Molenbeek kommt nicht zur Ruhe
Seit den Anschlägen in Paris und Brüssel kennt die Welt den Stadtteil Molenbeek in der belgischen Hauptstadt als Hochburg der Terroristen. Mit vielen Projekten hat man seither versucht, dem Viertel seinen schlechten Ruf zu nehmen. Doch nicht überall sind die Initiativen erfolgreich.
Es sind nur ein paar Schritte von der Innenstadt über den trüben Kanal, hinüber nach Molenbeek. Keine triste Vorstadt, sondern ein lebendiger Stadtteil, mitten im Zentrum der belgischen Hauptstadt. Nur wenige Meter vom Wasser entfernt, in der Rue des Ateliers steht das Foyer.
Begegnungsstätte und Jugendzentrum, einer der angesehensten Einrichtungen in Molenbeek:
"Foyer heißt Haus, 'ist mein Haus', heißt für die Leute, Du kannst Vertrauen haben, ist ein Haus, wo Du Vertrauen findest.
"Man sollte nicht mit dem Finger auf das Viertel zeigen"
Johan Leman leitet die Einrichtung. Dem über 70-jährigen emeritierten Anthropologen sieht man sein Alter nicht an. Stolz führt er durch das Begegnungszentrum:
"Wir haben auch zwei Sportclubs. Wir haben auch einen Athletikclub. Und einen Basketballclub für Mädchen. Und dann arbeiten wir auch mit Kindern, die nicht wirklich hierher kommen. Die wir aber in die Schule bringen. Zum Beispiel Roma."
500 Jugendliche besuchen täglich das Foyer in einem Stadtteil der Extreme. 40 Prozent Arbeitslosigkeit, jeder Vierte lebt von staatlicher Hilfe, der Anteil von Muslimen liegt - weit über Brüsseler Durchschnitt - bei rund 40 Prozent. Drei der Terroristen der Anschläge von Paris stammten aus Molenbeek, ebenso die Selbstmordattentäter von Brüssel. Was hat sich auch im Stadtteil seither geändert? Für Leman fällt die Bilanz ernüchternd aus:
"Weil die Leute dort nicht überzeugt sind, was die Politiker machen. Sie sagen, dass ist zu viel von oben nach unten. Man versteht, was hinter diesen Initiativen ist. Aber man versteht nicht, warum man oben nicht versteht, dass man dies nicht in dieser Weise machen sollte."
So wurden 50 Polizisten zusätzlich Molenbeek zur Verfügung gestellt. Doch die Beamten kommen von außen und sind auch nicht dauerhaft auf den Straßen präsent. Die Maßnahme verpufft, beklagt Leman. Nach wie vor sind Rekrutierer für den sogenannten Islamischen Staat noch immer in Molenbeek unterwegs:
"Wir wissen, dass noch mindestens zehn Leute hier in den Straßen sind und in die Cafes gehen, die mit jungen Leuten Kontakte haben. Das ist so. Jedermann hier in Molenbeek weiß, dass man es nicht alles kontrolliert".
Vom Foyer ist es nur ein kurzer Weg in Richtung Bezirksrathaus. Vorbei an der Kirche Saint-Jean-Baptiste. Auf dem Platz davor herrscht reges Treiben. Es ist Markttag heute. Auf Fragen nach der Stimmung im Viertel ein Jahr nach den Anschlägen reagieren viele abweisend:
"Seither gibt es kein Problem. Es ist ruhig. Ehrlich. Es gibt kein Problem. Sie sehen ja selbst. Die Leute arbeiten, sie essen, sie lachen. Es gibt keinen Stress."
"Das kann überall passieren. Es ist ja nur, dass die Täter hier gelebt haben. Man sollte nicht mit dem Finger auf das Viertel zeigen. Die Stadt bleibt die gleiche. Die Leute dieselben. Man muss auf die Ursachen schauen."
Rückzug in Religiöse
Dafür ist die Bezirksbürgermeisterin zuständig. Francoise Schepmans, die 57-Jährige mit blondem Pagenschnitt, empfängt im durchaus repräsentativen Rathaus von Molenbeek. Das Viertel, so sagt sie, habe noch immer mit strukturellen Problemen zu kämpfen:
"Viele junge Menschen, die hier beeinflusst werden, sind arbeitslos. Sie sind erst kleinkriminell, dann werden sie radikalisiert. Sie fangen an zu stehlen, Drogen zu dealen. Auf diese Weise sind sie empfänglich für religiösen Extremismus."
Ein weiteres Problem: seit den Anschlägen, sagt Schepmans, erlebe sie eine Abkapselung, einen Rückzug ins Religiöse.
"Ich bin weniger durch die Moscheen direkt beunruhigt, sondern durch die Schulen dort. Die Schulen der Moscheevereine. Wo viele junge Menschen am Wochenende hingehen. Um die arabische Sprache zu lernen, die arabische Kultur, den Koran. Ich glaube, dass man an diesen Orten schon Kindern einen muslimischen Konservativismus beibringt."
Oft seien auch radikale Botschaften darunter, warnt die Bürgermeisterin. Das Gegenrezept: Bildung, eine gute Ausbildung, die Zusammenarbeit mit aufgeschlossenen Imamen. Doch es ist ein mühsamer und langer Kampf. Zurück im Foyer. Johan Leman führt diesen Kampf bereits seit den 80er-Jahren. Und er ist für die Zukunft von Molenbeek nicht sehr optimistisch:
"Das Problem in Molenbeek ist: wenn Du Karriere machst, gehst Du weit weg. Du verlässt Molenbeek. Ich verstehe das. Dann bist Du zum Beispiel Lukaku, der für eine britische Mannschaft spielt. Es gibt aber auch ein Mädchen, das in Silicon Valley ist. Und eine andere ist in Hollywood. Also Du hast auch Erfolg. Du machst es dann. Und wenn Du es machst, dann gehst Du wirklich fort."
Zurück aber bleiben die Arbeitslosen, die ohne Chancen und Perspektive. Das wiederum, so der Anthropologe abschließend, sei der gefährliche Nährboden für die Rekrutierer in Molenbeek:
"Das Risiko ist, dass es eine Inkubation gibt. Wie es eine Inkubation gegeben hat zwischen 2002 und 2010. In den Cafés und so. Das Risiko ist, dass dasselbe wieder geschieht. Das ist das Risiko".