"Ein höchst gefährliches Spiel"

Michael Lüders im Gespräch mit Christopher Ricke |
Michael Lüders warnt vor der Situation in Ägypten und neuen Massenaufmärschen. Die Armee versuche, nach ihrem Putsch von der Bevölkerung Legitimation zu erhalten, sagt Lüders. Dies sei allerdings gefährlich, denn "die Stimmung im Land ist ohnehin schon sehr aufgeheizt".
Christopher Ricke Es sind schlechte Zeiten im Nahen und Mittleren Osten, auch wenn in den kommenden Tagen nach drei Jahren wieder direkte Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern beginnen. Wo man hinschaut, brennt es. In Syrien sind schon mehr als 100.000 Menschen gestorben, in Tunesien werden Oppositionelle getötet, in Ägypten gibt es fast jeden Freitag Krawall, da herrscht inzwischen das Militär, heute soll es wieder große Demonstrationen geben nach dem Freitagsgebet. Die USA sanktionieren das, liefern keine weiteren Kampfflugzeuge.

Ich spreche jetzt mit Michael Lüders, er publiziert regelmäßig über die Region, ist Nahostberater und -experte, guten Morgen, Herr Lüders!

Michael Lüders: Schönen guten Morgen, hallo!

Ricke: Ägypten steht ja heute wieder vor neuen Massenaufmärschen, diesmal aber nicht nur die Islamisten, sondern auch das Militär will das Volk auf der Straße sehen. Was versuchen die denn da zu erreichen?

Lüders befürchtet Vertiefung der innenpolitischen Spaltung
Lüders: Die Armee versucht, nach ihrem Putsch Legitimation von der Bevölkerung zu erhalten für ihr Vorgehen. Das ist allerdings ein höchst gefährliches Spiel, das die Generäle dort spielen, denn die Lage, die Stimmung im Land ist ohnehin schon sehr aufgeheizt. Und wenn man nun gewissermaßen die Bevölkerung geradezu auffordert, auf die Straße zu gehen und dem Militär ein Mandat zu geben, gegen, wie es heißt, Terroristen und Gewalttäter vorzugehen, dann ist das geradezu eine Einladung - so wird sie jedenfalls vielfach verstanden -, gegen die Muslimbrüder Front zu machen.

Und das bedeutet, dass sich die innenpolitische Spaltung in Ägypten zwischen den Muslimbrüdern, zwischen den religiösen Kräften einerseits und den nicht religiösen Kräften andererseits vertiefen wird. Das ist eine sehr gefährliche Situation, und es fehlt auf beiden Seiten, der Muslimbrüder wie auch der nicht Religiösen, an Führungspersönlichkeiten, die in der Lage, willens oder bereit wären, die bestehenden Gräben zu überwinden.

Ricke: Das Militär sucht nach Legitimation, will beweisen, dass es doch kein Putsch war, obwohl man es gemeinhin einen Putsch nennt, wenn das Militär die Macht übernimmt. Deswegen haben die Amerikaner jetzt auch gesagt, es gibt keine neuen F16-Kampfflugzeuge mehr für die Ägypter, solange es dort nicht eine Lösung gibt. Wie werten Sie diese amerikanische Entscheidung?

Lüders: Das ist ein symbolischer Schritt, aber gleichwohl ein wichtiger, er ist ein klares Signal an die ägyptische Führung, an das Militär, dass man seitens der USA, seitens der westlichen Staatengemeinschaft nicht grünes Licht gibt für die Generäle, nach Belieben zu verfahren, wie es ihnen vorschwebt.

Das ist schon ein starkes Signal, und das wird auch ankommen beim ägyptischen Militär, denn dieses erhält jährlich etwa zwei Milliarden Zahlungen aus den USA, die auch dringend erforderlich sind, sowohl für das ägyptische Militär wie auch für den Staatshaushalt. Ein klares Signal also, aber dennoch muss man sagen, dass die USA, dass die westlichen Staaten, auch wir in Deutschland, insgesamt eher ratlos sind angesichts der großen Veränderungen, die sich jetzt abzeichnen im Nahen und Mittleren Osten.

Sie haben es ja in der Anmoderation zu Recht benannt, es ist eine ganze Region im Umbruch, es sind wirklich historische Zäsuren, die in schneller Abfolge sich hier ereignen, von der Arabischen Revolution über den Konflikt mit dem Iran, der nahöstliche Friedensprozess. Die Region durchlebt schwere Zeiten, es ist eigentlich eine Neuordnung dabei zu entstehen, die vergleichbar ist in ihrer historischen Dimension mit dem Verfall des Osmanischen Reiches vor 100 Jahren.

Es ist alles am Werden, und es ist auch denkbar, dass Staaten, so wie wir sie heute kennen, etwa im Irak, in Syrien, in einigen Jahren gar nicht mehr in dieser Form bestehen werden, sondern sich neu zusammenfügen, neue Grenzen gezogen werden. Alles ist gegenwärtig machbar und diese Unsicherheit, die prägt natürlich westliche Politik, aber auch die Menschen vor Ort.

Amerikanern und westlichen Staaten fehlen die Antworten auf die Herausforderungen
Ricke: Diese Unsicherheit wird auch ganz klar noch mal deutlich, wenn man John Kerry, dem US-amerikanischen Außenminister, zuhört. Der sagt, es gebe keine militärische Lösung zum Beispiel in Syrien, es gebe nur die politische!

O-Ton John Kerry: There is no military solution to Syria. There is only a political solution.

Ricke: Aber eben für diese politische Lösung braucht es ja eine Strategie. Erkennen Sie diese strategische Linie bei den Amerikanern?

Lüders: Nein, weder die Amerikaner noch die westlichen Staaten – das gilt auch für die Türkei und die Golfstaaten – haben wirklich Antworten auf die großen Herausforderungen in der Region. Sie reagieren in der Regel mit Methoden, die eher aus einer gewissen Hilflosigkeit und Unsicherheit geboren werden.

Dazu gehören etwa Sanktionen, Militärschläge und Drohnenangriffe. Aber es fehlt wirklich an einem politischen Konzept, um dieser Herausforderungen, die aus der Region erwachsen, Herr zu werden. Natürlich ist es richtig, es gibt keine militärische Lösung für Syrien, nur eine politische, aber die Zeit ist abgelaufen für politische Lösungen. Baschar al-Assad steht im Begriff, seine Macht in weiten Teilen in Syrien wiederherzustellen, und das Konzept, die Hoffnung der westlichen Staaten, dass man durch einen Sturz von Baschar al-Assad die Achse Teheran-Hisbollah-Damaskus schwächen könnte, zerstören könnte, die hat sich als Illusion erwiesen.

"Man hat ihn zu früh abgeschrieben"
Man hat sehr früh mit Baschar al-Assad gebrochen, aus gutem Grund, er ist natürlich ein furchtbarer Kriegsverbrecher, aber nichtsdestotrotz, es sieht nicht so aus, als würde er in den nächsten zwei, drei Jahren die Macht abgeben. Und nun steht die westliche Politik ein bisschen vor dem Scherbenhaufen ihrer eigenen Politik. Man hat ihn zu früh abgeschrieben und man hat zu früh auf das falsche Pferd gesetzt, nämlich eine heillos zerstrittene syrische Opposition, die sich in nichts einig ist, außer in ihrer Ablehnung von Baschar al-Assad.

Ricke: Gibt es denn dann wenigstens Hoffnung bei Israelis und Palästinensern? Die reden ja jetzt nach drei Jahren wieder miteinander!

Lüders: Sie reden nach drei Jahren miteinander wieder, das ist gut, jede Kommunikation zwischen beiden Seiten ist zu unterstützen, aber es ist doch zu befürchten, dass dies lediglich eine weitere Folge sein wird im sogenannten Friedensprozess, der zu nichts führen wird.

Wenn man sich alleine vor Augen führt, dass der Verhandlungsleiter der amerikanischen Delegation bei diesen Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern kein Geringerer sein wird als Martin Indyk, ein ehemaliger US-Botschafter in Israel und einer der führendsten Repräsentanten der größten proisraelischen Lobbygruppe in den USA, von AIPAC nämlich, dann muss man davon ausgehen, dass die Amerikaner nicht den ehrlichen Makler spielen wollen, sondern dass sie sehr klar sich positionieren auf der Linie der israelischen Regierung. Und das wird aus palästinensischer Sicht nicht akzeptabel sein. Es wird also viel geredet werden, aber derweil werden weiterhin israelische Siedlungen entstehen.

Enttäuschung über Barack Obama
Ricke: Mein Gott, vor vier Jahren hat ja Barack Obama seine berühmte Kairoer Rede gehalten, wollte zeigen, dass die USA eben nicht nur an der Seite Israels stehen, sondern an der Seite aller, die guten Willens sind. Ist davon gar nichts übrig geblieben?

Lüders: In der arabischen Welt so gut wie nicht. Wir haben ja auch in Deutschland das Problem, dass große Enttäuschung herrscht über den ursprünglich als Hoffnungsträger gehandelten Barack Obama, und diese Enttäuschung ist noch sehr viel größer in der arabischen Welt. Es gibt große Verbitterung, teilweise sogar Sehnsucht in arabischen Kommentaren der Zeitungen nach George W. Bush, weil er zwar eine verhasste Figur war, aber bei ihm wusste man, woran er war.

Obama wirft man vor, dass er ein Mann sei der weisen Worte, der leisen Töne, aber eben doch der knallharten Interessenspolitik. Die Politik der USA wird im Nahen Osten auf arabischer Seite, in der islamischen Welt nicht mehr ernst genommen und die Amerikaner müssen aufpassen, dass sie ihren Einfluss nicht verlieren, weil die Kluft zwischen dem, was sie versprechen, und dem, was sie vor Ort tatsächlich leisten, zu groß wird.

Ricke: Michael Lüders, der Nahostexperte und -berater, vielen Dank!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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