Jubel in Erfurt, Klagen aus Jena
München-Berlin in nur vier Stunden – trotz eine Lawine von Peinlichkeiten zu Beginn profitieren viele Reisende inzwischen von der neuen Schnellfahrstrecke. Am Knotenpunkt Erfurt will man sogar ein Tagungszentrum etablieren. Anders sieht es in Jena aus.
"Gleis 1 Einfahrt ICE 707 nach München Hbf. über Augsburg. Abfahrt 15.32 Uhr. Vorsicht bei der Einfahrt!"
Erfurt Hauptbahnhof, Freitagnachmittag, 15.24 Uhr auf Gleis 1. Der ICE aus Hamburg wird sechs Minuten stehen und dann mit ein paar bayerischen Umwegen nach München weiterfahren.
Erfurt Hauptbahnhof, Freitagnachmittag, 15.24 Uhr auf Gleis 1. Der ICE aus Hamburg wird sechs Minuten stehen und dann mit ein paar bayerischen Umwegen nach München weiterfahren.
Wer in Nürnberg umsteigt, braucht für die 317 Kilometer 2,5 Stunden. Mitten durch den Thüringer Wald, über 29 Brücken und durch 22 teils kilometerlange Tunnel. Die "teuerste U-Bahn der Welt" spotteten Kritiker schon.
Dutzende Menschen steigen in Erfurt aus, Rollkoffer poltern, treffen andere in die Hacken. Andere drängen in den Zug. Vier Minuten später fährt auf Gleis zwei, genau gegenüber, der ICE 691 ein. Er kommt aus Berlin und fährt ebenfalls nach München, aber über Frankfurt und Stuttgart. Reisende können bequem auf dem selben Bahnsteig zwischen beiden Zügen umsteigen. Die bedienen praktisch den ganzen Süden und den Westen Deutschlands.
Die Bahn hat ihren Marktanteil verdoppelt
Die Bahn hat ihren Markanteil zwischen Berlin und München innerhalb eines Jahres von 23 auf 46 Prozent verbessert, und damit dem Flugzeug den Spitzenrang abgenommen, berichtet Jörg Bönisch, Pressesprecher der Deutschen Bahn in Mitteldeutschland, stolz: "Das ist so gut, dass selbst unsere Erwartungen übertroffen wurden, da wir jetzt konstatieren können, dass 4,4 Millionen Reisende zwischen Berlin und München unterwegs waren, und damit doppelt so viele wie ein Jahr vorher."
Jeweils etwa eine Million Reisende sind auf der Strecke vom Flugzeug beziehungsweise vom Auto auf die Bahn umgestiegen. Das liegt an der Reisezeit, aber auch der Bequemlichkeit, meint Birgit Bohle, die scheidende Vorstandsvorsitzende Fernverkehr der Bahn: "Komfortables Reisen, Einsteigen, Schlafen, Arbeiten, ein Bierchen trinken oder die Zeitung lesen – das ist eben etwas, was kein anderes Verkehrsmittel ermöglicht."
Jeweils etwa eine Million Reisende sind auf der Strecke vom Flugzeug beziehungsweise vom Auto auf die Bahn umgestiegen. Das liegt an der Reisezeit, aber auch der Bequemlichkeit, meint Birgit Bohle, die scheidende Vorstandsvorsitzende Fernverkehr der Bahn: "Komfortables Reisen, Einsteigen, Schlafen, Arbeiten, ein Bierchen trinken oder die Zeitung lesen – das ist eben etwas, was kein anderes Verkehrsmittel ermöglicht."
Die Auslastung auf der schnellen Nord-Süd-Strecke liegt höher als im sonstigen Fernverkehr der Bahn, schon während des laufenden Bahnplans wurden einige Züge verlängert.
"Deswegen gibt es ab Fahrplanwechsel auch eine Entlastung, dass wir erstmals auch über diese Schnellfahrstrecke auf drei Linien ICE-4-Züge einsetzen, die wesentlich mehr Sitzplätze haben, nämlich 830 pro Zug, und auch acht Fahrrad-Stellplätze."
"Deswegen gibt es ab Fahrplanwechsel auch eine Entlastung, dass wir erstmals auch über diese Schnellfahrstrecke auf drei Linien ICE-4-Züge einsetzen, die wesentlich mehr Sitzplätze haben, nämlich 830 pro Zug, und auch acht Fahrrad-Stellplätze."
Zum aktuellen Fahrplanwechsel gehen noch zwei zusätzliche Sprinter auf die Rennstrecke Berlin-München. Dann sind es fünf pro Tag und Richtung, die zwischendurch nur dreimal - in Halle, Erfurt und Nürnberg - halten und deshalb nur vier Stunden brauchen. Zudem sind sie auch pünktlicher als der Durchschnitt der Bahnverbindungen in Deutschland.
Die beiden ICEs nach München, auf unterschiedlichen Routen unterwegs, verlassen Erfurt im Abstand von zwei Minuten. Acht Minuten später geht der ICE nach Dresden. Nochmal 12 Minuten und der ICE 1728 fährt nach Rostock, über Halle und Berlin. Sechs ICEs innerhalb von 28 Minuten. 80 sind es in Erfurt pro Tag. Seit einem Jahr. Dass die Bahn heute so stolz auf dieses Jahr zurückblickt, war zu dessen Beginn noch nicht absehbar.
Die beiden ICEs nach München, auf unterschiedlichen Routen unterwegs, verlassen Erfurt im Abstand von zwei Minuten. Acht Minuten später geht der ICE nach Dresden. Nochmal 12 Minuten und der ICE 1728 fährt nach Rostock, über Halle und Berlin. Sechs ICEs innerhalb von 28 Minuten. 80 sind es in Erfurt pro Tag. Seit einem Jahr. Dass die Bahn heute so stolz auf dieses Jahr zurückblickt, war zu dessen Beginn noch nicht absehbar.
Der ICE mit den Ehrengästen blieb liegen
Der Presserummel, den die Bahn zum Fahrplanwechsel im Dezember losgetreten hatte, wandelte sich zur Lawine der Peinlichkeiten: Schon der ICE mit Politikern, Ehrengästen und Journalisten blieb am Starttag auf dem Weg nach München liegen. Reihenweise fielen Züge ganz aus, fuhren mit Stunden Verspätung, konnten die Neubaustrecke nicht nutzen. ICEs bremsten auf freier Strecke aus unbekannten Gründen. Und das nach über tausend Testfahrten.
"Das größte Einzelproblem, was wir hatten, waren fehlerhafte Dichtungen. Das heißt, da ist Feuchtigkeit in die Kästen reingekommen. Da haben die Zugrechner dann gesagt: 'Ich bin jetzt verwirrt! Kann nicht mehr genau orten, wie schnell ich jetzt eigentlich gefahren bin; die unterschiedlichen Sensorgen geben mir unterschiedliche Signale!' Und dann macht das Fahrzeug das, was es tun muss: Es geht in eine Zwangsbremsung rein."
"Das größte Einzelproblem, was wir hatten, waren fehlerhafte Dichtungen. Das heißt, da ist Feuchtigkeit in die Kästen reingekommen. Da haben die Zugrechner dann gesagt: 'Ich bin jetzt verwirrt! Kann nicht mehr genau orten, wie schnell ich jetzt eigentlich gefahren bin; die unterschiedlichen Sensorgen geben mir unterschiedliche Signale!' Und dann macht das Fahrzeug das, was es tun muss: Es geht in eine Zwangsbremsung rein."
Das moderne und signallose Zugbeeinflussungssystem ETCS war doch anfälliger als erwartet. In einem Kraftakt während der Adventszeit 2017 behob die Bahn die schlimmsten Mängel an den Zügen und konnte zu Weihnachten einen halbwegs funktionierenden Betrieb gewährleisten. Aber der Image-Schaden war immens.
Erfurt will Konferenz- und Tagungsstandort werden
Davon ist jedoch heute nichts mehr zu spüren. Der Erfurter Hauptbahnhof ist deutlich belebter als noch vor einem Jahr, ein Drittel mehr Menschen, 8.000 pro Tag, steigen hier ein und aus. Die Zahl der Umsteiger hat sich vervierfacht. In den lichten, weiten Gängen ist der sechs Jahre dauernde und die Reisenden enorm belastende Umbau des alten, verwinkelten Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert vergessen. Dutzende Geschäfte reihen sich aneinander, haben 7 Tage die Woche geöffnet. 250 Millionen Euro wurden damals in den Umbau gesteckt, vor allem auch in die Gleisanlagen, damit sich die Nord-Süd- und Ost-West-Bahnlinien hier intelligent kreuzen können.
Erfurt hat vor, vom vielfrequentierten ICE-Kreuz zu profitieren. Vor allem als Konferenz- und Tagungsstandort. Dafür aber fehlt es noch an entsprechenden Hotels. Nur 300 Meter vom Bahnhof entfernt, direkt an der Gleisanlage, entsteht gerade ein Hotel, das den Anfang bilden soll eines ganz neuen Stadtteils, der auf ehemaligen Flächen der Bahn einstehen soll. Die Ausführung hat sich um Jahre verzögert, auch, weil alte Bahnanlagen nicht so leicht zu entfernen waren. Aber Ministerpräsident Bodo Ramelow gibt sich optimistisch bis euphorisch.
"Da werden 2.400 neue Wohnungen entstehen. Und wir werden eine Überbauung haben vom Bahnhof über den Schmidtstedter Knoten, also die größte Straßenflucht, die in die Stadt hinein führt. Und sie wird akzentuiert durch zwei Glastürme. Und ich bin froh, dass der erste Glasturm schon komplett beplant ist; und beim zweiten bin ich gerade mit einem internationalen Investor im Gespräch. Aber das gesamte Quartier wird ein neues Stadtquartier. Und es wird mindestens 25 Prozent sozial gebundener Wohnraum sein. Aber es hat gedauert! Der ICE-Knotenpunkt hat zumindest Erfurt verändert."
"Da werden 2.400 neue Wohnungen entstehen. Und wir werden eine Überbauung haben vom Bahnhof über den Schmidtstedter Knoten, also die größte Straßenflucht, die in die Stadt hinein führt. Und sie wird akzentuiert durch zwei Glastürme. Und ich bin froh, dass der erste Glasturm schon komplett beplant ist; und beim zweiten bin ich gerade mit einem internationalen Investor im Gespräch. Aber das gesamte Quartier wird ein neues Stadtquartier. Und es wird mindestens 25 Prozent sozial gebundener Wohnraum sein. Aber es hat gedauert! Der ICE-Knotenpunkt hat zumindest Erfurt verändert."
Verwaister Bahnhof in Jena
Auch Jena hat der ICE-Knoten verändert. Aber nicht zum Guten. Der elegante und kleine Bahnhof Paradies, der 2005 extra für ICs und ICEs zwischen Berlin und München neu gebaut wurde, liegt mitten in der Innenstadt, aber doch etwas verwaist. Eine Regionalbahn fährt ein, ein paar Leute steigen ein und aus, es gibt nicht einmal eine Durchsage auf dem Bahnsteig. Uwe Hentschel steht vor dem Aushang und sucht eine Verbindung.
"Ich bin ein einmaliger Fahrer. Das heißt, ich fahre schon oft mit der Bahn. Aber nach Jena fahre ich im Grunde kaum oder nie. Ich bin hier zum Vortrag geladen. Und da muss ich morgen früh wieder zeitig los. Und deshalb stehe ich jetzt hier und schaue, wie ich wieder wegkomme. Und deswegen will ich mich jetzt hier informieren, wie ich wieder Richtung Berlin komme."
"Ich bin ein einmaliger Fahrer. Das heißt, ich fahre schon oft mit der Bahn. Aber nach Jena fahre ich im Grunde kaum oder nie. Ich bin hier zum Vortrag geladen. Und da muss ich morgen früh wieder zeitig los. Und deshalb stehe ich jetzt hier und schaue, wie ich wieder wegkomme. Und deswegen will ich mich jetzt hier informieren, wie ich wieder Richtung Berlin komme."
Seit einem Jahr finden sich auf dem Abfahrtsplan fast ausschließlich schwarze Zugbezeichnungen. Die roten für IC und ICE sind bis auf einen kläglichen Rest verschwunden. Ein ICE am Morgen nach Hamburg, drei ICs über den Tag verteilt, die aber nur an ein bis zwei Tagen am Wochenende fahren. So viele Fernzüge wie hier in einer Woche fahren in Erfurt in anderthalb Stunden. Abgehängt. Auch, wenn die mit der Bahn nur eine halbe Stunde entfernte Landeshauptstadt nun bahntechnisch mitten in Deutschland liegt, meint Jenas Oberbürgermeister, Jens Nitzsche:
"Also, unmittelbar für Erfurt ist es natürlich super, ganz klar. Auch von Weimar kommend ist es noch ein Vorteil. Aber die Zubringerstrecke und die Zeit, die man da braucht, plus das zusätzliche Umsteigen, das ist auch ein wesentlicher Faktor, da heben sich für Jena die Vorteile schon auf. Und noch weiter östlich, Gera, wird es dann immer schwieriger. Aber schon in Jena ist es kein Vorteil mehr."
"Also, unmittelbar für Erfurt ist es natürlich super, ganz klar. Auch von Weimar kommend ist es noch ein Vorteil. Aber die Zubringerstrecke und die Zeit, die man da braucht, plus das zusätzliche Umsteigen, das ist auch ein wesentlicher Faktor, da heben sich für Jena die Vorteile schon auf. Und noch weiter östlich, Gera, wird es dann immer schwieriger. Aber schon in Jena ist es kein Vorteil mehr."
Die Klage in Jena ist groß über die Konzentration des gesamten Fernverkehrs in Thüringen auf Erfurt. Jena hat immerhin auch 100.000 Einwohner, eine Universität, viele Forschungseinrichtungen, eine boomende Hightech-Industrie, unter anderem Zeiss.
"Es geht drum, dass man die wesentlichen Flughäfen schnell erreichen kann, damit man auch mal einen Ein-Tages-Termin nach Jena und aus Jena raus und wieder zurück schaffen kann. Das ist eine ganz entscheidende Frage für die Wirtschaft hier im Ort. Da machen manchmal 1-2-3 Leute in der Stadt zu haben oder sie nicht in der Stadt zu haben, sesshaft, einen Riesen-Unterschied!"
"Es geht drum, dass man die wesentlichen Flughäfen schnell erreichen kann, damit man auch mal einen Ein-Tages-Termin nach Jena und aus Jena raus und wieder zurück schaffen kann. Das ist eine ganz entscheidende Frage für die Wirtschaft hier im Ort. Da machen manchmal 1-2-3 Leute in der Stadt zu haben oder sie nicht in der Stadt zu haben, sesshaft, einen Riesen-Unterschied!"
Dennoch gibt es etwas Hoffnung für Jena: Zum aktuellen Fahrplanwechsel werden neue IC-Verbindungen zwischen Leipzig und Nürnberg über Jena eingeführt. Auf der Ost-West-Achse werden täglich drei ICs zwischen Gera und Kassel verkehren, zwei davon weiter bis ins Rheinland. Der erste IC seit 12 Jahren, der in Gera hält! In Thüringen aber wird dieser IC langsamer sein als der Nahverkehr, da er nicht über Neigetechnik verfügt und der Lokführer zwischendurch von der E- auf die Diesellok umsteigen muss. Etwas Entlastung also für Ostthüringen. Für West- und Südthüringen aber kann Bernd Schlosser von Pro Bahn nichts Gutes im neuen ICE-Kreuz erkennen:
"Erfurt ist der große Gewinner. Aber hier in der Pampa, Südthüringen, sieht es schlecht aus. Für uns hat sich die Neubaustrecke eigentlich überhaupt nicht ereignet, denn hier ist alles so geblieben. Wenn ich z.B. hier von Eisenach nach Nürnberg fahren möchte, kriege ich die Fahrplanauskunft immer über Fulda, weil man das nicht schafft, in den vier Minuten von Bahnsteig eins zu Bahnsteig neun zu kommen. Das ist schon mal schlecht geplant. Also, es hieß ja, durch den ICE-Bahnhof-Knoten Erfurt geht alles besser! Nur, dazu hätte man jahrelang schon auch im Nebennetz investieren müssen."
"Erfurt ist der große Gewinner. Aber hier in der Pampa, Südthüringen, sieht es schlecht aus. Für uns hat sich die Neubaustrecke eigentlich überhaupt nicht ereignet, denn hier ist alles so geblieben. Wenn ich z.B. hier von Eisenach nach Nürnberg fahren möchte, kriege ich die Fahrplanauskunft immer über Fulda, weil man das nicht schafft, in den vier Minuten von Bahnsteig eins zu Bahnsteig neun zu kommen. Das ist schon mal schlecht geplant. Also, es hieß ja, durch den ICE-Bahnhof-Knoten Erfurt geht alles besser! Nur, dazu hätte man jahrelang schon auch im Nebennetz investieren müssen."
Güterzüge wurden noch nicht gesichtet
Der jahrelange Investitionsstau bei der Bahn, der Ausweichgleise, Weichen, Elektrifizierung vernachlässigt hat, bewirkt, dass die neuen, attraktiven Schnellverbindungen die Metropolen noch stärker vom abgehängten Umland trennen als bisher. Für Erfurt aber und den Schnellverkehr zwischen Nord und Süd ist das vollendete Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. Acht ein echter Gewinn. Wobei immer klar war, dass die Nord-Süd-Achse nur rentabel werden kann, wenn auch Güterzüge auf ihr verkehren. Bislang wurde noch keiner gesichtet.