Ein hochkarätiges Duo
John Steinbecks ungewöhnliches Buch "Russische Reise" wird zum ersten Mal auf Deutsch veröffentlicht. Auf seiner Reise nach und durch Russland wurde er von einem legendären Fotografen, Robert Capa, begleitet. Ein hochkarätiges Duo, das da zusammen losgezogen ist.
Nachdem Bertolt Brecht Ende Oktober 1947 vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe einer dreistündigen Befragung wegen des Verdachts, er sei Kommunist, unterzogen worden war, verließ er am folgenden Tag geradezu fluchtartig die USA. Der Kalte Krieg hatte soeben begonnen.
Kurz vor Brechts hastiger Abreise muss John Steinbeck zurückgekehrt sein von seiner mehrwöchigen Tour durch die Sowjetunion. Just unter diesen politischen Klimaverhältnissen als amerikanischer Schriftsteller eine Reise dorthin zu betreiben, kann man als naive oder mutige Geste deuten, in jedem Fall war sie wohl kalkuliert. Jenseits des kriegerischen Gerassels, das "Spezialisten" in den amerikanischen Medien mit Blick auf die Sowjetunion erzeugten, vermisste der Autor der "Früchte des Zorns" Antworten auf die naheliegendsten Fragen: "Was tragen die Leute dort? Was tischen sie zum Abendessen auf? Feiern sie Feste?". Es sollte in seiner Reportage um den Alltag gehen, um eine Annäherung an Lebensumstände von Personen, um die Vermenschlichung einer konfliktiven Konstellation, in der die andere Seite zunehmend in monströsen Konturen erschien. Um all dies tatsächlich dokumentieren zu können, nahm Steinbeck den Fotografen Robert Capa mit auf die Reise.
Natürlich war es – von der Visabeschaffung über stark verspätete und ebenso veraltete Flugzeuge, gelegentlich misstrauische Gastgeber, bürokratische Absurditäten und häufige Fotografierverbote bis zur Befürchtung, das Bildmaterial am Ende beschlagnahmt – eine reichlich beschwerliche Reise. Und selbstverständlich konnten sich die Reporter nicht einfach frei im Lande bewegen; sie waren Gäste der offiziellen Gesellschaft für kulturellen Austausch, hatten stets einen begleitenden (und vermutlich auch berichtenden) Dolmetscher an ihrer Seite, freilich auch das Privileg, stets in den besten verfügbaren Hotels zu wohnen.
Steinbeck hält sich an die eigenen Vorgaben: Er erwähnt die Misslichkeiten, konzentriert sich aber in der Tat auf die Menschen, ihre Lebensweise, auf die Eindrücke, die er von einem regelrecht verwüsteten Land erhält. Ob bei Bauern in der Ukraine, in den Ruinen von Stalingrad oder im üppigen (und unzerstörten) Georgien, in Moskauer Luxusrestaurants oder in schmierigen Schwarztaxis – immer gelingen ihm genaue Porträts der Situationen und Menschen, auf die er trifft. Natürlich kommen da auch immer wieder die großen Fragen wie Krieg und Frieden ins Spiel, aber sie bleiben auf einer sehr persönlichen Gesprächsebene. "Die Menschen, die wir trafen, hassten den Krieg, sie wollten, was alle Menschen wollen – ein gutes Leben, mehr Komfort, Sicherheit und Frieden" lautet das Resümee des Autors. Und die mit stichelnder Ironie eingeflochtenen Szenen aus der "Paarbeziehung" Steinbeck/Capa machen diesen Bericht am Rande zu einer kleinen hinreißenden Komödie über das Unterwegssein zu zweit.
Man kann diesem Text natürlich ein gutes Maß an Verharmlosung der Zustände in der spätstalinistischen Sowjetunion vorwerfen. Aber das hieße, seine Absicht und seinen Kern zu übersehen. Er ist eine Geste der Verständigung, eine Erinnerung daran, dass am Ende der großen Politik die dramatischen Schicksale von kleinen Menschen stehen.
Besprochen von Gregor Ziolkowski
John Steinbeck: Russische Reise
Mit Fotografien von Robert Capa
Aus dem Englischen von Susann Urban
Edition Büchergilde, Frankfurt am Main 2011
300 Seiten, 19,90 Euro
Kurz vor Brechts hastiger Abreise muss John Steinbeck zurückgekehrt sein von seiner mehrwöchigen Tour durch die Sowjetunion. Just unter diesen politischen Klimaverhältnissen als amerikanischer Schriftsteller eine Reise dorthin zu betreiben, kann man als naive oder mutige Geste deuten, in jedem Fall war sie wohl kalkuliert. Jenseits des kriegerischen Gerassels, das "Spezialisten" in den amerikanischen Medien mit Blick auf die Sowjetunion erzeugten, vermisste der Autor der "Früchte des Zorns" Antworten auf die naheliegendsten Fragen: "Was tragen die Leute dort? Was tischen sie zum Abendessen auf? Feiern sie Feste?". Es sollte in seiner Reportage um den Alltag gehen, um eine Annäherung an Lebensumstände von Personen, um die Vermenschlichung einer konfliktiven Konstellation, in der die andere Seite zunehmend in monströsen Konturen erschien. Um all dies tatsächlich dokumentieren zu können, nahm Steinbeck den Fotografen Robert Capa mit auf die Reise.
Natürlich war es – von der Visabeschaffung über stark verspätete und ebenso veraltete Flugzeuge, gelegentlich misstrauische Gastgeber, bürokratische Absurditäten und häufige Fotografierverbote bis zur Befürchtung, das Bildmaterial am Ende beschlagnahmt – eine reichlich beschwerliche Reise. Und selbstverständlich konnten sich die Reporter nicht einfach frei im Lande bewegen; sie waren Gäste der offiziellen Gesellschaft für kulturellen Austausch, hatten stets einen begleitenden (und vermutlich auch berichtenden) Dolmetscher an ihrer Seite, freilich auch das Privileg, stets in den besten verfügbaren Hotels zu wohnen.
Steinbeck hält sich an die eigenen Vorgaben: Er erwähnt die Misslichkeiten, konzentriert sich aber in der Tat auf die Menschen, ihre Lebensweise, auf die Eindrücke, die er von einem regelrecht verwüsteten Land erhält. Ob bei Bauern in der Ukraine, in den Ruinen von Stalingrad oder im üppigen (und unzerstörten) Georgien, in Moskauer Luxusrestaurants oder in schmierigen Schwarztaxis – immer gelingen ihm genaue Porträts der Situationen und Menschen, auf die er trifft. Natürlich kommen da auch immer wieder die großen Fragen wie Krieg und Frieden ins Spiel, aber sie bleiben auf einer sehr persönlichen Gesprächsebene. "Die Menschen, die wir trafen, hassten den Krieg, sie wollten, was alle Menschen wollen – ein gutes Leben, mehr Komfort, Sicherheit und Frieden" lautet das Resümee des Autors. Und die mit stichelnder Ironie eingeflochtenen Szenen aus der "Paarbeziehung" Steinbeck/Capa machen diesen Bericht am Rande zu einer kleinen hinreißenden Komödie über das Unterwegssein zu zweit.
Man kann diesem Text natürlich ein gutes Maß an Verharmlosung der Zustände in der spätstalinistischen Sowjetunion vorwerfen. Aber das hieße, seine Absicht und seinen Kern zu übersehen. Er ist eine Geste der Verständigung, eine Erinnerung daran, dass am Ende der großen Politik die dramatischen Schicksale von kleinen Menschen stehen.
Besprochen von Gregor Ziolkowski
John Steinbeck: Russische Reise
Mit Fotografien von Robert Capa
Aus dem Englischen von Susann Urban
Edition Büchergilde, Frankfurt am Main 2011
300 Seiten, 19,90 Euro