Ein Historiker kämpft um die "Geheimakte Klaus Barbie"

Moderation: Joachim Scholl · 03.02.2012
Man nannte ihn den "Schlächter von Lyon": Klaus Barbie zählte zu den brutalsten Kriegsverbrechern der Nazis. Nun deutet einiges darauf hin, dass er bis in die 80er-Jahre vom Bundesverfassungsschutz protegiert wurde. Der Historiker Peter Hammerschmidt will darüber Klarheit schaffen - doch die Geheimdienstler mauern.
Joachim Scholl: Man nannte ihn wegen seiner Grausamkeit den "Schlächter von Lyon": den SS-Mann und Gestapo-Chef Klaus Barbie. Nach 1945 floh er ins Ausland, lebte jahrzehntelang unbehelligt in Südamerika, 1983 wurde er nach Frankreich ausgeliefert, zu lebenslanger Haft verurteilt, er starb 1991. Dass dieser Verbrecher jedoch während seiner Zeit in Südamerika auf der Gehaltsliste des deutschen Bundesnachrichtendienstes stand und auch unter falschem Namen in die Bundesrepublik einreisen konnte, das wissen wir erst durch die Arbeit des Historikers Peter Hammerschmidt. Er ist jetzt im Studio. Guten Morgen, Herr Hammerschmidt!

Peter Hammerschmidt: Ja, schönen guten Morgen!

Scholl: Vor einem Jahr haben Sie Ihre ersten Recherchen zum Fall Klaus Barbie veröffentlicht, das war sehr skandalös für den Bundesnachrichtendienst. Momentan stehen Sie aber vor einer bislang unüberwindbaren Mauer, und dahinter liegt das BfV, das Bundesamt für Verfassungsschutz. In welcher Weise ist denn Ihren Erkenntnissen nach der Verfassungsschutz in den Fall verstrickt?

Hammerschmidt: Also es ist so, dass ich an der Uni Mainz eben ein Promotionsvorhaben gestartet habe, "Klaus Barbie im Netz der internationalen Nachrichtendienste", und es weisen immer wieder Indizien darauf hin, die ich aus ausländischen Archiven habe – zum Teil auch auf Basis langjähriger Intervention erst erhalten habe. Dieses Aktenmaterial legt die Vermutung nahe, dass Barbie eben bei seinen Reisen, die nachweislich bis 1980 in die Bundesrepublik durchgeführt wurden, eben auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz protektiert wurde beziehungsweise zumindest observiert wurde zu einem Zeitpunkt, als Barbie längst – der ja unter dem Namen Klaus Altmann in Bolivien abgetaucht war – als Klaus Barbie identifiziert war. Und, so zeigt das Aktenmaterial, offenbar hat Barbie in Deutschland eben auch neofaschistische Organisationen aufgebaut und hat eben auch deutsche Waffendeals abgewickelt.

Scholl: Das wollte ich Sie gerade fragen, Herr Hammerschmidt. Also Klaus Barbie in Deutschland – das ist ja eigentlich ein ungeheuerlicher Vorgang, dass dieser Verbrecher anscheinend völlig unbehelligt in die Bundesrepublik einreisen konnte und dort dann auch noch Unwesen treiben. Das heißt, er stand längst auf den Fahndungslisten, er hätte eigentlich verhaftet werden müssen, oder?

Hammerschmidt: Ja, absolut. Also er war schon dreimal zu diesem Zeitpunkt in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden in Frankreich, 1947, 51 und 53, und es gab auch sogenannte Crowcass-Listen, das heißt, sowohl der amerikanische Geheimdienst, der Barbie unmittelbar nach Kriegsende geschützt hat, wusste bereits, dass Barbie eigentlich an die Franzosen hätte ausgeliefert werden müssen. Und wenn nun auch der Verfassungsschutz wusste, dass Barbie in die Bundesrepublik einreiste, und untätig blieb, ist das natürlich skandalös, ja.

Scholl: Dass nach dem BND auch weitere Dienste hier involviert waren, lag das für Sie auf der Hand? Sie mussten ja erst mal überhaupt wissen, dass es eigene Akten zu Barbie beim Verfassungsschutz gab. Woher wussten Sie das?

Hammerschmidt: Richtig, ja. Wie gesagt, es sind verschiedene Indizien aufgetaucht auf Basis des Aktenmaterials ausländischer Nachrichtendienste und ausländischer Behörden und Archive. Das war eine längere Intervention, diese Akten zu bekommen zum Teil, aber diese Indizien legen eben nahe, Barbie war im Gegensatz zu anderen NS-Eliten, die nach Südamerika abgetaucht waren, eben eine schillernde Figur in La Paz und hat dort weiterhin sehr konspirativ gearbeitet, auch in Verbindung mit verschiedenen Nachrichtendiensten sowohl in Europa als auch auf dem amerikanischen Kontinent.

Scholl: Sie haben Antrag auf Einsicht in diese Akte zum Fall Barbie beim Verfassungsschutz gestellt. Wie hat man reagiert?

Hammerschmidt: Zunächst einmal, dass die transparente Aufarbeitung, die ja auch immer wieder öffentlich proklamiert wurde vonseiten des Verfassungsschutzes, natürlich ein großes Merkmal darstellt des Verfassungsschutzes, dass man diese Aufarbeitung aktiv betreiben will. Man hat aber daraufhin geantwortet, es sei ein zu großer personeller Aufwand, eine Einzelakte jetzt rauszufischen, was für mich absolut nicht nachvollziehbar ist. Wenn man eine historische Aufarbeitung betreiben will, dann sollte es möglich sein, zumindest mal eine Sachverhaltsprüfung durchzuführen.

Das wurde im Nachhinein dann auch gemacht, auf Basis einer weiteren Intervention meinerseits wurde diese Akte dann wirklich gefunden. Es kam auch die Nachricht, dass diese Akte definitiv existent ist. Das Problem, das der Verfassungsschutz in der Freigabe sieht, seien – Zitat – "Sicherheitsgründe", die auch im Jahr 2011 beziehungsweise 2012 noch bestehen würden. Für mich absolut nicht nachvollziehbar.

Scholl: Was, glauben Sie, will der Verfassungsschutz verbergen?

Hammerschmidt: Das ist die Frage. Also es ist einmal natürlich, wenn man sich mit Nachrichtendiensten beschäftigt, gibt es drei Faktoren, die man berücksichtigen muss: einmal der Schutz von Informationen befreundeter Nachrichtendienste, die es natürlich zu schützen gilt, dann natürlich der Schutz von Persönlichkeitsrechten Dritter, die es ebenfalls zu schützen gilt, und natürlich auch das Ansehen der eigenen Regierung in der Bundesrepublik. Im Fall Barbie, sollte es wirklich bekannt werden, dass Barbie von dem Verfassungsschutz bis in die 80er-Jahre in Deutschland protektiert wurde, dann wäre das natürlich skandalös, auch im Bezug auf internationale Beziehungen, vor allem zu Frankreich. Möglicherweise ist das der Punkt, dass der Verfassungsschutz nach wie vor mauert in dieser Richtung.

Scholl: Der Verfassungsschutz hält weiter dicht. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Historiker Peter Hammerschmidt. Nun steht seit den Morden der Zwickauer Neonazis gerade der Verfassungsschutz ja stark in der Kritik. Das Amt hat mehr Transparenz versprochen, es gibt sogar eine ganz frisch eingesetzte Kommission von zwei Historikern der Universität Bochum, die die Geschichte des Amts zwischen 1950 und 1975 untersuchen sollen. Wie passt das denn jetzt zusammen?

Hammerschmidt: Es ist natürlich einmal der Vorwurf im Raum, dass der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind sei. Dazu passt dann wiederum ganz gut, dass man sagt, man möchte die Aufarbeitung der eigenen Behördengeschichte transparent aufarbeiten. Die Restriktionen, sowohl was die zwei Wissenschaftler aus Bochum angeht, als auch die Restriktionen, mit denen ich zu kämpfen habe, zeigen, dass die Forschungspraxis eben auf praktischer Ebene stark behindert wird. Und da wäre es dann vielleicht doch mal an der Zeit, den Verfassungsschutz an Artikel fünf, Absatz drei des Grundgesetzes zu erinnern, denn laut dieses Artikels ist die Wissenschaft frei und ebenso auch die Lehre.

Scholl: Was heißt denn Restriktionen? Das heißt, diese Kommission kann gar nicht unbehindert arbeiten?

Hammerschmidt: Ja, es sind immer wieder Indizien aufgetaucht. Es wäre jetzt schwer, in diese Diskussion einzusteigen, weil ich das selbst noch nicht ganz klar sehe. Es ist aber so, dass diese Historiker unter gewissen Restriktionen leiden, zum Beispiel wird ihr konkretes soziales Umfeld durchleuchtet. Es macht alles irgendwie so den Hinweis darauf, dass die Forschungen, die Auftragsforschungen, die das BfV ausgeschrieben hat, eben auf ein BfV-konformes Gleis gesetzt werden sollen.

Scholl: Ich meine, der Zeitraum der Untersuchung fällt ja genau in diese Jahre, als Klaus Barbie für den BND arbeitete und nachweislich auch in Deutschland operierte. Die Bochumer Historiker müssten die entsprechende Akte ja dann prüfen können. Wissen Sie schon was darüber, stehen Sie mit den Kollegen in Kontakt?

Hammerschmidt: Ich stehe mit den Kollegen in Kontakt, die finden auch mein Promotionsvorhaben überaus interessant, allerdings muss man natürlich auch berücksichtigen, dass diese eben im Auftrag des BfV die Forschungspraxis betreiben und natürlich auch dem BfV in Anführungszeichen "nicht in dem Rücken fallen wollen". Es ist so, dass von dort – also speziell von den Wissenschaftlern selbst – keine Informationen weitergegeben werden und auch keine Informationen weitergegeben werden können zum jetzigen Zeitpunkt.

Scholl: Als Sie, Herr Hammerschmidt, das erste Mal auf die Verstrickung des BND in den Fall Barbie aufmerksam wurden, hat der BND Ihre Anfrage zunächst auch abgelehnt. Sie haben Sich dann direkt ans Bundeskanzleramt gewandt und daraufhin die Erlaubnis bekommen. Jetzt haben Sie beim Dienstherrn des Verfassungsschutzes, wie wir wissen, beim Bundesinnenminister angefragt, also auch die nächste höhere Instanz. Haben Sie schon eine Antwort?

Hammerschmidt: Nein, leider nicht, also da hüllt man sich nach wie vor in Schweigen. Ich hoffe, dass jetzt im Rahmen dieser auch medialen Diskussion, die es jetzt nach sich zog, dieser Fall, dass man da möglicherweise dann einlenkt und eben auch wirklich diese öffentlich proklamierte Transparenz dann auch aktiv betreibt und eventuell noch mal nachdenkt, diese Akte über Klaus Barbie freizugeben. Ansonsten bleibt mir eben nur der Weg, auch juristisch zu intervenieren.

Scholl: Wäre das möglich, dagegen zu klagen?

Hammerschmidt: Das wäre möglich, also im Fall BND sieht man es ganz deutlich: Der Fall von Gabriele Weber gegen den BND vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat eine ideale Voraussetzung geschaffen, eben auch an Aktenmaterial von bundesdeutschen Nachrichtendiensten zu gelangen, und insofern sehe ich da auch entsprechende Perspektiven beim Bundesamt für Verfassungsschutz.

Scholl: Auf der anderen Seite haben Sie jetzt auch gerade durch die Aufmerksamkeit, die der Verfassungsschutz jetzt im Negativen erfährt, ja durchaus die Öffentlichkeit auf Ihrer Seite. Ihre Publikationen werden zitiert, Sie haben neuerlich auch wieder publiziert in dieser Richtung. Macht die Öffentlichkeit da einen Effekt, dass sich das vielleicht auswirkt?

Hammerschmidt: Durchaus, auf jeden Fall. Es ist nur so – und davon möchte ich mich auch lossagen –, es ist nicht meine Aufgabe und auch nicht mein Ziel, irgendwie BND- oder BfV-Bashing zu betreiben, ganz und gar nicht. Es ist nur so, dass natürlich die Diskussionen um die Verbindungen von BfV zu rechtsradikalen, neonazistischen Kreisen und eben auch eine Protektion von Altnazis natürlich ein negatives Licht auf die operative Arbeitspraxis des BfV wirft, und die gilt es natürlich dann auch öffentlich zu diskutieren, ja.

Scholl: Glauben Sie denn, dass da noch mehr Leichen im Keller liegen in den Archiven des Verfassungsschutzes?

Hammerschmidt: Davon gehe ich aus, ja. Wenn man sich die globalpolitischen Rahmenbedingungen betrachtet, die damals aktuell waren und vor allem die Gefahr eines drohenden Kommunismus, der natürlich auch beim BND und auch beim BfV diskutiert wurde und natürlich ein Teil der Arbeitspraxis war, gehe ich davon aus, dass man dort über diese – sage ich mal – moralische Schuld, die man auf sich geladen hat, hinwegsah und eben auch NS-Eliten rekrutierte, ja. Wenn es einem größeren Ziel und den größeren vitalen Interessen der Dienste zum Positiven gereicht wurde.

Scholl: Der Verfassungsschutz und sein Wille zur Transparenz. Über seine Erfahrungen hat uns der Historiker Peter Hammerschmidt berichtet. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Hammerschmidt!

Hammerschmidt: Ja, vielen Dank!

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