Ein Kontinent im Hobbit-Fieber
Wer "große Effektfilme machen will, der geht heute nicht mehr nach Hollywood, sondern kommt nach Wellington", sagt Neuseeland-Korrespondent Andreas Stummer. Dort sei eine komplett neue Filmindustrie entstanden, die sogar den Amerikanern Konkurrenz mache. Produziert wurden dort "Der Herr der Ringe" und - soeben - "Der Hobbit - Eine unerwartete Reise".
Ulrike Timm: Jetzt sind auch Noch-nicht-Fans schon mal ein bisschen im Bilde. "Der Hobbit – Eine unerwartete Reise" kommt in Deutschland in der kommenden Woche ins Kino. Andreas Stummer berichtet regelmäßig aus Neuseeland und hat erlebt, wie man dort schon während der Dreharbeiten dem Hobbit-Taumel verfiel. Schönen guten Tag, Herr Stummer!
Andreas Stummer: Hallo!
Timm: Herr Stummer, ist Wellington denn derzeit die Hauptstadt Neuseelands oder die Hauptstadt von Mittelerde?
Stummer: Beides. Also, wenn man irgendwo auf der Welt Großfilme mit Hunderten Millionen Dollar Budget und mit Zehntausenden Statisten dreht, dann hört man oft von den Schwierigkeiten bei den Dreharbeiten, dass sich Behörden querlegen, dass die Anwohner protestieren und so weiter. Beim "Herr der Ringe" in Neuseeland war das genau das Gegenteil. Das ganze Land war damals für den Film auf den Beinen. Soldaten hat man damals als Statisten abkommandiert, bis hinauf zur Regierung, die damals auf dem kleinen Dienstweg Drehgenehmigungen erteilt haben in Naturschutzgebieten, in Nationalparks. Und es hat damals sogar einen eigenen "Herr-der-Ringe"-Minister gegeben im Kabinett. Und es gibt kaum einen Film, bei dem die Landschaft eine größere Rolle spielt als Neuseeland im "Herrn der Ringe". Neuseeland ist nun einmal die Bestbesetzung für Mittelerde. Und das zahlt sich auch seitdem aus. Also, seit der Tolkien-Trilogie kommen 20 Prozent mehr Touristen nach Neuseeland als vorher. Und jetzt auch beim "Hobbit" hat das ganze Land wieder mitgeholfen, den Film in den Kasten zu bekommen. Man hat sich also, teils über Monate, ganze Gebiete sperren lassen, um die Kulissen stehen lassen zu können. Hotels haben Touristen abgesagt, weil die "Hobbit"-Crew auf besseres Wetter warten und noch länger bleiben musste. Und auf der Crew-Liste für den Hobbit stehen mehr als 3000 Namen. Und die meisten sind Neuseeländer. Und wenn Sie jetzt irgendwo in Neuseeland, ganz beliebig, irgendwo einen Einheimischen auf der Straße anhalten und den fragen nach dem "Hobbit", dann war er entweder selbst beim Hobbit mit dabei oder kennt irgendjemand, der beim Hobbit dabei war, als was auch immer. Und erst letzte Woche haben wir das alles gesehen. 100.000 Leute waren bei der Weltpremiere in Wellington, und wo gibt es das schon, 100.000 Leute bei einer Filmpremiere. Ganz Neuseeland platzt jedenfalls vor Stolz, dass die Tolkien-Filme bisher 17 Oskars gewonnen haben – vielleicht werden es ja mehr nach dem "Hobbit" –, dass sie nicht im großen Hollywood entstanden sind, sondern eben im kleinen Neuseeland. Gemacht von Neuseeländern und von Peter Jackson, einem Neuseeländer.
Timm: Ein ganzer Kontinent definiert sich über den "Hobbit", da waren sie schon in Übung. Beim "Herrn der Ringe" ging das schon los. Das war ein Riesen-Kinoerfolg, und trotzdem wäre der "Hobbit", der ja die Vorgeschichte erzählt, fast nicht gedreht worden. Warum?
Stummer: Es ist ein bisschen ein kleines Wunder, dass "Der kleine Hobbit" ins Kino kommt. Man hat sich Jahrelang erst mal um die Rechte gestritten in Hollywood, bis man sich darauf geeinigt hat, wer nun das Geld aufbringt. Und wem nun der "Hobbit" eigentlich gehört. Dann hat man herausgefunden, die Hälfte gehört Warner Brothers und die andere Hälfte gehört MGM. Und Peter Jackson hatte damals nach fast zehn Jahren Arbeit am "Herrn der Ringe" so ein bisschen die Nase voll von Mittelerde, hat dann die Regie abgegeben, für "Der kleine Hobbit", an Guillermo del Toro, den mexikanischen Regisseur von "Pans Labyrinth". Peter Jackson wollte einfach nur den Film produzieren. Dann aber war MGM fast pleite und stand zwei Jahre lang kurz vor dem Bankrott. Der Drehbeginn ist dann immer wieder verschoben worden. Del Toro hat dann irgendwann die Geduld verloren und hat gesagt, ich möchte gern irgendwas drehen und ist dann auch abgesprungen. Dann sollte der Film auf einmal in Schottland entstehen und nicht in Neuseeland. Und das war dann genau der Moment, als Peter Jackson gesagt hat, Moment, ich mache den kleinen "Hobbit" und ich mache ihn auch da, wo ich den "Herrn der Ringe" gemacht habe, in Neuseeland. Dann hat es aber Schwierigkeiten mit den Gewerkschaften in Neuseeland gegeben. Die haben protestiert, dass zu viele Crew-Mitglieder aus dem Ausland nach Neuseeland kommen würden. Dann hat es Demonstrationen gegeben in Wellington, bis die neuseeländische Regierung eigens wegen der Dreharbeiten das Arbeitsrecht in Neuseeland geändert hat. Dann waren alle glücklich, MGM war mittlerweile wieder flüssig, und dann konnte endlich mit dem Dreh begonnen werden, und zwar mit dem gleichen Team, dass auch den "Herrn der Ringe" gemacht hat, und wieder in Neuseeland.
Timm: Ich mache die lange Geschichte jetzt mal ganz kurz. Dieses Drama sieht man dann hoffentlich auf der Leinwand nicht. Und wenn man einen Film auf Halblänge ausrichtet – ein echter Hobbit wird nicht größer als 1,20, dann braucht es ja naturgemäß viel Technik. Und auch der "Herr der Ringe" lebte ja schon von ganz extraordinären Spezialeffekten. Ist das dann beim "Hobbit" wahrscheinlich ähnlich?
Stummer: Beim "Hobbit" ist das genau das Gleiche gewesen. Man hat in der Zwischenzeit in Wellington nicht nur "King Kong" gedreht, man hat nicht nur "Avatar" gedreht, den erfolgreichsten Film aller Zeiten, man hat "Die Chroniken von Narnia" gedreht, man hat "Tim und Struppi" gedreht dort. Und all dieses Wissen, das man bekommen hat über die Jahre, hat man natürlich auch in die technischen Neuerungen hier, in den "Hobbit" gesteckt, und das soll man jetzt auch auf der Leinwand sehen.
Timm: Ich frage jetzt mal ganz naiv: In den letzten Tagen gingen viele Fotos herum von den Hobbit-Wohnstätten. Diese Höhlen im bienenkorbartigen Rundbau – wird das nun alles per Computer verkleinert oder sind die wirklich so, dass Mensch da zumindest den Kopf einziehen muss? Könnte ja auch sein, dass ein Regisseur sagt, meine Schauspieler bewegen sich anders, wenn sie sich der Umgebung, der Hobbit-Umgebung wirklich anpassen müssen.
Stummer: Da muss man den Kopf einziehen. Also, man kann den Kopf zum Fenster rausstrecken. Aber man muss, wenn man durch die Tür geht, den Kopf einziehen. Alles was größer ist als 1,65, muss den Kopf einziehen.
Timm: Herr Stummer, Peter Jackson, der Regisseur des "Herrn der Ringe", macht jetzt auch den "Hobbit", Sie haben ihn schon uns genannt. Ist er überhaupt das Zentralgestirn der neuseeländischen Filmindustrie?
Stummer: Das ist er. Das war er eigentlich schon immer, und das ist er jetzt vor allen Dingen. Weil nach dem riesigen Kassenerfolg der "Herr der Ringe"-Filme hat Peter Jackson die Millionen, die er verdient hat mit dem "Herrn der Ringe", in seine eigene Heimatstadt investiert und hat sich in Wellingtons Stadtteil Miramar eigentlich sein eigenes Kinoimperium aufgebaut. Miramar, das war früher eigentlich nicht mehr als die letzte Ausfahrt vor dem Flughafen in Wellington. Nicht mehr als ein kleines Industriegebiet. Aber heute ist dort das modernste Filmzentrum der Welt. Und innerhalb von vielleicht nur zehn Gehminuten liegt alles, was man zum Filmemachen braucht. Wer also große Effektfilme machen will, der geht heute nicht mehr nach Hollywood, sondern kommt nach Wellington, so wie das zum Beispiel "Titanic"-Regisseur James Cameron gemacht hat. Er ist mit Sack und Pack nach Neuseeland umgezogen, hat sich eine Farm in der Nähe von Wellington gekauft und schreibt dort gerade "Avatar" Teil zwei und Teil drei und die will er dann in einem Rutsch drehen, und zwar in Wellington, wo sonst?
Timm: Das heißt, Hollywood ist das Filmland alter Zeiten, und Neuseeland hat ihm zumindest technisch, produktionstechnisch den Rang abgelaufen?
Stummer: Ja. Vor allen Dingen wegen Weta Digital. Also, angefangen mit dem "Herrn der Ringe" macht man bei Weta Digital seit jetzt zehn Jahren wirklich die bahnbrechendsten visuellen Effekte, die im Kino zu sehen sind derzeit. Wellington ist eigentlich zum Magnet für Computerkünstler aus der ganzen Welt geworden. Peter Jackson hat, eigentlich nur mit ein paar Freunden, Weta Digital 1984 für seinen Film "Heavenly Creatures" im Hinterzimmer eines Wohnhauses in Wellington gegründet, mit nur einem einzigen Computer. Und damals hatten Jackson und Co. nicht einmal genug Speicherplatz, um auch nur eine einzige Effekteinstellung zu speichern. Heute hat Weta Digital die Rechnerkapazität einer ganzen Kleinstadt. Und Weta ist so ein bisschen wie die Vereinten Nationen für visuelle Effekte. Mittlerweile arbeiten dort mehr als 1000 Mitarbeiter aus über 80 Ländern, und die besten Filmemacher stehen Schlange mit ihren Projekten. Die Neuseeländer haben eigentlich nicht nur die Art, wie heute Filme gemacht werden, revolutioniert, sondern auch welche Filme gemacht werden können.
Timm: Machen wir noch mal eine Rückblende, Herr Stummer. Von der Technik zum Land. Die Landschaft spielt ja immer auch eine große Rolle. Die Weite und die Schönheit und das Grün Neuseelands. Der Premierminister, der zugleich Tourismusminister ist, soll sogar das eine oder andere Landesgesetz hobbitfilmtauglich umgeschmiedet haben. Dass diese Filme das Land derzeit prägen, das scheint eigentlich klar. Aber wie wirkt so was in einem Land weiter, dass eigentlich ja eher landschaftlich als kulturell geprägt ist?
Stummer: Neuseeland ist durch die "Herr der Ringe"-Filme, die Landschaft eigentlich weltweit erst mal bekannt geworden. Viele dachten, Neuseeland wäre, ich hätte bald gesagt, ein Stadtteil, aber wäre fast ein Staat von Australien. Viele wussten gar nicht, wo ist Neuseeland. Aber man hat mehr oder weniger in den USA nach dem "Herr der Ringe", nachdem der "Herr der Ringe" dort Premiere hatte, hat man in den USA Fragebögen ausgegeben und hat die Leute dort gefragt: Wo glauben Sie, dass Mittelerde liegt? Und die haben wirklich geglaubt, Mittelerde sei ein echtes Land, und das läge in Neuseeland. Aber die Folge daraus, dass Neuseeland so bekannt geworden ist, ist, dass "Der Herr der Ringe" einfach Neuseeland zum Filmland gemacht hat. Nicht nur wegen der spektakulären Kulissen oder der erfahrenen Crews. Die Regierung ist weiter mit an Bord. Je größer das Budget eines Films ist, der nach Neuseeland kommt, desto mehr lohnt es sich auch, nach Wellington zu kommen oder zum Drehen nach Neuseeland. Es gibt Steuererleichterungen der Regierung. Jede Großproduktion, die in Neuseeland dreht, bekommt 15 Prozent der Kosten zurückerstattet. Und das kann eine ganze Menge sein. Bei "Avatar" waren das allein 25 Millionen Euro, die gespart wurden. Dieses Programm gibt es seit 2003 und hat seitdem vor allem Hollywood-Produzenten mehr als 150 Millionen Euro gespart. Und im Sog des "Herrn der Ringe" ist wirklich aus einer Filmszene in Neuseeland, einer wirklich bloßen Filmszene eine Filmindustrie geworden, ein Magnet für Kinotalente aus dem In- und Ausland. Heute ist es auch in Neuseeland möglich, Karriere zu machen, in allen nur erdenklichen Produktionsbereichen vom Kostüm über Make-up, Kulissenbau bis hin zu Kamera, Schnitt, Ton, Regie, Produktion oder Marketing, das kann man alles dort lernen. Die einheimischen Universitäten und Berufsschulen bilden in Rekordzahlen Filmnachwuchs aus, und bei Weta und Parkrode Paus, dem Nachbearbeitungshaus von Peter Jackson, werden auch nicht nur Hobbits oder Avatars gemacht, sondern auch kleine neuseeländische Filme, für den einheimischen Markt, die wir nie im Kino zu sehen bekommen, aber die genauso wichtig sind für die Filmszene in Neuseeland. Und das passiert mit der gleichen Hingabe, mit der gleichen Sorgfalt und vor allem mit den gleichen Leuten, die auch Oscars gewonnen haben. Das heißt, viele einheimische Filme werden dadurch überhaupt erst möglich, und man fördert junge Talente in Neuseeland. Denn wer weiß, vielleicht ist darunter, unter dem Nachwuchs von heute, ja auch der Peter Jackson von morgen.
Timm: Dass der Hobbit geschäftlich ein Erfolg wird, das ist jetzt schon klar. Und dass es Sie beeindruckt hat von der ganzen Filmproduktion, das haben Sie uns ausgiebig erzählt. Ihre Wette, ganz zum Schluss, ganz kurz: Wird der "Hobbit" es beim Publikum mit dem "Herrn der Ringe" aufnehmen können?
Stummer: Ich glaube ja. Ich schätze mal, über eine Milliarde Dollar weltweit Kasseneinspiel. Und dadurch, dass 3D-Ticketpreise höher sind als 2D-Ticketpreise, glaube ich mal, dass er unter die Top Ten aller Zeiten kommt, bis der zweite Teil wahrscheinlich herauskommt und der dritte Teil dann herauskommt, und dann wird das die erfolgreichste Trilogie aller Zeiten werden.
Timm: Geschäftlich jetzt schon ein Erfolg. Wie der Film geworden ist, das können Sie sich ab Donnerstag selbst im Kino anschauen. Andreas Stummer war das zu den Produktionsmöglichkeiten in Neuseeland und zum großen Film, der nächste Woche startet: "Der Hobbit – Eine unerwartete Reise". Vielen herzlichen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Andreas Stummer: Hallo!
Timm: Herr Stummer, ist Wellington denn derzeit die Hauptstadt Neuseelands oder die Hauptstadt von Mittelerde?
Stummer: Beides. Also, wenn man irgendwo auf der Welt Großfilme mit Hunderten Millionen Dollar Budget und mit Zehntausenden Statisten dreht, dann hört man oft von den Schwierigkeiten bei den Dreharbeiten, dass sich Behörden querlegen, dass die Anwohner protestieren und so weiter. Beim "Herr der Ringe" in Neuseeland war das genau das Gegenteil. Das ganze Land war damals für den Film auf den Beinen. Soldaten hat man damals als Statisten abkommandiert, bis hinauf zur Regierung, die damals auf dem kleinen Dienstweg Drehgenehmigungen erteilt haben in Naturschutzgebieten, in Nationalparks. Und es hat damals sogar einen eigenen "Herr-der-Ringe"-Minister gegeben im Kabinett. Und es gibt kaum einen Film, bei dem die Landschaft eine größere Rolle spielt als Neuseeland im "Herrn der Ringe". Neuseeland ist nun einmal die Bestbesetzung für Mittelerde. Und das zahlt sich auch seitdem aus. Also, seit der Tolkien-Trilogie kommen 20 Prozent mehr Touristen nach Neuseeland als vorher. Und jetzt auch beim "Hobbit" hat das ganze Land wieder mitgeholfen, den Film in den Kasten zu bekommen. Man hat sich also, teils über Monate, ganze Gebiete sperren lassen, um die Kulissen stehen lassen zu können. Hotels haben Touristen abgesagt, weil die "Hobbit"-Crew auf besseres Wetter warten und noch länger bleiben musste. Und auf der Crew-Liste für den Hobbit stehen mehr als 3000 Namen. Und die meisten sind Neuseeländer. Und wenn Sie jetzt irgendwo in Neuseeland, ganz beliebig, irgendwo einen Einheimischen auf der Straße anhalten und den fragen nach dem "Hobbit", dann war er entweder selbst beim Hobbit mit dabei oder kennt irgendjemand, der beim Hobbit dabei war, als was auch immer. Und erst letzte Woche haben wir das alles gesehen. 100.000 Leute waren bei der Weltpremiere in Wellington, und wo gibt es das schon, 100.000 Leute bei einer Filmpremiere. Ganz Neuseeland platzt jedenfalls vor Stolz, dass die Tolkien-Filme bisher 17 Oskars gewonnen haben – vielleicht werden es ja mehr nach dem "Hobbit" –, dass sie nicht im großen Hollywood entstanden sind, sondern eben im kleinen Neuseeland. Gemacht von Neuseeländern und von Peter Jackson, einem Neuseeländer.
Timm: Ein ganzer Kontinent definiert sich über den "Hobbit", da waren sie schon in Übung. Beim "Herrn der Ringe" ging das schon los. Das war ein Riesen-Kinoerfolg, und trotzdem wäre der "Hobbit", der ja die Vorgeschichte erzählt, fast nicht gedreht worden. Warum?
Stummer: Es ist ein bisschen ein kleines Wunder, dass "Der kleine Hobbit" ins Kino kommt. Man hat sich Jahrelang erst mal um die Rechte gestritten in Hollywood, bis man sich darauf geeinigt hat, wer nun das Geld aufbringt. Und wem nun der "Hobbit" eigentlich gehört. Dann hat man herausgefunden, die Hälfte gehört Warner Brothers und die andere Hälfte gehört MGM. Und Peter Jackson hatte damals nach fast zehn Jahren Arbeit am "Herrn der Ringe" so ein bisschen die Nase voll von Mittelerde, hat dann die Regie abgegeben, für "Der kleine Hobbit", an Guillermo del Toro, den mexikanischen Regisseur von "Pans Labyrinth". Peter Jackson wollte einfach nur den Film produzieren. Dann aber war MGM fast pleite und stand zwei Jahre lang kurz vor dem Bankrott. Der Drehbeginn ist dann immer wieder verschoben worden. Del Toro hat dann irgendwann die Geduld verloren und hat gesagt, ich möchte gern irgendwas drehen und ist dann auch abgesprungen. Dann sollte der Film auf einmal in Schottland entstehen und nicht in Neuseeland. Und das war dann genau der Moment, als Peter Jackson gesagt hat, Moment, ich mache den kleinen "Hobbit" und ich mache ihn auch da, wo ich den "Herrn der Ringe" gemacht habe, in Neuseeland. Dann hat es aber Schwierigkeiten mit den Gewerkschaften in Neuseeland gegeben. Die haben protestiert, dass zu viele Crew-Mitglieder aus dem Ausland nach Neuseeland kommen würden. Dann hat es Demonstrationen gegeben in Wellington, bis die neuseeländische Regierung eigens wegen der Dreharbeiten das Arbeitsrecht in Neuseeland geändert hat. Dann waren alle glücklich, MGM war mittlerweile wieder flüssig, und dann konnte endlich mit dem Dreh begonnen werden, und zwar mit dem gleichen Team, dass auch den "Herrn der Ringe" gemacht hat, und wieder in Neuseeland.
Timm: Ich mache die lange Geschichte jetzt mal ganz kurz. Dieses Drama sieht man dann hoffentlich auf der Leinwand nicht. Und wenn man einen Film auf Halblänge ausrichtet – ein echter Hobbit wird nicht größer als 1,20, dann braucht es ja naturgemäß viel Technik. Und auch der "Herr der Ringe" lebte ja schon von ganz extraordinären Spezialeffekten. Ist das dann beim "Hobbit" wahrscheinlich ähnlich?
Stummer: Beim "Hobbit" ist das genau das Gleiche gewesen. Man hat in der Zwischenzeit in Wellington nicht nur "King Kong" gedreht, man hat nicht nur "Avatar" gedreht, den erfolgreichsten Film aller Zeiten, man hat "Die Chroniken von Narnia" gedreht, man hat "Tim und Struppi" gedreht dort. Und all dieses Wissen, das man bekommen hat über die Jahre, hat man natürlich auch in die technischen Neuerungen hier, in den "Hobbit" gesteckt, und das soll man jetzt auch auf der Leinwand sehen.
Timm: Ich frage jetzt mal ganz naiv: In den letzten Tagen gingen viele Fotos herum von den Hobbit-Wohnstätten. Diese Höhlen im bienenkorbartigen Rundbau – wird das nun alles per Computer verkleinert oder sind die wirklich so, dass Mensch da zumindest den Kopf einziehen muss? Könnte ja auch sein, dass ein Regisseur sagt, meine Schauspieler bewegen sich anders, wenn sie sich der Umgebung, der Hobbit-Umgebung wirklich anpassen müssen.
Stummer: Da muss man den Kopf einziehen. Also, man kann den Kopf zum Fenster rausstrecken. Aber man muss, wenn man durch die Tür geht, den Kopf einziehen. Alles was größer ist als 1,65, muss den Kopf einziehen.
Timm: Herr Stummer, Peter Jackson, der Regisseur des "Herrn der Ringe", macht jetzt auch den "Hobbit", Sie haben ihn schon uns genannt. Ist er überhaupt das Zentralgestirn der neuseeländischen Filmindustrie?
Stummer: Das ist er. Das war er eigentlich schon immer, und das ist er jetzt vor allen Dingen. Weil nach dem riesigen Kassenerfolg der "Herr der Ringe"-Filme hat Peter Jackson die Millionen, die er verdient hat mit dem "Herrn der Ringe", in seine eigene Heimatstadt investiert und hat sich in Wellingtons Stadtteil Miramar eigentlich sein eigenes Kinoimperium aufgebaut. Miramar, das war früher eigentlich nicht mehr als die letzte Ausfahrt vor dem Flughafen in Wellington. Nicht mehr als ein kleines Industriegebiet. Aber heute ist dort das modernste Filmzentrum der Welt. Und innerhalb von vielleicht nur zehn Gehminuten liegt alles, was man zum Filmemachen braucht. Wer also große Effektfilme machen will, der geht heute nicht mehr nach Hollywood, sondern kommt nach Wellington, so wie das zum Beispiel "Titanic"-Regisseur James Cameron gemacht hat. Er ist mit Sack und Pack nach Neuseeland umgezogen, hat sich eine Farm in der Nähe von Wellington gekauft und schreibt dort gerade "Avatar" Teil zwei und Teil drei und die will er dann in einem Rutsch drehen, und zwar in Wellington, wo sonst?
Timm: Das heißt, Hollywood ist das Filmland alter Zeiten, und Neuseeland hat ihm zumindest technisch, produktionstechnisch den Rang abgelaufen?
Stummer: Ja. Vor allen Dingen wegen Weta Digital. Also, angefangen mit dem "Herrn der Ringe" macht man bei Weta Digital seit jetzt zehn Jahren wirklich die bahnbrechendsten visuellen Effekte, die im Kino zu sehen sind derzeit. Wellington ist eigentlich zum Magnet für Computerkünstler aus der ganzen Welt geworden. Peter Jackson hat, eigentlich nur mit ein paar Freunden, Weta Digital 1984 für seinen Film "Heavenly Creatures" im Hinterzimmer eines Wohnhauses in Wellington gegründet, mit nur einem einzigen Computer. Und damals hatten Jackson und Co. nicht einmal genug Speicherplatz, um auch nur eine einzige Effekteinstellung zu speichern. Heute hat Weta Digital die Rechnerkapazität einer ganzen Kleinstadt. Und Weta ist so ein bisschen wie die Vereinten Nationen für visuelle Effekte. Mittlerweile arbeiten dort mehr als 1000 Mitarbeiter aus über 80 Ländern, und die besten Filmemacher stehen Schlange mit ihren Projekten. Die Neuseeländer haben eigentlich nicht nur die Art, wie heute Filme gemacht werden, revolutioniert, sondern auch welche Filme gemacht werden können.
Timm: Machen wir noch mal eine Rückblende, Herr Stummer. Von der Technik zum Land. Die Landschaft spielt ja immer auch eine große Rolle. Die Weite und die Schönheit und das Grün Neuseelands. Der Premierminister, der zugleich Tourismusminister ist, soll sogar das eine oder andere Landesgesetz hobbitfilmtauglich umgeschmiedet haben. Dass diese Filme das Land derzeit prägen, das scheint eigentlich klar. Aber wie wirkt so was in einem Land weiter, dass eigentlich ja eher landschaftlich als kulturell geprägt ist?
Stummer: Neuseeland ist durch die "Herr der Ringe"-Filme, die Landschaft eigentlich weltweit erst mal bekannt geworden. Viele dachten, Neuseeland wäre, ich hätte bald gesagt, ein Stadtteil, aber wäre fast ein Staat von Australien. Viele wussten gar nicht, wo ist Neuseeland. Aber man hat mehr oder weniger in den USA nach dem "Herr der Ringe", nachdem der "Herr der Ringe" dort Premiere hatte, hat man in den USA Fragebögen ausgegeben und hat die Leute dort gefragt: Wo glauben Sie, dass Mittelerde liegt? Und die haben wirklich geglaubt, Mittelerde sei ein echtes Land, und das läge in Neuseeland. Aber die Folge daraus, dass Neuseeland so bekannt geworden ist, ist, dass "Der Herr der Ringe" einfach Neuseeland zum Filmland gemacht hat. Nicht nur wegen der spektakulären Kulissen oder der erfahrenen Crews. Die Regierung ist weiter mit an Bord. Je größer das Budget eines Films ist, der nach Neuseeland kommt, desto mehr lohnt es sich auch, nach Wellington zu kommen oder zum Drehen nach Neuseeland. Es gibt Steuererleichterungen der Regierung. Jede Großproduktion, die in Neuseeland dreht, bekommt 15 Prozent der Kosten zurückerstattet. Und das kann eine ganze Menge sein. Bei "Avatar" waren das allein 25 Millionen Euro, die gespart wurden. Dieses Programm gibt es seit 2003 und hat seitdem vor allem Hollywood-Produzenten mehr als 150 Millionen Euro gespart. Und im Sog des "Herrn der Ringe" ist wirklich aus einer Filmszene in Neuseeland, einer wirklich bloßen Filmszene eine Filmindustrie geworden, ein Magnet für Kinotalente aus dem In- und Ausland. Heute ist es auch in Neuseeland möglich, Karriere zu machen, in allen nur erdenklichen Produktionsbereichen vom Kostüm über Make-up, Kulissenbau bis hin zu Kamera, Schnitt, Ton, Regie, Produktion oder Marketing, das kann man alles dort lernen. Die einheimischen Universitäten und Berufsschulen bilden in Rekordzahlen Filmnachwuchs aus, und bei Weta und Parkrode Paus, dem Nachbearbeitungshaus von Peter Jackson, werden auch nicht nur Hobbits oder Avatars gemacht, sondern auch kleine neuseeländische Filme, für den einheimischen Markt, die wir nie im Kino zu sehen bekommen, aber die genauso wichtig sind für die Filmszene in Neuseeland. Und das passiert mit der gleichen Hingabe, mit der gleichen Sorgfalt und vor allem mit den gleichen Leuten, die auch Oscars gewonnen haben. Das heißt, viele einheimische Filme werden dadurch überhaupt erst möglich, und man fördert junge Talente in Neuseeland. Denn wer weiß, vielleicht ist darunter, unter dem Nachwuchs von heute, ja auch der Peter Jackson von morgen.
Timm: Dass der Hobbit geschäftlich ein Erfolg wird, das ist jetzt schon klar. Und dass es Sie beeindruckt hat von der ganzen Filmproduktion, das haben Sie uns ausgiebig erzählt. Ihre Wette, ganz zum Schluss, ganz kurz: Wird der "Hobbit" es beim Publikum mit dem "Herrn der Ringe" aufnehmen können?
Stummer: Ich glaube ja. Ich schätze mal, über eine Milliarde Dollar weltweit Kasseneinspiel. Und dadurch, dass 3D-Ticketpreise höher sind als 2D-Ticketpreise, glaube ich mal, dass er unter die Top Ten aller Zeiten kommt, bis der zweite Teil wahrscheinlich herauskommt und der dritte Teil dann herauskommt, und dann wird das die erfolgreichste Trilogie aller Zeiten werden.
Timm: Geschäftlich jetzt schon ein Erfolg. Wie der Film geworden ist, das können Sie sich ab Donnerstag selbst im Kino anschauen. Andreas Stummer war das zu den Produktionsmöglichkeiten in Neuseeland und zum großen Film, der nächste Woche startet: "Der Hobbit – Eine unerwartete Reise". Vielen herzlichen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.