Ein junger Polit-Aufsteiger
Philip Rösler hat eine rasend schnelle politische Karriere gemacht. Nach der Bundestagswahl Ende September trat er als erster Liberaler das Amt des Gesundheitsministers in einem deutschen Kabinett an.
Der neue Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler über sein politisches Vorbild:
"Walter Hirche ist mein politischer Ziehvater. Denn Walter Hirche war ja Landesvorsitzender der FDP in Niedersachsen. War einmal 1986 - 1990 Wirtschaftsminister in Niedersachsen. War dann in Brandenburg und ist dann wieder zurückgekommen."
Wie der neue Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler davon erfahren hat, dass er Regierungsmitglied werden soll.
"Ich war auf dem Weg zu Fuß von der Landesvertretung NRW nach Niedersachsen, weil ich noch ein bisschen Zeit hatte, war ich früh in der Philharmonie, und da hat mich dann das Büro von Guido Westerwelle angerufen. Ich soll doch bitte gleich zu ihm ins Büro kommen. Weil ich wusste, was dieser Satz bedeutet und das wohl das Ergebnis eines Gespräches war, bin ich dann einmal drum herum gelaufen, da ist glaube ich, so eine Kunsthalle, habe einmal Luft geholt, wie man das so macht, habe mir dann ein Taxi genommen und bin dann zu Guido gefahren."
Herr Doktor praktiziert Politik – unser Kabinett:
Gesundheitsminister Philipp Rösler.
Eine Reportage von Jörg Hafkemeyer
Das Ministerbüro in der fünften Etage in der Friedrichstraße. Ein paar Schritte vom gleichnamigen S-Bahnhof entfernt. Gleich neben dem Admiralspalast und dem Kabarett "Die Diestel".
Ein hoher Raum. Teakholzmöbel. Ein Fenster ist geöffnet. Draußen braust der Verkehr vorbei. Eine beigefarbene Sitzecke, ein Glastisch. Hinten links, ganz am Ende des Büros, eine offen stehende Tür. Ein kleiner Raum mit Bett und Nachttisch. Philipp Rösler erhebt sich von seinem Schreibtisch, schließt die Tür zu der kleinen Wohnung.
Rösler: "Also, ich komme am Wochenende nach Hause. Ansonsten bin ich hier. Meistens auch im Büro. Das liegt aber vor allem jetzt daran, dass man sich ja viel anlesen muss. Man muss in die komplexe Thematik hinein kommen. Also lese ich hier bis spät abends und brauche dann nur in dieses kleine Zimmerchen rein zu fallen. Ich hab` ja noch ’nen Badezimmer dazu, und am nächsten Morgen ist man gleich der Erste bei der Morgenbesprechung."
Lautlos öffnet sich die Bürotür. Eine Mitarbeiterin kommt herein. Der Teppich verschluckt die Schritte. Sie schließt geräuschlos das Fenster.
Der 36-Jährige rutscht unruhig in seinem Sessel hin und her, vor und zurück. Gestikuliert. Ist auf dem Sprung, obwohl er in diesem Moment nirgendwo hin muss. Ein geduldiger Mensch ist er nicht …
Rösler: "Ja, sicherlich nicht von Natur aus. Aber ich glaube, das hat man gelernt, dass man so ein bisschen geduldiger wird. Aber sonst eigentlich eher nicht."
Er arbeitet sich noch ein, erzählt er leicht vorgebeugt. Organisiert sein Leben neu, in diesen ersten Wochen und Monaten bis zum Jahresende. Das ist nicht so ganz einfach. Die örtliche Trennung von der Familie. Weniger Zeit für die privaten Vorlieben wie Bauchreden. Das will der Sohn eines ehemaligen Bundeswehrpiloten vor dem Mikrofon nicht machen. Selbst für einen so schnellen Menschen wie Philipp Rösler ist in den letzten Wochen alles sehr schnell gegangen.
Rösler: "Wir hatten im Vorfeld gesagt, wir wollen versuchen, Gesundheit zu verhandeln. Ich habe aber nicht im Traum daran gedacht, dass das jemals gelingen kann, weil ich dachte, dass wäre irgendwie anders verteilt und insofern habe ich dann gesagt, na klar, wenn du verhandelst, dann musst du auch zur Not jemand haben der das dann auch macht. Aber ich habe, wie gesagt, nicht ernsthaft nur eine Sekunde daran geglaubt, dass das jemals auf einen zukommen würde. Aber dann können sie natürlich nicht zurück. Insofern hatte ich in der Sekunde als er es dann eröffnet hat, sich die Frage auch nicht mehr gestellt."
Er zuckt mit den Schultern, lächelt. Schaut mit dunklen, wachen Augen durch seine randlose Brille als wollte er sagen, sehen sie, so ist es gewesen in Guido Westerwelles Büro an jenem Freitagabend. Und was hat seine Frau gesagt?
Rösler: "Das glaube ich nicht, als ich ihr das gesagt habe und ja, ich hab’ dann mit ihr auch lange reden müssen, weil unsere Lebensplanung war gänzlich anders ausgerichtet. Ich bin ja gerade Minister geworden und gewesen in Niedersachsen und wir haben uns noch am Dienstag vor dem Freitag, als ich es erfahren hatte, ein Haus gekauft. Also unsere Lebensplanung war gänzlich, und auch mit den Kindern, auf Hannover ausgerichtet und das kann man nicht allein entscheiden. Das muss man zu zweit tragen und ich bin meiner Frau sehr dankbar, dass sie es mit trägt."
Der studierte Allgemeinmediziner muss nun Politik praktizieren. Er weiß, sagt er, dass das in seinem Fachgebiet besonders schwierig, geradezu vertrackt ist. Er lehnt sich für einen sehr kurzen Moment in seinem Sessel zurück. Bleibt sehr wach, lebhaft, hört konzentriert zu. Seine Lieblingsworte sind "man" und "also". Und seine Lieblingslektüre?
Rösler: "Also, wenn, dann lese ich eher zur Entspannung. Das hat nichts mit Politik zu tun. Gelegentlich auch mal Vampirromane oder über Wehrwölfe. Das ist halt so. Ist ja auch nicht unspannend. Und in so fern, wie gesagt, nichts was mit Politik zu tun hat oder auch nur über Politik handelt."
Der jüngste Minister des zweiten Merkel-Kabinetts liebt Lakritze und Blackberrys. Er ist in der Geschichte des Nachkriegsdeutschlands nicht nur der erste Gesundheitsminister, den die FDP stellt, er ist auch das erste Kabinettsmitglied, das im Ausland geboren ist. In Vietnam. Das vietnamesische Waisenkind wird im Babyalter von einem deutschen Ehepaar adoptiert, in Hamburg aufgezogen. Der Vater ist SPD-Mitglied.
Rösler: "Ich war das erste Mal da nach meiner Adoption 2006. Auch auf Initiative meiner Frau, weil, sagte sie, wenn wir irgendwann einmal Kinder kriegen, wollen wir mal erzählen, wo Papa herkommt, also fahren wir mal hin. Und dann haben wir so eine Rundreise also von Nord nach Süd genommen und das war ganz toll. Einmal als Reiseland und auch aufgrund der biografischen Bezüge, nicht emotional aber intellektuell und das fand ich unheimlich aufregend und spannend."
Wenn er über diese Zeit, seine Herkunft spricht, ist er auf einmal viel weniger aufgeregt. Er stützt seinen Kopf auf seine rechte Hand, spricht weniger schnell, fühlt sicht sichtbar sicherer, wenn er über seine Kindheit, sicherer, als wenn er über Politik spricht.
Rösler: "Also, ich war neun Monate alt. Hab’ an Vietnam keine Erinnerungen Die ersten Erinnerungen fangen mit vier Jahren an im Kindergarten in Hamburg. Also, insofern hat das emotional nie ’ne Rolle gespielt. Aber natürlich intellektuell, weil einen viele fragen. Jetzt, ob das `ne Rolle spielt und ich kriege unheimlich viele Zuschriften und Anfragen von den ehemaligen Boatpeopeln. Ich war zwar kein Boatpeopel, aber man wird dann in ein Boot geworfen, wenn man so will, und von vielen Vietnamesen, aber noch nicht mal nur Vietnamesen, Asiaten und anderen Menschen mit Migrationshintergrund, die einen anschreiben und das irgendwie Klasse finden, dass einer von uns, wie sie oft schreiben oder sagen, dann Bundesminister geworden ist."
Ich bin ein in Vietnam geborener Norddeutscher, meint er lächelnd und esse sehr gerne Butterbrot mit Nordseekrabben. Sein genaues Geburtsdatum kennt die Kriegswaise nicht. Es amtlich auf den 24.2.1973 festgelegt. 2010 wird er wieder nach Vietnam reisen. Offiziell als Vertreter der Bundesregierung, freut er sich. Zeit dafür, seinen Geburtsort herauszufinden, wird er dann wieder nicht haben.
Rösler: "Das hat sich nie ergeben. Ich hab den mal gesucht auf der Karte. Hab` das nie raus bekommen und erst als ich dann in Vietnam bei der Reise war, war ich dann in diesem südvietnamesischen Präsidentenpalast, ist jetzt ein Museum. Da kann man gut die alten Lageräume noch besichtigen und da sind auch alte Lagekarten an der Wand. Und da habe ich dann sofort den ort gefunden. Und das ich ihn bisher auf anderen Karten nicht gefunden habe liegt daran, dass man direkt nach dem Vietnamkrieg nicht nur Saigon umbenannt hat in Ho-Tschi-Minh-City, sondern alle umliegenden Dörfer, Kreise und Gemeinden auch.
Und deswegen kann man die alten Urkunden und Namen gar nicht mehr finden. Die Kollegen haben mir das dann erklärt, der Dolmetscher, der mit dabei war, und dann habe ich erst den Ort entdeckt, aus dem ich dann ursprünglich mal gekommen bin."
Der heißt Soc Trängh. In der gleichnamigen Provinz. Eine Sekretärin steckt den Kopf durch den Türspalt. Philipp Rösler nickt ihr zu, weiß, der nächste Termin steht an, will aber noch nicht aufhören zu erzählen. Er streicht seine vollen schwarzen Haare zurück und meint, Deutschland ist ein sehr internationales Land. Deutlich weiter als das gemeinhin gedacht wird. Vor allem, ich sehe ja nicht so aus, wie ein typischer Hamburger Junge, schmunzelt er. Denn wenn ich die anderen anschaue, sehen die meisten sehr deutsch aus, nur wenn die mich anschauen, sehe ich eben eher vietnamesisch aus. Und er erinnert sich, wie er von vielen Kollegen im letzten niedersächsischen Landtagswahlkampf 2008 hörte, na, Herr Rösler, sie sehen anders aus und wenn sie in ländlichen Gegenden in Niedersachsen auftreten, werden sie da akzeptiert und so? Einige von der CDU im Landtag nannten ihn den Chinesen. Rösler erinnert sich, er wurde akzeptiert und findet die Deutschen mehrheitlich sehr tolerant und gelassen.
In die FDP hat ihn ein Freund gebracht. Der hat den jungen Mann, der noch heute Thomas Dehler von seiner FDP und Helmut Schmidt verehrt, einfach zu einer Versammlung mitgenommen.
Dann steht der frühere Stabsarzt der Bundeswehr auf, das geschieht natürlich schnell, geht hinüber zu seinem großen Schreibtisch, ordnet im Stehen Papiere, steckt sie in eine Dokumentenmappe, die in eine Aktentasche. Sonnenlicht fällt auf die Schreibtischplatte, wirft einen langen Schatten auf die gegenüberliegende Wand. An der hängt ein großes, abstraktes Bild. Die Farbe schwarz dominiert.
Wenn er Jeans und T-Shirt und Turnschuhe an hat und nicht als Minister verkleidet durch die Gegend fährt und fliegt, was hört er dann für Musik?
Er schaut überrascht, lacht.
Rösler: "Also, ich bin ja bekanntermaßen auch Udo-Jürgens-Fan, will aber noch mal festhalten, ich höre auch andere Musik. Grönemeyer bis U2. Cold Play war ich jetzt im Konzert. Also, insofern … da bin ich ganz liberal und eigentlich jeder Musikrichtung gegenüber offen."
Philipp Rösler, schließt die Tasche, legt sie auf einen Stuhl. Während er nach seinem schwarzen Mantel greift, will er unbedingt noch sagen, was ihm an sich selber gar nicht gefällt. Fast grinst er dabei:
"Also, mein rechtes, abstehendes Ohr, das können ihre Hörer zum Glück jetzt nicht sehen. Dann rede ich oft zu schnell. Das werden sie schon mehrfach festgestellt und sich darüber geärgert haben im Laufe dieser Sendung. Und ich nuschel. In der Kombination ist es unglaublich schwer für manche Zuhörer, mir dann zu folgen."
Der promovierte Herz-Thorax-Gefäßchirurg muss los. Seine Pressesprecherin, Dagmar Kaiser, drängelt sanft. Eine Sekretärin macht das Fenster wieder Fenster auf. Dr. Philipp Rösler muss zunächst zum Zentralrat der Katholiken nach Bonn und dann seinen ersten Antrittsbesuch als Bundesgesundheitsminister dieser neuen Regierung machen. In Langen bei Frankfurt am Main. Im Paul-Ehrlich-Institut.
Es ist ein strahlend-blauer Wintertag. Langen ist eine halbe Autostunde vom Frankfurter Flughafen entfernt. Das Paul-Ehrlich-Institut liegt fast am Waldrand, ganz in der Nähe ist die Flugsicherung des Großflughafens untergebracht.
Auf dem Platz vor dem Eingang steht Susanne Stöcker. Unruhig. Sie ist für die Organisation des Ministerbesuchs zuständig. Ihr ist klar, die Premiere muss gelingen. Für Philip Rösler. Aber auch für Ihr Institut, das seinem Ministerium untersteht.
Susanne Stöcker: "Das Paul-Ehrlich-Institut ist das Bundesinstitut für Impfstoffe und für biomedizinische Arzneimittel. Das bedeutet, zum Beispiel Impfstoffe, Arzneimittel aus Blut. Allergiepräparate, aber auch sehr innovative Arzneimittel wie Gentherapiepräparate, mono klonale Antikörper prüfen und bewerten wir, bevor wir auf den Markt kommen."
Es ist ein besonderer Tag für die europaweit einzigartige Einrichtung. An der Spitze des Hauses werden in wenigen Augenblicken die Präsidenten wechseln. Das ist ein Grund für den Antrittsbesuch Philipp Röslers. Der andere Grund ist die Schweinegrippe. Für die Zulassung der Medikamente zu deren Bekämpfung ist das Paul Ehrlich-Institut zuständig.
Das ist in einem dreigeschossigen, modernen Bau untergebracht, weiß und blau die Farben. Neben dem Haupteingang links ein weißer Briefkasten mit Bundesadler. Neben dem Haupteingang rechts die große, schwarze Büste des Wissenschaftlers Paul Ehrlich. Dazwischen rennt Susanne Stöcker herum. Wartend sozusagen.
S. Stöcker: "Wir sind hier alle sehr aufgeregt im Institut, denn wir sind tatsächlich das erste Institut in seinem Geschäftsbereich, das unser neuer Bundesgesundheitsminister besuchen wird. Er wird sich informieren über das, was wir im Moment besonders intensiv tun, nämlich die Prüfung der Impfstoffe gegen die Schweinegrippe. Er wird aber vor allem auch unseren bisherigen Präsidenten, Prof Löwer, verabschieden und gleichzeitig seinen Nachfolger, Prof. Cichutek, ernennen. Ein sehr, sehr spannender, aufregender Tag für uns alle und wir freuen uns unglaublich, dass der Minister es möglich machen konnte, hierher zu kommen."
Klaus Cichutek, der künftige Präsident, steht, in einem schlecht sitzenden, grauen Anzug, nicht weit von Susanne Stöcker entfernt. Wartet auch auf den sich verspätenden Minister. Versteht er, dass die Bevölkerung Angst vor der Schweinegrippe hat?
Klaus Cichutek: "Nun, wichtig ist, wahr zunehmen, dass wir einen verträglichen, gut wirksamen Impfstoff anbieten können. Die Impfung ist freiwillig."
Sichtlich erleichtert ist der Noch-Vizepräsident als endlich die Wagenkolonne des Ministers vorfährt. Klaus Cichutek ist ein zurückhaltender, eher scheuer Mann. Interviews mag er nicht so richtig.
Der gepanzerte Ministerwagen und die gepanzerte Limousine seines Begleitschutzes kommen zum Stehen. Die zwei Bodyguards steigen aus, blicken sich um.
Philipp Rösler springt aus der schweren, schwarzen Ministerlimousine, beachtet seine Sicherheitsbeamten überhaupt nicht, eilt auf Klaus Cichutek zu, die beiden begrüßen sich fast herzlich. Geben sich die Hand. Ein kurzer Wortwechsel. Sogleich geht`s hinein.
Und zwar in einem beachtlichen Tempo hinauf die Treppen zum großen Saal. Der Minister voran. Die anderen rennen fast, hecheln hinterher.
Dann der erste große Auftritt von Philipp Rösler. Die gesamte Belegschaft hat sich versammelt. An ihrer Spitze der Noch-Präsident Johannes Löwer. Der Beifall ist überwältigend. So wurde die Vorgängerin, Ulla Schmidt von der SPD hier nie begrüßt, flüstert einer.
Der Noch-Vizepräsident Klaus Cichutek geleitet den Minister nach vorne. Beide nehmen in der ersten Reihe Platz.
Während Klaus Cichutek in dem mit dunklem Holz getäfelten Saal seinen Präsidenten, die Mitarbeiter und den Minister zu seinem ersten Auftritt außerhalb seines Berliner Ministeriums herzlich willkommen heißt, sitzt der ein bisschen schief auf seinem Stuhl. Das linke über das rechte Bein geschlagen.
Mit schwarzen, spitzen Schuhen und schwarzen Socken zu einem braunen Anzug und einer oliv/beigefarbenen Krawatte mit einem zu großen Knoten.
Da kaum jemand an diesem Tag richtig geschmackvoll gekleidet ist, fällt des Ministers Outfit nicht weiter auf. Klaus Cichutek redet noch immer. Kommt endlich zum Schluss. Beifall.
Philipp Rösler steht auf, geht schnell ans Rednerpult. Kein Manuskript, keine Karteikarten. Keine Unterlagen. Nichts. Er begrüßt sie alle, wendet sich an den Präsidenten.
Rösler: "Aber zu nächst einmal will ich auch ihnen noch mal recht herzlich zum Geburtstag gratulieren. Zum 65. – und da ich nun gerade etwas verspätet vom Zentralkomitee Deutscher Katholiken komme, nicht nur Glück, Gesundheit, sondern auch Gottes Segen."
Er spricht frei. Ist schlagfertig und schreibt sich – vorläufig jedenfalls – seine Reden noch selbst. Streckenweise hat er Humor.
Rösler: "Meine sehr verehrten Damen und Herren, es heißt, dass Voltaire, er kann sich nicht mehr dagegen wehren, so kann man einfach Zitate bringen, einmal gesagt haben soll: Dass Ärzte Medikamente, die sie nicht kennen, in Körper geben, die sie noch weniger kennen, gegen Krankheiten, die sie überhaupt nicht kennen.
Und bevor sie jetzt das Vertrauen gänzlich in die Medizin und die Medikamente verlieren, jetzt die gute Nachricht, dass das heute gänzlich anders geworden ist, unter anderem Dank Instituten wie das Paul-Ehrlich-Institut."
Er steht sehr aufrecht. Wippt fortwährend hin und her hinter dem Pult.
Schaut nach links, nach rechts, nach vorne. Stützt sich ab, sonst würde er wohl im Saal herumlaufen und direkt zu seinem Publikum zu sprechen.
Rösler: "Es ist auch Dank Ihnen allen ganz aktuell gelungen, Medikamente der Sicherheit für die Menschen auf den Weg zu bringen, zu testen. Aber es nicht nur jetzt in diesen schwierigen Zeiten möglich gewesen, sondern durch die gesamte Arbeit des Paul-Ehrlich-Institutes."
Danach muss Philipp Rösler zuhören. Der alte Präsident spricht. Johannes Löwer bedankt sich bei seinen Mitarbeitern. Und schließlich, der neue Minister kann es kaum erwarten, kommt es zur offiziellen Amtsübergabe.
Rösler: "Jetzt habe ich die erstens freudige Übergabemöglichkeit. Erstmal kommt ein kleines Geschenk und dann auch, wenn sie so wollen, ein zweites kleines Geschenk, nämlich die Urkunde. In Deutschland geht nichts ohne Urkunde und mit dieser Urkunde will ich sie gleich in`s Amt bringen zum ersten Dezember und damit gleich zum Leiter des Instituts ernenn, aber erst das Geschenk für Professor Löwer."
Der Beifall ist kaum verklungen, beginnt der Rundgang durch das Institut. Rösler will sich, so knapp sein Aufenthalt in Langen auch bemessen ist, die Labors ansehen. Also mahnt er zur Eile. Es geht drei Etagen hinunter.
Der etwa 20 Quadratmeter große Raum ist übersichtlich gegliedert. In der Mitte der große Metalltisch. Darauf verschiedene Testgeräte. Aus Metall und Glas. Links eine hohe Fensterfront. An der Decke weiße Neonleuchten. An den Wänden Glasvitrinen.
Das Labor ist gerammelt voll. Die Presse ist zugelassen. Ein Fotograf neben dem anderen. Alle wollen die besten Positionen. Drängeln, schubsten. Zwei Labortechnikerinnen stehen verschüchtert in der Ecke am Fenster. Der Minister kommt. Das Blitzlichtgewitter geht los. Prasselt auf Philipp Rösler, Klaus Cichutek und einen weiteren Wissenschaftler herab.
Der Wissenschaftler Dr. Michael Pfeiderer vom Paul-Ehrlich-Institut erläutert dem Gefäßchirurgen Dr. Philipp Rösler, dem Bundesminister, den Testvorgang für bestimmte Impfstoffe. Das ist ein komplizierter Vorgang, für Laien nicht zu verstehen. Der 36jährige hört zu. Hat den linken Arm vor der Brust – stützt damit den rechten Ellenbogen ab. Die rechte Hand stützt den Kopf. Der Test interessiert ihn. Seine Unruhe ist weg. Er wippt nicht mehr vor und zurück. Gestikuliert nicht. Beachtet die Journalisten nicht.
Ein wenig später, auf dem Weg durch das Haus im Erdgeschoss, zum kleinen Imbiss, lächelt er spitzbübisch, bleibt stehen und sagt zu dieser Art von Premiere.
Rösler: "Ja, das ist mein erster großer Außentermin. Und das ist natürlich doppelt spannend. Einmal wegen des Paul-Ehrlich-Instituts und natürlich weil`s der erste Außenauftritt ist."
Es ist ein Gespräch im Gehen. Philipp Rösler bleibt nicht stehen. Ist konzentriert. Lässt sich nicht ablenken. Das, was er tut, macht ihm Spaß. Er macht einen zufriedenen Eindruck.
Rösler: "Ja, es ist unheimlich spannend und gerade hier haben wir ein Thema, was die Menschen emotional tief bewegt, weil es jeden angeht und viele Menschen haben Fragen zu Impfstoffen, und die kriegen sie hier richtig beantwortet. Das ist eine großartige Leistung der Menschen hier in dem Institut und deswegen ist es ganz toll, dass ich heute hier sein darf."
Der Mann hat ein ganz schönes Tagespensum. Berlin, Ministerium, Bonn, Zentralrat der Katholiken. Der praktizierende Katholik ist Mitglied in deren Vollversammlung. Langen bei Frankfurt, Antrittsbesuch, anschließend mit dem Wagen nach Hannover. Zwei weitere Termine. Wie hält er sich fit?
Rösler: "Ja, jetzt halte ich mich eigentlich leider gar nicht so richtig fit. Ich versuche, durch Kaffee trinken und ’nen bisschen Schlaf das auszugleichen, aber so richtig gelingen tut das nicht. Aber ich hoffe auf Weihnachten."
Das Händeschütteln auf dem Empfang beginnt. Offenbar hat sich die Zurückhaltung der Mitarbeiter gelegt. Philipp Rösler kann Menschen für sich einnehmen, auch wenn sie nicht alle seine Auffassung teilen. Er ist charmant, sympathisch, viel zu schnell in seinen Formulierungen. Gedanklich oft dem, was er gerade sagt, weit voraus, weshalb er sich so häufig in`s Wort fällt, gibt er zu. Und er sagt sehr gerne "unheimlich toll".
Dem neuen Chef des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, gefällt sein neuer Minister.
"Unser neuer Minister ist ein kompetenter Mann. Ganz erfrischend. Und wir freuen uns sehr, dass er hier zu unserem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel als einem der ersten in seinem Geschäftsbereich gleich gekommen ist, zeigt, dass er unsere Arbeit schätzt und wir sind ein vertrauensvoller und vertrauenswürdiger Partner auch in der Zusammenarbeit mit dem BMG."
Das BMG ist das Gesundheitsministerium. Klaus Cichutek ist der Herr der Impfstoffe. Der Neue an der Spitze des Instituts ist ein begeisterter Jogger, erzählt er, hält sich also nicht nur durch Kaffee trinken, wie sein Minister fit. Das treffen an diesem Tag zwei Männer aufeinander, die gerade neu anfangen. Er steht da und lacht.
Klaus Cichutek: "Wenn man so sagen darf, habe ich schon ein bisschen länger angefangen, bin langsam in den Job rein gekommen. Insofern haben wir Gemeinsamkeiten. Wir haben übrigens auch die Gemeinsamkeiten, wir beide haben Zwillinge. Vielleicht ist das ja auch eine weitere Basis für eine interessante Diskussion."
Der andere Vater, Philipp Rösler, verabschiedet sich unterdessen noch rasch vor der Tür. Die beiden schwarzen Limousinen warten mit laufenden Motoren. Ein letztes Winken, Klaus Cichutek winkt zurück und ab geht`s Richtung Hannover. Zu seinen 2008 geborenen Zwillingen Gesche und Gretje. Und zu seiner Frau. Die auch Ärztin ist.
"Walter Hirche ist mein politischer Ziehvater. Denn Walter Hirche war ja Landesvorsitzender der FDP in Niedersachsen. War einmal 1986 - 1990 Wirtschaftsminister in Niedersachsen. War dann in Brandenburg und ist dann wieder zurückgekommen."
Wie der neue Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler davon erfahren hat, dass er Regierungsmitglied werden soll.
"Ich war auf dem Weg zu Fuß von der Landesvertretung NRW nach Niedersachsen, weil ich noch ein bisschen Zeit hatte, war ich früh in der Philharmonie, und da hat mich dann das Büro von Guido Westerwelle angerufen. Ich soll doch bitte gleich zu ihm ins Büro kommen. Weil ich wusste, was dieser Satz bedeutet und das wohl das Ergebnis eines Gespräches war, bin ich dann einmal drum herum gelaufen, da ist glaube ich, so eine Kunsthalle, habe einmal Luft geholt, wie man das so macht, habe mir dann ein Taxi genommen und bin dann zu Guido gefahren."
Herr Doktor praktiziert Politik – unser Kabinett:
Gesundheitsminister Philipp Rösler.
Eine Reportage von Jörg Hafkemeyer
Das Ministerbüro in der fünften Etage in der Friedrichstraße. Ein paar Schritte vom gleichnamigen S-Bahnhof entfernt. Gleich neben dem Admiralspalast und dem Kabarett "Die Diestel".
Ein hoher Raum. Teakholzmöbel. Ein Fenster ist geöffnet. Draußen braust der Verkehr vorbei. Eine beigefarbene Sitzecke, ein Glastisch. Hinten links, ganz am Ende des Büros, eine offen stehende Tür. Ein kleiner Raum mit Bett und Nachttisch. Philipp Rösler erhebt sich von seinem Schreibtisch, schließt die Tür zu der kleinen Wohnung.
Rösler: "Also, ich komme am Wochenende nach Hause. Ansonsten bin ich hier. Meistens auch im Büro. Das liegt aber vor allem jetzt daran, dass man sich ja viel anlesen muss. Man muss in die komplexe Thematik hinein kommen. Also lese ich hier bis spät abends und brauche dann nur in dieses kleine Zimmerchen rein zu fallen. Ich hab` ja noch ’nen Badezimmer dazu, und am nächsten Morgen ist man gleich der Erste bei der Morgenbesprechung."
Lautlos öffnet sich die Bürotür. Eine Mitarbeiterin kommt herein. Der Teppich verschluckt die Schritte. Sie schließt geräuschlos das Fenster.
Der 36-Jährige rutscht unruhig in seinem Sessel hin und her, vor und zurück. Gestikuliert. Ist auf dem Sprung, obwohl er in diesem Moment nirgendwo hin muss. Ein geduldiger Mensch ist er nicht …
Rösler: "Ja, sicherlich nicht von Natur aus. Aber ich glaube, das hat man gelernt, dass man so ein bisschen geduldiger wird. Aber sonst eigentlich eher nicht."
Er arbeitet sich noch ein, erzählt er leicht vorgebeugt. Organisiert sein Leben neu, in diesen ersten Wochen und Monaten bis zum Jahresende. Das ist nicht so ganz einfach. Die örtliche Trennung von der Familie. Weniger Zeit für die privaten Vorlieben wie Bauchreden. Das will der Sohn eines ehemaligen Bundeswehrpiloten vor dem Mikrofon nicht machen. Selbst für einen so schnellen Menschen wie Philipp Rösler ist in den letzten Wochen alles sehr schnell gegangen.
Rösler: "Wir hatten im Vorfeld gesagt, wir wollen versuchen, Gesundheit zu verhandeln. Ich habe aber nicht im Traum daran gedacht, dass das jemals gelingen kann, weil ich dachte, dass wäre irgendwie anders verteilt und insofern habe ich dann gesagt, na klar, wenn du verhandelst, dann musst du auch zur Not jemand haben der das dann auch macht. Aber ich habe, wie gesagt, nicht ernsthaft nur eine Sekunde daran geglaubt, dass das jemals auf einen zukommen würde. Aber dann können sie natürlich nicht zurück. Insofern hatte ich in der Sekunde als er es dann eröffnet hat, sich die Frage auch nicht mehr gestellt."
Er zuckt mit den Schultern, lächelt. Schaut mit dunklen, wachen Augen durch seine randlose Brille als wollte er sagen, sehen sie, so ist es gewesen in Guido Westerwelles Büro an jenem Freitagabend. Und was hat seine Frau gesagt?
Rösler: "Das glaube ich nicht, als ich ihr das gesagt habe und ja, ich hab’ dann mit ihr auch lange reden müssen, weil unsere Lebensplanung war gänzlich anders ausgerichtet. Ich bin ja gerade Minister geworden und gewesen in Niedersachsen und wir haben uns noch am Dienstag vor dem Freitag, als ich es erfahren hatte, ein Haus gekauft. Also unsere Lebensplanung war gänzlich, und auch mit den Kindern, auf Hannover ausgerichtet und das kann man nicht allein entscheiden. Das muss man zu zweit tragen und ich bin meiner Frau sehr dankbar, dass sie es mit trägt."
Der studierte Allgemeinmediziner muss nun Politik praktizieren. Er weiß, sagt er, dass das in seinem Fachgebiet besonders schwierig, geradezu vertrackt ist. Er lehnt sich für einen sehr kurzen Moment in seinem Sessel zurück. Bleibt sehr wach, lebhaft, hört konzentriert zu. Seine Lieblingsworte sind "man" und "also". Und seine Lieblingslektüre?
Rösler: "Also, wenn, dann lese ich eher zur Entspannung. Das hat nichts mit Politik zu tun. Gelegentlich auch mal Vampirromane oder über Wehrwölfe. Das ist halt so. Ist ja auch nicht unspannend. Und in so fern, wie gesagt, nichts was mit Politik zu tun hat oder auch nur über Politik handelt."
Der jüngste Minister des zweiten Merkel-Kabinetts liebt Lakritze und Blackberrys. Er ist in der Geschichte des Nachkriegsdeutschlands nicht nur der erste Gesundheitsminister, den die FDP stellt, er ist auch das erste Kabinettsmitglied, das im Ausland geboren ist. In Vietnam. Das vietnamesische Waisenkind wird im Babyalter von einem deutschen Ehepaar adoptiert, in Hamburg aufgezogen. Der Vater ist SPD-Mitglied.
Rösler: "Ich war das erste Mal da nach meiner Adoption 2006. Auch auf Initiative meiner Frau, weil, sagte sie, wenn wir irgendwann einmal Kinder kriegen, wollen wir mal erzählen, wo Papa herkommt, also fahren wir mal hin. Und dann haben wir so eine Rundreise also von Nord nach Süd genommen und das war ganz toll. Einmal als Reiseland und auch aufgrund der biografischen Bezüge, nicht emotional aber intellektuell und das fand ich unheimlich aufregend und spannend."
Wenn er über diese Zeit, seine Herkunft spricht, ist er auf einmal viel weniger aufgeregt. Er stützt seinen Kopf auf seine rechte Hand, spricht weniger schnell, fühlt sicht sichtbar sicherer, wenn er über seine Kindheit, sicherer, als wenn er über Politik spricht.
Rösler: "Also, ich war neun Monate alt. Hab’ an Vietnam keine Erinnerungen Die ersten Erinnerungen fangen mit vier Jahren an im Kindergarten in Hamburg. Also, insofern hat das emotional nie ’ne Rolle gespielt. Aber natürlich intellektuell, weil einen viele fragen. Jetzt, ob das `ne Rolle spielt und ich kriege unheimlich viele Zuschriften und Anfragen von den ehemaligen Boatpeopeln. Ich war zwar kein Boatpeopel, aber man wird dann in ein Boot geworfen, wenn man so will, und von vielen Vietnamesen, aber noch nicht mal nur Vietnamesen, Asiaten und anderen Menschen mit Migrationshintergrund, die einen anschreiben und das irgendwie Klasse finden, dass einer von uns, wie sie oft schreiben oder sagen, dann Bundesminister geworden ist."
Ich bin ein in Vietnam geborener Norddeutscher, meint er lächelnd und esse sehr gerne Butterbrot mit Nordseekrabben. Sein genaues Geburtsdatum kennt die Kriegswaise nicht. Es amtlich auf den 24.2.1973 festgelegt. 2010 wird er wieder nach Vietnam reisen. Offiziell als Vertreter der Bundesregierung, freut er sich. Zeit dafür, seinen Geburtsort herauszufinden, wird er dann wieder nicht haben.
Rösler: "Das hat sich nie ergeben. Ich hab den mal gesucht auf der Karte. Hab` das nie raus bekommen und erst als ich dann in Vietnam bei der Reise war, war ich dann in diesem südvietnamesischen Präsidentenpalast, ist jetzt ein Museum. Da kann man gut die alten Lageräume noch besichtigen und da sind auch alte Lagekarten an der Wand. Und da habe ich dann sofort den ort gefunden. Und das ich ihn bisher auf anderen Karten nicht gefunden habe liegt daran, dass man direkt nach dem Vietnamkrieg nicht nur Saigon umbenannt hat in Ho-Tschi-Minh-City, sondern alle umliegenden Dörfer, Kreise und Gemeinden auch.
Und deswegen kann man die alten Urkunden und Namen gar nicht mehr finden. Die Kollegen haben mir das dann erklärt, der Dolmetscher, der mit dabei war, und dann habe ich erst den Ort entdeckt, aus dem ich dann ursprünglich mal gekommen bin."
Der heißt Soc Trängh. In der gleichnamigen Provinz. Eine Sekretärin steckt den Kopf durch den Türspalt. Philipp Rösler nickt ihr zu, weiß, der nächste Termin steht an, will aber noch nicht aufhören zu erzählen. Er streicht seine vollen schwarzen Haare zurück und meint, Deutschland ist ein sehr internationales Land. Deutlich weiter als das gemeinhin gedacht wird. Vor allem, ich sehe ja nicht so aus, wie ein typischer Hamburger Junge, schmunzelt er. Denn wenn ich die anderen anschaue, sehen die meisten sehr deutsch aus, nur wenn die mich anschauen, sehe ich eben eher vietnamesisch aus. Und er erinnert sich, wie er von vielen Kollegen im letzten niedersächsischen Landtagswahlkampf 2008 hörte, na, Herr Rösler, sie sehen anders aus und wenn sie in ländlichen Gegenden in Niedersachsen auftreten, werden sie da akzeptiert und so? Einige von der CDU im Landtag nannten ihn den Chinesen. Rösler erinnert sich, er wurde akzeptiert und findet die Deutschen mehrheitlich sehr tolerant und gelassen.
In die FDP hat ihn ein Freund gebracht. Der hat den jungen Mann, der noch heute Thomas Dehler von seiner FDP und Helmut Schmidt verehrt, einfach zu einer Versammlung mitgenommen.
Dann steht der frühere Stabsarzt der Bundeswehr auf, das geschieht natürlich schnell, geht hinüber zu seinem großen Schreibtisch, ordnet im Stehen Papiere, steckt sie in eine Dokumentenmappe, die in eine Aktentasche. Sonnenlicht fällt auf die Schreibtischplatte, wirft einen langen Schatten auf die gegenüberliegende Wand. An der hängt ein großes, abstraktes Bild. Die Farbe schwarz dominiert.
Wenn er Jeans und T-Shirt und Turnschuhe an hat und nicht als Minister verkleidet durch die Gegend fährt und fliegt, was hört er dann für Musik?
Er schaut überrascht, lacht.
Rösler: "Also, ich bin ja bekanntermaßen auch Udo-Jürgens-Fan, will aber noch mal festhalten, ich höre auch andere Musik. Grönemeyer bis U2. Cold Play war ich jetzt im Konzert. Also, insofern … da bin ich ganz liberal und eigentlich jeder Musikrichtung gegenüber offen."
Philipp Rösler, schließt die Tasche, legt sie auf einen Stuhl. Während er nach seinem schwarzen Mantel greift, will er unbedingt noch sagen, was ihm an sich selber gar nicht gefällt. Fast grinst er dabei:
"Also, mein rechtes, abstehendes Ohr, das können ihre Hörer zum Glück jetzt nicht sehen. Dann rede ich oft zu schnell. Das werden sie schon mehrfach festgestellt und sich darüber geärgert haben im Laufe dieser Sendung. Und ich nuschel. In der Kombination ist es unglaublich schwer für manche Zuhörer, mir dann zu folgen."
Der promovierte Herz-Thorax-Gefäßchirurg muss los. Seine Pressesprecherin, Dagmar Kaiser, drängelt sanft. Eine Sekretärin macht das Fenster wieder Fenster auf. Dr. Philipp Rösler muss zunächst zum Zentralrat der Katholiken nach Bonn und dann seinen ersten Antrittsbesuch als Bundesgesundheitsminister dieser neuen Regierung machen. In Langen bei Frankfurt am Main. Im Paul-Ehrlich-Institut.
Es ist ein strahlend-blauer Wintertag. Langen ist eine halbe Autostunde vom Frankfurter Flughafen entfernt. Das Paul-Ehrlich-Institut liegt fast am Waldrand, ganz in der Nähe ist die Flugsicherung des Großflughafens untergebracht.
Auf dem Platz vor dem Eingang steht Susanne Stöcker. Unruhig. Sie ist für die Organisation des Ministerbesuchs zuständig. Ihr ist klar, die Premiere muss gelingen. Für Philip Rösler. Aber auch für Ihr Institut, das seinem Ministerium untersteht.
Susanne Stöcker: "Das Paul-Ehrlich-Institut ist das Bundesinstitut für Impfstoffe und für biomedizinische Arzneimittel. Das bedeutet, zum Beispiel Impfstoffe, Arzneimittel aus Blut. Allergiepräparate, aber auch sehr innovative Arzneimittel wie Gentherapiepräparate, mono klonale Antikörper prüfen und bewerten wir, bevor wir auf den Markt kommen."
Es ist ein besonderer Tag für die europaweit einzigartige Einrichtung. An der Spitze des Hauses werden in wenigen Augenblicken die Präsidenten wechseln. Das ist ein Grund für den Antrittsbesuch Philipp Röslers. Der andere Grund ist die Schweinegrippe. Für die Zulassung der Medikamente zu deren Bekämpfung ist das Paul Ehrlich-Institut zuständig.
Das ist in einem dreigeschossigen, modernen Bau untergebracht, weiß und blau die Farben. Neben dem Haupteingang links ein weißer Briefkasten mit Bundesadler. Neben dem Haupteingang rechts die große, schwarze Büste des Wissenschaftlers Paul Ehrlich. Dazwischen rennt Susanne Stöcker herum. Wartend sozusagen.
S. Stöcker: "Wir sind hier alle sehr aufgeregt im Institut, denn wir sind tatsächlich das erste Institut in seinem Geschäftsbereich, das unser neuer Bundesgesundheitsminister besuchen wird. Er wird sich informieren über das, was wir im Moment besonders intensiv tun, nämlich die Prüfung der Impfstoffe gegen die Schweinegrippe. Er wird aber vor allem auch unseren bisherigen Präsidenten, Prof Löwer, verabschieden und gleichzeitig seinen Nachfolger, Prof. Cichutek, ernennen. Ein sehr, sehr spannender, aufregender Tag für uns alle und wir freuen uns unglaublich, dass der Minister es möglich machen konnte, hierher zu kommen."
Klaus Cichutek, der künftige Präsident, steht, in einem schlecht sitzenden, grauen Anzug, nicht weit von Susanne Stöcker entfernt. Wartet auch auf den sich verspätenden Minister. Versteht er, dass die Bevölkerung Angst vor der Schweinegrippe hat?
Klaus Cichutek: "Nun, wichtig ist, wahr zunehmen, dass wir einen verträglichen, gut wirksamen Impfstoff anbieten können. Die Impfung ist freiwillig."
Sichtlich erleichtert ist der Noch-Vizepräsident als endlich die Wagenkolonne des Ministers vorfährt. Klaus Cichutek ist ein zurückhaltender, eher scheuer Mann. Interviews mag er nicht so richtig.
Der gepanzerte Ministerwagen und die gepanzerte Limousine seines Begleitschutzes kommen zum Stehen. Die zwei Bodyguards steigen aus, blicken sich um.
Philipp Rösler springt aus der schweren, schwarzen Ministerlimousine, beachtet seine Sicherheitsbeamten überhaupt nicht, eilt auf Klaus Cichutek zu, die beiden begrüßen sich fast herzlich. Geben sich die Hand. Ein kurzer Wortwechsel. Sogleich geht`s hinein.
Und zwar in einem beachtlichen Tempo hinauf die Treppen zum großen Saal. Der Minister voran. Die anderen rennen fast, hecheln hinterher.
Dann der erste große Auftritt von Philipp Rösler. Die gesamte Belegschaft hat sich versammelt. An ihrer Spitze der Noch-Präsident Johannes Löwer. Der Beifall ist überwältigend. So wurde die Vorgängerin, Ulla Schmidt von der SPD hier nie begrüßt, flüstert einer.
Der Noch-Vizepräsident Klaus Cichutek geleitet den Minister nach vorne. Beide nehmen in der ersten Reihe Platz.
Während Klaus Cichutek in dem mit dunklem Holz getäfelten Saal seinen Präsidenten, die Mitarbeiter und den Minister zu seinem ersten Auftritt außerhalb seines Berliner Ministeriums herzlich willkommen heißt, sitzt der ein bisschen schief auf seinem Stuhl. Das linke über das rechte Bein geschlagen.
Mit schwarzen, spitzen Schuhen und schwarzen Socken zu einem braunen Anzug und einer oliv/beigefarbenen Krawatte mit einem zu großen Knoten.
Da kaum jemand an diesem Tag richtig geschmackvoll gekleidet ist, fällt des Ministers Outfit nicht weiter auf. Klaus Cichutek redet noch immer. Kommt endlich zum Schluss. Beifall.
Philipp Rösler steht auf, geht schnell ans Rednerpult. Kein Manuskript, keine Karteikarten. Keine Unterlagen. Nichts. Er begrüßt sie alle, wendet sich an den Präsidenten.
Rösler: "Aber zu nächst einmal will ich auch ihnen noch mal recht herzlich zum Geburtstag gratulieren. Zum 65. – und da ich nun gerade etwas verspätet vom Zentralkomitee Deutscher Katholiken komme, nicht nur Glück, Gesundheit, sondern auch Gottes Segen."
Er spricht frei. Ist schlagfertig und schreibt sich – vorläufig jedenfalls – seine Reden noch selbst. Streckenweise hat er Humor.
Rösler: "Meine sehr verehrten Damen und Herren, es heißt, dass Voltaire, er kann sich nicht mehr dagegen wehren, so kann man einfach Zitate bringen, einmal gesagt haben soll: Dass Ärzte Medikamente, die sie nicht kennen, in Körper geben, die sie noch weniger kennen, gegen Krankheiten, die sie überhaupt nicht kennen.
Und bevor sie jetzt das Vertrauen gänzlich in die Medizin und die Medikamente verlieren, jetzt die gute Nachricht, dass das heute gänzlich anders geworden ist, unter anderem Dank Instituten wie das Paul-Ehrlich-Institut."
Er steht sehr aufrecht. Wippt fortwährend hin und her hinter dem Pult.
Schaut nach links, nach rechts, nach vorne. Stützt sich ab, sonst würde er wohl im Saal herumlaufen und direkt zu seinem Publikum zu sprechen.
Rösler: "Es ist auch Dank Ihnen allen ganz aktuell gelungen, Medikamente der Sicherheit für die Menschen auf den Weg zu bringen, zu testen. Aber es nicht nur jetzt in diesen schwierigen Zeiten möglich gewesen, sondern durch die gesamte Arbeit des Paul-Ehrlich-Institutes."
Danach muss Philipp Rösler zuhören. Der alte Präsident spricht. Johannes Löwer bedankt sich bei seinen Mitarbeitern. Und schließlich, der neue Minister kann es kaum erwarten, kommt es zur offiziellen Amtsübergabe.
Rösler: "Jetzt habe ich die erstens freudige Übergabemöglichkeit. Erstmal kommt ein kleines Geschenk und dann auch, wenn sie so wollen, ein zweites kleines Geschenk, nämlich die Urkunde. In Deutschland geht nichts ohne Urkunde und mit dieser Urkunde will ich sie gleich in`s Amt bringen zum ersten Dezember und damit gleich zum Leiter des Instituts ernenn, aber erst das Geschenk für Professor Löwer."
Der Beifall ist kaum verklungen, beginnt der Rundgang durch das Institut. Rösler will sich, so knapp sein Aufenthalt in Langen auch bemessen ist, die Labors ansehen. Also mahnt er zur Eile. Es geht drei Etagen hinunter.
Der etwa 20 Quadratmeter große Raum ist übersichtlich gegliedert. In der Mitte der große Metalltisch. Darauf verschiedene Testgeräte. Aus Metall und Glas. Links eine hohe Fensterfront. An der Decke weiße Neonleuchten. An den Wänden Glasvitrinen.
Das Labor ist gerammelt voll. Die Presse ist zugelassen. Ein Fotograf neben dem anderen. Alle wollen die besten Positionen. Drängeln, schubsten. Zwei Labortechnikerinnen stehen verschüchtert in der Ecke am Fenster. Der Minister kommt. Das Blitzlichtgewitter geht los. Prasselt auf Philipp Rösler, Klaus Cichutek und einen weiteren Wissenschaftler herab.
Der Wissenschaftler Dr. Michael Pfeiderer vom Paul-Ehrlich-Institut erläutert dem Gefäßchirurgen Dr. Philipp Rösler, dem Bundesminister, den Testvorgang für bestimmte Impfstoffe. Das ist ein komplizierter Vorgang, für Laien nicht zu verstehen. Der 36jährige hört zu. Hat den linken Arm vor der Brust – stützt damit den rechten Ellenbogen ab. Die rechte Hand stützt den Kopf. Der Test interessiert ihn. Seine Unruhe ist weg. Er wippt nicht mehr vor und zurück. Gestikuliert nicht. Beachtet die Journalisten nicht.
Ein wenig später, auf dem Weg durch das Haus im Erdgeschoss, zum kleinen Imbiss, lächelt er spitzbübisch, bleibt stehen und sagt zu dieser Art von Premiere.
Rösler: "Ja, das ist mein erster großer Außentermin. Und das ist natürlich doppelt spannend. Einmal wegen des Paul-Ehrlich-Instituts und natürlich weil`s der erste Außenauftritt ist."
Es ist ein Gespräch im Gehen. Philipp Rösler bleibt nicht stehen. Ist konzentriert. Lässt sich nicht ablenken. Das, was er tut, macht ihm Spaß. Er macht einen zufriedenen Eindruck.
Rösler: "Ja, es ist unheimlich spannend und gerade hier haben wir ein Thema, was die Menschen emotional tief bewegt, weil es jeden angeht und viele Menschen haben Fragen zu Impfstoffen, und die kriegen sie hier richtig beantwortet. Das ist eine großartige Leistung der Menschen hier in dem Institut und deswegen ist es ganz toll, dass ich heute hier sein darf."
Der Mann hat ein ganz schönes Tagespensum. Berlin, Ministerium, Bonn, Zentralrat der Katholiken. Der praktizierende Katholik ist Mitglied in deren Vollversammlung. Langen bei Frankfurt, Antrittsbesuch, anschließend mit dem Wagen nach Hannover. Zwei weitere Termine. Wie hält er sich fit?
Rösler: "Ja, jetzt halte ich mich eigentlich leider gar nicht so richtig fit. Ich versuche, durch Kaffee trinken und ’nen bisschen Schlaf das auszugleichen, aber so richtig gelingen tut das nicht. Aber ich hoffe auf Weihnachten."
Das Händeschütteln auf dem Empfang beginnt. Offenbar hat sich die Zurückhaltung der Mitarbeiter gelegt. Philipp Rösler kann Menschen für sich einnehmen, auch wenn sie nicht alle seine Auffassung teilen. Er ist charmant, sympathisch, viel zu schnell in seinen Formulierungen. Gedanklich oft dem, was er gerade sagt, weit voraus, weshalb er sich so häufig in`s Wort fällt, gibt er zu. Und er sagt sehr gerne "unheimlich toll".
Dem neuen Chef des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, gefällt sein neuer Minister.
"Unser neuer Minister ist ein kompetenter Mann. Ganz erfrischend. Und wir freuen uns sehr, dass er hier zu unserem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel als einem der ersten in seinem Geschäftsbereich gleich gekommen ist, zeigt, dass er unsere Arbeit schätzt und wir sind ein vertrauensvoller und vertrauenswürdiger Partner auch in der Zusammenarbeit mit dem BMG."
Das BMG ist das Gesundheitsministerium. Klaus Cichutek ist der Herr der Impfstoffe. Der Neue an der Spitze des Instituts ist ein begeisterter Jogger, erzählt er, hält sich also nicht nur durch Kaffee trinken, wie sein Minister fit. Das treffen an diesem Tag zwei Männer aufeinander, die gerade neu anfangen. Er steht da und lacht.
Klaus Cichutek: "Wenn man so sagen darf, habe ich schon ein bisschen länger angefangen, bin langsam in den Job rein gekommen. Insofern haben wir Gemeinsamkeiten. Wir haben übrigens auch die Gemeinsamkeiten, wir beide haben Zwillinge. Vielleicht ist das ja auch eine weitere Basis für eine interessante Diskussion."
Der andere Vater, Philipp Rösler, verabschiedet sich unterdessen noch rasch vor der Tür. Die beiden schwarzen Limousinen warten mit laufenden Motoren. Ein letztes Winken, Klaus Cichutek winkt zurück und ab geht`s Richtung Hannover. Zu seinen 2008 geborenen Zwillingen Gesche und Gretje. Und zu seiner Frau. Die auch Ärztin ist.