Autor: Dieter Bub
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Sprecher: Dieter Bub, Frauke Poolmann und Alexander Radszun
Technik: Alexander Brennecke
Redaktion: Winfried Sträter
"Ich hatte keine Privatsphäre"
29:44 Minuten
Von 1977 bis 1983 berichtete Dieter Bub für den "Stern" aus Ostberlin. Dass ihn die Stasi dabei auf Tritt und Schritt überwacht, war ihm von Anfang an klar. Erinnerungen eines Journalisten "an eine Vergangenheit, die entrückt, aber nicht vergeht."
Im Frühjahr 1977 übernimmt Dieter Bub als dritter Korrespondent das Büro des Magazins "Stern" in der Leipziger Straße in Ostberlin. Bei der Akkreditierung weiß das Außenministerium in der DDR nichts von seiner Vergangenheit in Halle an der Saale. Er war mit dem Abitur unter dem Namen Dieter Müller über Ostberlin in den Westen geflüchtet. Seine Rückkehr unter dem Namen Dieter Bub verdankt er der Adoption durch den Konzertmeister Rudolf Bub.
So konnte er ohne Probleme, aber mit guten Kenntnissen über die DDR-Gesellschaft seine Arbeit beginnen. Zu seinem Berichtsgebiet gehörten auch Polen, die ČSSR und Ungarn. Er weiß, dass er von der Staatssicherheit überwacht wird. In deren Protokollen wird er unter dem Namen "Wabe" geführt.
Die Wände haben Ohren - buchstäblich
Für Bub war von Anfang an klar: Er wird überwacht. In seinem Feature versetzt er sich nochmal zurück in die Zeit, als er buchstäblich mit den Wänden reden konnte, im Wissen darum, dass jedes Zimmer verwanzt sein würde:
"Ich weiß, Ihr habt mich erwartet, meine Ankunft im 11. Stock rechts ist gemeldet. Ihr habt die Mikrofone eingeschaltet, keine Ahnung, wo sie installiert sind. Ich vermute überall. Ihr werdet mir zuhören, bei Telefongesprächen, bei der Unterhaltung mit Besuchern, bei meinen Anrufen nach Hamburg, beim Aufwachen, auch beim Singen unter der Dusche? Ich vermute Euch im Zweiten Stock, denn dort passiert der Fahrstuhl ohne Halt. Ich denke, Ihr seid ein Kollektiv, wahrscheinlich auch für andere zuständig. Aber Kollegen aus der BRD, der Bundesrepublik Deutschland, sind hier nicht zuhause. Die leben fast alle in Westberlin. Hier in der Hauptstadt der DDR sind wir nur ein paar, Karl–Heinz Baum von der Frankfurter Rundschau und unser Stern-Fotograf Harald Schmitt, der schon seit zwei Jahren mit Frau und Hund hier in Lichtenberg zuhause ist, der kennt das."
Für die Hamburger Chefredaktion des "Stern" sind New York, Moskau oder Paris näher als Ostberlin. Die DDR ist an der Alster so fern wie Tadschikistan. Dieter Bub wohnt als Stern-Korrespondent ab 1977 in der Leipziger Straße 65. Auf der einen Seite der Blick zum Verlagshaus Axel Springer, auf der anderen Seite zum Gendarmenmarkt, Ende der 70er Jahre noch Ruinen, bald auf Wunsch Honeckers auferstanden mit Konzerthaus, dem Deutschen und dem Französischem Dom.
Hoffnungen auf Liberalisierungen zerschlugen sich
Für Journalisten aus Westdeutschland gab es bei Anträgen auf Akkreditierung in der DDR auch schon früher Möglichkeiten zur Berichterstattung. Dazu gehörten seit den 50er-Jahren die Leipziger Messen, die Ostseewochen in Rostock, die Händelfestspiele in Halle und die Weltjugendfestspiele in Ostberlin. Ein großes fröhliches Fest, wo überall "Bella Ciao" und "Venceremos" gesungen wurde.
"Damals hatte es die Hoffnung gegeben, diese Atmosphäre könnte der Anfang der Liberalisierung sein", erklärt Dieter Bub. "Es war ein Irrtum. Es folgte die Rückkehr zum SED-Überwachungsstaat mit all seinen Einschränkungen und den Nöten im Alltag."
Anträge der Westkorrespondenten in Ostberlin werden genehmigt, wenn dadurch ein positives Bild der DDR zu erwarten ist. Beispiele dafür sind Reportagen über Dresden, über die alte Verbindungsstraße zwischen Berlin und Hamburg, über das ungewöhnliche japanische Restaurant in Suhl mit Nackt–Tee-Zeremonie und Rostock mit den Störtebeker-Festspielen auf Rügen.
Die Berichterstattung über eine LPG oder über Volkseigene Betriebe werden abgelehnt. Für das Porträt eines Abgeordneten der Volkskammer wird nach Vorbild der Potemkinschen Dörfer in Jena extra eine Wohnung tapeziert und neu eingerichtet. Der Schwindel fliegt auf, der Bericht nicht veröffentlicht.
"Der Besuch bei Havemann war eine Provokation"
Offiziell ist den Korrespondenten das Verlassen Ostberlins ohne Genehmigung untersagt. Westjournalisten können dieses Verbot aber unterlaufen mit dem Diplomatenstatus, der ihnen mit Autokennzeichen und Ausweis selbst bei Kontrollen jederzeit freie Fahrt ermöglicht.
Dieter Bub schafft es, auch den unter Hausarrest stehenden Regimekritiker Robert Havemann zu besuchen. Der Kommunist und SED-Kritiker ist Erich Honecker und der Partei ein besonderer Dorn im Auge. Dass er über Westkorrespondenten mit den bundesdeutschen Medien kommuniziert, ist für sie besonders unerträglich.
Bub weiß: "Der Besuch bei Robert Havemann und seiner Frau Sibylle in der Burgwallstraße war eine Provokation. Die Straße ist abgesperrt, das Grundstück wird mit Kameras und Mikrofonen überwacht. Natürlich haben wir bei Kaffee und Kuchen nicht laut geredet, wir haben mit Kurzmitteilungen auf Zetteln korrespondiert, auf dem Bootssteg und im Ruderboot auf dem See: da haben wir miteinander gesprochen."
Im Visier der Stasi
Der Stasi bleiben Bubs Treffen nicht verborgen. In einem Bericht über Bub heißt es:
"Im Rahmen seiner Kontakttätigkeit unterhielt B. stabile persönliche Verbindungen zu feindlich oppositionellen Personen. Den Kontakt zu Havemann nahm er am 11. 4. 1980, also bereits wenige Tage nach seiner Akkreditierung, auf. In der Folgezeit kam es zu nahezu regelmässigen Zusammentreffen. B. wurde für Havemann zu einem bedeutenden Kontaktpartner. Im Zeitraum bis 8.3.1982 kam der Korrespondent des Stern insgesamt 15 mal meist in der Wohnung des Havemann in der Burgwallstrasse mit diesem zusammen. Einige dieser Treffen fanden im PKW des Havemann vor dem Wohnsitz des B. in der Leipziger Straße statt."
Doch um was es bei dem Gespräch genau ging, blieb der Stasi verborgen, meint Bub: Es ging um "die gemeinsame Berliner Erklärung von Robert Havemann und Rainer Eppelmann mit dem Aufruf zur Abrüstung in Ost und West." Für die Stasi war Eppelmann ein Ärgernis, so Bub. Denn selbst die Drohung, seine Kinder in einem Erziehungsheim wie in Torgau unterzubringen, habe nichts genutzt.
Mordanschläge auf Pfarrer Eppelmann
Auf den oppositionellen Pfarrer Rainer Eppelmann werden zwei Mordanschläge durch Manipulation an seinem Auto verübt, beide misslingen. Eppelmann veranstaltet weiter in der Samariterkirche in Berlin-Friedrichshain Bluesmessen, die wegen des großen Andrangs dreimal am Tag stattfinden. Einer der Künstler, die dort auftreten, ist Stephan Krawczyk.
Für Dieter Bub ist Pfarrer Eppelmann ein wichtiger Mann, um Informationen über das Innenleben der DDR und die oppositionelle Szene zu bekommen. Eppelmann kennt keine Furcht, er besucht den Stern-Korrespondenten Dieter Bub in seiner Wohnung in der Leipziger Straße. Für die Stasi ist das Gespräch jedoch nutzlos. Da sie wissen, dass sie abgehört werden, unterhalten sie sich mit Tricks, nennen falsche Daten und gefakte Adressen.
Bei der Stasi heißt es:
"Mit publizistischer Schützenhilfe von 'Wabe' wurde der feindlich negative DDR-Pfarrer Eppelmann als Leitfigur der sogenannten unabhängigen Friedensbewegung in der DDR aufgebaut. 'Wabe' unterhielt darüber hinaus zu einer Reihe von Personen intensive Kontakte, die bestrebt sind, die 'sogenannte' unabhängige Friedensbewegung in der DDR als politische Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu formieren. (Hirsch, Rathenow, Fuchs, Heym). Durch die Kontakte zu Rathenow erhielt 'Wabe' die Hintergrundinformationen zu seinem Beitrag 'Eiszeit in der DDR', der eine Reihe weitere verleumderische Veröffentlichungen in BRD-Medien auslöste."
Ein "Orwell-Gefühl von Einsamkeit"
In seiner Wohnung beschleicht Dieter Bub "ein Orwell–Gefühl von Einsamkeit". Er fühlt sich "allein in diesem Geisterhaus. Bei der Suche nach Geschichten aus dem fremden Deutschland, betäube ich mich gelegentlich mit Gin Tonic. Ich bin allein, allein mit Euch, den unsichtbaren Fremden unten an Euren Abhöranlagen."
Auf der Suche nach Gesellschaft begibt er sich in Kneipen, macht neue Bekanntschaften. "Es wird immer viel getrunken hier, und es wird immer spät. Und irgendwer von Euch macht hier Fotos mit Knopfloch–Kameras, die wir nicht sehen sollen."
Zwischen dem, was dem Stern-Korrespondenten Dieter Bub erlaubt ist und dem, was er tut, gibt es einen deutlichen Unterschied. Seine wichtigsten Geschichten erfährt er nicht bei offiziell angemeldeten Terminen, sondern bei seinen Streifzügen durch Ostberlin, unterwegs in Cafés und Restaurants. Bei Bier, Korn und Wein erzählt man ihm aus dem privaten Leben - von Versorgungsschwierigkeiten, Familienfesten, Jugendweihe, Konfirmation.
Auf der Gala mit den Überwachern
In der Zeit, in der Dieter Bub Stern-Korrespondent in Ost-Berlin ist, gibt es ein besonderes Ereignis: Henry Nannen, der Herausgeber, des Stern, besucht 1977 die Hauptstadt der DDR. Es ist ein gesellschaftliches Ereignis. 200 Gäste sind zu einem Empfang des Gruner-und-Jahr-Verlags in das vornehme Ermelerhaus im Zentrum Berlins geladen. Darunter Günter Gaus, der Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, auch viele Genossinnen und Genossen der SED und der DDR-Medien. Speisen und Getränke aus dem West-Berliner KaDeWe, am Piano Gottfried Böttcher, der Pianist der Dreinachneun-Talkshow des Westfernsehens.
Dass die Stasi mit dabei war, dessen ist sich Bub sicher. Sicher hätten sich seine Überwacher dabei amüsiert, dass er sie nicht erkannt hatte.
Die Militarisierung einer Gesellschaft
In den Militär-Aufmärschen im Vorfeld des 1. Mai erkennt Bub "ein Erbe Preußens. "Der Frieden muss bewaffnet sein, ist Eure Losung", schreibt er im Nachhinein an die Adresse seiner damaligen Überwacher.
Aus solchen Beobachtungen entsteht unter anderem der Artikel "Jugend ans Gewehr". Für die Stasi "ein Höhepunkt von Wabes verleumderischer Berichterstattung". Bubs Kritik an der Militarisierung der Gesellschaft stelle "im Kontext der Angriffe von BRD-und Westberliner Medien gegenüber unserer Friedens- und Verteidigungspolitik einen grundsätzlichen Angriff" und "eine Eskalation dar".
"Ich soll Angst haben vor Euch Unsichtbaren"
Bub erhält Nachrichten von seinen Überwachern: In der Garderobenlage findet er "eine große lebende Grüne Wanze".
"Was ist Eure Botschaft", fragt Bub im Rückblick. "Die Wanze soll mir zeigen, Ihr besitzt Schlüssel für meine Wohnung, Ihr habt jederzeit Zutritt, Tag und Nacht, Ihr könntet mich im Schlaf überraschen, mich abholen und zum Verhör in die Stasi–Zentrale in die Normannenstraße bringen. Ich bin Euch ausgeliefert, wie Regimekritiker Jürgen Fuchs oder Rainer Eppelmann. Ich könnte verschleppt oder abgeschoben werden wie Roland Jahn.
Ich soll Angst haben vor Euch Unsichtbaren. Ja, es gibt Nächte der Angst, in denen mir bewusst wird , wie sehr ich ausgeliefert bin, in denen ich wach liege und fürchte, Fremde verschafften sich Zutritt zu meiner Wohnung. Was könnte mir passieren? Eine der üblichen Vorladungen? Eine Verwarnung? Was ist das für ein merkwürdiges Geräusch? Hab ich Wahnvorstellungen?"
Ausreisewillige suchen den Kontakt
Im Lauf seiner Tätigkeit kontaktieren immer wieder Ausreisewillige den Stern-Korrespondenten. So auch ein junges Paar, Lena und Christian Voigt. Christian Voigt war Konstrukteur in der Rostocker Neptunwerft und hatte sich als erfolgreicher Rockmusiker Ärger eingefangen - monatelang war er eingesperrt und dann auf Bewährung verurteilt worden.
"Ihr wisst, dass sie bei mir vor der Tür stehen", schreibt Bub im Nachhinein an seine Überwacher. "Ihre Ankunft ist Euch längst gemeldet worden. Eine Woche später treffe ich mich mit Rechtsanwalt Vogel, dem Ost-West–Unterhändler, an den sich viele Ausreisewillige wenden. Mit seinem Wagen parkt er hinter dem Haus Leipziger Straße 65, wo ich wohne. Ich verpflichte mich (wie in fünf Fällen zuvor), über die Sache nicht zu berichten. Familie Voigt kann drei Monate später mit Genehmigung Honeckers ausreisen, nach Hamburg."
Viele hundert Ausreisewillige können die DDR verlassen, weil die Bundesrepublik sie freikauft und dadurch den Devisenmangel des zweiten deutschen Staates ein wenig lindert.
Treffen im abhörsicheren Raum
Als DDR-Korrespondent hat Dieter Bub auch Kontakt zur Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. In einem abhörsicheren Raum, der sogenannten "Laube", finden Treffen mit dem Ständigen Vertreter Günter Gaus statt. 1981 ist ihr Thema der bevorstehende Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt in der DDR. Schmidt besucht Honecker nicht in der "Hauptstadt der DDR", es ist kein Staatsbesuch, sondern in Honeckers Jagdsitz Schloss Hubertusstock, mit Abstecher nach Güstrow.
"Da bin ich Euch entwischt", schreibt Bub. "Dass ich für die Berichterstattung bei einer Pfarrersfamilie in Güstrow übernachtet habe, habt Ihr nicht mitbekommen. Aber sonst kriege ich immer neue Rügen für meine Verfehlungen in der DDR, und auch in den sozialistischen Bruderstaaten, die ja zu meinem Berichtsgebiet dazu gehören. Wenn ich reise, wird das ans Außenministerium gemeldet: 'Verleumderische und tendenziöse Berichterstattung über die CSSR' - ja, wir hatten Anna Maranova als Sprecherin der Bürgerrechtsbewegung Charta 77 getroffen, und Jiri Hajek, den Außenminister unter Alexander Dubcek, beim Prager Frühling 1968. Der Titel der Stern-Reportage hat Euch natürlich getroffen: Bespitzelt, gefangen, gefoltert.
Für die Stasi stell dies einen "Missbrauch von gewährten Arbeitsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Einreisen in die Volksrepublik Polen" dar. Prag belegte Dieter Bub mit einer Einreisesperre. Nach Polen hingegen konnte er weiter reisen und von der Solidarnocz-Bewegung berichten.
Bubs Identität fliegt auf
Dann erfährt die Stasi, wer wirklich hinter Dieter Bub steckt: der einstige Republikflüchtling Dieter Müller. "Ihr habt es wahrscheinlich durch ein Telegramm erfahren", erinnert sich Bub. "Jetzt kennt Ihr meine wahre Identität. Das Geheimnis meiner vielen Reisen nach Halle mit Spaziergängen durch das Paulusviertel und an der Saale. Dass es Besuche am Ort meiner Kindheit und Jugend waren."
Nachdem die Staatssicherheit erfahren hat, dass Dieter Bub identisch ist mit Dieter Müller aus Halle an der Saale, der vor Jahrzehnten als Abiturient in den Westen geflohen ist, erhält die Staatssicherheit am 15. Dezember 1981 den Bericht von einem MfS-Mitarbeiter einen Bericht über seine Schulzeit:
"Dieter Müller zeigte besonders im Gegenwartskundeunterricht nur mangelnde durchschnittliche Leistungen und eine eindeutige Westorientierung So hatte er keine Chance, zum Studium angenommen zu werden. Er sonderte sich etwas von der Klasse ab, fühlte sich bereits als angehender Künstler. Er suchte die Nähe zu älteren Lehrern. Stets bemüht durch gewählte Sprechweise, trug er auffällige Westkleidung, die ihm seine Mutter aus der BRD schickte. Er selbst wuchs bei seinen Großeltern auf. Er zeigte, trotz einer Mitgliedschaft in der FDJ als Tarnung, keinerlei gesellschaftliches Engagement. Eine Zulassung zum Studium gilt so als ausgeschlossen."
Nach seiner Enttarnung legte die Staatssicherheit in Halle eine eigene regionale Akte an, in der jeder Besuch und jede seiner Bewegungen, auch Auto- Verfolgungsjagden, registriert wurde.
Eine "Liaison mit einer DDR-Bürgerin"
"In der letzten Nacht habt Ihr die Regler Eurer Anlage bestimmt bis zum Anschlag hochgezogen. Sie war hier. Über Nacht. Wir haben geflüstert und uns über Euren Lauschangriff amüsiert. Habt Ihr was gehört? Dass ich in den letzten Wochen immer mal wieder nachts nicht in meine Wohnung heimgekehrt bin – natürlich habt Ihr das mitbekommen. Ich bin also eine Liaison mit einer DDR-Bürgerin eingegangen. Wie heißt das in Euerm Deutsch? Meine Intimpartnerin. Was für ein Wort! Ich weiß, es gibt kein Geheimnis. Aber ich weiß nicht: Habt Ihr auch bei ihr, in dem kleinen Dorf in der brandenburgischen Walachei schon Mikrofone installiert und im Kreis Ihrer Freunde und Bekannten einen Informanten auf uns angesetzt? Da draußen, wo sich ein buntes Künstlervolk zusammengefunden hat?"
Bereits der zweite Korrespondent des Stern hatte sich in eine attraktive Frau aus Ostberlin verliebt. Auch andere Journalisten, Fotografen und Kameraleute waren von der Selbstständigkeit, Emanzipation und dem Selbstbewusstsein der DDR-Frauen beeindruckt. Deren Wunsch nach einem neuen Leben im Westen wurde stets genehmigt. Versuche, sie als Mitarbeiterinnen der Staatssicherheit zu gewinnen, scheiterten in aller Regel.
"Ich bin nicht mehr allein in dieser Welt, in der ich Tag und Nacht von Schattengestalten umgeben bin", erinnert sich Bub an diese Zeit. "Wir unternehmen Fahrten mit dem Trabant, Ausflüge in die Umgebung von Berlin, zum halb verfallenen Schloss Meseberg, auch zu einem Treffen mit Oppositionellen in Jena und zu Freunden an der Müritz, in der Nähe eines Flugplatzes der Roten Armee."
Die Stasi bleibt immer in Blicknähe
Die Staatssicherheit ermittelt wegen Spionage. Ergebnislos. Die Liste der sogenannten "Verfehlungen" des Stern-Korrespondenten Dieter Bub wird allerdings immer länger.
"Bei allen Tricks, die ich mir einfallen lasse – ich kann Euch nicht entkommen. Immer stehen ein Trabi oder Wartburg bereit. Alles wird von Euch kontrolliert und protokolliert."
Der Stasi-Bericht listet penibel auf:
- 10:46 verließen Wabe und Biene das Wohnhaus, Leipziger Strasse 65, stiegen in den PKW BMW ein.
- 12:01 beide fuhren in die Kopperstrasse, wo Wabe den PKW auf Höhe des Lichthauses abstellte. Beide suchten den Schuhsalon "Exquisit" auf.
- 12:16 verließen sie den Schuhsalon und betraten danach die gegenüberliegende Verkaufsstelle für Gardinen und Stoffe.
- 12:25 begaben sie sich wieder zum PKW und fuhren von der Kopperstraße in die Karl–Marx-Allee. Hier hielten sie und betraten den Schuhsalon "Excellent".
- 12:01 beide fuhren in die Kopperstrasse, wo Wabe den PKW auf Höhe des Lichthauses abstellte. Beide suchten den Schuhsalon "Exquisit" auf.
- 12:16 verließen sie den Schuhsalon und betraten danach die gegenüberliegende Verkaufsstelle für Gardinen und Stoffe.
- 12:25 begaben sie sich wieder zum PKW und fuhren von der Kopperstraße in die Karl–Marx-Allee. Hier hielten sie und betraten den Schuhsalon "Excellent".
"Auch das wisst Ihr: dass wir mit leeren Händen aus dem "Excellent" Schuhladen herauskamen. Selbst in der Hauptstadt war unsere Suche nach festen Winterschuhen ohne Erfolg.
Auch Wohnungsdurchsuchungen in Abwesenheit fallen Bub auf. "Die Briefe, meine Notizzettel, Zeitungen – ich habe sie nicht da hingelegt, wo sie jetzt liegen. Ihr seid also mal wieder da gewesen und habt Euch umgeschaut, und ich soll das auch merken."
"Stern"-Titel führt zur Ausweisung
Im Januar 1983 wird Dieter Bub ausgewiesen. Medien in Ost und West berichten. Der Grund: Eine "Stern"-Reportage über einen Zwischenfall in Klosterfelde, bei dem ein betrunkener Ofensetzer in den Konvoi des Staatsratsvorsitzenden gerast ist. Auch im RIAS berichtete Bub seinerzeit über den Vorfall.
Bubs Reportage erscheint im "Stern" unter dem von der Redaktion gewählten Titel "Attentat auf Honecker". Er selbst sagt, er habe "was anderes geliefert, aber die Redaktion hat ohne Rücksprache mit mir den Text gekürzt und verfälscht. Der Effekt war eine große Auflagensteigerung - und meine Ausweisung."
Bei der Stasi liest sich das so:
"Wabe wurde mit Wirkung vom 14.1.1983 13.30 Uhr wegen wahrheitswidriger und verleumderischer Berichterstattung vom MfAA – Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten - die Genehmigung als akkreditierter ständiger Korrespondent des BRD-Nachrichtenmagazins 'Stern' in der DDR entzogen. Durch die Einreisesperre soll Wabe der Boden für weitere subversive Handlungen in der DDR entzogen werden."
Dieter Bub wäre "gerne noch geblieben - bei Euch. Hab' ich mich daran gewöhnt, dass Ihr immer bei mir wart? Meine Eckermänner, die alles ordentlich mitgeschrieben haben? 48 Stunden noch, dann bin ich weg. Zum Abschied sind Rainer Eppelmann und Lutz Rathenow gekommen. Freunde, die keine Angst haben, dass Ihr sie seht und belauscht. Ich werde von Westberlin aus mit ihnen in Verbindung bleiben. Und meine neue Liebe wird mir folgen, mit Tochter und Ex-Mann. Meine Akte könnt Ihr schließen. Oder macht Ihr weiter, wenn ich im Westen bin?"
Eine Vergangenheit, die nicht vergeht
Dass er das alles mal nachlesen könne, was die Stasi über ihn geschrieben hat, hätte Dieter Bub im übrigen "nie gedacht." Über 2000 Seiten umfasst der Bericht über ihn.
Heute fährt er "häufig durch die Leipziger Straße in Berlin, eine gute Adresse zwischen Potsdamer Platz und Alexanderplatz, und komme an unserem Wohnblock von damals vorbei. Meine Frau – wie hieß das noch im Stasi-Deutsch? – und ich, wir sind alt geworden, siebzig und achtzig. Das Quartett im Außenministerium, bei dem ich bei meiner Ausweisung zum Rapport erscheinen musste, lebt nicht mehr. Aber meine Lauscher in der Wand? Erinnern sie sich noch, wenn sie noch leben?
Es ist in meinem Leben eine Vergangenheit, die entrückt, aber nicht vergeht."
(thg)