz leicht. Der erste Gang durch die Stadt zwei Tage später, abends, nach Dienstschluss kostete Überwindung. Als dann auch noch ein Mensch auf mich zukam, habe ich gedacht: Hm, was will der jetzt? Aber der kam auf mich zu, um mir zu sagen, dass er froh ist, dass ich noch lebe."
Kein Personenschützer
Hollstein hat sich an den schwarzen Holztisch seines Büros gesetzt. Seine Besucherecke. Von hier fällt der Blick auf das Lenne-Ufer. Und das Wahrzeichen Altenas: die Burg. Schon schön hier, sinniert er. In zwei Stunden muss er los zum Flughafen in Düsseldorf. Einen britischen Wissenschaftler abholen vom Netzwerk schrumpfender Städte Europas. Keine Stadt in West-Deutschland ist seit der Wende so stark geschrumpft wie Altena. Einen Fahrer hat er keinen. Personenschutz auch nicht.
"Was auch gar nicht organisierbar ist für jeden Bürgermeister und jede Bürgermeisterin. Wo hören wir denn dann auf? Beigeordnete? Oder Verwaltungsmitarbeiter? Oder Feuerwehrleute?"
Altena mag zwar schrumpfen, doch noch haben sie keine Nachwuchssorgen beim Singkreis des Sauerländischen Gebirgsvereins, kurz SGV.
Ulrike Wagner ist mit ihren Anfang 40 die Jüngste im Chor und hat ihren Stammplatz: links außen. Im Festsaal des "Hotels am Markt."
"Die Altenaer würden sagen: bei Wuhle. Wuhle ist hier der Chef. Deswegen sind wir hier bei Wuhle."
Dass Ulrike heute Abend bei "Wuhle" ist, hat zwei Gründe. Sie mag Musik. Und Tlako. Ziemlich sogar, meint sie lachend. Tlako ist nicht nur der Chorleiter, sondern auch ihr Mann. Die Musikerin ist in Altena tief verwurzelt. Weg wollte sie nie. Erst recht nicht nach der Messerattacke auf den Bürgermeister. Ein, zwei Tage lang stand ihr Handy nicht still. Anrufe, WhatsApp-Nachrichten von den Geschwistern in Norddeutschland: "Alles okay bei Dir?" Dann kehrte wieder Ruhe ein. Was blieb, war ein mulmiges Gefühl. Und Respekt für Hollstein.
"Wie er auch in der Öffentlichkeit mit dem Thema umgegangen ist. Wir waren ja mit dem Chor auch beim Neujahrsempfang des Bürgermeisters. Und er hat das auch unumwunden angesprochen, ohne irgendwen zu verurteilen, sondern eher Dankbarkeit ausgedrückt."
Für die türkischen Imbiss-Besitzer, die Hollstein zur Hilfe kamen. Und die ganzen Leute, die sich am Abend nach dem Anschlag zu einer Mahnwache trafen. Tlako, Ulrikes Mann, war auch dabei.
"Was auch gar nicht organisierbar ist für jeden Bürgermeister und jede Bürgermeisterin. Wo hören wir denn dann auf? Beigeordnete? Oder Verwaltungsmitarbeiter? Oder Feuerwehrleute?"
Altena mag zwar schrumpfen, doch noch haben sie keine Nachwuchssorgen beim Singkreis des Sauerländischen Gebirgsvereins, kurz SGV.
Ulrike Wagner ist mit ihren Anfang 40 die Jüngste im Chor und hat ihren Stammplatz: links außen. Im Festsaal des "Hotels am Markt."
"Die Altenaer würden sagen: bei Wuhle. Wuhle ist hier der Chef. Deswegen sind wir hier bei Wuhle."
Dass Ulrike heute Abend bei "Wuhle" ist, hat zwei Gründe. Sie mag Musik. Und Tlako. Ziemlich sogar, meint sie lachend. Tlako ist nicht nur der Chorleiter, sondern auch ihr Mann. Die Musikerin ist in Altena tief verwurzelt. Weg wollte sie nie. Erst recht nicht nach der Messerattacke auf den Bürgermeister. Ein, zwei Tage lang stand ihr Handy nicht still. Anrufe, WhatsApp-Nachrichten von den Geschwistern in Norddeutschland: "Alles okay bei Dir?" Dann kehrte wieder Ruhe ein. Was blieb, war ein mulmiges Gefühl. Und Respekt für Hollstein.
"Wie er auch in der Öffentlichkeit mit dem Thema umgegangen ist. Wir waren ja mit dem Chor auch beim Neujahrsempfang des Bürgermeisters. Und er hat das auch unumwunden angesprochen, ohne irgendwen zu verurteilen, sondern eher Dankbarkeit ausgedrückt."
Für die türkischen Imbiss-Besitzer, die Hollstein zur Hilfe kamen. Und die ganzen Leute, die sich am Abend nach dem Anschlag zu einer Mahnwache trafen. Tlako, Ulrikes Mann, war auch dabei.
"Wir wollen Flagge zeigen"
"Wir hatten SGV-Singen hier unten. Das war Zufall, dass wir an dem Tag hier waren. Und dann sind wir halt mitgegangen. Thema Angst war nicht. Sondern es war eher zu sagen: Also wir als Stadt Altena – gerade als Träger des ersten ausgelobten Integrationspreises der Bundesregierung – wollen jetzt noch mal Flagge zeigen. Und ein Gesicht zeigen. Und wir stehen mit diesem Fackelzug hinter der Politik und auch persönlich hinter unserem Bürgermeister."
"Ich würde auf jeden Fall beipflichten, dass Angst nicht das Thema ist. Niemand hat jetzt gesagt: Ich fühle mich in Altena nicht mehr sicher. Aber das insgesamt so ein Entsetzen ist, dass jetzt wirklich jeder sagt: Echt?! Bei uns?! Auch?! Waren schon alle schockiert. Ob man jetzt näher zusammenrückt als vorher? Schwer zu sagen."
Ludger Leweke hat Stress. Rushhour in Altena. Und dann auch noch ein neues Auto. Da muss er jetzt durch. Der Anfang 70-Jährige kümmert sich. Nicht nur um seine Familie, sondern auch um die, die ihre Familien oft zurücklassen mussten: die Flüchtlinge. Deshalb auch die Autofahrt. Der pensionierte Finanzberater will Mohannad, ein jungen Syrer, von der Arbeit abholen.
"Wenn wir als Gesellschaft bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen, dann sollte es möglichst eine sogenannte Win-win-Situation geben. Also der Flüchtling soll gewinnen dabei, aber die Gesellschaft, der Arbeitgeber, muss auch gewinnen. Das ist halt mein Bemühen, zu dieser Win-win-Situation beizutragen."
Rund ein halbes Dutzend Schützlinge hat Leweke. Mohannad kennt er schon länger.
"So! Da müsste er eigentlich stehen. Ja. Da isser. Hallo Mohannad. Hallo! Guten Tag. Und? Wie war der Tag? Ja. Es geht. Es geht?! Nicht besser? Wie viele Stücke hasse gemacht? 10000. Echt? So viel wieder?! Er muss nur 300 Biegeteile machen."
"Ich würde auf jeden Fall beipflichten, dass Angst nicht das Thema ist. Niemand hat jetzt gesagt: Ich fühle mich in Altena nicht mehr sicher. Aber das insgesamt so ein Entsetzen ist, dass jetzt wirklich jeder sagt: Echt?! Bei uns?! Auch?! Waren schon alle schockiert. Ob man jetzt näher zusammenrückt als vorher? Schwer zu sagen."
Ludger Leweke hat Stress. Rushhour in Altena. Und dann auch noch ein neues Auto. Da muss er jetzt durch. Der Anfang 70-Jährige kümmert sich. Nicht nur um seine Familie, sondern auch um die, die ihre Familien oft zurücklassen mussten: die Flüchtlinge. Deshalb auch die Autofahrt. Der pensionierte Finanzberater will Mohannad, ein jungen Syrer, von der Arbeit abholen.
"Wenn wir als Gesellschaft bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen, dann sollte es möglichst eine sogenannte Win-win-Situation geben. Also der Flüchtling soll gewinnen dabei, aber die Gesellschaft, der Arbeitgeber, muss auch gewinnen. Das ist halt mein Bemühen, zu dieser Win-win-Situation beizutragen."
Rund ein halbes Dutzend Schützlinge hat Leweke. Mohannad kennt er schon länger.
"So! Da müsste er eigentlich stehen. Ja. Da isser. Hallo Mohannad. Hallo! Guten Tag. Und? Wie war der Tag? Ja. Es geht. Es geht?! Nicht besser? Wie viele Stücke hasse gemacht? 10000. Echt? So viel wieder?! Er muss nur 300 Biegeteile machen."
Der Flüchtling und sein Kümmerer
Mohanned arbeitet als Leiharbeiter bei einem mittelständischen Draht-Produzenten.
"Ich muss um vier aufstehen. Der Bus fährt viertel nach fünf. Ich muss in der Firma um sechs Uhr sein."
"So! Wir sind wieder da."
Leweke und Mohannad beugen sich über ein engbeschriftetes Dokument. Der Lohnzettel. Mohannad verzieht das Gesicht. Der 23-Jährige hat in Damaskus, der syrischen Hauptstadt, Abitur gemacht, in Altena in den letzten zwei Jahren ziemlich gut Deutsch gelernt. Doch der Lohnstreifen mit den komischen Kürzeln ist und bleibt ein Rätsel.
"Ich muss um vier aufstehen. Der Bus fährt viertel nach fünf. Ich muss in der Firma um sechs Uhr sein."
"So! Wir sind wieder da."
Leweke und Mohannad beugen sich über ein engbeschriftetes Dokument. Der Lohnzettel. Mohannad verzieht das Gesicht. Der 23-Jährige hat in Damaskus, der syrischen Hauptstadt, Abitur gemacht, in Altena in den letzten zwei Jahren ziemlich gut Deutsch gelernt. Doch der Lohnstreifen mit den komischen Kürzeln ist und bleibt ein Rätsel.
"Ein Sonntag fehlt! Er hat jetzt auch besonders viel gearbeitet. Samstags, sonntags. Feiertags. Um ein bisschen Geld zu bekommen."
Natürlich hat auch Mohannad vom Attentat auf Hollstein, den Bürgermeister, mitbekommen. Er zeigt auf sein Smartphone. Noch am Abend des Anschlags erhielt er die erste WhatsApp-Nachricht. Kurz danach trommelte er seine syrischen und afghanischen Freunde zusammen, um zur Mahnwache zu gehen.
"Als wir da hingegangen sind, die Deutschen uns gesehen haben: Die waren begeistert, dass wir gekommen sind."
Angst, meint Mohannad noch: Nein, die hätte er nicht gehabt. Nicht wirklich. Seinem Kümmerer ging es ähnlich.
"Stand natürlich auch in der Zeitung dann die Fragestellung: Gibt es jetzt Kümmerer, die da persönlich Probleme sehen in der Zukunft? Das hab ich eigentlich nicht. Ich weiß nicht, vielleicht auch, dass ich sage: Bin ja auch ein bisschen kräftiger. Obwohl: Wenn da jemand mit dem gezückten Messer kommt. Aber näh! Ist eigentlich für unsere Stadt vollkommen untypisch."
Die eigentlichen Täter sind die Hetzer
Zurück ins Rathaus, zu Andreas Hollstein. Es ist kurz vor zwölf. Der Bürgermeister muss los, den britischen Besuch in Düsseldorf abholen. Mitte Dezember hatte er einen Gehörsturz. Sein Arzt, seine Frau, die Kinder, alle beknieten ihn: Tritt kürzer. Doch Hollstein will nicht kürzer treten. Wie auch? Zu den üblichen Amtsgeschäften kommen jetzt noch Gerichtstermine. Vor ein paar Tagen hat die Hauptverhandlung gegen den Attentäter begonnen – wegen versuchten Mordes.
"Die Tat an sich muss gesühnt werden. Dafür muss das Gericht sorgen. Ansonsten ist das so, dass ich ihn nicht als eigentlichen Täter sehe. Sondern die, die in Netzwerken hetzen. Die gegen Menschen hetzen, die gegen Politiker hetzen. Das sind für mich die Täter in unserer Gesellschaft."
Hollstein springt auf. Vor dem Ausgang bleibt er kurz stehen. Er mache das immer noch gerne, meint er. Sich mit Leuten treffen, versuchen das Beste für seine Stadt rauszuholen. Übernächstes Wochenende ist Schützenfest in Altena. Natürlich mit ihm.
"Mit dem einzigen Unterschied – das ist für mich sehr bedauerlich: Dass ich das erste Mal an einem der Haupttage fehlen werde, weil just an dem Tag meine Zeugenaussage im Prozess ist."
"Die Tat an sich muss gesühnt werden. Dafür muss das Gericht sorgen. Ansonsten ist das so, dass ich ihn nicht als eigentlichen Täter sehe. Sondern die, die in Netzwerken hetzen. Die gegen Menschen hetzen, die gegen Politiker hetzen. Das sind für mich die Täter in unserer Gesellschaft."
Hollstein springt auf. Vor dem Ausgang bleibt er kurz stehen. Er mache das immer noch gerne, meint er. Sich mit Leuten treffen, versuchen das Beste für seine Stadt rauszuholen. Übernächstes Wochenende ist Schützenfest in Altena. Natürlich mit ihm.
"Mit dem einzigen Unterschied – das ist für mich sehr bedauerlich: Dass ich das erste Mal an einem der Haupttage fehlen werde, weil just an dem Tag meine Zeugenaussage im Prozess ist."