Ein Leben für die Oper

Von Bernhard Doppler · 29.12.2011
Den Österreichern galt der Kritiker und Dramaturg Marcel Prawy (1911 – 2002) als "Opernführer der Nation". Sein Verdienst war die Einführung des amerikanischen Musicals in Wien in den 1950er- und 1960er-Jahren. Am 29. Dezember wäre Prawy 100 Jahre alt geworden. Die Volksoper Wien ehrt Prawy anlässlich dieses Jubiläums mit der Produktion "Salut für Prawy".
Marcel Prawy: "Es war in der Zwischenzeit so grauenvoll hier - und nicht erst unter Hitler, sondern auch vorher, in der Vorbereitung auf Hitler, dass die Emigranten - ich sage die Emigranten, es hat auch Ausnahmen gegeben - dass 80 Prozent der Emigranten Amerikaner werden wollten. Sie wollten alles hier vergessen."

Marcel Prawy ist doch zurückgekehrt nach Österreich und wurde sogar einer der populärsten Opernkenner und Opernliebhaber.

"Salut für Prawy" - nach Ehrungen in der Wiener Staatsoper und mehreren Sendungen im ORF nun als Höhepunkt ein eigener Abend in der Wiener Volksoper, das Programm eines Dramaturgen, ausschließlich mit Werken klassischer Musicals, die er brachte oder zumindest bringen wollte. "Kiss me Kate", "Bridgadoon", "West Side Story", "Caroussel"

Marcel Friedmann Ritter von Prawy wurde 1911 in Wien als Kind von Beamten und Rechtsanwälten geboren. Nach dem frühen Selbstmord seiner Mutter beginnen seine täglichen Opernbesuche, er studiert jedoch Jura und beginnt seine Opernlaufbahn als Privatsekretär des Sängerpaars Jan Kiepura und Martha Eggerth. Mit ihnen emigriert Prawy in die USA und kehrt als Kulturoffizier der US-Besatzungsmacht zurück. Christoph Wagner-Trenkwitz, sein Nachfolger an der Wiener Volksoper:

"Wir täten Marcel Prawy natürlich unrecht, wenn wir ihn nur auf das Musical reduzieren wollten, er hat sich genauso für Oper und Operette eingesetzt und hat einen ganz guten und breiten Geschmack gehabt, aber seine historische Leistung war es, dass er 1956 in Österreich, in Wien das Musical eingeführt hat, mit 'Kiss me Kate'. Das war wirklich nicht leicht.

Ich glaube ja, und da muss ich ganz offen reden, dass sich der Antisemitismus der Jahre bis '45 nach '45 nicht so plötzlich aufgelöst hat. Man durfte nicht zu seinem Antisemitismus stehen und hat das so ein bisschen in Antiamerikanismus verbrämt. Das erkennt man auch heute noch. Manchmal. Und Prawy war Jude und hat diese 'Negermusik', wie es damals hieß, nach Wien gebracht und da waren einfach viele dagegen, haben ihm unterstellt, dass er die gute alte Operette zerstören möchte, aus der Volksoper ein amerikanisches Theater machen möchte. Aber all das war Unsinn.

Doch die Anfeindungen waren groß und es ging nicht nur um Anfeindungen, auch das Misstrauen, auch der Direktor Franz Salmhofer hat der 'Kiss me Kate' nicht vertraut, er hat gesagt: 'So etwas Oberflächliches wird unser Publikum nicht mögen' und dann wurde es einer der größten Triumphe in der Wiener Theatergeschichte."

"West Side Story" 1968 zum ersten Mal in Europa. Julia Mignes und Adolf Dalapozza - Tony und Maria vor 43 Jahren - wurden für "Salut für Prawy" als Sänger, Dalapozza zumindest als Interviewpartner gewonnen. Oper und Musical mussten damals erst verschmelzen.

"Dann habe ich gesagt: 'Meister, ich möchte 'West Side Story' machen. Jeder sagt, das geht nicht. Die Leute kennen den Film und werden dann vergleichen. Hier kann man nicht tanzen. Es geht nur auf Englisch.' Da hat er mir diesen Satz gesagt, und ich habe gewusst, ich mache es: 'Lass sie tanzen, wie sie wollen, sie werden schon gut tanzen, wahrscheinlich wären sie besser in New York. Das ist mir egal. Von dir will ich aber, was mir Amerika nicht geben konnte. In West Side Story müssen Tony und Maria so singen wie Rudolfo und Mimi in La Boheme.' Wie er das gesagt hat, habe ich gewusst, ich mache es."

Marcel Prawy auch im Museum. "Neues aus dem Nachlass" zeigt eine Ausstellung in der Wiener Stadtbibliothek. Zahlreiche Pässe und Aufenthaltserlaubnisse fallen zunächst auf. Der Opernagent ausgerüstet wie ein Spion. Archivarin Kira Waldner:

"Natürlich ist das Exil auch indirekt dokumentiert, weil Prawy schon dann wieder in Wien weiter Kontakte pflegt beziehungsweise teilweise seine Notizen und Anmerkungen auch in Englisch verfasst. Man kann das nachvollziehen, teilweise nicht in deutscher Sprache denkt."

Der Marcel-Prawy-Nachlass ist der umfangreichste Nachlass, den die Wiener Stadtbibliothek beherbergt, und sie ist an umfangreichen Nachlässen wahrlich nicht arm. Doch Marcel Prawy war auch sein eigener Archivar und damit auch Archivar der Entwicklung der Operngeschichte im 20. Jahrhundert. Er sammelte alles und ordnete es in unzähligen Plastiktüten, "Plastiksackerln".

"Der Herr Professor vom Hotel Sackerl" wurde er genannt. Denn spätestens als er seine Wohnung mit Tüten vollgeräumt hatte, zog er als Dauergast ins Hotel Sacher, gleich gegenüber der Oper. Zwei österreichisches Institutionen: Hotel Sacher und Oper. Doch trotz seines österreichischen Charmes blieb er auf Distanz, er blieb amerikanischer Staatsbürger.