"Ein Kulturprotest gegen die politisch Verantwortlichen in Italien"
Die Berlusconi-Regierung hat bei der Kultur den Rotstift angesetzt, betroffen ist auch das renommierte Teatro Valle in Rom. Seit Mitte Juni halten Demonstranten das Haus besetzt - aus Protest gegen die geplante Privatisierung. Der in Rom ansässige Kulturjournalist Thomas Migge erklärt die Hintergründe.
Dieter Kassel: Das Teatro Valle in Rom ist ein wahrhaft historisches Gebäude. Gebaut 1726 war es ursprünglich ein Opernhaus, seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist es ein Sprechtheater. Die Vergangenheit des Hauses ist sagenhaft, die Zukunft ist ungewiss, denn der italienische Staat hat die Zuwendungen für Theater, Oper, Tanz und Film von 500 auf 280 Millionen gekürzt und will das Teatro Valle privatisieren. Seit Mitte Juni wird das Theater deshalb von Künstlern besetzt, und diese meist jungen Kreativen bekommen regelmäßig Besuch von Prominenten, beispielsweise dem Schauspieler Silvio Orlando.
Silvio Orlando: Eine Sache möchte ich vorschlagen: Dieses Theater kostet pro Jahr zwei Millionen Euro an Festausgaben. Tun wir uns zusammen, alle – Schauspieler und Theaterarbeiter – und schenken wir diesem Theater eine Saison, die fünf Monate dauert, gratis. Ich bin sofort dabei.
Kassel: Der Schauspieler Silvio Orlando mit einem Vorschlag, den er bei einem Besuch im besetzten Teatro Valle in Rom gemacht hat. Ebenfalls dort zu Besuch war der berühmte Krimiautor Andrea Camilleri.
Andrea Camilleri: Dieses Theater zu beschädigen bedeutet, dass man ein Symbol des Theaters beschädigt. Die Herren der Politik wissen nicht, dass an einem Abend im Jahr 1921 in diesem Haus eine Komödie ihre Uraufführung erlebte, die das moderne Theater revolutionierte. Ich spreche von Pirandellos "Sechs Personen suchen einen Autor".
Kassel: Andrea Camilleri, eine weitere prominente Stimme im Kampf gegen die Privatisierung des Teatro Valle, aber vielleicht auch im Kampf gegen noch viel mehr, denn was dahintersteckt, das wollen wir jetzt besprechen. Am Telefon begrüße ich deshalb den in Rom lebenden deutschen Kulturjournalisten Thomas Migge. Schönen guten Tag, Herr Migge!
Thomas Migge: Guten Tag aus Rom!
Kassel: Jetzt haben wir zwei sehr prominente Stimmen gehört, Leute, die zu Gast waren ja quasi bei dieser Besetzung des Teatro. Aber wer sind denn die Menschen, die da seit Mitte Juni ausharren?
Migge: Ja, das sind vor allen Dingen junge Leute, das sind Theaterstudenten, das sind Nachwuchshandwerker, die fürs Theater arbeiten, das sind junge Leute, die ganz generell gegen die Einsparungen im italienischen Kulturhaushalt protestieren wollen. Insofern ist das nicht nur ein Theaterprotest, sondern es ist ein Kulturprotest gegen die politisch Verantwortlichen in Italien.
Kassel: Das heißt, die Leute, die dieses Theater besetzt halten, sind nicht zwangsläufig die Leute, die da sonst arbeiten und die jetzt einfach nur Angst um ihren Arbeitsplatz haben?
Migge: Nein, nicht nur, sondern in der Mehrzahl sind es Leute, die nichts mit dem Theater zu tun haben, die dort nicht arbeiten, die vielleicht mal hofften, dort auftreten zu können, aber das ist ein sehr gemischtes Volk, und es besteht auch deshalb die Möglichkeit, dass aus dieser Protestbewegung des Teatro Valle eine allgemeine Kulturprotestwelle in Italien entstehen könnte, wenn die Verantwortlichen dieses Problem nicht schnell lösen.
Kassel: Apropos die Verantwortlichen: Wie reagiert denn, der Protest richtet sich natürlich eigentlich gegen den italienischen Staat, aber wie reagiert denn die Stadt Rom auf diese Proteste?
Migge: Also Folgendes: Das Theater wurde jahrelang von der Regierung, also vom Kulturministerium finanziert. Dann wurden die Ausgaben für die Kultur und fürs Theater über die Hälfte halbiert und man forderte, dass die Stadt Rom das Theater übernehmen würde. Der rechte Bürgermeister hat auch erst gesagt, ja, vielleicht könnten wir das machen, und hat sich schließlich entschieden, gar nichts mehr zu sagen, gar nichts mehr zu machen. Und wie es aussieht, wollen die Politiker das Theater ins Aus hineinlaufen lassen, das heißt also, dass es geschlossen wird.
Die Reaktionen jetzt im Moment – zu Beginn der Ferienzeit, morgen schließen die Kammern des italienischen Parlaments – ist null, und auch schon seit einigen Tagen gibt es überhaupt keine Reaktion mehr zu dem Protest im Teatro. Ich denke mir, die Verantwortlichen oder die Politiker hoffen, dass nach der Sommerpause die ganze Sache erledigt ist. Das Theater räumen zu lassen, das wird sich sicherlich niemand erlauben, denn das würde natürlich ein riesiges Feedback nicht nur in Italien haben.
Kassel: Wie reagieren die römischen Bürger auf diese Besetzung? Nehmen auch die Leute, die nicht im engeren Sinne kulturinteressiert sind, das überhaupt wahr?
Migge: Das ist eine interessante Frage, denn die Anwohner des Teatro Valle und viele Theaterbesucher in Rom schauen im Theater vorbei, bringen zu essen, bringen zu trinken, bringen einige Geldspenden, damit die jungen Leute dort länger ausharren können. Die nehmen also daran teil, und das Ganze bekommt dann am Wochenende, zu den Wochenenden hin eine Art Happening-Charakter, weil man da vorbeischaut, man macht Musik, macht man macht Theater, so spontanes Theater. Aber in den Medien ist das Thema ... in den lokalen Medien taucht es fast gar nicht mehr auf, es taucht eigentlich nur noch auf, wenn so runde Daten anfallen, dass man sagen kann, das Theater ist so und so lange besetzt – aber ansonsten taucht es leider nicht mehr auf in den Medien.
Kassel: Was ist denn eigentlich künstlerisch seit Beginn der Besetzung passiert in diesem Theater? Was machen die da, außer zu protestieren?
Migge: Also zum Beispiel der Regisseur Nanni Moretti ist vorbeigekommen mit einem Monolog, in dem er in die Rolle von Silvio Berlusconi geschlüpft ist, der die Politik und das Sozialwesen in Italien kaputtsparen will. Andrea Camilleri, den Sie bereits angesprochen haben, hat einiges aus einem neuen Buch vorgelesen – also es sind so spontane Aktionen, und Schauspieler wie (…) überlegen sich, ob sie ab Herbst gratis eine improvisierte Theatersaison auf die Beine stellen, um das Theater weiter am Leben zu halten. Das sind alles Sachen, da muss man sehen, was nach der Sommerpause tatsächlich passiert, und ob sich dann die Politik doch bereit erklärt, sich irgendwie dazu zu äußern, denn ich meine, das kann ja jetzt nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag weitergehen, dass die das Theater besetzt halten, ohne dass die Politik reagiert.
Kassel: Aber andererseits: Denkbar wäre es. Es gibt ja die berühmte Äußerung des italienischen Finanzministers, Kunst macht keinen satt, und es gibt weitere eher nach Ignoranz klingende Äußerungen von Ministern und anderen Politikern. Ich meine, in einem Land, in dem 0,3 Prozent des Gesamthaushalts für die Kultur ausgegeben werden, kann es denn da nicht sein, dass die Politik sagt, Gott, wenn die da ein Theater in Rom besetzen, mir ist wurscht?
Migge: Die Gefahr besteht. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass das so weitergeht, aber ich denke mir: Wenn die bekannten Namen, die Intellektuellen und Künstler, auch weiterhin hinter dieser Sache stehen und deren Auftreten im Theater oder ihr Besuch im Theater dann doch für ein Feedback in den Medien sorgt, dann könnte es sein, dass der neue Kulturminister ein Machtwort spricht. Und ich meine, bei dieser ganzen Geschichte hat ja ... ist ja in der Zwischenzeit auch ... der Kulturminister ist ausgewechselt worden. Das Problem ist: Der geht morgen auch in die Ferien, es gehen alle in die Ferien morgen, und insofern kann man nur hoffen, dass die Protestierenden im Theater lange genug ausharren, um dann zu sehen, was im September geschieht.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit dem Journalisten Thomas Migge in Rom über das Teatro Valle, das seit Mitte Juni besetzt wird, und, Herr Migge, Sie haben ja schon gesagt, eigentlich geht es nicht um dieses eine Theater, um wesentlich mehr, und sie haben schon angedeutet: Sie haben das Gefühl, aus dem, was sich da im Theater jetzt trifft, könnte eine echte Bewegung werden – Wunschdenken oder ist das realistischerweise so?
Migge: Ich glaube, über Wunschdenken geht es weit hinaus, und es hat in den letzten Wochen in Italien schon bereits verschiedene Protestmärsche gegeben, bei denen Särge durch die Straßen getragen wurden, auf denen stand: "unsere Kultur". Das waren lose Veranstaltungen, Protestveranstaltungen zwischen Mailand und Palermo, die sich dann allerdings wieder auflösten. Die längste Geschichte ist jetzt die im Teatro Valle, und wenn man sich wirklich die Heterogenität der Protestierenden anschaut und von welchen Seiten sie Unterstützung bekommen, ja inzwischen auch von den Linksparteien, von den oppositionellen Linksparteien, dann könnte die Sache natürlich auch politisch ausgenutzt werden ab dem September, wenn die Linken dabei bleiben, und sie können sagen: Schaut her, wir wollen eine alternative Kulturpolitik machen, denn es kann ja so nicht weitergehen, wie es jetzt der Fall ist. Nehmen wir mal ein anderes Beispiel, was mit Theater nichts zu tun hat: Die Uffizien in Florenz wissen in jedem Jahr nicht, wie sie ihre Stromrechnung bezahlen sollen. Ich meine, das ist kein Kleckermuseum in irgendeiner Provinzstadt, das ist eines der wichtigsten Museen der Welt, und wenn die noch nicht mal wissen, wie sie finanziell ihre Rechnungen bezahlen müssen, dann können Sie sich vorstellen, wie die Gesamtsituation ist, die dann auch noch die Theater betrifft.
Kassel: Nun sagt natürlich die Regierung Berlusconi auch gerne: Man kann so viel Kultur machen, wie man will, nur es muss ja nicht zwangsläufig der Staat finanzieren. Auch in Italien, Venedig massiv, aber auch an anderen Orten gibt es ja private Investoren. Auch dieses Teatro Valle soll ja nicht geschlossen werden, sondern privatisiert. Wie sehen denn die Italiener dieses im weitesten Sinne ja amerikanische Modell der privaten Kulturfinanzierung?
Migge: Ja, USA-Freund Berlusconi möchte, dass das alles privat finanziert wird. Allerdings gibt es da einen gravierenden Haken: In den USA können die Millionäre, wenn sie Sponsoring betreiben, dieses Sponsoring von der Steuer abziehen. In Italien ist das nicht möglich. Und als neulich der Schuh-Multimillionär Diego Della Valle sich entschieden hat, 25 Millionen Euro für die Totalrenovierung des Kolosseums auszugeben, da hat er das gemacht wirklich als Außenseiter, als totaler Außenseiter. Die anderen Unternehmer oder Wohlhabenden sind nicht bereit, Mengen an Geld auszugeben für Kulturinitiativen, wenn sie die nicht von der Steuer abziehen können. Das heißt also, wenn die Regierung endlich bereit wäre, in diesem Punkt eine Reform zu machen, dann könnte vielleicht das private Kultursponsoring in eine Bresche schlagen, die die Regierung geschaffen hat – vielleicht.
Kassel: Was nun aber diesen Gedanken, den Sie ja geäußert haben – dass da wirklich eine Bewegung mit Politik was verändern könnte –, angeht: Hat das auch ein bisschen was damit zu tun, dass auch die Kulturschaffenden langsam das Gefühl haben, Berlusconi ist nicht mehr so unverletzlich, so unbesiegbar wie vielleicht noch vor fünf, vor zehn Jahren?
Migge: Richtig, das ist einer der ganz wichtigen Punkte. Berlusconi sitzt nicht mehr so fest im Sattel wie vorher, die verschiedenen Skandale und was weiß ich, das ist ja alles durch die Medien gegangen, Bunga Bunga und so weiter, der Vatikan hat sich von Berlusconi abgewandt, und das ist natürlich ganz, ganz, ganz wichtig. Aber es heißt noch lange nicht, dass er bald zurücktritt nach der Sommerpause. Die linke Opposition hofft, dass das der Fall sein wird und hat auch schon versprochen, dass sie dann die Ausgaben für die Kultur anheben will, aber auch das steht in den Sternen, denn ich meine, es ist ja auch durch die deutschen Medien gegangen, wie tief Italien in der Kreide steckt.
Und ich glaube nicht, dass eine Linksregierung plötzlich wieder Kulturhaushalte aufstocken kann, um auf die Zeit vor Berlusconi zu kommen, dafür ist einfach das Geld nicht vorhanden. Aber man kann ja die Steuergesetzgebung so weit ändern, dass ein Teatro Valle unter Umständen von einer Gruppe privater Sponsoren finanziert wird. Ich meine, das Theater ist in den letzten Jahren einer der wichtigsten experimentellen Sprechbühnen Italiens geworden, das darf man nicht vergessen.
Kassel: Was sagen denn die Besetzer des Teatro Valle über die Zukunft? Sie haben ja gesagt, spätestens nach der Sommerpause muss die Politik was tun, es kann ja nicht so bleiben, wie es ist. Wir haben uns aber auch beide geeinigt: Vielleicht ja doch, vielleicht sagt die Politik, macht, was ihr wollt in dem Theater. Haben die Besetzer schon gesagt, wie lange sie es da aushalten wollen?
Migge: Tja, sie wollen aushalten, bis der Fall Teatro Valle in ihrem Sinn gelöst ist. Fakt ist: Im Herbst fängt auch die Universität wieder an und da werden viele der Leute, die jetzt im Teatro Valle leben, sich entscheiden müssen: Wollen wir unser neues akademisches Jahr beginnen oder wollen wir weiter protestieren? Sie selbst machen sich Mut und sagen, wir bleiben hier, so lange bis der Fall in unserem Sinne gelöst ist.
Kassel: Das Teatro Valle in Rom ist seit Mitte Juni besetzt, und auch im heißen römischen August will niemand das Theater verlassen. Was dahintersteckt, wir haben es gerade gehört, ist mehr als nur der Kampf über dieses ganz besondere Theater, was dahintersteckt, ist auch ein Kampf für eine neue Kulturpolitik in Italien. Thomas Migge war das, Kulturjournalist in Rom. Vielen Dank, Herr Migge!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Silvio Orlando: Eine Sache möchte ich vorschlagen: Dieses Theater kostet pro Jahr zwei Millionen Euro an Festausgaben. Tun wir uns zusammen, alle – Schauspieler und Theaterarbeiter – und schenken wir diesem Theater eine Saison, die fünf Monate dauert, gratis. Ich bin sofort dabei.
Kassel: Der Schauspieler Silvio Orlando mit einem Vorschlag, den er bei einem Besuch im besetzten Teatro Valle in Rom gemacht hat. Ebenfalls dort zu Besuch war der berühmte Krimiautor Andrea Camilleri.
Andrea Camilleri: Dieses Theater zu beschädigen bedeutet, dass man ein Symbol des Theaters beschädigt. Die Herren der Politik wissen nicht, dass an einem Abend im Jahr 1921 in diesem Haus eine Komödie ihre Uraufführung erlebte, die das moderne Theater revolutionierte. Ich spreche von Pirandellos "Sechs Personen suchen einen Autor".
Kassel: Andrea Camilleri, eine weitere prominente Stimme im Kampf gegen die Privatisierung des Teatro Valle, aber vielleicht auch im Kampf gegen noch viel mehr, denn was dahintersteckt, das wollen wir jetzt besprechen. Am Telefon begrüße ich deshalb den in Rom lebenden deutschen Kulturjournalisten Thomas Migge. Schönen guten Tag, Herr Migge!
Thomas Migge: Guten Tag aus Rom!
Kassel: Jetzt haben wir zwei sehr prominente Stimmen gehört, Leute, die zu Gast waren ja quasi bei dieser Besetzung des Teatro. Aber wer sind denn die Menschen, die da seit Mitte Juni ausharren?
Migge: Ja, das sind vor allen Dingen junge Leute, das sind Theaterstudenten, das sind Nachwuchshandwerker, die fürs Theater arbeiten, das sind junge Leute, die ganz generell gegen die Einsparungen im italienischen Kulturhaushalt protestieren wollen. Insofern ist das nicht nur ein Theaterprotest, sondern es ist ein Kulturprotest gegen die politisch Verantwortlichen in Italien.
Kassel: Das heißt, die Leute, die dieses Theater besetzt halten, sind nicht zwangsläufig die Leute, die da sonst arbeiten und die jetzt einfach nur Angst um ihren Arbeitsplatz haben?
Migge: Nein, nicht nur, sondern in der Mehrzahl sind es Leute, die nichts mit dem Theater zu tun haben, die dort nicht arbeiten, die vielleicht mal hofften, dort auftreten zu können, aber das ist ein sehr gemischtes Volk, und es besteht auch deshalb die Möglichkeit, dass aus dieser Protestbewegung des Teatro Valle eine allgemeine Kulturprotestwelle in Italien entstehen könnte, wenn die Verantwortlichen dieses Problem nicht schnell lösen.
Kassel: Apropos die Verantwortlichen: Wie reagiert denn, der Protest richtet sich natürlich eigentlich gegen den italienischen Staat, aber wie reagiert denn die Stadt Rom auf diese Proteste?
Migge: Also Folgendes: Das Theater wurde jahrelang von der Regierung, also vom Kulturministerium finanziert. Dann wurden die Ausgaben für die Kultur und fürs Theater über die Hälfte halbiert und man forderte, dass die Stadt Rom das Theater übernehmen würde. Der rechte Bürgermeister hat auch erst gesagt, ja, vielleicht könnten wir das machen, und hat sich schließlich entschieden, gar nichts mehr zu sagen, gar nichts mehr zu machen. Und wie es aussieht, wollen die Politiker das Theater ins Aus hineinlaufen lassen, das heißt also, dass es geschlossen wird.
Die Reaktionen jetzt im Moment – zu Beginn der Ferienzeit, morgen schließen die Kammern des italienischen Parlaments – ist null, und auch schon seit einigen Tagen gibt es überhaupt keine Reaktion mehr zu dem Protest im Teatro. Ich denke mir, die Verantwortlichen oder die Politiker hoffen, dass nach der Sommerpause die ganze Sache erledigt ist. Das Theater räumen zu lassen, das wird sich sicherlich niemand erlauben, denn das würde natürlich ein riesiges Feedback nicht nur in Italien haben.
Kassel: Wie reagieren die römischen Bürger auf diese Besetzung? Nehmen auch die Leute, die nicht im engeren Sinne kulturinteressiert sind, das überhaupt wahr?
Migge: Das ist eine interessante Frage, denn die Anwohner des Teatro Valle und viele Theaterbesucher in Rom schauen im Theater vorbei, bringen zu essen, bringen zu trinken, bringen einige Geldspenden, damit die jungen Leute dort länger ausharren können. Die nehmen also daran teil, und das Ganze bekommt dann am Wochenende, zu den Wochenenden hin eine Art Happening-Charakter, weil man da vorbeischaut, man macht Musik, macht man macht Theater, so spontanes Theater. Aber in den Medien ist das Thema ... in den lokalen Medien taucht es fast gar nicht mehr auf, es taucht eigentlich nur noch auf, wenn so runde Daten anfallen, dass man sagen kann, das Theater ist so und so lange besetzt – aber ansonsten taucht es leider nicht mehr auf in den Medien.
Kassel: Was ist denn eigentlich künstlerisch seit Beginn der Besetzung passiert in diesem Theater? Was machen die da, außer zu protestieren?
Migge: Also zum Beispiel der Regisseur Nanni Moretti ist vorbeigekommen mit einem Monolog, in dem er in die Rolle von Silvio Berlusconi geschlüpft ist, der die Politik und das Sozialwesen in Italien kaputtsparen will. Andrea Camilleri, den Sie bereits angesprochen haben, hat einiges aus einem neuen Buch vorgelesen – also es sind so spontane Aktionen, und Schauspieler wie (…) überlegen sich, ob sie ab Herbst gratis eine improvisierte Theatersaison auf die Beine stellen, um das Theater weiter am Leben zu halten. Das sind alles Sachen, da muss man sehen, was nach der Sommerpause tatsächlich passiert, und ob sich dann die Politik doch bereit erklärt, sich irgendwie dazu zu äußern, denn ich meine, das kann ja jetzt nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag weitergehen, dass die das Theater besetzt halten, ohne dass die Politik reagiert.
Kassel: Aber andererseits: Denkbar wäre es. Es gibt ja die berühmte Äußerung des italienischen Finanzministers, Kunst macht keinen satt, und es gibt weitere eher nach Ignoranz klingende Äußerungen von Ministern und anderen Politikern. Ich meine, in einem Land, in dem 0,3 Prozent des Gesamthaushalts für die Kultur ausgegeben werden, kann es denn da nicht sein, dass die Politik sagt, Gott, wenn die da ein Theater in Rom besetzen, mir ist wurscht?
Migge: Die Gefahr besteht. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass das so weitergeht, aber ich denke mir: Wenn die bekannten Namen, die Intellektuellen und Künstler, auch weiterhin hinter dieser Sache stehen und deren Auftreten im Theater oder ihr Besuch im Theater dann doch für ein Feedback in den Medien sorgt, dann könnte es sein, dass der neue Kulturminister ein Machtwort spricht. Und ich meine, bei dieser ganzen Geschichte hat ja ... ist ja in der Zwischenzeit auch ... der Kulturminister ist ausgewechselt worden. Das Problem ist: Der geht morgen auch in die Ferien, es gehen alle in die Ferien morgen, und insofern kann man nur hoffen, dass die Protestierenden im Theater lange genug ausharren, um dann zu sehen, was im September geschieht.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit dem Journalisten Thomas Migge in Rom über das Teatro Valle, das seit Mitte Juni besetzt wird, und, Herr Migge, Sie haben ja schon gesagt, eigentlich geht es nicht um dieses eine Theater, um wesentlich mehr, und sie haben schon angedeutet: Sie haben das Gefühl, aus dem, was sich da im Theater jetzt trifft, könnte eine echte Bewegung werden – Wunschdenken oder ist das realistischerweise so?
Migge: Ich glaube, über Wunschdenken geht es weit hinaus, und es hat in den letzten Wochen in Italien schon bereits verschiedene Protestmärsche gegeben, bei denen Särge durch die Straßen getragen wurden, auf denen stand: "unsere Kultur". Das waren lose Veranstaltungen, Protestveranstaltungen zwischen Mailand und Palermo, die sich dann allerdings wieder auflösten. Die längste Geschichte ist jetzt die im Teatro Valle, und wenn man sich wirklich die Heterogenität der Protestierenden anschaut und von welchen Seiten sie Unterstützung bekommen, ja inzwischen auch von den Linksparteien, von den oppositionellen Linksparteien, dann könnte die Sache natürlich auch politisch ausgenutzt werden ab dem September, wenn die Linken dabei bleiben, und sie können sagen: Schaut her, wir wollen eine alternative Kulturpolitik machen, denn es kann ja so nicht weitergehen, wie es jetzt der Fall ist. Nehmen wir mal ein anderes Beispiel, was mit Theater nichts zu tun hat: Die Uffizien in Florenz wissen in jedem Jahr nicht, wie sie ihre Stromrechnung bezahlen sollen. Ich meine, das ist kein Kleckermuseum in irgendeiner Provinzstadt, das ist eines der wichtigsten Museen der Welt, und wenn die noch nicht mal wissen, wie sie finanziell ihre Rechnungen bezahlen müssen, dann können Sie sich vorstellen, wie die Gesamtsituation ist, die dann auch noch die Theater betrifft.
Kassel: Nun sagt natürlich die Regierung Berlusconi auch gerne: Man kann so viel Kultur machen, wie man will, nur es muss ja nicht zwangsläufig der Staat finanzieren. Auch in Italien, Venedig massiv, aber auch an anderen Orten gibt es ja private Investoren. Auch dieses Teatro Valle soll ja nicht geschlossen werden, sondern privatisiert. Wie sehen denn die Italiener dieses im weitesten Sinne ja amerikanische Modell der privaten Kulturfinanzierung?
Migge: Ja, USA-Freund Berlusconi möchte, dass das alles privat finanziert wird. Allerdings gibt es da einen gravierenden Haken: In den USA können die Millionäre, wenn sie Sponsoring betreiben, dieses Sponsoring von der Steuer abziehen. In Italien ist das nicht möglich. Und als neulich der Schuh-Multimillionär Diego Della Valle sich entschieden hat, 25 Millionen Euro für die Totalrenovierung des Kolosseums auszugeben, da hat er das gemacht wirklich als Außenseiter, als totaler Außenseiter. Die anderen Unternehmer oder Wohlhabenden sind nicht bereit, Mengen an Geld auszugeben für Kulturinitiativen, wenn sie die nicht von der Steuer abziehen können. Das heißt also, wenn die Regierung endlich bereit wäre, in diesem Punkt eine Reform zu machen, dann könnte vielleicht das private Kultursponsoring in eine Bresche schlagen, die die Regierung geschaffen hat – vielleicht.
Kassel: Was nun aber diesen Gedanken, den Sie ja geäußert haben – dass da wirklich eine Bewegung mit Politik was verändern könnte –, angeht: Hat das auch ein bisschen was damit zu tun, dass auch die Kulturschaffenden langsam das Gefühl haben, Berlusconi ist nicht mehr so unverletzlich, so unbesiegbar wie vielleicht noch vor fünf, vor zehn Jahren?
Migge: Richtig, das ist einer der ganz wichtigen Punkte. Berlusconi sitzt nicht mehr so fest im Sattel wie vorher, die verschiedenen Skandale und was weiß ich, das ist ja alles durch die Medien gegangen, Bunga Bunga und so weiter, der Vatikan hat sich von Berlusconi abgewandt, und das ist natürlich ganz, ganz, ganz wichtig. Aber es heißt noch lange nicht, dass er bald zurücktritt nach der Sommerpause. Die linke Opposition hofft, dass das der Fall sein wird und hat auch schon versprochen, dass sie dann die Ausgaben für die Kultur anheben will, aber auch das steht in den Sternen, denn ich meine, es ist ja auch durch die deutschen Medien gegangen, wie tief Italien in der Kreide steckt.
Und ich glaube nicht, dass eine Linksregierung plötzlich wieder Kulturhaushalte aufstocken kann, um auf die Zeit vor Berlusconi zu kommen, dafür ist einfach das Geld nicht vorhanden. Aber man kann ja die Steuergesetzgebung so weit ändern, dass ein Teatro Valle unter Umständen von einer Gruppe privater Sponsoren finanziert wird. Ich meine, das Theater ist in den letzten Jahren einer der wichtigsten experimentellen Sprechbühnen Italiens geworden, das darf man nicht vergessen.
Kassel: Was sagen denn die Besetzer des Teatro Valle über die Zukunft? Sie haben ja gesagt, spätestens nach der Sommerpause muss die Politik was tun, es kann ja nicht so bleiben, wie es ist. Wir haben uns aber auch beide geeinigt: Vielleicht ja doch, vielleicht sagt die Politik, macht, was ihr wollt in dem Theater. Haben die Besetzer schon gesagt, wie lange sie es da aushalten wollen?
Migge: Tja, sie wollen aushalten, bis der Fall Teatro Valle in ihrem Sinn gelöst ist. Fakt ist: Im Herbst fängt auch die Universität wieder an und da werden viele der Leute, die jetzt im Teatro Valle leben, sich entscheiden müssen: Wollen wir unser neues akademisches Jahr beginnen oder wollen wir weiter protestieren? Sie selbst machen sich Mut und sagen, wir bleiben hier, so lange bis der Fall in unserem Sinne gelöst ist.
Kassel: Das Teatro Valle in Rom ist seit Mitte Juni besetzt, und auch im heißen römischen August will niemand das Theater verlassen. Was dahintersteckt, wir haben es gerade gehört, ist mehr als nur der Kampf über dieses ganz besondere Theater, was dahintersteckt, ist auch ein Kampf für eine neue Kulturpolitik in Italien. Thomas Migge war das, Kulturjournalist in Rom. Vielen Dank, Herr Migge!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.