Ein Hochstapler in der Finanzkrise
Dieter Wedel erzählt in "Gier" die Geschichte eines Finanzjongleurs, der grandiose Profite verspricht und doch allen nur das Geld aus der Tasche zieht - basierend auf der Geschichte von Jürgen Harksen. "Was ich herausbekommen habe, ist, dass er ein unglaublich geschickter Geschichtenerzähler ist", sagte der Regisseur.
Jürgen König: "Gier" heißt der neue Film von Dieter Wedel, heute und morgen Abend auf ARTE zu sehen, nächste Woche dann in der ARD. Der Film erzählt vom Hochstapler, vom Finanzjongleur Dieter Glanz, wie ein König Midas wird er verehrt. Wer immer sein Geld anlegen will, tut es nach Möglichkeit bei ihm. Er verspricht grandiose Profite und zieht doch allen nur das Geld aus der Tasche. Die Geschichte basiert auf dem Fall des Jürgen Harksen, der Ende der 80er-Jahre mit Renditeversprechen von bis zu 1300 Prozent Geldanleger suchte und fand, die sich dann an in Wirklichkeit nicht existierenden Investmentunternehmen beteiligten.
Im Urteil des Landgerichts Hamburg wurde 2003 festgestellt, Harksen habe 150 Millionen D-Mark betrügerisch erlangt, 50 Millionen davon an die Geldgeber zurückgezahlt und den Rest für seinen äußerst luxuriösen Lebensstil verbraucht. Dass das ein Filmstoff für Dieter Wedel abgibt, das lässt sich denken. Herr Wedel, ich grüße Sie! Sie haben Jürgen Harksen in der Haft besucht, haben sich von ihm seine ganze Lebensgeschichte erzählen lassen. Was ist er für ein Mensch?
Dieter Wedel: Was ich herausbekommen habe, ist, dass er ein unglaublich geschickter Geschichtenerzähler ist, der immer seine erfundenen Geschichten mit Partikeln der Wirklichkeit anreichert. Also beispielsweise hat er mir erzählt, er hätte einen Ölanwalt in Norwegen aufgesucht, hinter dem an der Wand ein Foto von Diana Ross gehangen habe, um sich Ölschürfrechte zu sichern.
Ich habe dann festgestellt, dass es diesen Anwalt gab und dass der tatsächlich mit Diana Ross mal verheiratet war - das hat der Harksen natürlich auch irgendwo gelesen – und habe für einen Moment gedacht, ja, wieso, wenn er Ölschürfrechte hat, wieso sitzt er dann im Knast. Er hätte mich auch schon reinlegen können, er hat das dann aufgeklärt.
Das sind bewundernswerte Leute im Negativen, Geschichtenerzähler, die ihre Fantastereien auch so ausspinnen, dass sie natürlich auch – und das war bei all denen – ich habe ja nicht nur Harksen gesprochen, sondern auch noch einen anderen Hochstapler auf Mallorca, ich habe auch Vermögensverwalter gesprochen …
König: Anleger, Bankenvertreter, Sie haben viel recherchiert.
Wedel: Sehr viel recherchiert, auch natürlich mit den Betroffenen gesprochen, mit den Opfern. Bei denen, die das erst mal angerichtet haben, habe ich immer festgestellt, dass dahinter eine unglaubliche Einsamkeit gewesen sein muss, und auch das finde ich … Ich weiß nicht, wie man Einsamkeit spielt, aber ich weiß, dass es zu spielen ist, wenn ich Ulrich Tukur zuschaue.
König: In dem Film beschreiben Sie einen Einzelfall, oder? Ich meine, Sie haben, wie Sie es gesagt haben, mit vielen Finanzexperten gesprochen – ist das ein Einzelfall oder steht er auch für ein Prinzip der gesamten heutigen Finanzbranche?
Wedel: Also ich glaube, wenn es nur ein Einzelfall ist, deswegen will ich ja kein Biopic machen, dann würde es einfach zu wenig erzählen. Ich glaube, es muss dann schon auch etwas Beispielhaftes haben, wenn wir einen ganzen Film darüber machen.
Ich habe immer das Muster entdeckt, vom Hochstapler über den Anlageberater, Vermögensverwalter bis hin zum kleinen Bankberater, dass erst mal so eine Atmosphäre des Vertrauens und der Freundschaft geschaffen wird, und dann wird auch noch so vermittelt: Du gehörst einer auserwählten Gruppe an, weil ich verrate Dir nun ein paar Dinge, die ich sonst nicht jedem verrate, und vertrau mir mal, gib mir mal Geld, und irgendwann kriegst du dann dicke Gewinne ausbezahlt. Eigentlich nichts anderes wie irgendwelche Sektengurus, die versprechen, wenn du mir jetzt gibst, dann kriegst du irgendwann das Heil.
König: Im Theater sagt man ja, den König spielen die anderen. Auf die Figur des Dieter Glanz bezogen, erst die anderen machen ihn zu dem, was er ist - was sagt ein so erfolgreicher Hochstapler nach den Erfahrungen, die Sie gemacht haben, über unsere Gesellschaft aus? Dass das Profitstreben inzwischen immer mehr, immer öfter in reine Habgier umschlägt?
Wedel: Ja, das sagt er natürlich, weil ihn das entlastet. Also der Satz, der einmal im Film vorkommt, ich bin das Opfer des unbegrenzten oder unermesslichen Vertrauens, das mir jedermann entgegenbringt, ich bin das Opfer, das ist ein wörtliches Zitat eines meiner Gesprächspartner.
Sie fühlen sich als Opfer, die anderen haben ihnen ja das Geld aufgedrängt. Ich habe bei keinem auch nur den Anflug von Unrechtsbewusstsein entdeckt – weder bei den Banken, auch nicht bei den Vermögensberatern, die ganze Vermögen vernichtet haben, weil sie behauptet haben, sie hätten einen Trick gefunden, wie man Schwankungen an der Börse abfedern könnte. Das ist genauso, als wenn ein Arzt versprechen würde, wir haben das Sterben abgeschafft. Aber hinterher waren es immer die anderen schuld, es waren die Umstände schuld, aber es waren vor allen Dingen die dummen Anleger schuld, die ihnen ja das Geld aufgedrängt haben.
König: Der Held Ihres Films, Dieter Glanz, gespielt von Ulrich Tukur, er kommt ziemlich sympathisch rüber, fand ich. Sollte er das auch?
Wedel: Nun gut, soll der jetzt mit einem Schild rumlaufen, ich bin ein Betrüger und folglich bin ich negativ zu betrachten? Dann würden die anderen ja als Idioten dastehen, dass sie ihm vertrauen. Ganz sicher ist der Dieter Glanz von Ulrich Tukur charismatischer, spannender, auch interessanter als all diese großmäuligen Vermögensberater und Hochstapler, denen ich begegnet bin.
Aber eins haben sie alle gemeinsam: Sie vermitteln genügend Sympathiewerte, dass die Menschen erst mal ihre Freunde sein wollen, dass sie sich auserwählt fühlen, wenn sie zu ihnen eingeladen werden. Und sie sind große Geschichtenerzähler. Geschichtenerzähler bin ich auch, deswegen heißt er auch Dieter mit Vornamen.
König: Ein bisschen Hochstapler steckt in uns allen sozusagen?
Wedel: Und ein bisschen Hochstapler steckt in uns allen. Wir haben in Südafrika mit dem größten Team gedreht, das ich je in meiner Laufbahn als Regisseur hatte.
Da standen etwa 150 Mann am Set, nur Team, dann standen 100 Komparsen da, eine Band, dann standen ja 20, 25 Schauspieler manchmal an einem Tag und die besten in Deutschland. Da müssen Sie eine Sicherheit vorgaukeln, die Sie gar nicht haben.
König: Nennen wir noch einige Namen aus diesem wirklich grandiosen Ensemble: neben Ulrich Tukur Devid Striesow, Sibel Kekilli, Katharina Wackernagel, Hans Krassnitzer, Gerd Wameling, Uwe Ochsenknecht, Heinz Hoenig, Kai Wiesinger, um nur einige zu nennen. Wie bekommen Sie ein so grandioses Ensemble zusammen?
Wedel: Also es war das Glück, dass alle, die ich gefragt habe, sofort zugesagt haben. Manche haben mir am Anfang gesagt, wir haben ja nur zehn Sätze in zwei Teilen. Ich habe ihnen dann gesagt, es ist ja nicht nur wichtig, was ein Mensch sagt, was er äußert, sondern was er auch manchmal verschweigt, wo er dann nichts sagt, wie er reagiert auf eine Situation. Und ihr alle seid Hauptrollen.
Wenn diese Jünger um Dieter Glanz nicht funktionieren, dann funktioniert der Film nicht. Und später hat mir einer von denen, die da große Sorgen hatten, dass die Rolle so klein ist und es eigentlich mir zu Gefallen nur gemacht hat, hat mir zurückgeschrieben: Jawohl, Herr Wedel, Sie hatten recht, Sie haben Ihr Versprechen gehalten, wir alle sind Hauptrollen.
König: Die "FAZ" schrieb, also Stefan Niggemeier, das Ensemble sei grotesk prominent besetzt. Ärgert Sie so was?
Wedel: Das habe ich nicht gelesen, aber ich weiß nicht, was grotesk prominent ist.
König: Also er meint damit, dass neben Ulrich Tukur einfach sehr große Schauspieler in relativ kleinen Rollen agieren.
Wedel: Ich meine, es gibt keine kleinen Rollen, es gibt nur kleine Schauspieler.
König: In Interviews, die Sie gegeben haben, in Zeitungsinterviews, da taucht immer mal wieder das Wort Kinofilm auf. Sie sagen dann immer nicht wirklich was dazu, aber lassen schon durchblicken, dass das schon auch noch was für Sie wäre. Ich meine, Sie haben so große Fernsehabende inszeniert, ist der Kinofilm immer noch, was so über allen Wassern schwebt, als Ziel?
Wedel: Also ich habe nie Kino als eine Beförderung vom Fernsehen verstanden, sondern ich meine, es ist ein anderes Medium. Ich finde, es ist schon ein großer Unterschied, ob ich als Zuschauer vor einer Mattscheibe sitze, die die Vorgänge auch ein bisschen verfremdet.
Also ich habe immer gesagt, der Bert Brecht hätte eigentlich seine Stücke alle im Fernsehen gemacht, da hätte er nicht auf der Bühne den Verfremdungseffekt gebraucht. Es ist sehr schwer, im Fernsehen, wo die Leute, die davorsitzen, abgelenkt sind, weil sie bei sich zu Hause sind, das Bier auf dem Couchtisch, die Schlappen an den Füßen, die Leute zum Lachen und zum Weinen zu bringen.
Aber wenn es gelingt, dann hat es auch eine unglaubliche Breitenwirkung, und nirgendwo so ungeschützt sitzt der Zuschauer wie zu Hause bei sich, aber er guckt auch auf die Figuren runter. Die Haltung im Kino ist eine ganz andere. Man sitzt im Dunkeln, man verliert sich selbst und schaut zu Figuren hoch, die viel größer sind als man selbst.
Ich sage immer, also die Könige im Mittelalter wussten, warum sie den Untertanen knien ließen. Es ist eine andere Perspektive. Es ist wie eine Perspektive der Träume, der Vergrößerung der Helden, weniger eine Beobachtung der Wirklichkeit.
Das heißt aber nicht, dass ich nicht sehr gerne einen Spielfilm gemacht hätte im Leben oder machen würde. Einige meiner Fernsehproduktionen sind ja im Ausland als Spielfilm gelaufen. Diese Zwittergeschichten fand ich dann nicht so gut, wenn, dann richtig einen Spielfilm planen, weil man auch die Unterschiede in der Rezeption schon genau erkennen muss, meine ich.
König: Letzte Frage, Herr Wedel: Der Dieter Glanz, der spricht einmal auch von Gott, wenn es ihn denn gäbe, er stellt das so in den Raum rein. In der Autobiografie von Ihnen, die morgen erscheint, "Vom schönen Schein und wirklichen Leben", da äußern Sie sich auch mal über Gott. Und ich habe mich darüber gewundert und dachte mir, hm, wird der Dieter Wedel jetzt religiös oder was bedeutet das für ihn. Wenn ich das fragen darf: Ist das so eine Instanz, die Ihnen jetzt öfter in den Sinn kommt, über die Sie nachdenken?
Wedel: Sie meinen, weil die Jahre fortschreiten …
König: Ja, zum Beispiel.
Wedel: … und das Ende absehbar wird?
König: Na, das will ich nicht sagen, aber ich meine, man wird ja klüger und reifer und fängt dann mal auch an, über Dinge nachzudenken, die man vielleicht auf früheren Lebensphasen eher beiseite geschoben hat.
Wedel: Das hat mich schon immer beschäftigt. Ich habe mit 20 mich genauso damit beschäftigt. Wenn Sie den "Großen Bellheim" oder den "Schattenmann" sehen, kommen diese Fragen auch immer wieder. Im "Schattenmann" gab es eine große Szene mit Martin Benrath und dem Stefan Kurt, der den Schattenmann spielte, wo es darum geht, ob es so etwas gibt wie eine ordnende Kraft über uns.
Ich glaube nicht, dass es den gütigen Opa mit Wallebart gibt, aber dass da etwas sein könnte. Ich habe ja auch Peter Ustinov zitiert, der gesagt hat: Ich glaube nicht an Gott, aber ich bin auf Überraschungen gefasst. Also dass da etwas sein könnte, will ich nicht ausschließen. Und ich habe …
Damals bin ich auf eine geballte Skepsis gestoßen von Produktionen und Redakteuren, die gesagt haben: Also wenn die jetzt fünf Minuten über eine ordnende Kraft sprechen und auf RTL läuft dann irgendwie ein knallbuntes Ding mit nackten Mädchen, wie wollen wir dagegen ankommen? Es hat sich dann herausgestellt, dass auch wir das Publikum unterschätzt haben.
Auf diese Szene im "Schattenmann" habe ich, glaube ich, über 3000 Zuschriften bekommen, wir hatten die hektografiert, weil die Leute dann auch den genauen Wortlaut noch mal haben wollten und diese Szene besonders gut angekommen ist. Also natürlich denken viele Menschen darüber nach, war es das jetzt, bewegen wir uns irgendwo nur in schwarzer Eiseskälte und Sinnlosigkeit, oder gibt es dahinter etwas, einen großen Plan. Niemand weiß das, aber die Fragen muss man stellen, und man sollte, glaube ich, nicht aufhören, sie zu stellen.
König: "Gier", der neue Film von Dieter Wedel, heute und morgen Abend auf ARTE zu sehen. Am 20. und 21. Januar dann im Ersten. Eine Kritik des Films hören Sie noch in dieser Sendung um 11 Uhr 50. Herr Wedel, ich danke Ihnen!
Im Urteil des Landgerichts Hamburg wurde 2003 festgestellt, Harksen habe 150 Millionen D-Mark betrügerisch erlangt, 50 Millionen davon an die Geldgeber zurückgezahlt und den Rest für seinen äußerst luxuriösen Lebensstil verbraucht. Dass das ein Filmstoff für Dieter Wedel abgibt, das lässt sich denken. Herr Wedel, ich grüße Sie! Sie haben Jürgen Harksen in der Haft besucht, haben sich von ihm seine ganze Lebensgeschichte erzählen lassen. Was ist er für ein Mensch?
Dieter Wedel: Was ich herausbekommen habe, ist, dass er ein unglaublich geschickter Geschichtenerzähler ist, der immer seine erfundenen Geschichten mit Partikeln der Wirklichkeit anreichert. Also beispielsweise hat er mir erzählt, er hätte einen Ölanwalt in Norwegen aufgesucht, hinter dem an der Wand ein Foto von Diana Ross gehangen habe, um sich Ölschürfrechte zu sichern.
Ich habe dann festgestellt, dass es diesen Anwalt gab und dass der tatsächlich mit Diana Ross mal verheiratet war - das hat der Harksen natürlich auch irgendwo gelesen – und habe für einen Moment gedacht, ja, wieso, wenn er Ölschürfrechte hat, wieso sitzt er dann im Knast. Er hätte mich auch schon reinlegen können, er hat das dann aufgeklärt.
Das sind bewundernswerte Leute im Negativen, Geschichtenerzähler, die ihre Fantastereien auch so ausspinnen, dass sie natürlich auch – und das war bei all denen – ich habe ja nicht nur Harksen gesprochen, sondern auch noch einen anderen Hochstapler auf Mallorca, ich habe auch Vermögensverwalter gesprochen …
König: Anleger, Bankenvertreter, Sie haben viel recherchiert.
Wedel: Sehr viel recherchiert, auch natürlich mit den Betroffenen gesprochen, mit den Opfern. Bei denen, die das erst mal angerichtet haben, habe ich immer festgestellt, dass dahinter eine unglaubliche Einsamkeit gewesen sein muss, und auch das finde ich … Ich weiß nicht, wie man Einsamkeit spielt, aber ich weiß, dass es zu spielen ist, wenn ich Ulrich Tukur zuschaue.
König: In dem Film beschreiben Sie einen Einzelfall, oder? Ich meine, Sie haben, wie Sie es gesagt haben, mit vielen Finanzexperten gesprochen – ist das ein Einzelfall oder steht er auch für ein Prinzip der gesamten heutigen Finanzbranche?
Wedel: Also ich glaube, wenn es nur ein Einzelfall ist, deswegen will ich ja kein Biopic machen, dann würde es einfach zu wenig erzählen. Ich glaube, es muss dann schon auch etwas Beispielhaftes haben, wenn wir einen ganzen Film darüber machen.
Ich habe immer das Muster entdeckt, vom Hochstapler über den Anlageberater, Vermögensverwalter bis hin zum kleinen Bankberater, dass erst mal so eine Atmosphäre des Vertrauens und der Freundschaft geschaffen wird, und dann wird auch noch so vermittelt: Du gehörst einer auserwählten Gruppe an, weil ich verrate Dir nun ein paar Dinge, die ich sonst nicht jedem verrate, und vertrau mir mal, gib mir mal Geld, und irgendwann kriegst du dann dicke Gewinne ausbezahlt. Eigentlich nichts anderes wie irgendwelche Sektengurus, die versprechen, wenn du mir jetzt gibst, dann kriegst du irgendwann das Heil.
König: Im Theater sagt man ja, den König spielen die anderen. Auf die Figur des Dieter Glanz bezogen, erst die anderen machen ihn zu dem, was er ist - was sagt ein so erfolgreicher Hochstapler nach den Erfahrungen, die Sie gemacht haben, über unsere Gesellschaft aus? Dass das Profitstreben inzwischen immer mehr, immer öfter in reine Habgier umschlägt?
Wedel: Ja, das sagt er natürlich, weil ihn das entlastet. Also der Satz, der einmal im Film vorkommt, ich bin das Opfer des unbegrenzten oder unermesslichen Vertrauens, das mir jedermann entgegenbringt, ich bin das Opfer, das ist ein wörtliches Zitat eines meiner Gesprächspartner.
Sie fühlen sich als Opfer, die anderen haben ihnen ja das Geld aufgedrängt. Ich habe bei keinem auch nur den Anflug von Unrechtsbewusstsein entdeckt – weder bei den Banken, auch nicht bei den Vermögensberatern, die ganze Vermögen vernichtet haben, weil sie behauptet haben, sie hätten einen Trick gefunden, wie man Schwankungen an der Börse abfedern könnte. Das ist genauso, als wenn ein Arzt versprechen würde, wir haben das Sterben abgeschafft. Aber hinterher waren es immer die anderen schuld, es waren die Umstände schuld, aber es waren vor allen Dingen die dummen Anleger schuld, die ihnen ja das Geld aufgedrängt haben.
König: Der Held Ihres Films, Dieter Glanz, gespielt von Ulrich Tukur, er kommt ziemlich sympathisch rüber, fand ich. Sollte er das auch?
Wedel: Nun gut, soll der jetzt mit einem Schild rumlaufen, ich bin ein Betrüger und folglich bin ich negativ zu betrachten? Dann würden die anderen ja als Idioten dastehen, dass sie ihm vertrauen. Ganz sicher ist der Dieter Glanz von Ulrich Tukur charismatischer, spannender, auch interessanter als all diese großmäuligen Vermögensberater und Hochstapler, denen ich begegnet bin.
Aber eins haben sie alle gemeinsam: Sie vermitteln genügend Sympathiewerte, dass die Menschen erst mal ihre Freunde sein wollen, dass sie sich auserwählt fühlen, wenn sie zu ihnen eingeladen werden. Und sie sind große Geschichtenerzähler. Geschichtenerzähler bin ich auch, deswegen heißt er auch Dieter mit Vornamen.
König: Ein bisschen Hochstapler steckt in uns allen sozusagen?
Wedel: Und ein bisschen Hochstapler steckt in uns allen. Wir haben in Südafrika mit dem größten Team gedreht, das ich je in meiner Laufbahn als Regisseur hatte.
Da standen etwa 150 Mann am Set, nur Team, dann standen 100 Komparsen da, eine Band, dann standen ja 20, 25 Schauspieler manchmal an einem Tag und die besten in Deutschland. Da müssen Sie eine Sicherheit vorgaukeln, die Sie gar nicht haben.
König: Nennen wir noch einige Namen aus diesem wirklich grandiosen Ensemble: neben Ulrich Tukur Devid Striesow, Sibel Kekilli, Katharina Wackernagel, Hans Krassnitzer, Gerd Wameling, Uwe Ochsenknecht, Heinz Hoenig, Kai Wiesinger, um nur einige zu nennen. Wie bekommen Sie ein so grandioses Ensemble zusammen?
Wedel: Also es war das Glück, dass alle, die ich gefragt habe, sofort zugesagt haben. Manche haben mir am Anfang gesagt, wir haben ja nur zehn Sätze in zwei Teilen. Ich habe ihnen dann gesagt, es ist ja nicht nur wichtig, was ein Mensch sagt, was er äußert, sondern was er auch manchmal verschweigt, wo er dann nichts sagt, wie er reagiert auf eine Situation. Und ihr alle seid Hauptrollen.
Wenn diese Jünger um Dieter Glanz nicht funktionieren, dann funktioniert der Film nicht. Und später hat mir einer von denen, die da große Sorgen hatten, dass die Rolle so klein ist und es eigentlich mir zu Gefallen nur gemacht hat, hat mir zurückgeschrieben: Jawohl, Herr Wedel, Sie hatten recht, Sie haben Ihr Versprechen gehalten, wir alle sind Hauptrollen.
König: Die "FAZ" schrieb, also Stefan Niggemeier, das Ensemble sei grotesk prominent besetzt. Ärgert Sie so was?
Wedel: Das habe ich nicht gelesen, aber ich weiß nicht, was grotesk prominent ist.
König: Also er meint damit, dass neben Ulrich Tukur einfach sehr große Schauspieler in relativ kleinen Rollen agieren.
Wedel: Ich meine, es gibt keine kleinen Rollen, es gibt nur kleine Schauspieler.
König: In Interviews, die Sie gegeben haben, in Zeitungsinterviews, da taucht immer mal wieder das Wort Kinofilm auf. Sie sagen dann immer nicht wirklich was dazu, aber lassen schon durchblicken, dass das schon auch noch was für Sie wäre. Ich meine, Sie haben so große Fernsehabende inszeniert, ist der Kinofilm immer noch, was so über allen Wassern schwebt, als Ziel?
Wedel: Also ich habe nie Kino als eine Beförderung vom Fernsehen verstanden, sondern ich meine, es ist ein anderes Medium. Ich finde, es ist schon ein großer Unterschied, ob ich als Zuschauer vor einer Mattscheibe sitze, die die Vorgänge auch ein bisschen verfremdet.
Also ich habe immer gesagt, der Bert Brecht hätte eigentlich seine Stücke alle im Fernsehen gemacht, da hätte er nicht auf der Bühne den Verfremdungseffekt gebraucht. Es ist sehr schwer, im Fernsehen, wo die Leute, die davorsitzen, abgelenkt sind, weil sie bei sich zu Hause sind, das Bier auf dem Couchtisch, die Schlappen an den Füßen, die Leute zum Lachen und zum Weinen zu bringen.
Aber wenn es gelingt, dann hat es auch eine unglaubliche Breitenwirkung, und nirgendwo so ungeschützt sitzt der Zuschauer wie zu Hause bei sich, aber er guckt auch auf die Figuren runter. Die Haltung im Kino ist eine ganz andere. Man sitzt im Dunkeln, man verliert sich selbst und schaut zu Figuren hoch, die viel größer sind als man selbst.
Ich sage immer, also die Könige im Mittelalter wussten, warum sie den Untertanen knien ließen. Es ist eine andere Perspektive. Es ist wie eine Perspektive der Träume, der Vergrößerung der Helden, weniger eine Beobachtung der Wirklichkeit.
Das heißt aber nicht, dass ich nicht sehr gerne einen Spielfilm gemacht hätte im Leben oder machen würde. Einige meiner Fernsehproduktionen sind ja im Ausland als Spielfilm gelaufen. Diese Zwittergeschichten fand ich dann nicht so gut, wenn, dann richtig einen Spielfilm planen, weil man auch die Unterschiede in der Rezeption schon genau erkennen muss, meine ich.
König: Letzte Frage, Herr Wedel: Der Dieter Glanz, der spricht einmal auch von Gott, wenn es ihn denn gäbe, er stellt das so in den Raum rein. In der Autobiografie von Ihnen, die morgen erscheint, "Vom schönen Schein und wirklichen Leben", da äußern Sie sich auch mal über Gott. Und ich habe mich darüber gewundert und dachte mir, hm, wird der Dieter Wedel jetzt religiös oder was bedeutet das für ihn. Wenn ich das fragen darf: Ist das so eine Instanz, die Ihnen jetzt öfter in den Sinn kommt, über die Sie nachdenken?
Wedel: Sie meinen, weil die Jahre fortschreiten …
König: Ja, zum Beispiel.
Wedel: … und das Ende absehbar wird?
König: Na, das will ich nicht sagen, aber ich meine, man wird ja klüger und reifer und fängt dann mal auch an, über Dinge nachzudenken, die man vielleicht auf früheren Lebensphasen eher beiseite geschoben hat.
Wedel: Das hat mich schon immer beschäftigt. Ich habe mit 20 mich genauso damit beschäftigt. Wenn Sie den "Großen Bellheim" oder den "Schattenmann" sehen, kommen diese Fragen auch immer wieder. Im "Schattenmann" gab es eine große Szene mit Martin Benrath und dem Stefan Kurt, der den Schattenmann spielte, wo es darum geht, ob es so etwas gibt wie eine ordnende Kraft über uns.
Ich glaube nicht, dass es den gütigen Opa mit Wallebart gibt, aber dass da etwas sein könnte. Ich habe ja auch Peter Ustinov zitiert, der gesagt hat: Ich glaube nicht an Gott, aber ich bin auf Überraschungen gefasst. Also dass da etwas sein könnte, will ich nicht ausschließen. Und ich habe …
Damals bin ich auf eine geballte Skepsis gestoßen von Produktionen und Redakteuren, die gesagt haben: Also wenn die jetzt fünf Minuten über eine ordnende Kraft sprechen und auf RTL läuft dann irgendwie ein knallbuntes Ding mit nackten Mädchen, wie wollen wir dagegen ankommen? Es hat sich dann herausgestellt, dass auch wir das Publikum unterschätzt haben.
Auf diese Szene im "Schattenmann" habe ich, glaube ich, über 3000 Zuschriften bekommen, wir hatten die hektografiert, weil die Leute dann auch den genauen Wortlaut noch mal haben wollten und diese Szene besonders gut angekommen ist. Also natürlich denken viele Menschen darüber nach, war es das jetzt, bewegen wir uns irgendwo nur in schwarzer Eiseskälte und Sinnlosigkeit, oder gibt es dahinter etwas, einen großen Plan. Niemand weiß das, aber die Fragen muss man stellen, und man sollte, glaube ich, nicht aufhören, sie zu stellen.
König: "Gier", der neue Film von Dieter Wedel, heute und morgen Abend auf ARTE zu sehen. Am 20. und 21. Januar dann im Ersten. Eine Kritik des Films hören Sie noch in dieser Sendung um 11 Uhr 50. Herr Wedel, ich danke Ihnen!