Die Not der Überlebenden
22:49 Minuten
Vor einem Jahr, am 3. März 2020, waren die Feuer in Australien nach 240 Tagen endlich "unter Kontrolle". Die Bilanz: eine Fläche halb so groß wie Deutschland verbrannt, vier Milliarden Tiere verendet und unzählige Menschen traumatisiert. Wer hilft?
"We need some official documentation. Did you get an insurance payout ?" – "Yeah, we did."
Sprechstunde in der alten Gemeindehalle von Milton, einem ländlichen 1700-Einwohner-Ort, drei Autostunden südlich von Sydney.
Da, wo früher auf dem ausgetretenen Parkettboden Bürgerversammlungen oder Vereinsfeiern stattfanden, ist heute die örtliche Anlaufstelle für Buschfeueropfer. In einer Ecke türmen sich Kleider- und Lebensmittelspenden, in der anderen steht der Schreibtisch von Bridget McKenzie.
"If you can send me your driver’s licence and insurance letter overnight I’ll put you on the list, if we have a spare you are ready to go."
Hilfe ist auch nach einem Jahr noch nötig
McKenzie ist eine Freiwillige der ersten Stunde. Die pensionierte Grundschullehrerin wollte nach der Buschfeuerkatastrophe im Januar 2020 ein paar Wochen lang mithelfen, für Betroffene das Nötigste - Unterkünfte, Kleidung und Verpflegung - organisieren. Jetzt, über ein Jahr später, ist sie immer noch da.
"Das Ausmaß der Zerstörung war so groß, dass die Behörden einfach überfordert waren. Dann kam Corona, niemand war mehr zuständig oder ansprechbar", sagt sie.
"Viele Opfer wurden mit verwirrenden Antragsformularen für Finanzhilfen alleingelassen. Erst jetzt scheinen die Regierungsstellen und Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz oder die Heilsarmee langsam aufzuholen."
Cath Boyd schaut alle paar Tage vorbei. Sich erkundigen, wenn es endlich Hilfsgelder gibt, oder einfach nur für ein Schwätzchen. Als das Feuer kam musste Cath alles zurücklassen. Ihre Farm, die Schweine, die Traktoren.
"Es ist ein hartes Leben im Wohnwagen"
Heute haust sie mit Mann Trevor in einem ausrangierten, geliehenen Wohnwagen mit Camping-Gaskocher. Ohne Toilette und fließend Wasser.
"Es ist ein hartes Leben im Wohnwagen. Man hat nicht viel und es gibt nichts zu tun. Wenn es dunkel wird, legen wir uns schlafen, wird es hell, stehen wir auf. Meistens muss ich mich mit feuchten Toilettentüchern waschen. Ich vermisse eine anständige Dusche."
Wären die Baumstämme der Wälder nicht immer noch rußgeschwärzt, niemand käme auf die Idee, dass in den spinatgrünen Hügeln um Milton vor einem Jahr das verheerendste Buschfeuer in der Geschichte des Ortes getobt hat. Kaum ein Farmer in der Gegend war versichert.
"Die monatlichen Zahlungen sind einfach zu hoch", meint Trevor Boyd. Er kann nicht verstehen, dass von Milliarden Euro an Spenden und angekündigten Nothilfen bisher kaum etwas bei den Buschfeueropfern angekommen ist.
Warten bis die Regierungsgelder kommen
"Zu viel Bürokratie", vermutet Trevor, oder vielleicht Corona. Trevor kann nichts tun als warten. Warten bis die Regierungsgelder kommen und dann wieder ganz von vorne anfangen.
"Ich habe keine Ahnung wie wir das schaffen sollen. Erst sollten wir Zahlungen bekommen, dann hieß es leider, dass wir dafür nicht infrage kämen. Es gibt nichts was man dagegen tun kann."
Niemand spricht über die Todesopfer der Feuer in der Gegend. Nicht über die Farmer, die von den Flammen überrascht wurden. Auch nicht über das Vieh, das, halbverendet, auf verkohlten Weiden erschossen werden musste.
"Ihr Selbstwertgefühl wurde zerstört"
Freiwilligenorganisationen reparierten tausende Kilometer Zäune, Unternehmen spenden Futter, Lebensmittel und Trinkwasser. Nachbarn helfen aus. "Die Betroffenen sind dankbar", versichert Kim Daniels, die zwei Tage die Woche in der Gemeindehalle aushilft. Auch wenn sie es vielleicht nicht offen zeigten.
"Die Menschen hier in der Gegend haben sich, was sie besitzen, hart erarbeitet. Sie mussten nie jemanden um Hilfe bitten. Deshalb fällt ihnen das jetzt umso schwerer. Viele haben in nur einem Augenblick alles verloren. Dabei wurde auch ihr Selbstwertgefühl zerstört."
Buschfeuer diskriminieren nicht, sie zerstören, was sich ihnen in den Weg stellt. Wer Glück hat kommt mit dem Leben davon. Das Haus oder die Farm zu retten ist schon fast wie ein Lottogewinn. Jodie und Robert Miller gelang beides.
"Narrawilly", die Farm der Millers, ist seit 160 Jahren in Familienbesitz. Etwa 1000 Milchkühe auf 1000 Hektar Land, ein einstöckiges, weißgetünchtes Farmhaus mit rotem Blechdach auf einer Anhöhe.
Der Nationalpark auf der gegenüberliegenden Seite des Tals brannte damals bereits. Robert Miller hoffte das Feuer würde vorbeiziehen. Dann drehte am Neujahrstag 2020 der Wind. Die halbe Farm der Millers fackelte ab, aber nicht ein einziges Gebäude. Auch nicht das Haus.
Wochen später fing es wieder an zu regnen. Die Natur kümmert sich nach einem Buschfeuer um sich selbst, die Überlebenden der Brände aber brauchten Hilfe. Hilfe, die sie nicht bekamen.
Eine Welle psychischer Erkrankungen befürchtet
Die australische Regierung hatte eineinhalb Milliarden Euro Sofortunterstützung versprochen. "Davon hat kaum jemand etwas gesehen", beschwert sich Robert Miller. Die zugesagte psychische Langzeitbetreuung der Farmer fiel der Coronakrise zum Opfer.
"Unsere Ärzte warnen vor einer Welle psychischer Erkrankungen. Die Nervenbelastung während der Feuer, die ständige Furcht – viele Farmer haben seitdem Alpträume. Über Wochen wusste ich selbst nicht, ob ich den nächsten Tag noch erleben würde. Es war wie in einem Kriegsgebiet."
Posttraumatischer Stress, Angstzustände, Unbehagen, Appetit- und Schlaflosigkeit - seelische Narben, die nicht verheilen wollen. Das alles kannte Jodie Miller bisher nur aus dem Fernsehen, aus Erzählungen von Kriegsveteranen.
"Ich hatte Todesangst"
Doch seit sie, nur mit einem Gartenschlauch in der Hand, alleine, vor einer tausend Grad heißen Feuerwand stand, leidet sie unter ähnlichen Symptomen.
"Ich fühle mich schuldig, überlebt zu haben. Die Farm brannte und wir haben Tiere verloren, aber keine Menschenleben und auch nicht unser Zuhause. Andere hatten nicht so viel Glück. Deshalb fühle ich Schuld – und Scham. Denn ich war nicht sehr mutig, ich hatte Todesangst. Das möchte ich nie wieder erleben, es war eine sehr schwere Zeit für mich."
Man muss kein Experte sein, um zu sehen, dass es Jodie nicht gut geht. Jede Antwort ist eine Kraftanstrengung, jede Erinnerung an das Feuer eine Überwindung. Der Strom war damals ausgefallen, Robert am anderen Ende der Farm, ihr Handy war leer.
Warndurchsagen im Radio als Rettung
Alles, worauf sich Jodie Miller verlassen konnte, waren die Warndurchsagen im Radio, ein Service der ABC, Australiens öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der landesweit Fernseh- und Hörfunksender betreibt.
"Wir saßen in unseren Autos und hörten der ABC zu, wo die Feuer waren und welche Straßen gesperrt waren. Wir erfuhren, wenn sich der Wind drehte, und bekamen die Einschätzungen der Brandschutzbehörden und der Polizei. Ohne diese Durchsagen wären wir erledigt gewesen. Wir bekamen die Informationen, die wir brauchten, um die richtigen Entscheidungen zu treffen."
Durchsagen rund um die Uhr, von Warnungen bis zu unmissverständlichen Aufrufen sofort zu evakuieren: über Monate wurden Australier in feuerbedrohten Gebieten auf lokalen Notfallfrequenzen und im üblichen ABC-Programm über Weg, Stärke und Geschwindigkeit der Brände auf dem Laufenden gehalten.
Der Informationsservice der ABC ist in Gefahr
Doch, nur ein Jahr später, ist der Informationsservice in Gefahr. "Die Regierung streicht das steuerfinanzierte Budget der ABC immer mehr zusammen", beklagt Alix Foster van der Elst, die Mediensprecherin der Bürgerbewegung "Get Up!". Das sei so dumm wie gefährlich. Denn die Einsparungen sind so gravierend, dass auch die Zukunft der Notfallübertragungen auf dem Spiel steht.
"In sechs Jahren an der Macht haben die Konservativen das Budget der ABC um umgerechnet 485 Millionen Euro gekürzt. Mehr als 1200 Jobs wurden gestrichen – darunter war auch der Posten des Leiters für Notübertragungen. Das ist ein Skandal. Die ABC hat während der Buschfeuer unzählige Leben gerettet, es wäre nicht auszudenken, wenn dieser Service nicht mehr da wäre."
Alix Foster van der Elst ist nicht überrascht. "Die ABC ist unbequem", sagt die Medienaktivistin. Wer sonst kritisiere die Regierung, dass sie keine Klimapolitik habe, die diesen Namen auch verdiene. Farmerin und Buschbrandopfer Jodie Miller ist egal, wer - weit weg in Canberra - das Sagen hat. Hauptsache das Budget der ABC werde nicht angerührt. "Denn alles andere", glaubt sie, wäre ein Spiel mit dem Feuer.
"Die ABC hat uns das Leben gerettet"
"In Australien gibt es regelmäßig Naturkatastrophen: Buschfeuer, Überschwemmungen oder Wirbelstürme. Wir müssen rechtzeitig gewarnt werden und es muss genug Journalisten geben, die vor Ort berichten. Die ABC hat uns das Leben gerettet und es sollte keine Geldfrage sein, dass sie das auch in Zukunft tun kann."
34 Tote, 6000 zerstörte Gebäude, eine Fläche halb so groß wie Deutschland verbrannt, vier Milliarden verendete Tiere und ein wirtschaftlicher Schaden von 67 Milliarden Euro: der schwarze Sommer 2019/20 war die verheerendste Naturkatastrophe in der Geschichte Australiens. So verheerend, dass sie ein politisches Nachspiel hatte.
"This is a report that goes in the next journey of this nation’s healing after one of the most significant natural desasters in our nation’s history."
Im März 2020 begann die Aufarbeitung der Buschfeuerkatastrophe. Sechs Monate lang hörte eine öffentliche Untersuchungskommission Zeugen und Experten.
Am Ende machte das Gremium 80 Vorschläge, die allesamt angenommen wurden. Sie reichten vom Anschaffen einer landeseigenen Löschhubschrauberflotte bis hin zur Forderung, weit mehr Unterholz als bisher im milderen Winter kontrolliert abzubrennen, um den Feuern im Sommer die Nahrung zu nehmen.
"Just unprecedented fire behaviour, incredible spotting, firegenerating storms. These things never used to happen."
Er sprach von nie dagewesener Feuerintensität und von Flammenfronten, die ihr eigenes Wettersystem kreieren: einer der Fachleute vor der Kommission war Greg Mullins, der langjährige frühere Feuerwehrchef des Staates New South Wales.
"Wir waren im Krieg letzten Sommer"
Er forderte einen nationalen Katastrophenschutz mit Koordinationshoheit einzurichten, bessere Ausrüstung für freiwillige Feuerwehren und, noch wichtiger für Mullins: flexiblere Umwelt-, Forst-, und Lokalbehörden, die ihre oft veralteten Bestimmungen der neuen Buschfeuerrealität anpassen müssten.
"Stromleitungen gehören nicht über sondern feuerfest unter die Erde, damit es auch nach einem Brand Elektrizität gibt. Wir dürfen nur noch nicht brennbare Baumaterialien in Buschfeuergebieten zulassen und sollten mehr ständige Evakuierungszentren einrichten. Aber vor allem müssen wir früh auf extreme Umweltbedingungen reagieren. Wir waren im Krieg letzten Sommer. Im Krieg muss man wissen, wozu der Feind in der Lage ist – jetzt und auch in Zukunft."
Schwammige Klimaschutzziele, eine einflussreiche Bergbaulobby und überwiegend Kohlestrom statt alternativer Energien: für Brandschützer Greg Mullins ist der größte Umweltfeind die konservative Regierung in Canberra. Australien gehört weltweit zu den 20 Ländern mit den höchsten Schadstoffemissionen und ist der drittgrößte Exporteur von fossilen Brennstoffen. Eine Kursänderung ist nicht in Sicht.
Das nächste Feuer kommt bestimmt
"Niemand behauptet, dass die steigende Erderwärmung die letztjährige Buschfeuerkatastrophe ausgelöst hätte", sagt Mullins, aber Rekordtemperaturen und lange Dürreperioden wirkten wie Brandbeschleuniger.
"Wir wurden von Mutter Natur völlig überwältigt. Sie hat genug von all dem Gift, das wir in die Atmosphäre blasen. Je extremer das Klima in Australien wird, desto verheerender und häufiger werden auch Buschfeuer. Es ist unsere gemeinsame, moralische Pflicht gegenüber künftigen Generationen diese Entwicklung nicht eskalieren zu lassen."
Die Betroffenen der letztjährigen Buschfeuer haben keine Zeit für Politik. Sie müssen ihre Häuser, ihre Existenzen, ihr Leben wiederaufbauen. Mit oder ohne Hilfe vom Staat. Einfach aufgeben oder wegziehen aber will niemand. Man kann das Stolz, Trotz, Bodenständigkeit oder Leichtsinn nennen. Denn das nächste Feuer kommt bestimmt.