Ein Heimatdichter in New York
Oskar Maria Graf war ein bayerischer Anarchist, ein lebensfroh-barocker und gegen alles Unrecht wütend anschreibender Chronist, eine Art Unikum der Weimarer Republik. Das Liebhaberbuch, das seine Gedichte versammelt, lädt zum Staunen ein. Wer auf einen erklärten Provinzler in pulsierender Weltstadt neugierig ist, wird hier fündig werden.
Gibt es das: Gedichte, die nicht vollständig überzeugen, deren Verfasserstimme man jedoch vertraut? Unter dem Titel "Manchmal kommt es, dass wir Mörder sein müssen..." sind soeben bei Matthes & Seitz die gesammelten Gedichte von Oskar Maria Graf erschienen. Um es gleich zu sagen: Dies ist ein Liebhaber-Buch, 500 (schön gedruckte) Seiten für eine Fan-Gemeinde. Gleichwohl muss es sich hierbei nicht unbedingt um gestandene Graf-Experten und Exegeten handeln, um Kenner der zwanziger und dreißiger Jahre, um Erforscher der Exilliteratur ab 1933.
Auch wenn damit die potenzielle Leserschaft noch immer überschaubar bleibt, ließe sich der Kreis nämlich weiten, könnte man sagen: Ein Buch für entdeckungsfreudige Freiheitsfreunde. Für Leser also, die bereits wussten (oder es auch jetzt erst erfahren), dass dieser 1894 am Starnberger See geborene und 1967 in New York gestorbene Oskar Maria Graf ein veritabler bayerischer Anarchist war, ein lebensfroh-barocker und gegen alles Unrecht wütig - und auf Bayrisch! - anschreibender Chronist, eine Art Unikum der Weimarer Republik.
Obwohl 1919 nach Niederschlagung der Münchner Räterepublik allein auf Fürsprache Rainer Maria Rilkes vor der Exekution bewahrt, mussten ihn, den Verfasser des "Bayrischen Dekameron", die Nazis später übersehen haben: Grund genug für Graf, in der "Wiener Arbeiterzeitung" vom 12. Mai 1933 sein berühmtes "Verbrennt auch mich!" zu veröffentlichten. Es folgte eine Odyssee des Exils, nach dem Krieg dann mehrere gescheiterte Rückkehrversuche nach Deutschland, wo er bis heute - seines großen illusionslosen Emigrantenromans "Flucht ins Mittelmäßige" zum Trotz – hauptsächlich als progressiver Bauern- und Kleinstadtdichter gilt.
Und nun die Gedichte. Frühes, Expressionistisches ist darunter – und man staunt.
"Die Erde bebt.../ Die Menschheit lebt/ und fühlt sich schrittvereint und liebt/ und gibt sich geistgestählt die Hand...!"
Schrieben damals nicht auch Hanns Johst und Johannes R. Becher so? Doch während sich später der eine für den braunen und der andere für den roten Sozialismus gefügig machte, blieb Graf Individualist und bewies (ohne es freilich beweisen zu wollen), dass allen lokalen oder literarischen Prägungen zum Trotz der Mensch frei und unabhängig sein kann, solange er es nur wirklich will.
Genau dies ist der Grundton, quasi die widerständige, sich permanent selbst hinterfragende Gestimmtheit hinter den Worten, die sich durch die Gedichte zieht, von Schwabing bis nach New York, von der Jugend bis hinein ins Alter.
"Wenn wir wieder heimwärts finden/ durch die weiten Wälder unserer Irre,/ ist der Herbst schon da, und wir sind alt."
Das schrieb der Mann, der noch im Jahre 1958 bei einer Lesung in einem Münchner Theater einen Skandal verursachte, weil er statt eines Anzugs seine liebgewordenen Lederhosen trug. Dickschädel und sich, in die Welt hinaus getrieben, immer wieder neu Erfindender:
"Steinerne Idee New York, die ohne Unterlass/ sich ändert und verjüngt und alle Traditionen/ zerbraust, brutal zerhämmert und darüber spottet, dass /ein jeder stündlich diesem harten Nichtverschonen/ begegnen muss mit seinem ganzen Menschenwas./ Da fing ich an, in dir zu leben und zu wohnen./ New York! Zenith des Erdballs! Alles was ich bin und war/ hat sich in dich hineinversponnen!"
Wer hier Anklänge an Walt Whitman hört, geht nicht fehl. Mehr noch – auch andere Stimmen kommen hinzu. Hans Sahls Exillyrik, ein Emotionen durch Lakonie einhegender Brecht-Sound oder auch die lebensweise Melancholie einer Mascha Kalekó.
"Sie leuchten nicht mehr, unsre Bilder, / wie einst in guten Tagen./ Sie sind wie alte Häuserschilder, /verwittert und von Rost beschlagen."
Um der Wahrheit freilich gerade bei diesem Autor die Ehre zu geben: Der große, poetische Schwung der Eingangsverse trägt nie weit und verröchelt alsbald in Rhetorik, abgenutzten Adjektiven und hilflosen Floskeln, die man schon als Respekt lieber nicht zitieren möchte. Es scheint, böse Ironie der Geschichte, als wäre Oskar Maria Graf dazu verurteilt gewesen, sein authentisches und darüber hinaus ziemlich jahrhundert-untypisches Freiheitssehnen größtenteils in Worten ausdrücken zu müssen, die bereits in grauer Vorzeit minor poets wie Immanuel Geibel oder Justinus Kerner vorgestanzt hatten.
Wird man also mit diesem Buch einen Lyriker (neu) entdecken können? Nicht unbedingt und nur unter Vorbehalt. Wer jedoch auf einen erklärten Provinzler in pulsierender Weltstadt neugierig ist, auf einen Idealisten in Zeiten der Ideologie, auf einen Heimatfreund, der die Enge hasste, kurz: auf einen durch und durch sympathischen Menschen, der wird in diesem Buch zweifellos und mit Gewinn fündig werden.
Rezensiert von Marko Martin
Oskar Maria Graf: "Manchmal kommt es, dass wir Mörder sein müssen..." Gesammelte Gedichte.
Matthes & Seitz, Berlin 2007,
504 S., geb., 32, 80 Euro
Auch wenn damit die potenzielle Leserschaft noch immer überschaubar bleibt, ließe sich der Kreis nämlich weiten, könnte man sagen: Ein Buch für entdeckungsfreudige Freiheitsfreunde. Für Leser also, die bereits wussten (oder es auch jetzt erst erfahren), dass dieser 1894 am Starnberger See geborene und 1967 in New York gestorbene Oskar Maria Graf ein veritabler bayerischer Anarchist war, ein lebensfroh-barocker und gegen alles Unrecht wütig - und auf Bayrisch! - anschreibender Chronist, eine Art Unikum der Weimarer Republik.
Obwohl 1919 nach Niederschlagung der Münchner Räterepublik allein auf Fürsprache Rainer Maria Rilkes vor der Exekution bewahrt, mussten ihn, den Verfasser des "Bayrischen Dekameron", die Nazis später übersehen haben: Grund genug für Graf, in der "Wiener Arbeiterzeitung" vom 12. Mai 1933 sein berühmtes "Verbrennt auch mich!" zu veröffentlichten. Es folgte eine Odyssee des Exils, nach dem Krieg dann mehrere gescheiterte Rückkehrversuche nach Deutschland, wo er bis heute - seines großen illusionslosen Emigrantenromans "Flucht ins Mittelmäßige" zum Trotz – hauptsächlich als progressiver Bauern- und Kleinstadtdichter gilt.
Und nun die Gedichte. Frühes, Expressionistisches ist darunter – und man staunt.
"Die Erde bebt.../ Die Menschheit lebt/ und fühlt sich schrittvereint und liebt/ und gibt sich geistgestählt die Hand...!"
Schrieben damals nicht auch Hanns Johst und Johannes R. Becher so? Doch während sich später der eine für den braunen und der andere für den roten Sozialismus gefügig machte, blieb Graf Individualist und bewies (ohne es freilich beweisen zu wollen), dass allen lokalen oder literarischen Prägungen zum Trotz der Mensch frei und unabhängig sein kann, solange er es nur wirklich will.
Genau dies ist der Grundton, quasi die widerständige, sich permanent selbst hinterfragende Gestimmtheit hinter den Worten, die sich durch die Gedichte zieht, von Schwabing bis nach New York, von der Jugend bis hinein ins Alter.
"Wenn wir wieder heimwärts finden/ durch die weiten Wälder unserer Irre,/ ist der Herbst schon da, und wir sind alt."
Das schrieb der Mann, der noch im Jahre 1958 bei einer Lesung in einem Münchner Theater einen Skandal verursachte, weil er statt eines Anzugs seine liebgewordenen Lederhosen trug. Dickschädel und sich, in die Welt hinaus getrieben, immer wieder neu Erfindender:
"Steinerne Idee New York, die ohne Unterlass/ sich ändert und verjüngt und alle Traditionen/ zerbraust, brutal zerhämmert und darüber spottet, dass /ein jeder stündlich diesem harten Nichtverschonen/ begegnen muss mit seinem ganzen Menschenwas./ Da fing ich an, in dir zu leben und zu wohnen./ New York! Zenith des Erdballs! Alles was ich bin und war/ hat sich in dich hineinversponnen!"
Wer hier Anklänge an Walt Whitman hört, geht nicht fehl. Mehr noch – auch andere Stimmen kommen hinzu. Hans Sahls Exillyrik, ein Emotionen durch Lakonie einhegender Brecht-Sound oder auch die lebensweise Melancholie einer Mascha Kalekó.
"Sie leuchten nicht mehr, unsre Bilder, / wie einst in guten Tagen./ Sie sind wie alte Häuserschilder, /verwittert und von Rost beschlagen."
Um der Wahrheit freilich gerade bei diesem Autor die Ehre zu geben: Der große, poetische Schwung der Eingangsverse trägt nie weit und verröchelt alsbald in Rhetorik, abgenutzten Adjektiven und hilflosen Floskeln, die man schon als Respekt lieber nicht zitieren möchte. Es scheint, böse Ironie der Geschichte, als wäre Oskar Maria Graf dazu verurteilt gewesen, sein authentisches und darüber hinaus ziemlich jahrhundert-untypisches Freiheitssehnen größtenteils in Worten ausdrücken zu müssen, die bereits in grauer Vorzeit minor poets wie Immanuel Geibel oder Justinus Kerner vorgestanzt hatten.
Wird man also mit diesem Buch einen Lyriker (neu) entdecken können? Nicht unbedingt und nur unter Vorbehalt. Wer jedoch auf einen erklärten Provinzler in pulsierender Weltstadt neugierig ist, auf einen Idealisten in Zeiten der Ideologie, auf einen Heimatfreund, der die Enge hasste, kurz: auf einen durch und durch sympathischen Menschen, der wird in diesem Buch zweifellos und mit Gewinn fündig werden.
Rezensiert von Marko Martin
Oskar Maria Graf: "Manchmal kommt es, dass wir Mörder sein müssen..." Gesammelte Gedichte.
Matthes & Seitz, Berlin 2007,
504 S., geb., 32, 80 Euro