"Ein Haufen Fragen auf dem Tisch"

Omid Nouripour im Gespräch mit Ute Welty · 09.06.2012
Der Verteidigungsexperte der Grünen-Fraktion im Bundestag, Omid Nouripour, sieht bei der "Cyberwar"-Truppe der Bundeswehr viele Fragen offen. Kürzlich war bekannt geworden, dass eine Einheit zu Angriffen auf gegnerische Netzwerke in der Lage ist. Der Verteidigungsausschuss im Bundestag will sich mit dem Thema befassen.
Ute Welty: Es ist ein Satz in wunderschönstem Bundeswehrdeutsch: "Eine Anfangsbefähigung zum Wirken in gegnerischen Netzwerken wurde erreicht." So steht es in einem Papier, das die Mitglieder des Verteidigungsausschusses aus dem Verteidigungsministerium bekommen haben. Aber was heißt das genau? Was ist eine Anfangsbefähigung, und: Können einzelne Soldaten jetzt den Internet Explorer öffnen? Noch mehr Fragen hat Omid Nouripour als sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, auch ordentliches Mitglied im Verteidigungsausschuss. Guten Morgen!

Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!

Welty: Was stellen Sie sich unter dieser schon erwähnten Anfangsbefähigung vor?

Nouripour: Ehrlich gesagt nicht viel. Ich bin ein wenig ratlos, was eigentlich damit gemeint sein kann, und ich bin auch ein wenig ratlos, was die Bundeswehr eigentlich darunter versteht, wenn sie offensiv meint, … Also es gibt ja in diesem Dokument Stellen, an denen gesagt wird, wir müssen offensiv und defensiv trennen – ist das jetzt offensiv, wenn ich jetzt als Späher … Also die klassischen Offensiv-Defensiv-Begriffe aus dem Militärischen können ja so nicht übernommen werden für die Cyberwelt, und deshalb bin ich ein bisschen überfragt eigentlich, was da gerade genau passiert.

Welty: Aber die Aufregung ist groß.

Nouripour: Ja klar, ich meine, wenn die Bundeswehr en passant erklärt, wir haben im Übrigen eine neue Offensiv-Waffe, dann muss man natürlich die Frage stellen, warum, man muss vor allem auch die Frage stellen, was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht, was ist denn eigentlich für ein Szenario zuerst da gewesen, das euch dazu gebracht hat, eine solche Waffe dann tatsächlich zu entwickeln – wenn es denn überhaupt eine Waffe ist, was die da haben? Ich meine, das ist alles ein bisschen aufgeregt zurzeit, auch in der Diskussion. Im selben Dokument steht ja auch, das ist alles erst mal nur unter Laborbedingungen vollzogen worden. Also wichtig ist, dass jetzt endlich die Fakten auf den Tisch kommen und uns gesagt wird, was und wozu das alles gemacht wird.

Welty: Glauben Sie denn, dass das Verteidigungsministerium die Mitglieder des Ausschusses weiter informieren wird? Denn sogar die Anzahl der Mitarbeiter jener Abteilung ist als geheim eingestuft.

Nouripour: Ja, aber das Papier, was Sie ja gerade zitiert haben, ist nicht als geheim eingestuft, also gehe ich davon aus, dass sie doch wissen müssen, dass wenn sie uns ein solches Papier geben – und das ist klug von denen, dass die uns das geben, weil wenn sie es nicht tun, geht es spätestens im Haushaltsausschuss später, wenn es um mehr Geld geht, schief, weil das Parlament sollte schon wissen, was los ist, bevor tatsächlich da Forschung in die Richtung fortgeschrieben wird –, dass sie, wenn sie ein solches Papier vorlegen, dass die wissen müssen, dass wir natürlich Folgefragen stellen werden.

Welty: Klar ist seit dem Frühjahr 2007, dass die Gefahr aus dem Netz eine reale ist, auch für Staaten. Damals wurde Estland von einer Datenflut getroffen, die das Finanzwesen des Landes an den Rand des Zusammenbruchs brachte. Da muss doch die Bundeswehr reagieren.

Nouripour: Ja klar, natürlich muss man darauf reagieren, das ist natürlich so, dass die Cyberdimension der militärischen Auseinandersetzung zugenommen hat. Das geht ja noch weiter. Natürlich müssen wir über das stuxnet reden, natürlich muss man über den Georgien-Krieg reden, bei dem die Russen einen konventionellen Krieg flankiert haben mit Cybermaßnahmen, die die Websites der georgischen Seite lahmgelegt haben und Riesen-Propagandaerfolge erzielt haben. Das ist überhaupt keine Frage. Aber die Frage ist: Was ist da eigentlich offensiv, was ist defensiv, und wie kann man eigentlich einer Situation wie zum Beispiel in Georgien dann begegnen? Brauchen wir dann Firewalls, die differenziert ausgebaut sind, brauchen wir Recovery-Fähigkeiten, also bei Schaden schnell wieder Reparaturen vollziehen und Systeme wieder hochfahren können, oder brauchen wir auch Fähigkeiten, bei denen wir dann Hardware von einer anderen Seite grillen können? Wer ist eigentlich die andere Seite? Ist es ein Staat? Das ist ja eigentlich kaum nachvollziehbar, kaum belegbar, wer eigentlich die Angriffe gefahren hat auf der anderen Seite. Also es sind ein Haufen Fragen auf dem Tisch, die vorerst und zuerst geklärt werden müssen, bevor man tatsächlich da vorangeht mit der militärischen Forschung.

Welty: Aber ist es nicht genau eine originäre Aufgabe der Verteidigungspolitiker, sich darüber Gedanken zu machen?

Nouripour: Das ist auch die Aufgabe der Verteidigung, aber das ist auch die Aufgabe vom Beispiel der Polizei. Es ist eigentlich relativ klar für uns Grüne, dass es da eine vernetzte Zusammenarbeit auch in den Ministerien geben muss, das ist keine Frage. Die Frage ist nur: Wer hat da eigentlich den Hut auf? Muss es nicht das Innenministerium sein? Es geht ja auch in erster Linie um Katastrophenschutz im schlechtesten Falle, und deshalb ist nicht ganz klar, warum eigentlich die Bundeswehr jetzt sich den Schuh anziehen muss, tatsächlich für diesen Bereich zuständig zu sein.

Welty: Was sind jetzt Ihre nächsten Schritte, was werden Sie klären wollen, was werden Sie wissen wollen?

Nouripour: Na ja, dieses Papier liegt ja seit Mitte April vor. Wir wollten das die ganze Zeit im Verteidigungsausschuss diskutieren, das ist nicht dazu gekommen, das hatte ganz einfache, banale, organisatorische Gründe im Ausschuss selber, dafür kann die Bundesregierung nichts. Jetzt ist die nächste Ausschusssitzung am Mittwoch, also in der kommenden Woche, und da werden wir viele Fragen stellen, in erster Linie aber noch mal, erstens: Was genau ist jetzt eigentlich eine Anfangsbefähigung, die schon erreicht worden ist, und wo wollen sie eigentlich dann noch hin? Und zweitens: Was war eigentlich das Bedrohungsszenario, das dem zugrunde lag, dass man überhaupt damit angefangen hat?

Welty: Und Sie glauben im Ernst, dass Sie auf diese Fragen ehrliche Antworten bekommen?

Nouripour: Ich gehe davon aus, dass ich Antworten bekommen werde. Ob die ehrlich sind, werden wir sehen. Wenn wir sie vor uns haben, und am Ende kommt was anderes raus, dann kann aber eine Bundesregierung, die uns nicht die Wahrheit gesagt hat, sich auf was gefasst machen, versprochen.

Welty: Auf was denn?

Nouripour: Auf die Anfangsbefähigung einer Generalattacke der Opposition auf die Regierung.

Welty: Der grüne Sicherheitspolitiker Omid Nouripour, ich danke für dieses Interview in der "Ortszeit"!

Nouripour: Ich danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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