Ein Intellektueller auf Reisen
Curzio Malaparte (1898 bis 1957) kennen viele vor allem als Schriftsteller. Zum ersten Mal kann man jetzt den Journalisten Malaparte umfassend entdecken. Sorgfältig ediert und opulent bebildert, belegt die Anthologie "Zwischen Erdbeben" die widersprüchliche Vielfalt des italienischen Intellektuellen.
Wenn man auf der italienischen Mittelmeerinsel Capri in Richtung Capo Masullo wandert, gerät nach einer Weile ein bemerkenswertes Bauwerk in den Blick: ein großes Rechteck, rostbraun gestrichen, ausgestattet mit einer riesigen Freitreppe, die auf das Dach führt - so ragt die Villa Malaparte von einem Kliff ins Meer. "Casa come me", "Ein Haus wie ich" nannte der Schriftsteller Curzio Malaparte seine Villa. In der Tat ist das Gebäude eine gelungene Illustration seiner grandiosen Fähigkeit, sich selbst zu inszenieren.
Auch zu seinem schriftstellerischen Werk passt das von ihm selbst entworfene Haus. Bis heute ist Malaparte ein umstrittener Mann. 1898 als Sohn eines Deutschen unter dem Namen Kurt Erich Suckert in Prato geboren, kämpfte er noch minderjährig im Ersten Weltkrieg. Er wurde zu einem frühen Theoretiker des Faschismus, machte sich als Journalist einen Namen, übernahm zwischen 1929 und 1931 den Chefredakteursposten der Turiner Tageszeitung "La Stampa", geriet wegen seiner kritischen Äußerungen zur Politik des nationalsozialistischen Deutschlands und zu Mussolini aber immer wieder in Schwierigkeiten, bis ihm die Veröffentlichung seiner international erfolgreichen Studie "Technik des Staatsstreichs" (1931) einen Gefängnisaufenthalt und die Verbannung bescherte.
1931 trat Malaparte nach eigenen Worten aus der faschistischen Partei wieder aus, ohne seine gesellschaftliche Reputation dafür einzubüßen. Die Sphäre der Macht schlug ihn immer wieder in den Bann, der schillernde Intellektuelle verkehrte in den großbürgerlichen Salons von Rom, Neapel, Berlin und Paris, und er hatte in dem späteren italienischen Außenminister und Schwiegersohn von Mussolini Graf Ciano einen unantastbaren Beschützer.
Der "Corriere della Sera" schickte ihn als offiziellen Kriegsberichterstatter nach Griechenland, an die russische Front, nach Rumänien und Finnland. Malaparte suchte auch bei offiziellen Gelegenheiten immer wieder den Dissens. Auf beeindruckende Weise gelang es Malaparte – und zwar nicht erst in seinem Roman "Kaputt" (1944) - den Charakter des Faschismus zu durchdringen und eine andere Sicht des Krieges zu vermitteln.
Zum ersten Mal kann man jetzt in einem neuen Band der Anderen Bibliothek den Journalisten Malaparte umfassend entdecken. Von Jobst Welge sorgfältig ediert und opulent bebildert, belegt die Anthologie "Zwischen Erdbeben. Streifzüge eines europäischen Exzentrikers" die widersprüchliche Vielfalt des italienischen Intellektuellen. Gleichzeitig handelt es sich um eine Art Logbuch des alten Kontinents: Tief verankert in der abendländischen Tradition begibt sich Malaparte bis nach Chile, Argentinien und China und begeistert sich für kommunistische Gesellschaftsmodelle.
Die Texte sind zwischen 1925 und 1956 entstanden und nehmen Griechenland, England, Schottland, die russische Front, Schweden, die Schweiz, Südamerika, Deutschland, Frankreich und China in den Blick. Die Auszüge aus seinem frühen Werk "Italia barbara" (1925) muten heute kurios an: Malaparte erkennt in der Gegenreformation das ureigene, katholische, antiliberale Kraftzentrum seines Landes, welches man als Gegengewicht zu den bürgerlichen "Strippenziehern" wieder beleben müsse.
An anderer Stelle äußert er sich zu angelsächsischen Gepflogenheiten und beschreibt den Oxfordakzent, um in einem weiteren Text auf die Eigenart der Schotten zu sprechen zu kommen. Neben Schilderungen des zerstörten Nachkriegsdeutschlands, wo die Flüchtlinge in Wäldern hausen, bereist er 1952 die Schweiz und stellt in dem vom Krieg an der Oberfläche unberührten Land tiefe innere Verwundungen fest. Nach seiner Einschätzung gibt es einen Zusammenhang mit dem Verlust aller Werte in ganz Europa: das, worauf sich die helvetische Kultur begründet, ist durch den Krieg verloren gegangen, Ordnung, Freiheit, Gerechtigkeit, die Achtung der Würde des Menschen und Barmherzigkeit.
Malapartes private Lage fließt indirekt in seine Berichte über Frankreich mit ein, wo er Ende der zwanziger Jahre seine theoretischen Studien verfasste und als Star galt und wohin er nach 1947, der in Italien andauernden Bezichtigungen wegen seiner Nähe zum Faschismus müde, zurückkehrte. Die Erwartungen des einstigen Lieblinsdandys der Pariser Bourgeoisie wurden bitter enttäuscht. Wegen seines Bedeutungsverlusts eher weinerlich gestimmt und unter Rechtfertigungsdruck geraten, stilisiert er sich als großer Freund der französischen Arbeiterschaft und betont seine proletarische Herkunft.
Die interessantesten Artikel der von Michael von Killisch-Horn leichtfüßig übersetzten Anthologie sind die über die russische Front, wo Malaparte neben einem italienischen Kollegen 1942 als einziger Journalist hinreisen durfte. Leider legt der Herausgeber hier nur zwei Beispiele aus dem umfangreichen Konvolut an Artikeln vor, die in Italien nach dem Abdruck im "Corriere" mit bahnbrechendem Erfolg unter dem Titel "Die Wolga entspringt in Europa" schon 1943 in Buchform erschienen waren.
Ausgerechnet hier sind auch die editorischen Bemerkungen zu knapp ausgefallen: Malapartes Respekt vor den russischen Truppen hatte mehrfach die Zensur eingreifen lassen, und hier hätte man gern mehr erfahren darüber, ob, zu welchem Datum und in welcher Form die beiden vorliegenden Texte in der Zeitung standen. Darüber hinaus hätte an dieser Stelle eine breitere Auswahl nicht geschadet.
Bei der Lektüre des Bandes zeigt sich mitunter, wie zeitverhaftet journalistische Arbeit ist. Bei vielen Artikeln kann man die Wirkung mehr erahnen als tatsächlich nachvollziehen. So spannend und lehrreich sich der Band "Zwischen Erdbeben" aus historischer Perspektive gestaltet – eine große literarische Entdeckung ist er nicht.
Rezensiert von Maike Albath
Curzio Malaparte: Zwischen Erdbeben. Streifzüge eines europäischen Exzentrikers
Zusammengestellt und mit einleitenden Texten versehen von Jobst Welge. Aus dem Italienischen von Michael von Killisch-Horn.
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007, 362 Seiten, 30 Euro
Auch zu seinem schriftstellerischen Werk passt das von ihm selbst entworfene Haus. Bis heute ist Malaparte ein umstrittener Mann. 1898 als Sohn eines Deutschen unter dem Namen Kurt Erich Suckert in Prato geboren, kämpfte er noch minderjährig im Ersten Weltkrieg. Er wurde zu einem frühen Theoretiker des Faschismus, machte sich als Journalist einen Namen, übernahm zwischen 1929 und 1931 den Chefredakteursposten der Turiner Tageszeitung "La Stampa", geriet wegen seiner kritischen Äußerungen zur Politik des nationalsozialistischen Deutschlands und zu Mussolini aber immer wieder in Schwierigkeiten, bis ihm die Veröffentlichung seiner international erfolgreichen Studie "Technik des Staatsstreichs" (1931) einen Gefängnisaufenthalt und die Verbannung bescherte.
1931 trat Malaparte nach eigenen Worten aus der faschistischen Partei wieder aus, ohne seine gesellschaftliche Reputation dafür einzubüßen. Die Sphäre der Macht schlug ihn immer wieder in den Bann, der schillernde Intellektuelle verkehrte in den großbürgerlichen Salons von Rom, Neapel, Berlin und Paris, und er hatte in dem späteren italienischen Außenminister und Schwiegersohn von Mussolini Graf Ciano einen unantastbaren Beschützer.
Der "Corriere della Sera" schickte ihn als offiziellen Kriegsberichterstatter nach Griechenland, an die russische Front, nach Rumänien und Finnland. Malaparte suchte auch bei offiziellen Gelegenheiten immer wieder den Dissens. Auf beeindruckende Weise gelang es Malaparte – und zwar nicht erst in seinem Roman "Kaputt" (1944) - den Charakter des Faschismus zu durchdringen und eine andere Sicht des Krieges zu vermitteln.
Zum ersten Mal kann man jetzt in einem neuen Band der Anderen Bibliothek den Journalisten Malaparte umfassend entdecken. Von Jobst Welge sorgfältig ediert und opulent bebildert, belegt die Anthologie "Zwischen Erdbeben. Streifzüge eines europäischen Exzentrikers" die widersprüchliche Vielfalt des italienischen Intellektuellen. Gleichzeitig handelt es sich um eine Art Logbuch des alten Kontinents: Tief verankert in der abendländischen Tradition begibt sich Malaparte bis nach Chile, Argentinien und China und begeistert sich für kommunistische Gesellschaftsmodelle.
Die Texte sind zwischen 1925 und 1956 entstanden und nehmen Griechenland, England, Schottland, die russische Front, Schweden, die Schweiz, Südamerika, Deutschland, Frankreich und China in den Blick. Die Auszüge aus seinem frühen Werk "Italia barbara" (1925) muten heute kurios an: Malaparte erkennt in der Gegenreformation das ureigene, katholische, antiliberale Kraftzentrum seines Landes, welches man als Gegengewicht zu den bürgerlichen "Strippenziehern" wieder beleben müsse.
An anderer Stelle äußert er sich zu angelsächsischen Gepflogenheiten und beschreibt den Oxfordakzent, um in einem weiteren Text auf die Eigenart der Schotten zu sprechen zu kommen. Neben Schilderungen des zerstörten Nachkriegsdeutschlands, wo die Flüchtlinge in Wäldern hausen, bereist er 1952 die Schweiz und stellt in dem vom Krieg an der Oberfläche unberührten Land tiefe innere Verwundungen fest. Nach seiner Einschätzung gibt es einen Zusammenhang mit dem Verlust aller Werte in ganz Europa: das, worauf sich die helvetische Kultur begründet, ist durch den Krieg verloren gegangen, Ordnung, Freiheit, Gerechtigkeit, die Achtung der Würde des Menschen und Barmherzigkeit.
Malapartes private Lage fließt indirekt in seine Berichte über Frankreich mit ein, wo er Ende der zwanziger Jahre seine theoretischen Studien verfasste und als Star galt und wohin er nach 1947, der in Italien andauernden Bezichtigungen wegen seiner Nähe zum Faschismus müde, zurückkehrte. Die Erwartungen des einstigen Lieblinsdandys der Pariser Bourgeoisie wurden bitter enttäuscht. Wegen seines Bedeutungsverlusts eher weinerlich gestimmt und unter Rechtfertigungsdruck geraten, stilisiert er sich als großer Freund der französischen Arbeiterschaft und betont seine proletarische Herkunft.
Die interessantesten Artikel der von Michael von Killisch-Horn leichtfüßig übersetzten Anthologie sind die über die russische Front, wo Malaparte neben einem italienischen Kollegen 1942 als einziger Journalist hinreisen durfte. Leider legt der Herausgeber hier nur zwei Beispiele aus dem umfangreichen Konvolut an Artikeln vor, die in Italien nach dem Abdruck im "Corriere" mit bahnbrechendem Erfolg unter dem Titel "Die Wolga entspringt in Europa" schon 1943 in Buchform erschienen waren.
Ausgerechnet hier sind auch die editorischen Bemerkungen zu knapp ausgefallen: Malapartes Respekt vor den russischen Truppen hatte mehrfach die Zensur eingreifen lassen, und hier hätte man gern mehr erfahren darüber, ob, zu welchem Datum und in welcher Form die beiden vorliegenden Texte in der Zeitung standen. Darüber hinaus hätte an dieser Stelle eine breitere Auswahl nicht geschadet.
Bei der Lektüre des Bandes zeigt sich mitunter, wie zeitverhaftet journalistische Arbeit ist. Bei vielen Artikeln kann man die Wirkung mehr erahnen als tatsächlich nachvollziehen. So spannend und lehrreich sich der Band "Zwischen Erdbeben" aus historischer Perspektive gestaltet – eine große literarische Entdeckung ist er nicht.
Rezensiert von Maike Albath
Curzio Malaparte: Zwischen Erdbeben. Streifzüge eines europäischen Exzentrikers
Zusammengestellt und mit einleitenden Texten versehen von Jobst Welge. Aus dem Italienischen von Michael von Killisch-Horn.
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007, 362 Seiten, 30 Euro