Ein Leben für den Film

Von Hartwig Tegeler |
Mit "Rosemaries Baby" und "Tanz der Vampire" wurde Roman Polanski in den 1960er-Jahren zu einem der berühmtesten Regisseure der Welt. Doch für Schlagzeilen sorgte er nicht nur durch sein filmisches Schaffen. 1977 verließ Polanski fluchtartig die USA - um einer drohenden Gefängnisstrafe wegen Missbrauchs eines Mädchens zu entgehen.
Die Fiktion:

"Also, falls das ein Trost für dich ist: Du hast nichts zu befürchten, solange du dich hier aufhältst."

Aus ihr, der Fiktion, hinein in die biografische Realität: Was wäre ... was wäre wenn Roman Polanski damals, 2009, nach der Verhaftung in der Schweiz, an die USA ausgeliefert worden wäre, weil das Verfahren über den 1977 begangenen Missbrauch an einem 13-jährigen Mädchen immer noch nicht beendet war. Ein Satz aus dem Polanski-Film "Der Ghostwriter" von 2010 könnte da wie ein Begleitkommentar zum Fall Polanski klingen:

"Du brauchst einen Anwalt, ruf Sid an."
"Und was ist mit der Presse?"
"Gebt eine erste Stellungnahme raus. Ganz kurz."

Es scheint verführerisch, bei Polanski immer zwei, eine Filmgeschichte und eine Lebensgeschichte übereinander zu legen: In "Der Ghostwriter" etwa ist der britische Ex-Premier, angeklagt wegen Kriegsverbrechen, wie gefangen in seinem US-Exil.

"Soll das heißen, ich kann die Vereinigten Staaten nicht verlassen?"

Und dazu gelegt die nichtfiktive, die Lebensgeschichte des Filmregisseurs, der seit 1977 - nach den Erfolgen von "Rosemaries Baby" und "Chinatown" - nie mehr in den USA war, weil er sonst verhaftet worden wäre.

"Die Gerüchte stimmen also."
"Die werden uns umsiedeln. Wir werden in Arbeitslager gebracht im Osten. Das kleine Getto wird bald geschlossen."
"Mein Gott!"

Oder eben zwei andere Geschichten, die so gut zueinander zu passen scheinen: Da ist der Jude in Warschau im Oscar-prämierten Film "Der Pianist" von 2002, der das Getto überlebt. Und da ist die Geschichte vom jüdischen Jungen Roman Polanski, der das Krakauer Getto überlebte, während seine Mutter in Auschwitz ermordet wurde. Polanskis Leben scheint wie ein offenes Buch, die Person eine öffentliche. Aber ist Roman Polanski deswegen auch eine offene Person? Polanski-Biograf Paul Werner hat da seine Zweifel:

"Also, unter offen verstehe ich eine Person, die sozusagen Einblick in ihre Gefühle erlaubt. Und das ist bei Polanski meiner Meinung nach nicht der Fall. Das merkt man auch ein bisschen in seiner Autobiografie, die ja sehr anekdotenreich ist, die aber meiner Meinung nach einen Mangel an Empathie zeigt. Also Empathie auch seinem eigenen Leben gegenüber. Ich denke mal, der hält das ziemlich bedeckt."
Ist Polanski also wirklich so, aus der Nähe zwischen seinem Leben und seinem Werk, zu verstehen, wie es der "Ghostwriter" oder "Der Pianist" - zwei Beispiele von insgesamt 21 Polanski-Filmen in gut 50 Jahren - nahe zu legen scheinen? Immerhin steht am Anfang von Polanskis Autobiografie von 1985 dieser verführerische Satz, der einen eben auf diese Fährte locken könnte:

"So weit ich zurückdenken kann, ist in meinem Leben die Grenze zwischen Fantasie und Wirklichkeit hoffnungslos verwischt gewesen."

Und dann dieses Gefühl, dass er nach der Flucht aus den USA, angekommen in Paris, beschrieb, "dass er sich dem Richter in den USA ausgeliefert fühlte wie die Maus der Katze, die versucht zu fliehen, zu entkommen".

Flucht, Fluchtreflex, tiefsitzend, die Flucht aus dem Getto, die aus den USA, vor einer unbezwingbaren Macht. Sicher schrieb Polanski einigen seiner Figuren diesen Wunsch ein, fliehen zu wollen. Und sei es hinein in den Wahn, wie der Frau in "Ekel" geschieht oder dem Mieter im gleichnamigen Film.

Ist dieser Fluchtreflex als weiteres Indiz, wie sich bei Polanski Werk und Leben, Fantasie und Wirklichkeit, Albtraum und Biografie verwischen? Polanski selbst mag zwar zugestehen, dass die Kunst vom Leben beeinflusst ist, aber man möge das doch nicht so naiv zusammenbringen, wie es der hartnäckige und kluge Filmpublizist Mark Cousins einst in einem BBC-Interview von 2000 tat.

Dass Polanski bei dieser Frage nicht aufgesprungen und gegangen ist, ist schon ein Wunder. Polanski-Biograf Paul Werner mag zwar der Frage nach der Nähe zwischen den Filmen und Polanskis Biografie folgen, aber mit Vorbehalten:

"Man muss immer im Auge behalten, dass er ja einerseits Künstler ist, der seine Sachen überhöht, und andererseits darf man auch nicht vergessen, das es ja immer für die Filme oder für die meisten Filme literarische Vorgaben gibt. Er ist natürlich nicht völlig frei, sich von der Vorlage zu lösen."

Polanskis Filme mögen zwar von ihm selber handeln, aber in "dutzendfacher, verschleierter Gestalt". Sagt Paul Werner in seiner lesenswerten Biografie. Insofern spielt Ewan McGregor im "Ghostwriter" eine, man könnte sagen, typische Polanski-Figur, die an den Detektiv in "Chinatown" oder die Hauptfigur, von Polanski selbst gespielt, in "Der Mieter" erinnert. Allesamt Wesen, für die die Realität, die Welt um sie herum, widersprüchlich und am Ende undurchschaubar bleibt.

Diese Polanski-Figuren sind beileibe nicht Herren ihres Schicksals. Davon erzählt Roman Polanski immer wieder in seinen Filmen, auch mit 80 Jahren. Die Arbeit an seinem Film über die französische Dreyfus-Affäre hat er gerade begonnen. Kreativität, Produktivität und Kraft zum Filmemachen gehen ihm offenbar noch lange nicht aus.
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