Ein Herzschlag für die Ewigkeit
Für den französischen Künstler Christian Boltanski ist das eigene Herz "das letzte Selbstporträt". Deshalb widmet er diesem Organ jetzt eine besondere Ausstellung und Installation: In seinem "Archiv des Herzens" kann man seinen Herzschlag aufnehmen und archivieren lassen. Die gesammelten Herzschläge sollen auf einer japanischen Insel installiert werden, zu der man hinreisen kann.
Das Herz des Künstlers gibt den Rhythmus vor. Den Rhythmus, in dem eine von der Decke hängende Glühlampe an und wieder aus geht - an, aus - an, aus. Und so fort ...
An den Wänden hängen unzählige rechteckige schwarze Spiegel - für kurze Momente sieht man sich selbst, schemenhaft, wie auf einem Grabstein oder Exvoto. Dann geht das Licht wieder aus. Das Herz schlägt weiter.
Am Ende des Raums, in einer Nische, sind Fotos an die Wand projiziert - Porträts aus allen Lebensphasen von Christian Boltanski, vom Kind bis zum 60-jährigen. Die Installation "Le coeur - Das Herz" ist eine Arbeit aus dem Jahr 2005.
"Damals dachte ich - ein bisschen im Scherz - man könnte doch Fotoalben durch Herzschlag-CDs ersetzen. Sodass man zum Beispiel sagen könnte: Heute Abend werde ich mir mal das Herz meiner Oma anhören. Man hätte also zu Hause CDs mit den Herzen seiner Lieben."
Für die Ausstellung in der Maison Rouge hat Christian Boltanski seine Herzschlag-Installation erweitert. "Qui etes-vous? ", fragt eine Stimme, die aus der Wand zu kommen scheint, bevor es in den dunklen Herz-Raum geht. Es ist die Stimme des Künstlers, die da fragt : "Wer sind Sie? "
"Das Herz ist jemand. Hier geht es um etwas, was mich seit Jahren beschäftigt: Die Einmaligkeit jedes Wesens. Jedes Wesen ist einmalig und also extrem wichtig, gleichzeitig aber auch extrem verletzbar und zerbrechlich. Es geht um den Widerspruch zwischen Bedeutung und Zerbrechlichkeit. Ich denke, es ist sehr wichtig zu wissen, wer man ist und sein Herz zu hören ist eine Art zu wissen, wer man ist. Das Herz ist mein Selbstporträt - mein letztes Selbstporträt."
Dieses Selbstporträt wird jetzt um ein großangelegtes Projekt ergänzt: "les archives du coeur" - das Archiv des Herzens. Die Ausstellungsbesucher sind eingeladen, ihren Herzschlag aufnehmen und registrieren zu lassen. Wie beim Behördenbesuch muss man erstmal eine Nummer ziehen und warten.
Eine freundliche Assistentin in weißem Arztkittel führt mich in den Aufnahmeraum. Reicht mir ein Stethoskop-Gerät, mit dem ich selbst meinen Herzschlag ertaste. Ich höre mein Herz. Ganz regelmäßig schlägt es nicht, fällt mir auf. Ob da wohl alles in Ordnung ist?
Und dann wird mein Herzschlag archiviert. Name, Vorname. Das war's. Nun ist mein Herz eine Nummer geworden - und bleibt doch einzigartig, wie Agathe, die freundliche Assistentin versichert.
"Kein Herzschlag gleicht dem anderen. Es gibt sehr langsame und sehr schnelle Rhythmen - oder auch arhythmische Herzschläge ... "
Herzschläge, die für die "archives du coeur" gesammelt werden. Das "Archiv des Herzens" wird Christian Boltanski auf einer kleinen Insel im Meer bei Japan einrichten.
"Ich glaube sehr an die Idee des Reisens. An die Vorstellung von der Schwierigkeit, einen Ort zu erreichen - daher die Idee, die Herzen an einen ziemlich schwer erreichbaren Ort zu bringen - diese japanische Insel, die mir ein Sammler zur Verfügung gestellt hat. Ich könnte die Herzen ins Internet stellen - aber das interessiert mich nicht - das wäre schockierend. Und so gibt es nun die Möglichkeit, zum Archiv des Herzens zu reisen, aber es ist schwierig. Sozusagen eine Initiations-Reise. Man reist, um ein Herz zu suchen oder ein Herz zu hören."
Archive - Vergangenheit und Vergänglichkeit - Erinnerung und Rekonstruktion sind Themen, um die das Werk von Christian Boltanski seit langem kreist.
Im Kellergeschoss des Berliner Reichstags richtete er ein "Archiv der Deutschen Abgeordneten" ein - im Gedenken an alle Parlamentarier, die seit der Einführung der Demokratie in Deutschland gewählt wurden. Eine seiner bekanntesten Arbeiten "Les suisses morts" - die toten Schweizer - zeigt hunderte vergrößerte Schwarzweiß-Fotos aus Traueranzeigen - namenlose Tote.
Mit der Installation "Le coeur" und dem neuen Archiv des Herzens hat Christian Boltanski nun - er ist gerade 64 geworden - besonders auch seine eigene Vergänglichkeit im Fokus.
"Mein Herz wird niemals aufhören zu schlagen. Selbst wenn ich sterbe - vielleicht noch heute - wird es immer weiter schlagen. Und auf meiner Insel wird es Millionen Herzschläge geben. Wer dort hinkommt, wird sagen können: Ich möchte das Herz von Madame Dupont hören oder das von Frau Schmitt. Das wird eine Art Stiftung, die auch nach meinem Tod noch existieren wird."
Er sei ein sentimentaler Minimalist, hat Christian Boltanski einmal gesagt. Sein Archiv des Herzens ist genau dies: minimalistisch und sentimental. Und er erreicht damit auf unglaublich überzeugende Weise seine künstlerische Absicht: Er löst Emotionen aus.
Service:
Die Ausstellung "Das Archiv des Herzens" ist noch bis zum 5. Oktober in der Pariser Maison Rougezu sehen.
An den Wänden hängen unzählige rechteckige schwarze Spiegel - für kurze Momente sieht man sich selbst, schemenhaft, wie auf einem Grabstein oder Exvoto. Dann geht das Licht wieder aus. Das Herz schlägt weiter.
Am Ende des Raums, in einer Nische, sind Fotos an die Wand projiziert - Porträts aus allen Lebensphasen von Christian Boltanski, vom Kind bis zum 60-jährigen. Die Installation "Le coeur - Das Herz" ist eine Arbeit aus dem Jahr 2005.
"Damals dachte ich - ein bisschen im Scherz - man könnte doch Fotoalben durch Herzschlag-CDs ersetzen. Sodass man zum Beispiel sagen könnte: Heute Abend werde ich mir mal das Herz meiner Oma anhören. Man hätte also zu Hause CDs mit den Herzen seiner Lieben."
Für die Ausstellung in der Maison Rouge hat Christian Boltanski seine Herzschlag-Installation erweitert. "Qui etes-vous? ", fragt eine Stimme, die aus der Wand zu kommen scheint, bevor es in den dunklen Herz-Raum geht. Es ist die Stimme des Künstlers, die da fragt : "Wer sind Sie? "
"Das Herz ist jemand. Hier geht es um etwas, was mich seit Jahren beschäftigt: Die Einmaligkeit jedes Wesens. Jedes Wesen ist einmalig und also extrem wichtig, gleichzeitig aber auch extrem verletzbar und zerbrechlich. Es geht um den Widerspruch zwischen Bedeutung und Zerbrechlichkeit. Ich denke, es ist sehr wichtig zu wissen, wer man ist und sein Herz zu hören ist eine Art zu wissen, wer man ist. Das Herz ist mein Selbstporträt - mein letztes Selbstporträt."
Dieses Selbstporträt wird jetzt um ein großangelegtes Projekt ergänzt: "les archives du coeur" - das Archiv des Herzens. Die Ausstellungsbesucher sind eingeladen, ihren Herzschlag aufnehmen und registrieren zu lassen. Wie beim Behördenbesuch muss man erstmal eine Nummer ziehen und warten.
Eine freundliche Assistentin in weißem Arztkittel führt mich in den Aufnahmeraum. Reicht mir ein Stethoskop-Gerät, mit dem ich selbst meinen Herzschlag ertaste. Ich höre mein Herz. Ganz regelmäßig schlägt es nicht, fällt mir auf. Ob da wohl alles in Ordnung ist?
Und dann wird mein Herzschlag archiviert. Name, Vorname. Das war's. Nun ist mein Herz eine Nummer geworden - und bleibt doch einzigartig, wie Agathe, die freundliche Assistentin versichert.
"Kein Herzschlag gleicht dem anderen. Es gibt sehr langsame und sehr schnelle Rhythmen - oder auch arhythmische Herzschläge ... "
Herzschläge, die für die "archives du coeur" gesammelt werden. Das "Archiv des Herzens" wird Christian Boltanski auf einer kleinen Insel im Meer bei Japan einrichten.
"Ich glaube sehr an die Idee des Reisens. An die Vorstellung von der Schwierigkeit, einen Ort zu erreichen - daher die Idee, die Herzen an einen ziemlich schwer erreichbaren Ort zu bringen - diese japanische Insel, die mir ein Sammler zur Verfügung gestellt hat. Ich könnte die Herzen ins Internet stellen - aber das interessiert mich nicht - das wäre schockierend. Und so gibt es nun die Möglichkeit, zum Archiv des Herzens zu reisen, aber es ist schwierig. Sozusagen eine Initiations-Reise. Man reist, um ein Herz zu suchen oder ein Herz zu hören."
Archive - Vergangenheit und Vergänglichkeit - Erinnerung und Rekonstruktion sind Themen, um die das Werk von Christian Boltanski seit langem kreist.
Im Kellergeschoss des Berliner Reichstags richtete er ein "Archiv der Deutschen Abgeordneten" ein - im Gedenken an alle Parlamentarier, die seit der Einführung der Demokratie in Deutschland gewählt wurden. Eine seiner bekanntesten Arbeiten "Les suisses morts" - die toten Schweizer - zeigt hunderte vergrößerte Schwarzweiß-Fotos aus Traueranzeigen - namenlose Tote.
Mit der Installation "Le coeur" und dem neuen Archiv des Herzens hat Christian Boltanski nun - er ist gerade 64 geworden - besonders auch seine eigene Vergänglichkeit im Fokus.
"Mein Herz wird niemals aufhören zu schlagen. Selbst wenn ich sterbe - vielleicht noch heute - wird es immer weiter schlagen. Und auf meiner Insel wird es Millionen Herzschläge geben. Wer dort hinkommt, wird sagen können: Ich möchte das Herz von Madame Dupont hören oder das von Frau Schmitt. Das wird eine Art Stiftung, die auch nach meinem Tod noch existieren wird."
Er sei ein sentimentaler Minimalist, hat Christian Boltanski einmal gesagt. Sein Archiv des Herzens ist genau dies: minimalistisch und sentimental. Und er erreicht damit auf unglaublich überzeugende Weise seine künstlerische Absicht: Er löst Emotionen aus.
Service:
Die Ausstellung "Das Archiv des Herzens" ist noch bis zum 5. Oktober in der Pariser Maison Rougezu sehen.