Ein Kaleidoskop, das Augen öffnet
Der Unfall im US Chemiekonzern Union Carbide Corporation in der indischen Stadt Bhopal im Dezember 1984 verursachte eine gewaltige Chemiekatastrophe. Tausende von Menschen starben allein an den unmittelbaren Folgen. Sinha lässt in seinem Roman Opfer erzählen.
Der Roman Menschentier spielt in der fiktiven indischen Stadt Khaufpur, "Stadt des Schreckens", und ist Bhopal, dem Ort der Giftgaskatastrophe, nachempfunden. Hier lebt der 19-jährige Animal. Er ist als Folge des Gasunfalls verkrüppelt und kann sich nur auf allen Vieren fortbewegen. Er bezeichnet sich selbst häufig als Tier und kennt doch alle menschlichen Regungen: Liebe, Hass, Eifersucht, Neid und Neugierde.
Animal gehört zu einer Gruppe von Menschen, die Gerechtigkeit verlangen und seit zwanzig Jahren für ein faires Gerichtsverfahren gegen den verantwortlichen amerikanischen Chemiekonzern kämpfen. Zafar und seine entzückende Freundin Nisha bilden den Kopf der Gruppe und binden Animal mehr und mehr in ihre Arbeit ein. Als plötzlich die amerikanische Ärztin Elli Barber eine Klinik für die Giftgasopfer eröffnet, soll Animal herausfinden auf welcher Seite sie steht. Es entspinnt sich ein Netz von Verdächtigungen und Intrigen und Animal ist immer mitten drin.
Indra Sinha lässt Animal seine Geschichte selber erzählen. Der Roman ist konstruiert als Abschrift von 23 Kassetten, die er Protagonist besprochen hat. Dabei erzählt er wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Seine Sprache ist ausgesprochen deftig und geht häufig ins Sexistische, was das Lesen nicht immer einfach macht. Animal wird von dem Gedanken beherrscht mit einer Frau zu schlafen, doch wie soll er das als Vierfüßler machen, dessen Horizont im wahrsten Sinne des Wortes unter der Gürtellinie liegt?
Animal hat seine ganz eigene Sicht auf das Leben und gibt sie in seiner speziellen Ausdrucksform wieder. Er mischt französische Ausdrücke – schließlich hat ihn eine verrückte französische Nonne aufgezogen – mit Hindi und seiner Gossensprache. Zum Teil gibt es direkte Übersetzungen, teilweise muss der Leser sich den Sinn selber erschließen oder im langen Glossar nachschlagen. Aber Animal erfindet auch eigenen Worte wie das "Jamesbondieren", eine seiner Lieblingstätigkeiten. Dabei schimmert trotz allen Elends immer wieder sehr viel Humor und Groteske durch. Animals Sprache zeigt in ihrer Derbheit sowohl Lebensfreude als auch Zynismus und nicht zuletzt die immer wieder geleugnete, dennoch unausrottbare Hoffnung.
Indra Sinha entwirft ein vielschichtiges Kaleidoskop der Bewohner von Khaufpur immer mit Respekt für die einzelnen Personen. Übertreibungen sind in Animals Geschichte an der Tagesordnung – doch wie sonst könnte sein Unglück eindrucksvoll geschildert werden. Indra Sinha macht es seinen Lesern nicht leicht, doch wer dabei bleibt, hat einen Roman, der tief bewegt und lange nachhallt. Bevor er Schriftsteller wurde, hat Sinha Werbekampagnen gemacht für Amnesty International und eine medizinische Hilfsorganisation in Bhopal.
So verwundert es nicht, dass er nach eigener Aussage die Augen öffnen, schockieren, wütend machen und zu Hilfsaktionen anregen will. Schließlich wurden die Opfer der größten Giftgaskatastrophe bis heute weder angemessen behandelt noch entschädigt. Dass er die Leser einbinden möchte, zeigt sich in den wunderbaren und aufwendig gestalteten Internetseiten über Khaufpur.
Besprochen von Birgit Koß
Indra Sinha: "Menschentier"
Aus dem Englischen von Susann Urban
Edition Büchergilde, Frankfurt, 2011
509 Seiten, 19,99 Euro
Deutschlandradio Kultur ist Medienpartner bei www.litprom.de - der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. mit der Weltempfänger-Bestenliste
Animal gehört zu einer Gruppe von Menschen, die Gerechtigkeit verlangen und seit zwanzig Jahren für ein faires Gerichtsverfahren gegen den verantwortlichen amerikanischen Chemiekonzern kämpfen. Zafar und seine entzückende Freundin Nisha bilden den Kopf der Gruppe und binden Animal mehr und mehr in ihre Arbeit ein. Als plötzlich die amerikanische Ärztin Elli Barber eine Klinik für die Giftgasopfer eröffnet, soll Animal herausfinden auf welcher Seite sie steht. Es entspinnt sich ein Netz von Verdächtigungen und Intrigen und Animal ist immer mitten drin.
Indra Sinha lässt Animal seine Geschichte selber erzählen. Der Roman ist konstruiert als Abschrift von 23 Kassetten, die er Protagonist besprochen hat. Dabei erzählt er wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Seine Sprache ist ausgesprochen deftig und geht häufig ins Sexistische, was das Lesen nicht immer einfach macht. Animal wird von dem Gedanken beherrscht mit einer Frau zu schlafen, doch wie soll er das als Vierfüßler machen, dessen Horizont im wahrsten Sinne des Wortes unter der Gürtellinie liegt?
Animal hat seine ganz eigene Sicht auf das Leben und gibt sie in seiner speziellen Ausdrucksform wieder. Er mischt französische Ausdrücke – schließlich hat ihn eine verrückte französische Nonne aufgezogen – mit Hindi und seiner Gossensprache. Zum Teil gibt es direkte Übersetzungen, teilweise muss der Leser sich den Sinn selber erschließen oder im langen Glossar nachschlagen. Aber Animal erfindet auch eigenen Worte wie das "Jamesbondieren", eine seiner Lieblingstätigkeiten. Dabei schimmert trotz allen Elends immer wieder sehr viel Humor und Groteske durch. Animals Sprache zeigt in ihrer Derbheit sowohl Lebensfreude als auch Zynismus und nicht zuletzt die immer wieder geleugnete, dennoch unausrottbare Hoffnung.
Indra Sinha entwirft ein vielschichtiges Kaleidoskop der Bewohner von Khaufpur immer mit Respekt für die einzelnen Personen. Übertreibungen sind in Animals Geschichte an der Tagesordnung – doch wie sonst könnte sein Unglück eindrucksvoll geschildert werden. Indra Sinha macht es seinen Lesern nicht leicht, doch wer dabei bleibt, hat einen Roman, der tief bewegt und lange nachhallt. Bevor er Schriftsteller wurde, hat Sinha Werbekampagnen gemacht für Amnesty International und eine medizinische Hilfsorganisation in Bhopal.
So verwundert es nicht, dass er nach eigener Aussage die Augen öffnen, schockieren, wütend machen und zu Hilfsaktionen anregen will. Schließlich wurden die Opfer der größten Giftgaskatastrophe bis heute weder angemessen behandelt noch entschädigt. Dass er die Leser einbinden möchte, zeigt sich in den wunderbaren und aufwendig gestalteten Internetseiten über Khaufpur.
Besprochen von Birgit Koß
Indra Sinha: "Menschentier"
Aus dem Englischen von Susann Urban
Edition Büchergilde, Frankfurt, 2011
509 Seiten, 19,99 Euro
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