Ein Leben, das nicht vorgesehen ist
Die Pflegeeltern machen ihn zum Diener, auf der Straße wird er angegafft, nur mit Glück überlebt er die Nazi-Zeit: Die Biografie des Afrodeutschen Theodor Michael ist die unsentimentale Chronik eines schwierigen Lebens – und ein Missing Link zwischen Kolonialpolitik und heutiger Migration.
Memoiren sind eine Möglichkeit, den eigenen Anteil am großen Ganzen zu behaupten und von persönlicher Tatkraft und Individualität zu schwärmen. Das ist bei der Autobiografie "Deutsch sein und schwarz dazu", die Theodor Wonja Michael nun 88-jährig vorgelegt hat, etwas anders. Hier geht es zuerst darum, ein Leben nicht zu verlieren, das nicht vorgesehen ist. Hier liest man von den abenteuerlichen Fügungen, die es dem Autor überhaupt gestatten, Subjekt einer Geschichte zu werden, über die andere mit wechselnden Zuschreibungen bestimmen konnten.
Theodor Michael wurde 1925 in Berlin geboren als jüngstes von vier Kindern des Theophilus Wonja Michael und dessen Frau Martha. Die Mutter, die bald nach der Geburt starb, stammte aus Posen. Der Vater aus Kamerun, seit Ende des 19. Jahrhunderts ein "Schutzgebiet", eine Kolonie des Deutschen Reichs. Die Familie, deren Name in Michael eingedeutscht wurde, gehörte zur gesellschaftlichen Elite in Kamerun. Den Vater zog die Aussicht auf Fortschritt, Modernität und Wohlstand aus dem politisch feudalen Land in die deutsche Hauptstadt – ein Antrieb, der, wie der Autor konstatiert, noch heute Migration motiviert und nicht selten Enttäuschungen produziert.
Denn Theophilus Michael hatte – erst recht nach dem raschen Ende der deutschen Kolonialambitionen am Ausgang des Ersten Weltkriegs – Schwierigkeiten, seinen Platz in der hiesigen Gesellschaft zu finden. Die "ehemaligen Schutzangehörigen" genossen nicht die vollen bürgerlichen Rechte und sahen sich in den Krisenjahren der Weimarer Republik einer Stimmungsmache ausgesetzt, die etwa die Jobsuche erschwerte. Der afrodeutschen Familie blieb nichts anderes übrig, als sich in Völkerschauen oder bei Filmdrehs zu verdingen. Theodor Michael hasste es schon als Kind, begafft zu werden, und doch blieb die Welt der exotisierenden Zirkusse und kolonialistischen UFA-Produktionen ein Raum, der ihm und seinesgleichen überhaupt Arbeit und Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichte. Erst am Ende seines Lebens kann er sich die Stücke aussuchen, die er auf Bühnen spielt, und trifft sogar auf Regisseure, die ihn nicht nach oder nur wegen seiner Hautfarbe besetzen.
Als der Vater 1934 starb, lebte der Junge Theodor schon bei wechselnden Pflegefamilien, die ihn und seine Schwester Juliana als Dienstpersonal ausbeuteten. Als es der ältesten Schwester Christiane gelang, zumindest Juliana zu sich nach Frankreich zu holen, war Theodor Michael der einsamste Mensch der Welt. Mit Glück und Zurückhaltung überlebte er die Nazi-Jahre als Zwangsarbeiter in Berlin. Gerade diese Schilderungen sind intensiv, und gerade hier erweist sich Michaels nüchterner, "preußischer" Stil als wirkungsvoll: Die Entbehrungen, unter denen der junge Mann litt, sind von solch existentieller Härte, dass sie keiner Ausschmückung bedürfen, um Leser in den Bann zu ziehen.
Die deutsche Niederlage erlebte Michael als "widersprüchliche" Befreiung: "Von meinem Aussehen her konnte ich nicht zu den Verlierern gehören." Die afroamerikanischen GIs waren, wie einst die Freunde des Vaters in Berlin, "Landsleute", durch die er Englisch lernte. Gleichzeitig galt er in den Augen der weißen US-Soldaten noch weniger als die weißen Deutschen. Im Hessischen fand Michael seine Frau Friedel, und obwohl er erst nach einem Studium an der Akademie für Gemeinwirtschaft in Hamburg und später in Paris sie und die vier Kinder ernähren konnte, überdauerte die Ehe die Jahre der Not. Michael arbeitete als Redakteur beim Nachrichtendienst "Afrika-Bulletin", lange bevor Zeitungen Korrespondenten in Afrika unterhielten, und wurde schließlich, ob dieser Expertise, Beamter beim BND.
"Deutsch sein und schwarz dazu" ist in seiner prägnanten Kürze die Chronik eines schwierigen Lebens, nicht sentimentale Erinnerung. Man kann viel darin finden: von Berliner Szenen vor 1933 über Innenansichten aus der Nazi-Zeit bis hin zu ein wenig Gossip – Begegnungen mit Hans Albers, Ralf Dahrendorf oder Günter Schabowski. Vor allem aber ist Michaels Geschichte eines Afrodeutschen eine Art Missing Link zwischen der unterreflektierten deutschen Kolonialpolitik und den Migrationsbewegungen der Gegenwart. Man kann als weißer Leser leicht verstehen, wie problematisch seit über hundert Jahren die dominierende Vorstellung vom Deutschsein hierzulande ist. Nicht zuletzt füllt Michael Wissenslücken mit präzisen Exkursen - etwa über die deutsche Kolonialgeschichte. Und man kann schließlich den Stolz über die – auf den ersten Blick vielleicht irritierende – Anstellung beim Geheimdienst begreifen: Für den deutschen Staatsbürger Theodor Michael, der als Kind mit dem "Fremdenpass" in einem Niemandsland der Anerkennung zu Hause war und nie ein Schulzeugnis erhielt, bedeutete die von Egon Bahr unterschriebene Ernennungsurkunde späte preußische Genugtuung.
Besprochen von Matthias Dell
Theodor Michael wurde 1925 in Berlin geboren als jüngstes von vier Kindern des Theophilus Wonja Michael und dessen Frau Martha. Die Mutter, die bald nach der Geburt starb, stammte aus Posen. Der Vater aus Kamerun, seit Ende des 19. Jahrhunderts ein "Schutzgebiet", eine Kolonie des Deutschen Reichs. Die Familie, deren Name in Michael eingedeutscht wurde, gehörte zur gesellschaftlichen Elite in Kamerun. Den Vater zog die Aussicht auf Fortschritt, Modernität und Wohlstand aus dem politisch feudalen Land in die deutsche Hauptstadt – ein Antrieb, der, wie der Autor konstatiert, noch heute Migration motiviert und nicht selten Enttäuschungen produziert.
Denn Theophilus Michael hatte – erst recht nach dem raschen Ende der deutschen Kolonialambitionen am Ausgang des Ersten Weltkriegs – Schwierigkeiten, seinen Platz in der hiesigen Gesellschaft zu finden. Die "ehemaligen Schutzangehörigen" genossen nicht die vollen bürgerlichen Rechte und sahen sich in den Krisenjahren der Weimarer Republik einer Stimmungsmache ausgesetzt, die etwa die Jobsuche erschwerte. Der afrodeutschen Familie blieb nichts anderes übrig, als sich in Völkerschauen oder bei Filmdrehs zu verdingen. Theodor Michael hasste es schon als Kind, begafft zu werden, und doch blieb die Welt der exotisierenden Zirkusse und kolonialistischen UFA-Produktionen ein Raum, der ihm und seinesgleichen überhaupt Arbeit und Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichte. Erst am Ende seines Lebens kann er sich die Stücke aussuchen, die er auf Bühnen spielt, und trifft sogar auf Regisseure, die ihn nicht nach oder nur wegen seiner Hautfarbe besetzen.
Als der Vater 1934 starb, lebte der Junge Theodor schon bei wechselnden Pflegefamilien, die ihn und seine Schwester Juliana als Dienstpersonal ausbeuteten. Als es der ältesten Schwester Christiane gelang, zumindest Juliana zu sich nach Frankreich zu holen, war Theodor Michael der einsamste Mensch der Welt. Mit Glück und Zurückhaltung überlebte er die Nazi-Jahre als Zwangsarbeiter in Berlin. Gerade diese Schilderungen sind intensiv, und gerade hier erweist sich Michaels nüchterner, "preußischer" Stil als wirkungsvoll: Die Entbehrungen, unter denen der junge Mann litt, sind von solch existentieller Härte, dass sie keiner Ausschmückung bedürfen, um Leser in den Bann zu ziehen.
Die deutsche Niederlage erlebte Michael als "widersprüchliche" Befreiung: "Von meinem Aussehen her konnte ich nicht zu den Verlierern gehören." Die afroamerikanischen GIs waren, wie einst die Freunde des Vaters in Berlin, "Landsleute", durch die er Englisch lernte. Gleichzeitig galt er in den Augen der weißen US-Soldaten noch weniger als die weißen Deutschen. Im Hessischen fand Michael seine Frau Friedel, und obwohl er erst nach einem Studium an der Akademie für Gemeinwirtschaft in Hamburg und später in Paris sie und die vier Kinder ernähren konnte, überdauerte die Ehe die Jahre der Not. Michael arbeitete als Redakteur beim Nachrichtendienst "Afrika-Bulletin", lange bevor Zeitungen Korrespondenten in Afrika unterhielten, und wurde schließlich, ob dieser Expertise, Beamter beim BND.
"Deutsch sein und schwarz dazu" ist in seiner prägnanten Kürze die Chronik eines schwierigen Lebens, nicht sentimentale Erinnerung. Man kann viel darin finden: von Berliner Szenen vor 1933 über Innenansichten aus der Nazi-Zeit bis hin zu ein wenig Gossip – Begegnungen mit Hans Albers, Ralf Dahrendorf oder Günter Schabowski. Vor allem aber ist Michaels Geschichte eines Afrodeutschen eine Art Missing Link zwischen der unterreflektierten deutschen Kolonialpolitik und den Migrationsbewegungen der Gegenwart. Man kann als weißer Leser leicht verstehen, wie problematisch seit über hundert Jahren die dominierende Vorstellung vom Deutschsein hierzulande ist. Nicht zuletzt füllt Michael Wissenslücken mit präzisen Exkursen - etwa über die deutsche Kolonialgeschichte. Und man kann schließlich den Stolz über die – auf den ersten Blick vielleicht irritierende – Anstellung beim Geheimdienst begreifen: Für den deutschen Staatsbürger Theodor Michael, der als Kind mit dem "Fremdenpass" in einem Niemandsland der Anerkennung zu Hause war und nie ein Schulzeugnis erhielt, bedeutete die von Egon Bahr unterschriebene Ernennungsurkunde späte preußische Genugtuung.
Besprochen von Matthias Dell
Theodor Michael: Deutsch sein und schwarz dazu
Erinnerungen eines Afrodeutschen
dtv, München 2013
200 Seiten, 14,90 Euro
Erinnerungen eines Afrodeutschen
dtv, München 2013
200 Seiten, 14,90 Euro