Ein Königreich für eine Kuh
Der indische Romanklassiker "Godan oder das Opfer" aus dem Jahr 1936 entwirft mit dem Schicksal eines Kleinbauern ein Gesellschaftspanorama des kolonialen Indien der frühen dreißiger Jahre. Es gilt als das prominenteste Werk der Hindi-Literatur und sein Autor Premtschand vielen Schriftstellergenerationen als Vorbild.
Schön, wenn man hohe Ziele im Leben hat. Auch wenn nicht alle Blütenträume reifen. Hori Ram hat es auf ein Wohlstandssymbol abgesehen. Eine Kuh will er kaufen. Da sieht doch jeder gleich, dass man es zu etwas gebracht hat, wenn eine Kuh vor der Hütte steht. Aber die Hautfigur des indischen Romanklassikers "Godan oder das Opfer" ist nur ein kleiner Bauer, der sich und seine Familie mehr schlecht als recht mit dem Anbau von Zuckerrohr durchbringt. Und das Saatgut und die Verheiratung seiner Kinder kosten ihn eine Menge Geld. Aber trotz seiner Schulden kauft er sie, die Kuh. Damit kommt eine unaufhaltsame Abwärtsspirale in Gang, die den armen Mann schließlich in die Tagelöhnerei und den Ruin treibt. "Wann immer Hori vom Tagewerk ausruhte und eine Pfeife rauchte, umstellte ihn die Sorge von allen Seiten wie eine schwarze Wand."
Auf nicht weniger als 870 Manesse-Seiten verfolgt der Leser ein indisches Kleinbauernschicksal, das der Autor Premtschand (1880-1936) in einen reichhaltigen Schicksalsteppich mit vielen Nebenhandlungen hineingewoben hat. Hori als typischer Landbewohner – Liebe zu seinen Wiesen, Autoritätsfurcht, Fleiß und Verschlagenheit kennzeichnen ihn – wird mit überwiegend dekadenten Typen der städtischen Oberschicht kontrastiert, deren Luxusleben auf der Ausbeutung der kleinen Leute basiert.
Zeitungs¬redakteure erweisen sich als bestechlich, moslemische Streikführer kungeln mit den Arbeitgebern. Aber nicht nur, dass solche Figuren der korrupten Kastengesellschaft, zu denen insbesondere auch Großgrund¬besitzer, Immobilienmakler, Geldverleiher und die einflussreichen Brahmanen gehören, sehr kritisch dargestellt werden, auch der "Romantik" des Land¬lebens à la Tolstoi erteilt Premtschand in seinem letzten Roman, der zugleich sein berühmtester wurde, eine unmissverständliche Absage.
"Ist Sona eine Königin, dass sie den ganzen Kuhmist allein kneten darf?", beklagt sich Horis Tochter über die vermeintliche Bevorzugung ihrer großen Schwester bei der handgemachten Brennfladenproduktion.
Der Leser taucht ein in fremdes, mit realistischer Meisterschaft geschildertes Gesellschaftspanorama des kolonialen Indien in den frühen dreißiger Jahren: ein Land voller Spannungen, das sich bereits auf dem schwierigen, opferreichen Weg in die Unabhängigkeit befindet. Gleichzeitig wartet das Buch mit vielen anrührenden und humorvollen Momenten auf. Wegweisende positive Gestalten sind der Philosophie¬professor Mechta und die Ärztin Malti. Es sind uneigennützige Charaktere, während andere zwar sozialistische Ideen predigen, aber den eigenen Vorteil zur Maxime ihres Handelns gemacht haben.
"Godan oder das Opfer" gilt als prominentestes Werk der Hindi-Literatur, was etwas bedeuten will bei einer Sprachgemein¬schaft von 360 Millionen Menschen. Der Roman wurde in viele Sprachen übersetzt und diente einer ganzen Generation von Hindi-Schriftstellern als Vorbild. Premtschand, als Sohn eines armen Kleinbauern und Posthalters aus der Schreiberkaste geboren, ist in Indien, wie der hierzulande bekanntere Rabindranath Tagore, ein gefeierter Klassiker, wie sich zuletzt im vergangenen Jahr anlässlich seines 125. Geburtstages zeigte. Günter Grass, der Indienkenner, hat übrigens einen Blurb beigesteuert: "Ein wunderbares Buch." Wer wie Grass sozialen Realismus schätzt und sich zudem für den indischen Subkontinent auch über die grassierende Bollywood-Begeisterung hinaus interessiert, dem ist hier zur Lektüre zu raten.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Premtschand – Godan oder das Opfer.
Aus dem Hindi übersetzt von Irene Zahra. Nachwort von Annemarie Etter.
896 S., Manesse, 26,90 Euro
Auf nicht weniger als 870 Manesse-Seiten verfolgt der Leser ein indisches Kleinbauernschicksal, das der Autor Premtschand (1880-1936) in einen reichhaltigen Schicksalsteppich mit vielen Nebenhandlungen hineingewoben hat. Hori als typischer Landbewohner – Liebe zu seinen Wiesen, Autoritätsfurcht, Fleiß und Verschlagenheit kennzeichnen ihn – wird mit überwiegend dekadenten Typen der städtischen Oberschicht kontrastiert, deren Luxusleben auf der Ausbeutung der kleinen Leute basiert.
Zeitungs¬redakteure erweisen sich als bestechlich, moslemische Streikführer kungeln mit den Arbeitgebern. Aber nicht nur, dass solche Figuren der korrupten Kastengesellschaft, zu denen insbesondere auch Großgrund¬besitzer, Immobilienmakler, Geldverleiher und die einflussreichen Brahmanen gehören, sehr kritisch dargestellt werden, auch der "Romantik" des Land¬lebens à la Tolstoi erteilt Premtschand in seinem letzten Roman, der zugleich sein berühmtester wurde, eine unmissverständliche Absage.
"Ist Sona eine Königin, dass sie den ganzen Kuhmist allein kneten darf?", beklagt sich Horis Tochter über die vermeintliche Bevorzugung ihrer großen Schwester bei der handgemachten Brennfladenproduktion.
Der Leser taucht ein in fremdes, mit realistischer Meisterschaft geschildertes Gesellschaftspanorama des kolonialen Indien in den frühen dreißiger Jahren: ein Land voller Spannungen, das sich bereits auf dem schwierigen, opferreichen Weg in die Unabhängigkeit befindet. Gleichzeitig wartet das Buch mit vielen anrührenden und humorvollen Momenten auf. Wegweisende positive Gestalten sind der Philosophie¬professor Mechta und die Ärztin Malti. Es sind uneigennützige Charaktere, während andere zwar sozialistische Ideen predigen, aber den eigenen Vorteil zur Maxime ihres Handelns gemacht haben.
"Godan oder das Opfer" gilt als prominentestes Werk der Hindi-Literatur, was etwas bedeuten will bei einer Sprachgemein¬schaft von 360 Millionen Menschen. Der Roman wurde in viele Sprachen übersetzt und diente einer ganzen Generation von Hindi-Schriftstellern als Vorbild. Premtschand, als Sohn eines armen Kleinbauern und Posthalters aus der Schreiberkaste geboren, ist in Indien, wie der hierzulande bekanntere Rabindranath Tagore, ein gefeierter Klassiker, wie sich zuletzt im vergangenen Jahr anlässlich seines 125. Geburtstages zeigte. Günter Grass, der Indienkenner, hat übrigens einen Blurb beigesteuert: "Ein wunderbares Buch." Wer wie Grass sozialen Realismus schätzt und sich zudem für den indischen Subkontinent auch über die grassierende Bollywood-Begeisterung hinaus interessiert, dem ist hier zur Lektüre zu raten.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Premtschand – Godan oder das Opfer.
Aus dem Hindi übersetzt von Irene Zahra. Nachwort von Annemarie Etter.
896 S., Manesse, 26,90 Euro