Ein Jahr Ulmer Synagoge

Wachsende Gemeinde im Schwabenland

Von Raphael Rauch · 13.12.2013
Die Einweihung der Synagoge in Ulm vor einem Jahr sorgte vielerorts für Freude. Der orthodoxe Ritus des Rabbiners Shneur Trebnik ruft bei einigen in der Gemeinde aber auch Unmut hervor.
Die Ulmer Flüsse Blau und Donau fließen in der Nähe des Weinhofs zusammen. Hier wurde im neunten Jahrhundert die königliche Pfalz gegründet, aus der später die Stadt Ulm wurde. In bester Lage liegt die neu errichtete Ulmer Synagoge. Wie schon die Bauten in Dresden und München hat auch die Ulmer Synagoge die Form eines Würfels. Die vier Außenwände orientieren sich an den vier Himmelsrichtungen, doch der Thora-Schrein ist nach Südosten gerichtet und zeigt nach Jerusalem. Vom Neubau ist Barbara Traub begeistert. Sie ist Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg und freut sich besonders, dass die Gemeinde nun ihr soziales und kulturelles Programm ausweiten kann.
"Das kulturelle Leben hat einen großen Aufschwung genommen, es muss sich sicher noch etablieren und entwickeln, aber da sehen wir gute Schritte. Wo wir sicher noch arbeiten müssen, ist in der Etablierung der Kindertagesstätte. Sie ist noch sehr klein, wir haben noch sehr wenig Kinder im Moment, und wir hoffen sehr, dass die Ulmer Bürger ihre Kinder auch zu uns in die Gemeinde schicken."
Der Neubau befindet sich in der Nähe der alten Synagoge, die 1938 von den Nazis zerstört wurde. Durch die Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wuchs die jüdische Gemeinde in Ulm stark an und bekam im Jahr 2000 mit dem Israeli Shneur Trebnik einen eigenen Rabbiner. Die Stadt Ulm, deren bekanntester Jude vor dem Holocaust Albert Einstein war, habe jedoch noch keinen schwäbischen Juden, sagt der Rabbiner.
"Ich kann unsere Mitglieder nicht als jüdische Schwaben bezeichnen, weil keiner hier ein echter Deutscher, ein echter Schwabe ist, aber ich denke, die heimeliche Atmosphäre ist hier im Haus ganz wichtig. Wir legen alle sehr, sehr viel Wert darauf, dass sich jeder hier zuhause fühlt."
Der Ulmer Rabbiner spricht von einer heimeligen Atmosphäre. Hier sollen sich die Mitglieder wohl fühlen. Architektur-Kritiker sind begeistert von dem neuen Gebäude in Ulm, und auch die jüdische Gemeinde, die nach dem Holocaust nur 30 Mitglieder zählte, ist auf 450 gewachsen. Die Sprach- und Integrationskurse sind sehr gut besucht, und auch die Zahl der Gottesdienstbesucher stimmt den Rabbiner zufrieden.
"Bei einer normalen Woche gibt es 60, 70 Besucher, wenn es gut besucht ist, könnten es auch achtzig sein. Es gibt schon Gottesdienste, wo es nur 30 Leute sind, aber im Vergleich mit den anderen hoffe ich, wir sind auf einem guten Weg."
Das Vermissen liberaler Akzente
Diese Einschätzung wird nicht von allen jüdischen Ulmern geteilt. Zu den schärfsten Kritikern des Rabbiners gehören Sibylle und Shraga Goldmann, die liberale Akzente in der Einheitsgemeinde vermissen. Dies liege auch daran, dass Rabbiner Trebnik der jüdischen Organisation "Chabad Lubawitsch" angehört. Hier werden die jüdischen Religionsgesetze besonders streng ausgelegt. Liberale Jüdinnen hätten darin keinen Platz, kritisiert Sibylle Goldmann:
"Ich fühle mich nicht willkommen in dem Demonstrieren dieser Art von orthodoxem Judentum. Er gibt mir nicht die Hand, weil ich eine Frau bin. Es ist aber diskriminierend! Und es ist eine Richtung im Judentum, die der Frau keine religiösen Rechte gibt, fertig."
Ihr Mann Shraga ist in Berlin geboren und in Israel aufgewachsen. Auch er lässt an dem ebenfalls aus Israel stammenden Rabbiner kein gutes Haar.
"Wir leben in einem Land, in dem wir froh sind, dass wir einen Bundespräsidenten haben, der für die menschenfreundliche christlich-jüdische Richtung ist. Und ich fühle mich eher näher zu dem Bundespräsidenten als zum Ulmer Rabbiner."
Shneur Trebnik hingegen sieht sich als Rabbiner für alle Juden in Ulm. Doch ohne den Optimismus von "Chabad Lubawitsch", sagt der Rabbiner, hätte er das Mammutprojekt, eine Gemeinde in Ulm neu aufzubauen, nicht geschafft.
"'Chabad Lubawitsch' ist eine positive Energie zu sagen, obwohl es manchmal nicht einfach ist: Ziel ist, dass wir Juden wirklich die Möglichkeiten haben, denen den Weg zu zeigen, wie können sie das oder was anderes erreichen."
Rabbiner Trebnik will noch viel erreichen - und freut sich über den ersten Geburtstag des repräsentativen Baus.
"Ich hoffe sehr, dass dieses Baby wächst, dass wir keine zwanzig Jahre abwarten müssen, bis die Synagoge hier wieder bisschen zu eng ist."
Bei allem Optimismus: Auch 75 Jahre nach der Reichspogromnacht gibt es Menschen in Ulm, die gegen jüdisches Leben sind:
"Ich hatte persönlich mal eine sehr unangenehme, fast gefährliche Situation auf der Straße, dass jemand einen harten Gegenstand nach mir geworfen hat."
Zwar wird die Synagoge nicht rund um die Uhr von der Polizei bewacht, doch mehrmals am Tag schickt diese eine Streife vorbei. Ansonsten fällt die Bilanz des Rabbiners positiv aus. Und auch wenn ihm eine helle Synagoge mit viel Licht wichtig ist: Abends, wenn er von außen die 90 Davidsterne im großen Fenster leuchten sieht, dann freut sich Rabbiner Trebnik auch über das Gotteshaus im Dunkeln.
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