Ein Heiliger der Menschenrechte

Von Gunnar Lammert-Türk |
Der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg betete öffentlich für die Gefangenen in den Konzentrationslagern - und für die verfolgten Juden. Er hat diesen Einsatz gegen das Unrecht mit dem Leben bezahlt. Vor 17 Jahren hat ihn Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.
"Zitat: Verhörprotokoll der Gestapo vom 25. Oktober 1941
"Die Taten eines Menschen sind die Konsequenzen seiner Grundsätze. Sind die Grundsätze falsch, werden die Taten nicht richtig sein. Das trifft selbst für Adolf Hitler zu. Ich bekämpfe falsche Grundsätze, aus welchen falsche Taten entstehen müssen, man denke an die absichtliche Tötung angeblich lebensunwerten Lebens und an die Judenverfolgung.""


Bernhard Lichtenberg in einem Verhör der Gestapo vom 25. Oktober 1941. Der Mann, der seine Auffassungen derart unverstellt seinen Feinden gegenüber äußert, ist an der Berliner Kathedrale St. Hedwig die rechte Hand des Bischofs im Bistum Berlin. Vor allem aber ist er ein gewissenhafter Priester und Seelsorger. Sein erster Biograf Alfons Erb verdeutlichte dies anhand einer Anekdote:

"Zitat - aus Biografie von Alfons Erb
"Einmal war er nicht zu Hause, als er zu einem Kranken gerufen wurde. Heimgekommen, erfuhr er davon. Sofort machte er sich, obwohl es schon spät abends war, auf den Weg. Als er zu dem Haus kam, war das Tor verschlossen; er stand vor einem hohen Bretterzaun und fand keinen Einlass. Ohne lange zu überlegen, kletterte er mit dem Allerheiligsten über die hohen Bretter hinweg. Dass er sich dabei die Kleidung zerriss, war ihm, dem Seelsorger, belanglos.""


Seit 1900 ist Lichtenberg Pfarrer im späteren Groß-Berlin. Immer im Priesterrock unterwegs, erntet er im protestantischen Umfeld nicht selten Spott und Feindseligkeit. Einmal schlägt ihm ein Kutscher seine Peitsche ins Gesicht. In solchen Fällen duldsam, erweist sich Lichtenberg andererseits als durchsetzungsstarker einfallsreicher Organisator.

Allen Widerständen zum Trotz lässt er in Charlottenburg, wo es für über 30.000 Katholiken nur eine kleine Kirche gibt, fünf neue bauen. Die Gelder bettelt er im In- und Ausland zusammen. Später, als Pfarrer und Propst an der Bischofskirche Berlins, demonstriert er seine Ablehnung der nationalsozialistischen Politik durch öffentliche Gebete für die Gefangenen in den Konzentrationslagern und die verfolgten Juden. Seinen Protest gegen die Euthanasiemaßnahmen äußert er in einem Brief an den Reichsärzteführer Leonardo Conti, in dem es am Ende heißt:

"Zitat: Lichtenberg an Dr. Conti am 28. August 1941:
"Auch auf meiner priesterlichen Seele liegt die Last der Mitwisserschaft an den Verbrechen gegen das Sittengesetz und das Staatsgesetz. Aber wenn ich auch nur einer bin, so fordere ich doch von Ihnen, Herr Reichsärzteführer, als Mensch, Christ, Priester und Deutscher Rechenschaft für die Verbrechen, die auf Ihr Geheiß oder mit Ihrer Billigung geschehen."
"

Am 23. Oktober 1941 verhaftet die Gestapo Lichtenberg. Leute wie er sollen ohne Aufsehen verschwinden. So jedenfalls sieht es der Reichsführer SS Heinrich Himmler vor. Unter Hinweis auf den inhaftierten evangelischen Pfarrer Martin Niemöller hat er dem schwedischen Bischof Eivind Berggrav zu verstehen gegeben:

"Himmler in Norwegen am 13.2.1941 im Gespräch mit Bischof Berggrav:
"In unseren Tagen ist es nicht mehr möglich, Märtyrer zu werden. Wir machen es so, dass Leute dieser Art vergessen werden. Denken Sie zum Beispiel an Niemöller. In Deutschland denkt keiner mehr an ihn. Nur im Ausland wird noch um seinen Namen Lärm geschlagen. Und ich kann Ihnen versprechen, er wird nie mehr herauskommen.""

Lichtenberg ist schwer herz- und nierenkrank. Anreden wie "Pfaffenschwein", Hunger durch Mangelernährung und Misshandlungen durch Knüppelschläge, Fußtritte oder das Untertauchen des Kopfes in den Fäkalienkübel der Zelle sollen ihn brechen. Es gelingt nicht. Aber auch der Dulder Lichtenberg kommt an seine Grenzen. Nach einem schweren Herzanfall gesteht er einer Besucherin:

"Zitat - aus Otto Ogiermann: "Bis zum letzten Atemzug":
"Da kann man ein langes Leben hindurch sagen, man sei bereit zu sterben, wenn Gott einen ruft. Aber wenn dann die letzte Stunde droht, dann packt einen die Todesangst und sie ist um so furchtbarer in dieser Verlassenheit der Gefängniszelle. Ja, steht der Tod unmittelbar vor einem, will man doch noch nicht sterben, dann will man weiterleben!"
"

Nach zwei Jahren Haft in Berlin soll Lichtenberg ins Konzentrationslager Dachau gebracht werden. Er stirbt auf dem Weg dorthin am 5. November 1943 im Krankenhaus in Hof.

Dr. Gotthard Klein: "Als Toter entkam Lichtenberg dem Zugriff der Gestapo, die ihn bereits in Dachau vermutete. Wider Erwarten wurde sein Leichnam in Hof nicht eingeäschert, sondern nach Berlin überführt und dort auf dem alten Domfriedhof St. Hedwig beigesetzt. Mehr als 5000 Menschen waren dort versammelt. Einen solch gewaltigen Trauerzug hatte das katholische Berlin seit Langem nicht mehr gesehen."

Der Historiker Gotthard Klein ist als sogenannter Postulator eine Art Anwalt im Heiligsprechungsprozess für Lichtenberg im Erzbistum Berlin. 1996 wurde der Priester durch Papst Johannes Paul II. seliggesprochen und so als Märtyrer des Nationalsozialismus anerkannt.

Darin ist er nicht nur ein Vorbild für Katholiken, wie Weihbischof Matthias Heinrich betont:

"Bernhard Lichtenberg ist für mich ein Heiliger der Menschenrechte, der diese Menschenrechte nicht einfach theologisch begründet hat, nicht nur auf dem Boden des Glaubens, sondern der diese Menschenrechte hergeleitet hat aus dem sogenannten Naturrecht, aus einem Recht, das allen Menschen zukommt und dass für die Würde und für das Bild des Menschen steht. Für diese Würde und für dieses Bild des Menschen hat er gekämpft. Das war sein Kampf gegen Hitlers Kampf. Und in dieser Weise ist Bernhard Lichtenberg eigentlich für alle Menschen ein Vorbild und es ist gut, in unserer Hauptstadt einen Heiligen zu haben, der als Heiliger der Menschenrechte gelten kann."
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