Ein kultureller Leuchtturm in Ostfriesland

Von Volkhard App |
Als vor 20 Jahren die Kunsthalle in Emden eröffnet wurde, hatte Henri Nannen damit einen kulturellen Leuchtturm in die Landschaft gesetzt - einen Leuchtturm, der in den vergangenen Jahren mit großen Ausstellungen immer mehr Besucher anzog und nun baulich erweitert werden muss, um Platz für die eigenen Sammlungen zu bieten.
Die Kunsthalle Emden ist erneut zur Baustelle geworden: die Fassade wird mit viel Glas modernisiert, das Foyer erweitert, der Innenhof überdacht, es wird mehr Raum geben für Veranstaltungen und für Museumspädagogik, und der Altbau kann bald ausreichend klimatisiert werden, wie es Leihgeber nun mal verlangen. Dadurch wird das Haus seine "menschlichen Dimensionen", die Bundespräsident von Weizsäcker bei der Eröffnung des beschaulichen Klinkerbaus vor 20 Jahren herausstellte, zwar nicht verlieren, aber spürbar werden die Veränderungen schon sein. Mit den über 120.000 Besuchern, die sich für die Edvard-Munch–Ausstellung 2004/2005 interessierten, war die ostfriesische Kunsthalle an ihre Grenzen geraten.

Dabei hatte es ganz familiär angefangen: wer dieses verwinkelte, schwer zu bespielende Haus in den ersten Jahren aufsuchte, konnte noch den Gründer Henri Nannen erleben, wie er im Sommer vor dem Gebäude die Bänke strich und nicht müde wurde, Besuchergruppen durch seine Sammlung zu führen. Hier in Emden hatte er, nach turbulenten Jahrzehnten als Chefredakteur des Hamburger Magazins "Stern", einen neuen Lebensabschnitt begonnen:

"Ich habe zum Glück einen Beruf gehabt, der mich jeden Tag neu fasziniert hat und in dem ich hoffte, etwas bewirken zu können. Und ich habe dabei auch eine Menge Geld verdient. Und als ich 70 wurde, habe ich mich gefragt: ‚Was machst Du nun? Irgendwann musst Du ja einmal Bilanz ziehen.’ Und ich hatte eine große Sammlung mit Bildern des deutschen Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit. Und ich wollte nicht gern, dass sie auseinander fällt, und habe mir gedacht: ’Die bringst Du in Deine Heimatstadt nach Emden und verlangst nicht von der Kommune oder vom Land, dass sie ein Haus dafür baut, sondern gibst her, was Du hast.’ Und wenn man einen Sohn hat, der ‚ja’ dazu sagt und auf sein Erbe verzichtet, kann man eigentlich ganz glücklich sein, dass man dieses Museum zuwege gebracht hat."

Seine Bilder brachte er in eine Stiftung ein - Kunst, die Nannens Vorliebe für den Expressionismus und die Neue Sachlichkeit bestätigt: "Blaue Fohlen" von Franz Marc, das Lieblingsbild des Sammlers, "Pfingstrosen" von Emil Nolde, Akte von Otto Mueller, Landschaften von Max Beckmann und von Franz Radziwill. Merkantile Spekulation war Nannens Sache nie und das Geraune am Kunstmarkt ließ ihn kalt - die Werke mussten ihm persönlich unter die Haut gehen, ihn mit ihren Figuren und ihrem Farbrausch einfangen. Wer ihm "Willkür" bei seiner Auswahl unterstellte, dem gestand er mit dem Begriff "Lustkür" seine Subjektivität unumwunden ein. Aber wäre für diese Kabinettstücke nicht auch eine andere Stadt in Frage gekommen?

"Ja, mein Sohn hat damals gesagt: ‘Du bist doch verrückt. Schau mal, da gibt es dieses schöne Haus an der Moorweide, das ist wie ein Museum, da kannst Du Deine Sammlung hinhängen und Sonderausstellungen machen und oben könntest Du in einem Penthouse leben und wärst so etwas wie der King von Hamburg.’ Und ich habe dann gesagt: ‚Es hat so viele Kings in Hamburg. Ich glaube, in Emden ist ein Kärrner wichtiger.’ Und jemand hat daraus dann die etwas pathetische Bemerkung formuliert, ich wäre lieber Kärrner in Emden als King in Hamburg."

Die Gegenwart ist in dieser Sammlung schwächer vertreten – immerhin, farbstarke "Glasnost"–Gemälde von Maksim Kantor faszinierten Nannen. Und der erste zur Eröffnung getätigte Neukauf war eine großformatige "Norddeutsche Landschaft" von Heiner Altmeppen – mit weitem Horizont, pittoresker Natur und ferner Stadtsilhouette.) Da diese Kollektion nicht darauf angelegt war, systematisch möglichst viele Kunstströmungen zu repräsentieren, war die Schenkung des Galeristen und Sammlers Otto van de Loo hochwillkommen, für dessen Exponate der Nachkriegsmoderne ein Erweiterungsbau erforderlich wurde. Nun sind seit dem Jahr 2000 auch bedeutende Künstler der Gruppe "CoBra" wie Asger Jorn und Pierre Alechinsky in Emden präsent, auch Emil Schumacher und Arnulf Rainer sind mit markanten Arbeiten dabei. Wie weit aber werden die Sammlungen Nannens und van de Loos mit ihren insgesamt 850 Werken vom Publikum als Einheit erlebt? Achim Sommer war zehn Jahre lang wissenschaftlicher Leiter der Kunsthalle Emden:

"Ich glaube, es ist noch nicht soweit, dass Besucher die Sammlungen als Einheit erleben. Selbst nach der Erweiterung können immer nur Ausschnitte präsentiert werden. Und da beklagen manche Besucher, dass wir nicht mehr von der Sammlung Henri Nannen zeigen. Auf der anderen Seite, kunsthistorisch betrachtet und für den ‚gebildeten Besucher’, ist es schon eine Einheit, weil wir durch die Schenkung van de Loo expressive Tendenzen für die Zeit nach 1945 belegen können und diese Bildwelten vom Expressionismus bis in die Gegenwart erlebbar machen."

Die große Publikumsattraktion sind sicher die Sonderausstellungen. Die Munch-Schau war mit ihrer sensationellen Resonanz allerdings eine Ausnahme. Wenn, wie jüngst bei Per Kirkeby, 12.000 Besucher in die Räume strömen, sind die Erwartungen bereits übertroffen. Der wissenschaftliche Leiter arbeitet in Emden eng mit der Geschäftsführerin zusammen - aber Eske Nannen, die Witwe des Gründers, als Hälfte einer Doppelspitze zu bezeichnen, wäre eine starke Untertreibung, wirkt sie doch als Motor: Sie wirbt Gelder ein und sichert die Zukunft der Unternehmung. "Ein Haus für ganz Ostfriesland" – so bescheiden klang es, als die Kunsthalle ihre Pforten einst öffnete. Inzwischen dürften die Ansprüche gewachsen sein, und die kommende "Emil Nolde"–Schau zielt sicher auf ein überregionales Publikum. Andernorts werden Blockbuster-Ausstellungen inszeniert - möchte man auch in Emden in der "Ersten Liga" spielen? Eske Nannen am "Tag der Offenen Tür":

"Also, ‚Erste Liga’ kann ich so nicht sagen. Für uns ist es wichtig, dass wir die Menschen in der Region an unser Haus binden, das ist unser Anliegen. Unsere Wissenschaftler bemühen sich um qualitätvolle Ausstellungen - dazu gehören auch die Kataloge, die nach außen strahlen, und die Kunsthalle hat sich in den 20 Jahren ihres Bestehens tatsächlich einen internationalen Ruf erworben. Aber wir sind hier wirklich fest in der Region verankert."

Ihr besonderes Augenmerk gilt der benachbarten Malschule mit einigen Hundert Teilnehmern pro Woche – vom zeichnenden Kind bis zum töpfernden Rentner, die ihre Kreativität frei von Leistungsdruck oder schulischen Zwängen entfalten können. Diese Malschule trägt zur Außenwirkung maßgeblich bei.
Auch nach 20 Jahren darf man feststellen: seine Sammlung nach Emden zu geben, dieses Haus bauen zu lassen und so einen kulturellen Leuchtturm in die Landschaft zu setzen, war das Beste, was Henri Nannen tun konnte. Und mit dem neuen Bauabschnitt ist das Wachstum der Kunsthalle ja noch nicht beendet. Eske Nannen:

"Man muss immer Visionen haben, und natürlich haben wir Pläne, wie die Kunsthalle weiter ausgebaut werden könnte. Aber ich möchte das eigentlich in jüngere Hände legen und mich irgendwann zurückziehen. Unser Plan ist zum Beispiel, noch mehr Platz für die Sammlung Henri Nannen zu schaffen, die aufgrund der Wechselausstellungen oft zu kurz kommt."