Ein Land im Spiegel der Midlife Crisis
Für Frank Bascombe, den Helden in Richard Fords Roman "Die Lage des Landes", sieht es nicht gerade rosig aus: Sein Geschäft läuft mäßig, seine Frau hat ihn verlassen, außerdem wurde bei ihm Prostatakrebs diagnostiziert. Doch Ford zeichnet kein düster-trauriges Bild eines in die Jahre gekommenen Mannes, sondern schildert die Perspektive eines nur auf den ersten Blick durchschnittlich erscheinenden Amerikaners.
Die Permanenzphase beschreibt die Zeit im Leben eines Mannes, in der er zur "spirituellen Klarheit" heranreift. Wer mit Mitte Fünfzig immer noch nicht begriffen hat, dass er nichts anderes sein kann als das, was er jetzt gerade ist, der wird später, bei der Abschlussbilanz, einen ziemlichen Schock erleiden.
Frank Bascombe, der Held in Richard Fords großem Roman "Die Lage des Landes", praktiziert den altersgemäßen, nüchtern-realistischen Blick auf sein Dasein, mal zynisch, mal sentimental, aber niemals ohne Ironie. Nach der "Orientierungsphase" und der "Existenzperiode", die er in den Romanen "Der Sportreporter" und "Unabhängigkeitstag" durchschritten hat, ist er jetzt in dem Lebensabschnitt angekommen, in dem man nicht mehr viel versauen kann, weil es nicht mehr viel zu versauen gibt. Bascombe formuliert das so: "Deshalb hasse ich Männer meines Alters. Wir verströmen einen Hauch von verlorenen Jugend und bevorstehender Tragödie. Unmöglich, nicht jeden unserer kleinen Rückschritte zu bemitleiden."
Frank Bascombe ist immer noch Makler. Von Haddam/New Jersey ist er an die Küste nach Sea Clift gezogen – ein Ort, an dem die Immobilienpreise wie von selbst immer weiter steigen, und wo einer wie er, der mit keinem besonderen Ehrgeiz ausgestattet ist, trotzdem reich werden kann. Seine Lage ist trotzdem eher schlecht: Seine Frau Sally hat ihn verlassen, nachdem ihr lange Zeit totgeglaubter Ex-Gatte plötzlich wieder auftauchte. Wenig später diagnostizierten die Ärzte bei Frank einen Prostatakrebs, der mit implantierten "strahlenden Schrottkugeln" behandelt wird. Bascombe hat also allen Grund, die Permanenz zu fürchten und sich an sie zu klammern.
Beschrieben werden – nach bewährtem Rezept – drei Tage in seinem Leben, wieder rund um einen Feiertag. Diesmal ist es das Truthahn-Familienfest Thanksgiving. Allerdings sind seit "Unabhängigkeitstag" zwölf Jahre vergangen. Damals stand die Wahl von Georg Bush bevor, die Reagan-Ära ging zu Ende. Nun läuft gerade Clintons Präsidentenzeit ab. Es sind die Wochen der Ungewissheit, in denen die Wahl zwischen Georg Bush junior und Al Gore in ein Patt zu münden droht. Für Bascombe ist es sowieso nur die Wahl zwischen "Fettarsch" und "Dummbeutel", aber dass der Dummbeutel gewinnt oder vielmehr den Sieg stiehlt, regt ihn trotzdem auf.
Richard Ford bleibt 680 Seiten lang dicht an seinem Helden. Er erzählt in Ich-Form und in unmittelbarem Präsens, wie er sich durch seinen Alltag bewegt. Auf der Action-Ebene entwickelt sich nicht viel, dabei geschieht von Stunde zu Stunde eine ganze Menge. Allein am ersten Tag absolviert Bascombe ein enormes Programm: Er fährt mit dem Auto durch die Gegend, besichtigt ein Grundstück, das sein tibetanischer Kompagnon bebauen möchte, besucht eine Beerdigung, wird Zeuge eines Bombenanschlags im Krankenhaus, besucht als Helfer eines sozialen Dienstes eine kuriose ältere Dame, in der eine ehemalige Geliebte zu erkennen glaubt, trifft seine Ex-Frau Ann in der Turnhalle einer Schule und wird schließlich in eine Kneipenschlägerei verwickelt. Der nächste Tag ist nicht viel ruhiger, und am Ende gibt es sogar noch eine richtige Schießerei. Und doch ist das nur das äußere Geschehen, das seinen Gedankengängen, Erinnerungen und Reflexionen die nötigen Anlässe bietet. Ford ist ein Meister des Bewusstseinsromans. Spannung entwickelt sich nicht durch eine fortlaufende, sich aufbauende Handlung, denn da folgt einfach Ereignis auf Ereignis. Es ist allein die Lust an der Sprache, an den Gedankengängen und am bissigen Witz Bascombes, die die Lektüre niemals langweilig werden lassen. Dass das auch für die erfrischende deutsche Fassung gilt, ist der Arbeit des Übersetzers Frank Heibert zu danken.
Die großen Themen dieses gewaltigen Romans sind Ehe und Familie, das Geld und der Kapitalismus, die Liebe und ihr Verlust, Krankheit, Alter und Tod. Es ist das Leben selbst, das hier aus der Perspektive eines nicht ganz durchschnittlichen Amerikaners beschrieben wird. Frank Bascombe mag als literarischer Prototyp entwickelt worden sein. Vom "Sportreporter" bis zu "Die Lage des Landes" überblickt er nun zwei Jahrzehnte amerikanischer Gegenwart und kann sich bald mit John Updikes Harry "Rabbit" Angstrom messen. In seiner Gelassenheit, seiner programmatischen Indifferenz, seiner politischen Unbestechlichkeit und seiner gut verborgenen Verletzlichkeit ist er aber doch weit mehr als nur ein Mister Nobody. Wäre es anders, würde man kaum so viel Zeit mit ihm verbringen wollen. Er ist bei allem Geschnodder und Geflachse ein echter Sympathieträger, der sich bloß als Jedermann kostümiert. Denn so ist es gut fürs Geschäft.
Rezensiert von Jörg Magenau
Richard Ford: Die Lage des Landes
Roman
Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert
Berlin Verlag, Berlin 2007
684 Seiten, 24,90 Euro
Frank Bascombe, der Held in Richard Fords großem Roman "Die Lage des Landes", praktiziert den altersgemäßen, nüchtern-realistischen Blick auf sein Dasein, mal zynisch, mal sentimental, aber niemals ohne Ironie. Nach der "Orientierungsphase" und der "Existenzperiode", die er in den Romanen "Der Sportreporter" und "Unabhängigkeitstag" durchschritten hat, ist er jetzt in dem Lebensabschnitt angekommen, in dem man nicht mehr viel versauen kann, weil es nicht mehr viel zu versauen gibt. Bascombe formuliert das so: "Deshalb hasse ich Männer meines Alters. Wir verströmen einen Hauch von verlorenen Jugend und bevorstehender Tragödie. Unmöglich, nicht jeden unserer kleinen Rückschritte zu bemitleiden."
Frank Bascombe ist immer noch Makler. Von Haddam/New Jersey ist er an die Küste nach Sea Clift gezogen – ein Ort, an dem die Immobilienpreise wie von selbst immer weiter steigen, und wo einer wie er, der mit keinem besonderen Ehrgeiz ausgestattet ist, trotzdem reich werden kann. Seine Lage ist trotzdem eher schlecht: Seine Frau Sally hat ihn verlassen, nachdem ihr lange Zeit totgeglaubter Ex-Gatte plötzlich wieder auftauchte. Wenig später diagnostizierten die Ärzte bei Frank einen Prostatakrebs, der mit implantierten "strahlenden Schrottkugeln" behandelt wird. Bascombe hat also allen Grund, die Permanenz zu fürchten und sich an sie zu klammern.
Beschrieben werden – nach bewährtem Rezept – drei Tage in seinem Leben, wieder rund um einen Feiertag. Diesmal ist es das Truthahn-Familienfest Thanksgiving. Allerdings sind seit "Unabhängigkeitstag" zwölf Jahre vergangen. Damals stand die Wahl von Georg Bush bevor, die Reagan-Ära ging zu Ende. Nun läuft gerade Clintons Präsidentenzeit ab. Es sind die Wochen der Ungewissheit, in denen die Wahl zwischen Georg Bush junior und Al Gore in ein Patt zu münden droht. Für Bascombe ist es sowieso nur die Wahl zwischen "Fettarsch" und "Dummbeutel", aber dass der Dummbeutel gewinnt oder vielmehr den Sieg stiehlt, regt ihn trotzdem auf.
Richard Ford bleibt 680 Seiten lang dicht an seinem Helden. Er erzählt in Ich-Form und in unmittelbarem Präsens, wie er sich durch seinen Alltag bewegt. Auf der Action-Ebene entwickelt sich nicht viel, dabei geschieht von Stunde zu Stunde eine ganze Menge. Allein am ersten Tag absolviert Bascombe ein enormes Programm: Er fährt mit dem Auto durch die Gegend, besichtigt ein Grundstück, das sein tibetanischer Kompagnon bebauen möchte, besucht eine Beerdigung, wird Zeuge eines Bombenanschlags im Krankenhaus, besucht als Helfer eines sozialen Dienstes eine kuriose ältere Dame, in der eine ehemalige Geliebte zu erkennen glaubt, trifft seine Ex-Frau Ann in der Turnhalle einer Schule und wird schließlich in eine Kneipenschlägerei verwickelt. Der nächste Tag ist nicht viel ruhiger, und am Ende gibt es sogar noch eine richtige Schießerei. Und doch ist das nur das äußere Geschehen, das seinen Gedankengängen, Erinnerungen und Reflexionen die nötigen Anlässe bietet. Ford ist ein Meister des Bewusstseinsromans. Spannung entwickelt sich nicht durch eine fortlaufende, sich aufbauende Handlung, denn da folgt einfach Ereignis auf Ereignis. Es ist allein die Lust an der Sprache, an den Gedankengängen und am bissigen Witz Bascombes, die die Lektüre niemals langweilig werden lassen. Dass das auch für die erfrischende deutsche Fassung gilt, ist der Arbeit des Übersetzers Frank Heibert zu danken.
Die großen Themen dieses gewaltigen Romans sind Ehe und Familie, das Geld und der Kapitalismus, die Liebe und ihr Verlust, Krankheit, Alter und Tod. Es ist das Leben selbst, das hier aus der Perspektive eines nicht ganz durchschnittlichen Amerikaners beschrieben wird. Frank Bascombe mag als literarischer Prototyp entwickelt worden sein. Vom "Sportreporter" bis zu "Die Lage des Landes" überblickt er nun zwei Jahrzehnte amerikanischer Gegenwart und kann sich bald mit John Updikes Harry "Rabbit" Angstrom messen. In seiner Gelassenheit, seiner programmatischen Indifferenz, seiner politischen Unbestechlichkeit und seiner gut verborgenen Verletzlichkeit ist er aber doch weit mehr als nur ein Mister Nobody. Wäre es anders, würde man kaum so viel Zeit mit ihm verbringen wollen. Er ist bei allem Geschnodder und Geflachse ein echter Sympathieträger, der sich bloß als Jedermann kostümiert. Denn so ist es gut fürs Geschäft.
Rezensiert von Jörg Magenau
Richard Ford: Die Lage des Landes
Roman
Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert
Berlin Verlag, Berlin 2007
684 Seiten, 24,90 Euro