Ein Hallodri als Wissenschaftler

Michael Frayn im Gespräch mit Ulrike Timm |
In "Willkommen auf Skios" wird ein gut aussehender Mann für einen berühmten Professor gehalten. In seiner Verwechslungskomödie nimmt Michael Frayn den Wissenschaftsbetrieb und die Eitelkeit der Männer aufs Korn. "Von diesem Hallodri ist etwas in mir", bekennt der britische Schriftsteller.
Ulrike Timm: Was passiert, wenn zum Kulturkongress unter griechischer Sonne statt des gefeierten Wissenschaftlers irrtümlich ein charmanter Womanizer anreist? Der Brite Michael Frayn hat die Welt schon oft unterhalten mit über 30 Dramen und Romanen, jetzt ist er auf Lesereise mit seinem neuesten Buch "Willkommen auf Skios" – ein Sommerspaß über Schein und Sein von einem der elegantesten Autoren, die derzeit schreiben. Willkommen Michael Frayn!

Michael Frayn: Thank you, very nice be here!

Timm: "Willkommen auf Skios", wie viele Leute haben denn schon eifrig den Atlas gezückt und nach dieser wunderbaren griechischen Insel gesucht?

Frayn: So mancher Leser hat mir schon gesagt, dass er oder sie die wunderbare Insel Skios sehr gut kenne, was mich überraschte, denn ich wusste gar nicht, dass es sie gab, bevor ich sie erfand.

Timm: Es ist auch eine Hochstaplergeschichte, die Sie erzählen. Man hält einen gut aussehenden jungen Hallodri für einen bedeutenden Wissenschaftler, der junge Mann spielt auch ganz gerne mit und hat sofort den besseren Part – er kriegt alles, wovon er träumt: Frauen, Aufmerksamkeit, Ruhm. Sie müssen unglaublich viel Spaß gehabt haben beim Schreiben.

Frayn: Nun ja, es war sicher eine Menge Spaß dabei, aber auch viel Arbeit, denn eine Farce zu schreiben, verlangt schon den ganzen Mann. Übrigens ist er nicht eigentlich ein Hochstapler, weil er es ja nicht in Gewinnabsicht tut. Er lässt sich sozusagen nur ein auf dieses Spiel, auf diesen Einfall, der ihm so kommt und dem er nicht widerstehen kann, insbesondere da ja auch eine attraktive junge Frau mit einbezogen ist.

Timm: Also ein Hochstapler ist eigentlich ein viel zu brutales Wort, einfach ein gut aussehender junger Mann, der nimmt, was er kriegen kann?

Frayn: Er ist ein Mensch ohne jede Verantwortung, er folgt jeder Eingebung, er lässt sich einfach ein, ohne darüber länger nachzudenken. Er ist vollkommen unzuverlässig, wie viele unzuverlässige Menschen sonst auch ist aber auch recht einnehmend.

Timm: Und, Michael Frayn, es ist natürlich purer Zufall, dass Sie sich eine fiktive griechische Insel für diese Farce ausgesucht haben, oder ist es vielleicht doch ein ganz klein bisschen Absicht?

Frayn: Nun, da war keinerlei Absicht dahinter, denn ich habe das Buch geschrieben, ehe Griechenland in die Wirtschaftskrise schlitterte. Und als dann diese Krise ausbrach, hatte ich doch Befürchtungen, das könnte schlecht sein für uns, weil eben in meinem Buch noch von Euros in Griechenland die Rede ist. Es hätte so erscheinen können, als wäre Griechenland dann wieder zur Drachme zurückgekehrt, und mein Buch wäre als ein historischer Roman erschienen. Es gab ja sogar unter dem britischen Publikum gewisse Stimmen, die uns unterstellten – also meinen Verlegern und mir –, wir hätten geheime Machenschaften angestellt, um Griechenland wieder auf die Füße zu helfen, einfach damit es noch im Euro-Raum bleiben könnte. Tja, das weiß ich nicht, mal schauen, wie weit Griechenland gekommen ist, wenn die Paperback-Ausgabe herauskommt.

Timm: Ach, kommen Sie, Mister Frayn, wenn das Buch geplant gewesen wäre für eine spanische Insel, beim Schreiben, und Sie hätten es 2012 veröffentlicht, dann hätten Sie doch noch kurz den Schauplatz verlegt.

Frayn: Ja, ja, ich kenn mich bei spanischen Inseln nicht ganz so gut aus. Ich kenne mehr griechische Inseln, und ich war eben zufällig gerade auf einer Insel in Griechenland, um meinen Urlaub anzutreten.

Timm: Kommen wir zurück zu diesem Buch: Eine Verwechslungskomödie, ein Kulturkongress – ein bedeutender Professor wird mit einem durchaus weniger bedeutenden Tausendsassa verwechselt. Wen haben Sie als Autor eigentlich lieber gehabt, das bräsige Original oder die wunderbar hallodrihafte Fälschung?

Frayn: In jeder literarischen Gestalt steckt auch etwas vom Autor. In beiden ist etwas von mir, zunächst einmal von dem Wissenschaftler, der ja auf seine Art sehr gesetzt und behäbig ist, wie ich es auch bin, aber auch von diesem Hallodri ist etwas in mir. Er verbringt sein Leben ja damit, etwas Neues zu erfinden, eine fiktive Rolle, und so hab ich das ja auch gemacht. Ich erfinde ständig eingebildete Gestalten, und so finde ich also in beiden Charakteren etwas von mir.

Timm: Es ist eine wunderbare Geschichte, die ständig schliddert zwischen Schein und Sein. Mich hat ja ganz besonders das Fach gefreut, über das der hochwichtige Vortrag gehalten wird: Scientometrie, also die Wissenschaft, wie man wissenschaftlich über Wissenschaft redet, ein Fach, in dem man eben auch ohne Vorkenntnisse klarkommt. Das ist natürlich Teil des Spiels von "Willkommen auf Skios", aber bei welchen Anlässen in seinem eigenen Leben hat Michael Frayn eigentlich für solche Manöver recherchiert?

Frayn: Nun, ich habe viel Lob bekommen für die Art, wie ich diese angeblich erfundene Wissenschaft dargestellt hätte, aber leider ist das keine Erfindung, es ist eine echte Wissenschaft. Die Scientometrie gibt es, es ist ein echtes Fach, das auch seine Berechtigung hat, denn Wissenschaft ist häufig sehr teuer. Und man muss bestimmte Entscheidungen treffen, um solche Ausgaben zu rechtfertigen, und dabei hilft eben diese Scientometrie, ob nun zu Recht oder Unrecht, sie gibt jedenfalls Mittel an die Hand, um zu entscheiden, ob eine bestimmte Forschung sich lohnt oder nicht.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Zu Gast ist der britische Schriftsteller Michael Frayn. Und Sie haben ja als Autor mehrfach bewiesen, dass Sie ganz ernsthaft, ganz grundlegende Fragen des Lebens angehen können – in Theaterstücken, "Demokratie" über die Spionageaffäre um Willy Brandt oder in Kopenhagen über die Verantwortung der Wissenschaften, jetzt diese turbulente Verwechslungskomödie "Willkommen auf Skios". Hatte Michael Frayn einfach Lust auf ein bisschen Radau?

Frayn: Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich mich an der Farce versuche. Die bekannteste und erfolgreichste Farce, die ich geschrieben habe, war ja "Der nackte Wahnsinn". Dieses Buch war für mich eine Art Experiment. Ich wollte nachschauen, ob es möglich ist, diese Technik der Farce auch im Roman umzusetzen. Die Theaterfarce funktioniert dadurch, dass man ein relativ geschlossenes Publikum hat, wo einer lacht und der andere dann eben mitgezogen wird und ebenfalls lacht. Ich wollte nun herausfinden, ob man durch diese stilisierte Anordnung der Farce auch in einem Roman mit einem Publikum von nur einem Leser dieselbe Wirkung erzielen kann.

Timm: Wissen Sie denn bei einem neuen Stoff sofort ganz intuitiv, das taugt für einen Roman und das taugt besser für ein Theaterstück?

Frayn: Ich glaube, das Werk entsteht nicht dadurch, dass man versucht, irgendwelchen Inhalten eine Gestalt zu geben, sondern man hat bereits eine Vorstellung einer Geschichte im Auge. Man denkt sich nicht, ich möchte etwas über die Wirtschaftskrise schreiben, sondern man entwickelt eine Geschichte, die aber als Gestalt von Anfang an besteht.
Ein Hauptunterschied zwischen Erzählungen und Theaterstücken, also zwischen Dramen und Romanen, ist sicherlich, dass der Romanautor Zugang zu den Gedanken und Gefühlen seiner Gestalten gewinnen kann – auch wenn das nicht immer der Fall ist, aber es steht ihm jedenfalls frei –, während das im Theaterstück nicht der Fall ist. Hier müssen wir uns mit dem beschränken, was wir hören und sehen, und müssen versuchen, hineinzutreten in die Welt der Gefühle.

Timm: Jenseits der Form, was finden Sie eigentlich schwieriger, einen historischen Stoff zu formen oder eine turbulente Geschichte komplett neu zu erfinden?

Frayn: Ich glaube, jede Form des Schreibens ist schwierig, selbst das Schreiben eines Dankesbriefes an den eigenen Onkel für das Weihnachtsgeschenk ist schwierig, und ich hätte sicherlich einen anderen Beruf ergriffen, wenn ich eben etwas anderes hätte machen können als schreiben. Das Schreiben ist in jeder Gestalt schwierig, egal ob man jetzt einen Faktenstoff aufarbeitet oder etwas erfindet.

Timm: Aber der Erfahrungsschatz eines Autors ist Ihnen ja wichtig. Sie haben irgendwann mal gesagt, jeder Schriftsteller sollte eine Zeit lang Reporter sein. Sie haben das ja gemacht. Warum sollte jeder Schriftsteller eine Zeit lang Reporter sein?

Frayn: Ich meinte damit, dass es eben in der Welt der Fiktion wichtig ist, sich immer wieder vor Augen zu führen, wie kompliziert die Welt eigentlich ist. Das fiktive Schreiben ist ja eine Vereinfachung des Lebens, man spinnt sozusagen einen Faden aus sich heraus. Ganz anders ist es in der echten Welt. Die echte Welt ist eigentlich ein komplexes Gewirr von verschiedenen Strängen, und das ist schon schwer, sich dem direkt auszusetzen und als Autor eben dem ins Auge zu schauen. Dazu ist das Dasein als Reporter ganz sicherlich hilfreich.
Das fängt jetzt schon an, wie ein ewiges Gejammere über das Elend des Schreibens zu klingen, ich muss schon auch sagen, Schreiben bedeutet auch sehr viel Freude.

Timm: Sie waren Anfang der 1970er als Reporter für den "Guardian" und den "Observer" in Deutschland, und ein Produkt dieser Erfahrung ist natürlich etwa das Theaterstück "Demokratie", das die Spionageaffäre um den früheren Bundeskanzler Willy Brandt und Günter Guillaume auf die Bühne bringt. Das ist nicht so ein ganz naheliegender Stoff für einen britischen Autor – sind Sie seitdem zu Hause in England der Deutschlanderklärer?

Frayn: Nein, ich bin überhaupt kein Erklärer von irgendetwas. Selbstverständlich versuche ich, mich schlau zu machen über die Stoffe, über die ich schreibe, wie zum Beispiel in diesem Theaterstück "Demokratie", aber ich kann nicht behaupten, ein Fachmann in diesem oder einem anderen Gebiet zu sein. Der Stoff war damals sicherlich abgelegen für das britische Publikum. Als man mich damals fragte, worüber ich schreibe, und ich dann antwortete, ich schreibe etwas über Demokratie und Politik in Westdeutschland, da sah ich immer schon einen versteckten Schmerz über die Gesichter huschen. Aber wie auch immer, es war sicher eine sehr gute Geschichte, ein schmerzhafter Prozess, der auch sehr aufschlussreich ist. Nicht nur, was die Demokratie, die Politik in Deutschland betrifft, sondern auch ganz allgemein über das Menschliche.

Timm: Ich möchte von da aus den Bogen zurück schlagen. Was wir heute erleben auf der Welt, die Täuschungsmanöver großer und kleiner Bankrotteure von Wichtigtuern, vielleicht inspiriert das einfach eher zu einer Farce wie "Willkommen auf Skios" als zu einem großen Drama.

Frayn: Ganz sicher. Diese Falschspieler gibt es reichlich in "Willkommen auf Skios", aber das Problem bei Ideen zu Büchern ist eben, man kann sie nicht erzwingen, man muss einfach geduldig dasitzen und warten. Wir haben den Prozess der Gestaltwerdung nicht in der Hand.

Timm: Michael Frayn, Sie haben vor knapp zehn Jahren gesagt, jetzt wollten Sie sich zur Ruhe setzen. Jetzt werden Sie bald 80, und wir hoffen alle, dass solche Pläne immer noch nicht da sind. Thank you for joining us, haben Sie herzlichen Dank fürs Gespräch!

Frayn: Thank you very much!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Links bei dradio.de:

Verwechslungsspiel auf griechischer Insel
Michael Frayn: "Willkommen auf Skios", Hanser Verlag, München 2012


Nur die Auflage zählt
Michael Frayn: "Gegen Ende des Morgens", Dörlemann Verlag, Zürich 2007, 319 Seiten
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