Ein Hund als Kunstwerk

"Das ist ein schmaler Grat"

Die Windhündin "Human" 2012 auf der documenta: Noch ein wenig mager, aber schon zum Kunstwerk erkoren
Die Windhündin "Human" 2012 auf der documenta: Noch ein wenig mager, aber schon zum Kunstwerk erkoren © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Von Ludger Fittkau |
"Human" hieß der Hund, der auf der documenta vor fünf Jahren zum Kunstwerk wurde. Die Windhündin mit rosagefärbtem Bein tourte auch nach der Ausstellung noch als lebendes Kunstobjekt durch die Republik. Und heute? Ludger Fittkau ist mit "Human" Gassi gegangen.
"Guten Tag, Marlon Middeke ist mein Name. Und ich bin mit meinen beiden Hunde Human und Senior hier."
Reporter: "Human hat jetzt kein rosa Bein mehr, das war dann nach der documenta vorbei. Ne, in Köln war es noch mal …"
"Genau, wir sind dann nachher noch als Charaktere in der Retrospektive von Pierre Huyghe unterwegs gewesen. Insofern hat sie das Bein noch eine Weile weiter so getragen. Aber für mich ist das nicht wirklich von Wert, das regelmäßig aufzutragen. Ich bin auch ganz froh darüber, dass der Widererkennungswert etwas gesunken ist dadurch."

Wie war das damals mit der rosa Pfote?

Doch beim Spaziergang in der Kasseler Karlsaue zeigt sich schnell, dass die kurzhaarige Windhündin "Human" auch nach fünf Jahren und ohne rosa Pfote schnell wiedererkannt wird. Von der Berlinerin Paula Tippkötter zum Beispiel. Sie fragt, wie das damals war mit der rosa Pfote des Hundes:
"Wie ist das damals passiert, wie habt ihr den hingekriegt?"
"Hingekriegt?"
"Mit was für einen Material?"
"Das sind ja auch künstlerische Geheimnisse, ne ..."
Reporter: "Verraten sie jetzt mal!"
"Auf jeden Fall – der Hund liegt entspannt auf der Decke und dann muss man natürlich den Hund ein bisschen abdecken, dass die Farbe da nicht überall hin tropft."
"Es war auch sehr klar abgeteilt. Es waren nur die Hinterläufe?"
"Mit einem Pinsel haben wir das gemacht. Eigentlich die Form der Muskeln nachgezeichnet. Bis zu diesem Punkt."
Marlon Midekke beugt sich zu "Human" hinunter und zieht am Bein der ruhig stehenden Hündin die Linie nach, bis zu der das Rosa aufgepinselt war.
"Ich erinnere mich sehr gut, ja!"
Reporter: "Wie haben sie das damals gefunden?"
"Ich fand das schön! Also er – oder sie – sie ist sehr schön …"
Paula Tippkötter deutet wieder auf "Human".

Behandelt man den Hund vernünftig?

"… und es ist irgendwie schön betont. Na ja, klar habe ich mich auch gefragt, was das für eine Farbe ist. Aber ich habe mir auch gedacht, das ist ja bestimmt kein Lack gewesen."
Reporter: "Also man fragt sich schon, behandelt man den Hund auch vernünftig?"
"Ja, genau, aber scheint ja so."
Es fängt an zu regnen. Wir suchen Schutz unter dicht-belaubten Bäumen. Und reden weiter über Tiere und Kunst:
Reporter: "Aber natürlich entscheidet man ja für die Tiere mit. Die können nicht selber entscheiden. Mit wem hat man das diskutiert?"
Marlon Middeke mit seinen beiden Hunden - der eine davon ist echte Kunst
Marlon Middeke heute mit seinen beiden Hunden - der eine davon ist noch immer Kunst, auch ohne eingefärbten Vorderlauf© Deutschlandradio / Ludger Fittkau
"Ich hatte zu der Zeit einen Mitbewohner, der mich auch ab und zu bei dem Projekt unterstützt hat. Wir haben da wirklich Abende lang zusammengesessen und haben uns da auch die ethischen Fragen gestellt, letztlich. Und diskutiert, was wir dort eigentlich machen und ob das vertretbar ist. Und da wir beide noch nicht aus der Kunst kamen, mussten wir uns erst einmal verständlich machen, was dort passiert und es prägt. Ich verfolge ja jetzt auch wieder das Geschehen und kriege ja jetzt auch wieder mit, was bei der Documenta passiert. Dort sind Schafe angemalt worden, blau. Ich finde es schwierig, eine klare Aussage darüber zu treffen, ob das vertretbar ist, ob der Zweck die Mittel heiligt, oder nicht. Das ist ein schmaler Grat, auf dem man sich da bewegt."
"Wird das dieses Jahr auch nochmal ein Projekt?"
"Das Einzige, was ich machen werde ist, ganz normale Spaziergänge machen. Also, ich werde wohl immer mal irgendwo zu sehen sein, da kann man sich gerne anschließen. Aber nichts in großem Rahmen."

Human und Senior tollen über den Rasen

Wieder allein, lässt Marlon Midekke die beiden Hunde von der Leine. Human und Senior tollen über den weitläufigen Rasen an der Orangerie, dem ehemaligen Kasseler Stadtschloss. Die Hunde sind neugierig, schnüffeln auch am Reportermikro. Doch wenn ihr Herrchen stehen bleibt, kommen sie sofort zurück und bleiben ganz in der Nähe, ohne dass sie angesprochen werden.
Reporter: "Die sind so ruhig …"
"Ja, die bleiben halt da. Wir sind ja einen Bund eingegangen. Wenn die Tiere spüren, dass ich jetzt hier noch bleibe, dann bleiben sie nun auch."
Reporter: "Ist das eigentlich hier das Gelände gewesen, wo die Hunde dann zum sozialen Kunstwerk wurden?"
"Das eigentliche Gelände ist am Ende des Parks. Relativ abgelegen und das ist der ehemalige Kompost der Karlsaue."
"Human" steht mit aufgerichteten Ohren still und blickt in die Richtung des Geländes, auf dem sie vor fünf Jahren die letzte Documenta verbracht hat. Wie Senior wurde die Windhündin in den Jahren nach der documenta 13 ein ganz normaler Familienhund, die Kosten für die Hundehaltung wurden privat bezahlt. Für Familie Midekke waren die Tiere eben nie nur "lebendiges Kunstwerk", sondern ganz normale Haushunde.
Reporter: "Kann man davon ausgehen, dass die Hunde das hier wiedererkennen. Sie ist sehr aufmerksam ..."
"Ja, ich bin gestern auf dem Gelände gewesen und die beiden haben es auf jeden Fall wiedererkannt. Also das erkennen sie irgendwie noch als ihr Territorium an und schnüffeln darauf mit Neugier an den Ecken, die sie wohl scheinbar, trotz der Umwälzungen, wiedererkennen."
Umgewälzt - das hat die documenta 13 auch das Leben von Marlon Midekke. Er gab danach sein Umwelt-Ingenieurs-Studium auf, um an die Kunstakademie zu gehen:

Danach war nichts mehr so wie früher

"Von meinem persönlichen Standpunkt aus war es so, dass ich gemerkt habe – nichts ist wieder wie früher. Ich habe persönlich auch sehr viel Wert darauf gelegt, zu sehen: Was macht diese Erfahrung mit mir? Und lange darüber reflektiert und dann den Weg eingeschlagen, ich möchte mich jetzt mehr mit Kunst auseinandersetzen und eventuell selber Kunst machen."
Reporter: "Könnten sie sich vorstellen, ähnlich wie Pierre Huyghe solche Performances zu machen, solche sozialen Skulpturen. Das ist ja ein Trend in der bildenden Kunst, auch bei der documenta wird es eine Menge Performances geben, bei der documenta 14. Könnten sie sich vorstellen, auch diese Richtung zu gehen?"
"Ja, ich bin durchaus dabei, Dinge in die Richtung zu konzeptionieren. Es ist natürlich schwierig und dauert lange. Muss man einfach sagen. Also die Ideen hören nie auf, aber da an Tiefe zu gewinnen, das ist die Schwierigkeit. Wir haben jetzt auch schon im Studium einige Sachen gemacht, aber es genügt halt noch nicht."
Reporter: "Würden sie das nochmal machen? Eine solche Erfahrung mit den Hunden, für sich selbst - würden sie es nochmal machen?"

Schwerer Schritt zurück in den Alltag

"Ich bin jetzt an einem Punkt, ich bereue meine Entscheidung nicht. Bin jedoch kritisch solchen Dingen gegenüber, weil man doch am Ende wieder sich selbst überlassen ist und wenn man sehr viel Engagement zeigt und am Ende auf eigenen Füßen stehen muss, ist das ein hartes Brot. Das habe ich bei den Hunden weniger festgestellt, als bei mir selber, weil es eben dann doch ein starker Kontrast war. Also in das normale Leben, in den normalen, geregelten Alltag zurückzufinden, nachdem man sich und die Hunde so objektiviert hat, ist ein schwerer Schritt gewesen. Auch wieder eine Herausforderung, da anzukommen, dass man wieder eine neue Sinngebung findet."
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