Heterogen statt homophob
Seit über einem Jahr gibt es die Homo-Ehe in Australien. 61,6 Prozent der Teilnehmer eines nationalen Referendums hatten dafür gestimmt. Noch in den 70ern wurden Homosexuelle in Sydney niedergeknüppelt. Ist Down Under toleranter geworden?
Die Hitze: Sie ist wieder einmal unerträglich – in Sydney, der australischen Fünf-Millionen-Metropole. Dienstag-Abend, kurz vor halb sieben. Eigentlich wollten Bruce Meagher und Greg Waters auf dem Balkon ihres Penthouses in aller Ruhe ein Glas Rotwein trinken. Doch 32 Grad im Schatten: Das ist dem schwulen Pärchen zu viel. Also lieber rein.
Früher haben sie in Darlinghurst gewohnt, dem "schwulen Ghetto" Sydneys. Doch mit der Zeit wurde es ihnen dort zu voll und teuer. Jetzt wohnen sie in Waterloo – dem alten Arbeiterviertel mit seinen Backstein-Fabriken und futuristischen Hochhäusern.
Bruce strahlt. Er mag es hier. Dass sich ihre Wohnung über zwei Stockwerke erstreckt. Der 53-Jährige zeigt nach draußen: Da hinten auf dem Balkon haben sie geheiratet. Im August. Standesamtlich. Seit Anfang 2018 können gleichgeschlechtliche Paare in Australien die Ehe schließen. Dem Juristen war das wichtig: dass sie vor dem Gesetz ein Paar sind. Ansonsten aber: hat sich kaum etwas verändert.
"Nein, nicht wirklich. Ich muss mich nur noch immer daran gewöhnen, Greg als meinen 'Ehemann' zu bezeichnen. Es ist nicht so, als ob sich unser Leben durch unsere Heirat radikal auf den Kopf gestellt hätte. Wir sind etabliert. Ich denke aber, für junge Lesben und Schwule ist die 'Ehe für alle' wichtig. Es zeigt, dass es OK ist, lesbisch, schwul oder transsexuell zu sein.
Während der Ja-Kampagne haben sich etliche Promis als schwul oder lesbisch geoutet. Es gibt jetzt viel mehr positive Vorbilder. Ich glaube, das erleichtert es jungen Lesben und Schwulen, mit sich selbst klar zu kommen. Sie müssen sich nicht mehr fragen, ob es für sie einen Platz gibt in der Gesellschaft. Das ist vielleicht die wichtigste Errungenschaft der 'Ehe für alle'."
"Du bist kein Bittsteller mehr"
Bruce schaut zu Greg rüber. Der Drehbuchautor rutscht schon die ganze Zeit nervös auf seinem Hocker hin und her. Normalerweise seien sie ja ein Herz und eine Seele, meint der 52-Jährige im blau-weiß-gestreiften Hemd, nur bei der Ehe – da lägen sie über Kreuz.
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir zustimme. Dass sich für uns kaum etwas verändert hat – durch unsere Heirat. Denk nur an meinen Krankenhausaufenthalt. Meine Herzrhythmus-Störungen. Es war so viel einfacher zu sagen: Mein Mann sucht gerade einen Parkplatz, er kommt gleich, er hat meine Krankenakte dabei. Oder: Was weiß ich: Die automatische Mautgebühr für den Tunnel in Sydney. Ich kann einfach sagen: Mein Mann hat den Antrag gestellt, er ist gerade nicht da, ich zahle ich das mit unserer gemeinsamen Kreditkarte. Es macht vieles einfacher.
Früher war es immer kompliziert. Du musstest dich ständig rechtfertigen: 'Er ist mein Partner. Verstehen Sie?! Wir leben zusammen. Wir haben ein gemeinsames Konto.' Das ist vorbei. Du bist kein Bittsteller mehr, der hoffen muss, dass der Beamte, mit dem du es zu tun hast, offen eingestellt ist."
Die Konservativen verhinderten die "Ehe für alle"
Es war ein langer Weg – bis zur "Ehe für alle" in Australien. Zwar erlaubte mit Tasmanien schon 2004 der erste Bundesstaat die eingetragene Partnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare: Auf Bundesebene aber verhinderte eine konservative Regierung nach der anderen die Homo-Ehe. Doch ab 2014/15 drehte sich das gesellschaftliche Klima - so sehr, dass die Koalition aus Liberals und National Party grünes Licht gab für eine Briefbefragung über die Homo-Ehe.
Der Rest ist Geschichte: Am 15. November 2017 wurde das Ergebnis verkündet: 61,6 Prozent Ja-Stimmen, fast eine zwei Drittel Mehrheit. Dann ging alles plötzlich ganz schnell: Gerade einmal zwei Wochen später erlaubte der australische Senat die gleichgeschlechtliche Ehe, sieben Tage danach das Repräsentantenhaus.
Australien ist bunter geworden
Bruce nippt an seinem Rotwein. Er hatte zwischendurch fast schon die Hoffnung aufgegeben, dass es noch etwas werden könnte mit der "Ehe für alle." Doch Australien ist bunter geworden. Toleranter auch. Die Homo-Ehe – kein Tabubruch mehr.
"In den 90ern und 2000ern gab es andere Prioritäten – auch in der Schwulen- und Lesben-Gemeinschaft. Allein schon wegen der Aidskrise. Viele von uns hielten den Gedanken heiraten zu wollen angesichts der Krise für frivol. Das ist jetzt anders. Hinzu kommen Gesetzesänderungen. Es gab eine Reihe von Reformen, die gleichgeschlechtliche Paare auf eine Stufe stellten mit Verheirateten. Nur nicht zu hundert Prozent. Und noch etwas: Es ist auch eine Generationenfrage. Ich glaube, die meisten jungen Australier denken sich heute: Warum sollen Lesben, Schwule und Transsexuelle denn NICHT heiraten können?! Meine 15-jährigen Neffen und Nichten haben mir erzählt: Als das Ergebnis der Briefwahl herauskam, haben sie in ihren Klassenzimmern gejubelt."
"Wir sind eine egalitäre Gesellschaft"
Dass auch die "Ja-Kampagne" Grund zum Jubeln hatte, verdankt die australische LGTB-Community nicht zuletzt ihr. Donnerstag Morgen, kurz nach zehn. Das Geschäftsviertel von Sydney. Sie ist spät dran: Anna Brown, die Vorsitzende von "Equality Australia", der Homo-Organisation.
Eine Optimistin sei sie, meint die 40-Jährige auf dem Weg in ihr Büro im fünften Stock – immer schon gewesen. Wenn man so will, war die Frau mit den knallroten Schuhen DAS Gesicht der Ja-Kampagne. Fernsehauftritte, Diskussionsrunden, Zeitungskommentare: Bei Anna liefen die Fäden zusammen.
"Werte wie Gleichheit und Gerechtigkeit sind Australiern unglaublich wichtig. Das haben alle unsere Umfragen ergeben. Wir haben in Australien ein Sprichwort: 'To have a fair go.' Jeder soll seine Chance haben. Da spielt sicherlich auch eine Rolle, dass wir ein verhältnismäßig junges Land sind; ein Einwanderungsland. Hinzu kommt: Wir sind eine egalitäre Gesellschaft, es gab bei uns nie Adlige. Unser Motto lautet: 'Arbeite hart! Hilf anderen! Jeder hat eine Chance verdient! Wirklich jeder!' Fairness und Gleichheit sind Teil unserer kollektiven DNA. Deshalb haben wir das Wort 'Gleichheit' gezielt in unserer Kampagne verwendet. Wir wussten: Das kommt bei den Australiern gut an."
"Über Sex redet man einfach nicht"
Aufgewachsen ist Anna in Melbourne, der zweitgrößten Stadt Australiens – zusammen mit ihren drei Schwestern. Eine typische Mittelklasse-Familie. Vater und Mutter: berufstätig, bildungsafin, tolerant. Dass Anna lesbisch ist, war kein Geheimnis. Nur groß darüber geredet hätten sie nicht, erinnert sich die Frau, die schon lange mit ihrer Freundin zusammen ist, aber vorerst nicht heiraten will – aus Zeitmangel.
"In meiner Familie war meine Sexualität nie ein großes Thema. Erst während der Ja-Kampagne haben wir zum ersten Mal richtig darüber gesprochen. Ich glaube, das ist typisch für viele australische Familien. Einerseits sind wir eine offene Gesellschaft. Andererseits immer noch ziemlich britisch: Über Sex redet man einfach nicht. Ich glaube, es hat uns als Gesellschaft gut getan, dieses Tabu zu brechen. Auch meiner Familie. Ich habe meinen Vater sogar dazu gebracht, ein 'Ja-T-Shirt' zu tragen. Ich habe es ihm zum Geburtstag geschenkt – und gesagt: Mach dir keine Sorgen, nächstes Jahr bekommst du wieder ein anständiges Geschenk. Aber dieses Jahr gibt es nur ein 'Ehe für alle' T-Shirt. Er hat es natürlich sofort angezogen."
Der Kampf ist noch nicht vorbei
Anna schaut auf ihr stummgestelltes Smartphone. Schon wieder ein Anruf. Morgen beginnt an der Universität von Sydney eine zweitägige Konferenz – mit über 400 Homo-Aktivisten. Sie ist eine der Hauptrednerinnen. Zeit sich vorzubereiten: Nein, meint sie leise stöhnend, die habe sie nicht gehabt. Nicht wirklich. Dabei wollen bestimmt wieder alle wissen, warum sie letztes Jahr "Equality Australia" gegründet hat – jetzt, wo der Kampf doch vorbei ist. Die Aktivistin schüttelt den Kopf: Ist er eben nicht – vorbei: Der Kampf.
"Unser dringlichstes Thema sind die religiösen Schulen. Sie können nach wie vor ganz legal lesbische Schülerinnen oder schwule Lehrer diskriminieren – und sie sogar der Schule verweisen. Wohlgemerkt: Diese religiösen Schulen werden staatlich gefördert. Nicht nur Schulen, sondern auch andere soziale Einrichtungen. Der Staat hat ja eine Menge sozialer Dienste privatisiert. Es kann doch nicht sein, dass religiöse Schulen einen Schüler abweisen dürfen, nur weil er schwul ist - oder aus einer Regenbogenfamilie stammt. Wir reden hier nicht über irgendwelche Zwergschulen. Es gibt bei uns viele große christliche Schulen. Wir müssen sicherstellen, dass sie niemanden diskriminieren."
Einsatz für Underdogs
Von Annas Arbeitsplatz sind es zu Fuß keine fünf Minuten bis zum Wahlkreisbüro von Alex Greenwich, dem schwulen Landtagsabgeordneten. Alex hat sein Büro in der Oxford-Street. Hier schlägt nicht nur das schwule Herz Sydneys, hier ist die durch-gentrifizierte Ostküsten-Metropole auch noch so wie vielerorts vor zwanzig Jahren: Quirlig, etwas schmuddelig. Ein Schmelztiegel allermöglichen Leute.
Deshalb auch das Schwarzweiß-Foto an der Wand von Alex' Büro: Steven Jackson war ein stadtbekannter Obdachloser und Junkie. Vor drei Jahren starb er an einer Überdosis. Sich für Underdogs einzusetzen: Das ist dem 38-Jährigen, der als Unabhängiger im Parlament von New South Wales sitzt, nach wie vor wichtig. Genau wie die "Ehe für alle". Das Votum dafür: Bahnbrechend sei das gewesen.
"Im Rückblick muss ich sagen: Ich bin stolz auf die Australier. Viele haben die Führungsqualitäten bewiesen, die unsere Bundespolitiker so lange haben vermissen lassen. Die konservative Koalition hätte die 'Ehe für alle' schon ohne weiteres vor fünf Jahren einführen können. Sie hätte nur ein paar Sätze in den entsprechenden Gesetzen ändern müssen. Stattdessen hat sie Däumchen gedreht. Und als der Druck zu groß wurde, die Briefbefragung angesetzt. Das hat über hundert Millionen australische Dollar gekostet – knapp sechzig Millionen Euro. Die Regierung hat Steuergelder verschwendet. Und was ich auch besonders ärgerlich fand: Sie hat dafür gesorgt, dass unser Lebenswandel durchleuchtet wurde und wir Opfer rechter Attacken wurden. Das war völlig überflüssig."
Alex macht einen entspannten Eindruck. Kein Wunder: Erst vor ein paar Tagen ist er aus dem Urlaub zurückgekehrt. Noch einmal den Akku aufladen, bevor er sich in den Wahlkampf stürzt. Am 23. März wählt New South Wales ein neues Parlament. Einen ernsthaften Gegenkandidaten hat er nicht. Doch ein Selbstläufer werde das nicht, wiegelt der 38-Jährige ab. Deshalb wird er in den nächsten Wochen wieder das tun, was er immer schon getan hat: Über die Oxford-Street ziehen – mit seinen Flyern. Und Klinken putzen. Manchmal begleitet von Victor - seinem deutschen Mann.
Hochzeit 2012 in Buenos Aires
Die beiden sind seit mehr als sechs Jahren verheiratet. Alex lacht. Wundern sich die Leute immer: Wenn sie zum ersten Mal hören, dass sie schon so lange verheiratet sind. Das liegt daran, dass sie sich in Argentinien das Ja-Wort gegeben haben – am 12. Mai 2012.
"Wir wollten einfach nicht einsehen, dass die australische Regierung uns das verbietet. Also sind wir in ein Land gereist, in dem gleichgeschlechtliche Paare heiraten konnten. Wir kannten Leute in Buenos Aires. Aktivisten. Sie wollten sicherstellen, dass auch Paare in Argentinien heiraten dürfen, denen das in ihrem Heimatland verboten ist. Victor und ich waren das erste schwule ausländische Paar, das in Buenos Aires geheiratet hat. Für Victor und mich war es der wichtigste Tag in unserem Leben. Es war ziemlich hart, nach Australien zurückzukommen – mit der Gewissheit, dass wir zu Hause offiziell weiter nur als 'Mitbewohner' behandelt wurden. Bis 2018 erkannte der australische Staat gleichgeschlechtliche Ehen ja per se nicht an. Das ging sogar soweit, dass staatliche Stellen gleichgeschlechtlichen Paaren wichtige Dokumente vorenthielten – nur um sicherzustellen, dass sie nicht im Ausland heiraten konnten."
"Jetzt können wir uns endlich anderen Themen widmen"
"Australia wanted to be able to tick that box. And we have." Um einen griffigen Spruch ist sie selten verlegen: Maeve Marsden, die queere Autorin und Performerin. Newtown, Sydneys Alternativ-Viertel, das Café Felix. Die 35-Jährige lässt sich auf ihren Stammplatz fallen: Hinten in der Ecke, da ist es am ruhigsten. Erst einmal ein Eiskaffee. Gegen die Hitze. Und um in Fahrt zu kommen. Von wegen Homo-Ehe. Für die Underground-Künstlerin war die "Ehe für alle" etwas, was die Australier auf ihrer "To-do-Liste" abhaken wollten.
"Mich interessiert die Ehe politisch nicht. Erst recht nicht persönlich. Doch während der Kampagne war es ständig Thema. Aber unsere Community zeichnet doch viel mehr aus als die Frage, ob wir heiraten dürfen oder nicht. Ich bin froh, dass es vorbei ist. Jetzt können wir uns endlich anderen Themen widmen. Fortschrittlichen Themen. Ganz ehrlich: Ist die 'Ehe für alle' fortschrittlich? Ich weiß nicht. Doch ich verstehe, dass es für andere wichtig war. Nur für mich halt nicht."
Was sind unsere Geschichten?
Seit Anfang 2017 gibt es sie: Die "Queer stories" – die "queeren Geschichten" - Maeves alternative Veranstaltungsreihe. Als Live-Show und Podcast. Einmal im Monat erzählen sechs lesbische, schwule oder transsexuelle Protagonisten auf der Bühne aus ihrem Leben. Maximal zehn Minuten lang. Mit Maeve als Zeremonienmeisterin.
"Ich bin mit lesbischen Müttern aufgewachsen – in der LGTB-Community in Sydney. Für mich war es naheliegend, eine Reihe ins Leben zu rufen, die unsere Vielfalt feiert und nicht darauf schielt, es der heterosexuellen Gesellschaft recht zu machen. Was sind UNSERE Geschichten? Worüber wollen WIR reden? Das war mir wichtig. Die ersten Veranstaltungen der Queer stories gingen über die Bühne, als die 'Ehe für alle' Kampagne noch lief. Ich wollte einen Raum schaffen, wo wir über etwas anderes als die Ehe sprechen. Es war eher: Was sind deine Hobbies? Wann hast du dich das erste Mal verliebt? Was war das beste Abenteuer deines Lebens?
Geboren ist die Frau in der blauen Bluse mit den stilisierten Dinosauriern in London, doch mit vier entschlossen sich ihre Mütter nach Sydney zu ziehen – samt Maeve und ihren zwei Geschwistern.
"Mein Bruder und meine Schwester haben einen sehr großen, schlanken Spender als Vater. Ich habe den kleinen Fetten abgekommen. Oh Gott! Wenn er das hören würde. Das stimmt natürlich nicht. Er ist ein hübscher Mann. Er ist wirklich ganz hinreißend."
Sich mit Benachteiligten verbünden
Maeve schaut verstohlen auf ihr Smartphone. Kurz vor halb drei: Sie muss los. Zum nächsten Termin. Seit kurzem hat sie eine Assistentin. Wegen ihrer ganzen Auftritte. Sie ist gut im Geschäft – und froh, dass das Ehe-Thema durch ist. So ist Platz für anderes.
"Viele Alterseinrichtungen in Australien werden von religiösen Institutionen geleitet. Etliche davon sind homophob. Wie gehen sie mit lesbischen oder schwulen Bewohnern um? Noch dazu solchen mit HIV oder Aids? Speziell die katholische Kirche betreibt etliche Pflegeheime. Wir müssen uns viel stärker mit dem Gesundheitssystem auseinandersetzen – auch was die Rechte von Transsexuellen angeht. Ich würde es liebend gerne sehen, wenn wir uns mit Benachteiligten verbündeten, die nicht unbedingt lesbisch, schwul oder transsexuell sind. Wir leben in einem Land, dass Flüchtlinge in Lagern einsperrt; und Aborigines – unsere Urbevölkerung – weiter würdelos behandelt. Und für die 'Ehe für alle' sind wir auf die Straße gegangen?! Wir sollten unseren Blick weiten und uns mit anderen marginalisierten Gruppen verbünden."
"Ich war erschöpft und erleichtert"
Ein neuer Tag, eine andere Ecke von Sydney. Und auch hier sorgt die "Ehe für alle" für Gesprächsstoff. Little Bay ganz im Süden. Die Strände des Küsten-Vororts: Sie sind winddurchtost. Der Golfplatz: Einer der schönsten Australiens. Einmal im Monat schaut Nathan Thomas hier vorbei. Immer sonntags. Um mit seinem Vater zu frühstücken.
Einen leidenschaftlicheren Verfechter der "Ehe für alle" wie seinen Vater Geoff dürfte man in Australien kaum finden, sagt Nathan. Beide umarmen sich, ehe der 43-jährige Banker anfängt zu lachen. Zur Feier der Tages hat Geoff sein altes, rotes T-Shirt angezogen. Das mit der Regenbogen-Fahne und dem Wort "Equality" drauf: Gleichheit.
"Es ist schon etwas verschlissen, aber es gefällt mir immer noch. Ich bin sehr stolz es zu tragen. Für mich bedeutet Gleichheit "Gleichheit vor dem Gesetz". Dass jeder gleich behandelt wird – in unserer Demokratie. Darum ging es letztendlich auch bei der 'Ehe für alle'-Kampagne. Ich habe immer argumentiert: Jeder Australier hat gesetzlich ein Anrecht auf Würde, Respekt und Gleichheit. Dafür haben unsere Vorfahren gekämpft. Es ist der Dreh- und Angelpunkt unserer Gesellschaft: Dass jeder gleich ist."
Geoff und Nathan haben sich an den großen Küchentisch gesetzt. Die letzten Jahre haben sie zusammengeschweißt. In Australiens Medien waren sie bekannt als das "Vater-Sohn-Gespann". Der heterosexuelle Klempner, Vietnam-Veteran und der schwule Banker.
"Es war lustig: Am Tag, als das Ergebnis herauskam, waren wir im Park. Viele haben sehr emotional reagiert und geweint. Ich weiß noch: Einer meiner Freunde meinte: Oh Gott, ich habe mich geschlagene zehn Minuten an der Schulter deines Vaters ausgeheult. Bei mir war das anders. Ich war einfach nur erschöpft und erleichtert. So viele Jahre harter Arbeit. Und endlich war es soweit. Von da an war alles anders: Von einem Tag auf den anderen war die 'Ehe für alle' kein Aufmacher mehr in den Nachrichten. Die Nein-Kampagne hörte endlich auf damit, uns zu unterstellen, wir wollten die Gesellschaft ruinieren – oder den Vater- und Muttertag abschaffen. Dieser ganze Unsinn. Ich meine: Mir war das egal, ich bin widerstandsfähig. Aber für lesbische und schwule Jugendliche muss das schlimm gewesen sein: Ständig diese Scheiße zu hören. Das ist schädlich."
Früher war der Vater homophob
Nathan rührt in seinem Cappuccino. In letzter Zeit ist er kürzergetreten – als Aktivist. Es gibt ja auch sonst genug zu tun. Da sind sein Job im Bankbereich und seine Partnerschaft mit Michol, seinem venezolanischen Freund. Die Vorbereitungen für ihre Hochzeit im Laufe des Jahres. Schon seit Monaten will Geoff wissen, wann es denn endlich soweit ist.
Vor dreißig Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Durch und durch homophob sei er gewesen, erzählt der 69-Jährige. Wie so viele seiner Generation. "Puffta bashing" – das sogenannte "Schwulenklatschen" – sei in seiner Jugend ganz normal gewesen. Doch spätestens während des Vietnam-Kriegs, als australischer Freiwilliger, kam er ins Grübeln.
"Mir fällt da eine sehr lustige Geschichte aus Vietnam ein. Eines Tages war ich in einem Dorf. Und da kam dieser junge Typ an, mit einer Gitarre – und fing auf Vietnamesisch an zu singen. Ich dachte nur: Wie schön. Endlich mal keine Militärmärsche. Es war unterhaltsam – mitten im Kriegsgebiet. Ich schaute meinen Dolmetscher an und fragte ihn: Worüber singt er denn? Da fing der Dolmetscher an zu lachen. Er meinte: Er singt darüber, dass du sein Sonnenschein bist. Ich war ganz verdattert. Ich?! Sein Sonnenschein?! Ich wusste gar nicht, wie ich reagieren sollte. Also habe ich mein Hemd hochgekrempelt, um meine Muskeln spielen zu lassen."
Das Coming-out als Schock
Nathans Coming-out – vor über zwanzig Jahren: Für Geoff war es trotzdem ein Schock. Doch seitdem hat sich viel getan. Der 69-Jährige hat seinen Frieden gefunden mit seinem schwulen Sohn.
Vor zwei Jahren, in der Hochphase der "Ehe für alle"-Kampagne, ist Geoff mit seinem Pritschenwagen losgefahren. Ins australische Outback. Wochenlang war er unterwegs, um mit den Leuten in der Provinz ins Gespräch zu kommen. Und sie davon zu überzeugen, dass es OK ist, auch als gestandener Typ für die Homo-Ehe zu sein. Ein Lachen huscht über seine Lippen. Die meisten, erzählt er, seien ganz aufgeschlossen gewesen. Er hat sich gelohnt – der Kampf. Doch ganz vorbei ist er immer noch nicht:
"It ain’ over until it’s over."