Ein Indie-Biotop im Süden Londons

Außer Sichtweite der Musikindustrie

Tim Perry vor der Windmill im Süden Londons
Tim Perry vor der Windmill im Süden Londons © Robert Rotifer
Von Robert Rotifer |
Jeder Clash-Fan kennt die Guns of Brixton – die wilde Gegend im Süden von London. Die Gentrifizierung hat die Gegend fest im Griff. Doch im abgelegenen Brixton gibt es immer noch ein bisschen Wildwuchs sowie ein kleines Biotop an Indie-Bands. Und mittendrin: der Ermöglicher Tim Perry.
"Standing on the corner with my hands in the air
Got a gun pointing to my face
I don't give a fuck cause I'm high as a kite
And I'm itching for another taste"
"Ich stehe an der Ecke, die Hände in der Luft, eine Knarre zeigt auf mein Gesicht, das ist mir egal, denn ich bin high wie ein Drachen, und mich juckt's nach noch einer Kostprobe." - So geht es wohl zu auf den Straßen von Brixton im Süden Londons, nicht bloß in diesem Song einer von dort kommenden Band mit dem unwiderstehlichen Namen Warmduscher.
"Clams Baker, Saul und Jack von der Fat White Family sind besessen von deutschem Humor. Sie hatten ein paar deutsche Beleidigungen zur Auswahl, und diese blieb dann hängen."

Vom Warmduscher und dem Du Insecure Men

So erklärt Ben Romans-Hopcraft die Herkunft dieses erstaunlichen Bandnamens. Er ist nicht nur Mitglied von Warmduscher und dem Duo Insecure Men, sondern auch Frontman der Band Childhood, insgesamt also eine der zentralen Figuren der Südlondoner Szene, die er übrigens lieber als "Community" bezeichnet: Viele verschiedene Stile, vereint durch eine gemeinsame Attitüde:
"Viele der jungen Bands in Brixton haben eine politische Ästhetik auch wenn sie nicht direkt über Politik schreiben. Sie teilen ein gewisses soziales Bewusstsein und eine oppositionelle Haltung. Vor allem die Band Shame spricht sich in ihre Musik sehr offen politisch aus. Das ist mehr, als man von vielen britischen Bands behaupten kann, die mit solchen Idealen bloß flirten."

Shame - die Aushängeschilder der Südlondoner Szene

"our sweet disorder
sit in the corner of your room
and download the nearest track to your mobile device
so sincerely devoted to you by the New Musical Express"
Shame - die derzeit populärsten Aushängeschilder der Südlondoner Szene, Verzeihung, Community, und gelegentlich auch Eintrittskassiere in deren erwähltem Stammlokal.
"Es gibt definitiv eine Community von Bands, besonders in der Windmill, wo sie sich alle treffen, das ist die Bar in meiner Gegend. Der Veranstalter dort, Tim Perry, macht einen tollen Job, der hat diese ganzen Bands dort auftreten lassen. Ihr werdet eine Kostprobe der Musik-Community in Brixton kriegen, wenn ihr da hingeht."
Genau das tun wir also. Wir gehen den Brixton Hill stadtauswärts, biegen ab in eine Seitenstraße, die ihrem beschaulichen Namen Blenheim Gardens kaum gerecht wird und stehen vor einem einstöckigen, wackligen Gebäude aus den Siebzigerjahren, auf dessen Flachdach, als Schutz vor Einbrechern, ein Hund patrouilliert.
Davor erwartet uns ein Mann in seinen Vierzigern mit Bartstoppeln und Mitternachtsteint: Tim Perry persönlich, der große Ermöglicher des Südlondoner Band-Booms. Aufgewachsen ist er in Nordirland, war Musikjournalist und Reisebuchautor, schließlich ist er hier gestrandet:
"Als ich das erste Mal hier her kam, war es sechs Uhr morgens. Das Lokal erinnerte mich sofort an all die Dive Bars, die ich in Amerika gesehen hatte. Es hat diese niedrige Decke und eine Handvoll alter Typen an der Bar, die dafür sorgen, dass es nie wie ein übercooler Indie-Schuppen wirken kann. Die trinken da seit 30 Jahren jeden Abend, und das trägt irgendwie zum Charakter des Lokals bei."

Die Agenten der Industrie finden ihren Weg kaum hierher

In der Nüchternheit des Tages ist die von natürlichem Licht größtenteils verschonte Windmill ein Rock-Lokal wie viele andere mit speckigen Bänken und vergilbten Postern, nur noch ein wenig schäbiger und stinkender. Tim Perry ist hier praktisch zuhause, er hat sie alle hier gebucht, Shame, HMLTD, Meatraffle, Sorry, Black Midi und Goat Girl.
Die Agenten der Musikindustrie und die Schickis aus Shoreditch finden ihren Weg immer noch kaum hierher, sagt Tim Perry. Und das sei auch in Ordnung so.
"Ich finde es gut, dass wir zehn Minuten von der U-Bahn weg und nicht an der Hauptstraße sind, weil es die Idioten herausfiltert. Wer hier herkommt, bleibt die ganze Nacht und unterhält sich statt nur herumzustehen und sich zu fragen, ob alle seine neuen Schuhe gesehen haben."
Neue Schuhe sollte man in die Windmill sowieso nicht anziehen, die Sohlen könnten am Boden kleben bleiben. Im Rest von London schließen kleine Konzertlokale wegen steigender Mieten und Lärmbeschwerden, oder sie werden von Großveranstaltern und mächtigen Sponsoren aufgekauft. Die beharrlich unabhängige, nach künstlerischen statt kommerziellen Grundsätzen betriebene Windmill stellt dagegen tatsächlich sowas wie die bescheidene aber integre Zukunft des Londoner Indie-Pop dar. Bei drei Pfund Eintritt und außer Sichtweite der Industrie. Und als Ersatz dafür, aber ja doch: Ein Gefühl der Community.
Mehr zum Thema