Wie eine Lokalzeitung kaputt gemacht wird
Unser Autor war Volontär in einer kleinen Regionalzeitung und hat die tiefe Krise der Lokalpresse erlebt: Sparzwänge, Ausbeutung, Unlust zur Veränderung. Und nichts ist stärker als ein Verlagsgeschäftsführer, dem nicht viel am Journalismus liegt.
Folgende Aussage klingt in mir bis heute nach:
"Ich sehe ja den Bedarf, aber leider gibt es dafür gerade keine Mittel. Tut mir leid."
2014 beginnt mein zweijähriges Volontariat in dem kleinen schwäbischen Verlag, der rund 300 Mitarbeiter beschäftigt. Ich berichte über Sportvereine, aus dem Gemeinderat, fürs Jugend- und Kulturressort häufig über Konzerte und das Theater.
Die verkaufte Auflage der Lokalzeitung sinkt in der Region wie fast überall gewaltig, derzeit verkauft man rund 23.000 Exemplare. Bei den Klicks auf die Website sieht es nicht besser aus: In der Regel waren nie mehr als 300 Nutzer gleichzeitig auf der Seite – wenig für eine Region, in der über 300.000 Menschen leben.
Das liegt an der altbackenen Internetseite – und dem langweiligen Facebook-Auftritt, auf dem jede noch so belanglose Polizeimeldung gepostet wird. Mir fällt schnell auf, dass die Redakteure nie über solche strukturellen Dinge sprechen. Oder über Formen, wie man Inhalte sonst noch aufbereiten könnte, statt in einem "120-Zeiler mit Bild".
Die Workflows sind festgefahren. Die Staubschicht über der "Wie-wir-es-schon-immer-gemacht-haben-ist-es-doch-gut"-Mentalität, die in so vielen Industriebetrieben herrscht, ist auch hier ziemlich dick, in einer Branche, die schon per Definition mit der Zeit gehen muss.
"Alle jammern und wollen es anders haben"
Für 20 von 30 Redakteuren hier ist das Wort "Community" ein Fremdwort – und sie sind nicht gewillt, das zu ändern. Es sind die "Alten", die mit den guten, unbefristeten Tarifverträgen und Kündigungsschutz. Im Schnitt sind diese zwischen 45 und 50 Jahre alt. Die restlichen zehn haben zu viel Angst, Missstände anzusprechen, weil sie ihren Job verlieren könnten. Eine 30 Jahre alte Kollegin sagte mir neulich: "Alle jammern, wollen es anders haben, aber nicht dafür arbeiten."
Beispiel: Eines Tages bekommt die ganze Redaktion Tablet-Computer spendiert – mit der Aufgabe, sie für die Berichterstattung zu nutzen; um kurze Videos zu machen, oder Livepostings abzusetzen – also den Leserinnen und Lesern etwa direkt vor Ort wichtige Neuigkeiten über Facebook mitzuteilen. Der Chefredakteur ist begeistert. Aber er bekommt seine müßige Redaktion nicht dazu, die Teile auch zu verwenden.
Überhaupt, der Chefredakteur hat mit vielen Problemen zu kämpfen. Neue Stellen sieht der Geschäftsführer nicht vor – Volontäre kann er nach der Ausbildung in der Regel nicht übernehmen. Ich selbst sehe während meiner Zeit zwei gehen: junge, motivierte, energiegeladene Kollegen, für die das Geld nicht reichte.
Zum Stichwort Geld: Im Laufe der zwei Jahre beobachtete ich die Entscheidungen des Geschäftsführers genau. Zuerst werden rund um die Lokalredaktion herum Stellen gekürzt. Ganze Abteilungen, wie etwa das Marketing, werden teilweise an Drittunternehmen ausgelagert, intern entstehen viele kleine Töchter, GmbHs.
Dann verlieren innerhalb der Redaktion Layouter ihren Job, die schon seit 30 Jahren im Betrieb arbeiten. Kurz: Dem Verlag geht es finanziell mies. Die Abos werden immer weniger, in der Folge springen Anzeigenkunden ab. Ein Teufelskreis.
Der Nachwuchs wird ausgebeutet
Wie die Geschäftsführung darauf aber reagiert – oder: nicht reagiert – ist das eigentlich fatale daran: Statt aktiv zu überlegen, mit welchen Mitteln die Zeitung im Netz attraktiver gemacht werden könnte, um mehr Reichweite einzufahren, gibt der Geschäftsführer den Volontären künftig einen Drei- statt wie normalerweise einen Zweijahresvertrag und bezahlt sie weit unter Tarif. Aussicht auf Übernahme? Keine. Dafür bleibt aber ein Jahr mehr, um junge Menschen auszubeuten.
Trotz allem bin ich am Ende meines Volontariats noch heiß. Ich will den Lokaljournalismus ja mit weiter entwickeln. Mein Ziel ist es, die Reichweite hochzutreiben, ein neues Image für die Zeitung im Netz zu erarbeiten. Bei all der Euphorie unterläuft mir aber ein entscheidender Denkfehler: Ja, die Qualität der Zeitung würde profitieren – aber eben nicht schnell genug neues Geld abwerfen.
Der Geschäftsführer versucht, mich zu trösten:
"Ich sehe ja den Bedarf, aber leider gibt es dafür gerade keine Mittel. Tut mir leid."
Ich verstehe jetzt: Der Fokus der Geschäftsleitung meiner geliebten Lokalzeitung liegt nicht darauf, den Journalismus voranzubringen. Und vor allem will der Geschäftsführer dafür nicht in Vorleistung gehen.
Er bietet mir nach meiner Ausbildung stattdessen eine Stelle im PR-Bereich des Verlags. Dem, der noch Geld in die Kasse spült. Mit 24 Urlaubstagen und 2400 Euro Brutto, befristet auf ein Jahr, weil die Kollegin gerade im Schwangerschaftsurlaub ist. Was nach ihrer Rückkehr werden soll? Keine Ahnung. Das zeige sich dann, heißt es.
Ich entscheide, zu gehen. Nicht, weil mir nichts am Lokaljournalismus liegt – denn das tut es. Aber ich will nirgends bleiben, wo die Zukunft in der Vergangenheit liegt.
Hören Sie zum Thema Lokaljournalismus auch eine Reportage von Brigitte Baetz über ihren Besuch bei der "Neuen Westfälischen":