Ein Leben als Kriminalschriftsteller
Vor 50 Jahren starb Raymond Chandler: Frank MacShane hat im Jahr 1976 die maßgebliche Biografie des Kriminalschriftstellers geschrieben. Sie wurde nun neu aufgelegt.
Als Erstes denkt man natürlich an Philip Marlowe, den Prototypen des melancholischen Privatdetektivs. Raymond Chandler selbst war allerdings bereits zu Lebzeiten hinter seinem Helden zurückgetreten, und daran hat sich auch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod wenig geändert.
Ein paar Anekdoten sind überliefert, einige wilde Trinkergeschichten, das war es dann. Höchste Zeit also, dass mit Frank MacShanes "Raymond Chandler" die maßgebliche Biografie aus dem Jahre 1976 neu aufgelegt wird.
Gleich die ersten Kapitel sind eine echte Überraschung. Chandler wurde 1888 in Chicago geboren, und zunächst deutete nichts darauf hin, dass er jemals Schriftsteller werden würde. Er verbrachte Kindheit und Jugend in Großbritannien und arbeitete hier zunächst für das Marineministerium.
Kurz vor dem Ersten Weltkrieg kehrte er in die USA zurück und machte in Los Angeles Karriere bei einer Ölfirma. Er verdiente gut, und mit der Pianistin Cissy Pascal heiratete er 1924 die Frau seines Lebens. Trotzdem kam es Anfang der Dreißigerjahre zu einer Art Midlife-Crisis.
Obwohl Chandler bis dahin nicht über einige romantische Gedichte hinausgekommen war, beschloss er, sein Geld von nun an mit der Schreibmaschine zu verdienen. Selbstbewusstsein hatte er genug: Er ließ sich als "Schriftsteller" ins Telefonbuch eintragen, noch bevor er ein einziges Wort zu Papier gebracht hatte.
Frank MacShane war Chandlers erster Biograf, und er hat der Mystifizierung des Autors frühzeitig entgegengearbeitet. Ihn interessierte nicht das vermeintliche "Genie", sondern der der Selfmade-Schriftsteller, der zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen traf, und dabei durchaus unternehmerisches Talent erkennen ließ. Chandler ging auf Nummer sicher und begann Kurzgeschichten für die "pulp magazines" schreiben.
Die auflagenstarken Groschenhefte zahlten nicht schlecht und suchten ständig neue Autoren. In seinen ersten Stories imitierte Chandler, der damals bereits 45 war, den hard-boiled-Superstar Dashiell Hammet und entwickelte dann nach und nach seine eigene Vision. "Ich dachte", erklärte er später bescheiden, "ich könnte mich ein bisschen mehr für Menschen interessieren als für Mord."
Damit war das revolutionäre Programm seiner Romane von "Der große Schlaf" (1939) über "Der lange Abschied" (1954) bis "Playback" (1958) abgesteckt: Raymond Chandler benutzte das marktgängige Genre des hartgesottenen Kriminalromans als Verpackung für das, was man damals noch ehrfürchtig "hohe Literatur" nannte.
Marlowe jagte zwar Verbrecher, doch in erster Linie sammelte er Hinweise auf die menschlichen Tragödien, die sich hinter den sonnenbeschienenen Fassaden Südkaliforniens abspielten: müde Polizisten, die für ein paar Dollar ihre Seele verkaufen, Villenbesitzer, die sich in teuren Privatkliniken von ihren exzessiven Cocktailpartys erholten, und tödlich gelangweilte Schauspielerinnen mit Vaterkomplexen und Drogenproblemen.
Raymond Chandler schrieb über ein Amerika, in dem er selbst nie zu Hause war. Er fühlte sich bis zum Ende seines Lebens als Engländer, und dieses Spannungsverhältnis, so Frank MacShane, prägte auch seinen Stil. Chandler eignete sich den amerikanischen Slang wie eine Fremdsprache an, um ihn dann in Form von schnellen Dialogen in den knallharten Kunstjargon zu verwandeln, der zu seinem literarischen Alleinstellungsmerkmal werden sollte.
Das Problem ist, dass man das als deutschsprachiger Leser bis heute kaum nachvollziehen kann. Auch darauf muss man anlässlich des 50. Todestages leider hinweisen: Chandlers Romane sind haarsträubend übersetzt. Selbst "Der lange Abschied" wird immer noch in der hölzernen Fassung von Hans Wollschläger aus den Siebzigern verkauft. Ein bisschen mehr Pflege könnte dieser Klassiker gebrauchen.
Rezensiert von Kolja Mensing
Frank MacShane: Raymond Chandler. Eine Biographie
Diogenes, Zürich 2009, 480 Seiten, 22,90 Euro
Ein paar Anekdoten sind überliefert, einige wilde Trinkergeschichten, das war es dann. Höchste Zeit also, dass mit Frank MacShanes "Raymond Chandler" die maßgebliche Biografie aus dem Jahre 1976 neu aufgelegt wird.
Gleich die ersten Kapitel sind eine echte Überraschung. Chandler wurde 1888 in Chicago geboren, und zunächst deutete nichts darauf hin, dass er jemals Schriftsteller werden würde. Er verbrachte Kindheit und Jugend in Großbritannien und arbeitete hier zunächst für das Marineministerium.
Kurz vor dem Ersten Weltkrieg kehrte er in die USA zurück und machte in Los Angeles Karriere bei einer Ölfirma. Er verdiente gut, und mit der Pianistin Cissy Pascal heiratete er 1924 die Frau seines Lebens. Trotzdem kam es Anfang der Dreißigerjahre zu einer Art Midlife-Crisis.
Obwohl Chandler bis dahin nicht über einige romantische Gedichte hinausgekommen war, beschloss er, sein Geld von nun an mit der Schreibmaschine zu verdienen. Selbstbewusstsein hatte er genug: Er ließ sich als "Schriftsteller" ins Telefonbuch eintragen, noch bevor er ein einziges Wort zu Papier gebracht hatte.
Frank MacShane war Chandlers erster Biograf, und er hat der Mystifizierung des Autors frühzeitig entgegengearbeitet. Ihn interessierte nicht das vermeintliche "Genie", sondern der der Selfmade-Schriftsteller, der zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen traf, und dabei durchaus unternehmerisches Talent erkennen ließ. Chandler ging auf Nummer sicher und begann Kurzgeschichten für die "pulp magazines" schreiben.
Die auflagenstarken Groschenhefte zahlten nicht schlecht und suchten ständig neue Autoren. In seinen ersten Stories imitierte Chandler, der damals bereits 45 war, den hard-boiled-Superstar Dashiell Hammet und entwickelte dann nach und nach seine eigene Vision. "Ich dachte", erklärte er später bescheiden, "ich könnte mich ein bisschen mehr für Menschen interessieren als für Mord."
Damit war das revolutionäre Programm seiner Romane von "Der große Schlaf" (1939) über "Der lange Abschied" (1954) bis "Playback" (1958) abgesteckt: Raymond Chandler benutzte das marktgängige Genre des hartgesottenen Kriminalromans als Verpackung für das, was man damals noch ehrfürchtig "hohe Literatur" nannte.
Marlowe jagte zwar Verbrecher, doch in erster Linie sammelte er Hinweise auf die menschlichen Tragödien, die sich hinter den sonnenbeschienenen Fassaden Südkaliforniens abspielten: müde Polizisten, die für ein paar Dollar ihre Seele verkaufen, Villenbesitzer, die sich in teuren Privatkliniken von ihren exzessiven Cocktailpartys erholten, und tödlich gelangweilte Schauspielerinnen mit Vaterkomplexen und Drogenproblemen.
Raymond Chandler schrieb über ein Amerika, in dem er selbst nie zu Hause war. Er fühlte sich bis zum Ende seines Lebens als Engländer, und dieses Spannungsverhältnis, so Frank MacShane, prägte auch seinen Stil. Chandler eignete sich den amerikanischen Slang wie eine Fremdsprache an, um ihn dann in Form von schnellen Dialogen in den knallharten Kunstjargon zu verwandeln, der zu seinem literarischen Alleinstellungsmerkmal werden sollte.
Das Problem ist, dass man das als deutschsprachiger Leser bis heute kaum nachvollziehen kann. Auch darauf muss man anlässlich des 50. Todestages leider hinweisen: Chandlers Romane sind haarsträubend übersetzt. Selbst "Der lange Abschied" wird immer noch in der hölzernen Fassung von Hans Wollschläger aus den Siebzigern verkauft. Ein bisschen mehr Pflege könnte dieser Klassiker gebrauchen.
Rezensiert von Kolja Mensing
Frank MacShane: Raymond Chandler. Eine Biographie
Diogenes, Zürich 2009, 480 Seiten, 22,90 Euro