Ein Leben für menschliche Fossilienfunde

Von Anette Schneider |
Mary Leakey gilt als eine der bedeutendsten Paläoanthropologen des 20. Jahrhunderts. Ihre steinzeitlichen Knochenfunde in Kenia und Tansania lieferten entscheidende Erkenntnisse zur Evolutionsgeschichte des Menschen. Am 6. Februar 1913 wurde die Wissenschaftlerin in London geboren.
Wenn Mary Leakey eines nicht mochte, waren es Spekulationen über die Herkunft des Menschen. Öffentlichkeitswirksam ausgetragene wissenschaftliche Dispute hasste die zurückhaltende Forscherin. Ihre Leidenschaft galt der Grabungsarbeit. In einem ihrer seltenen Interviews erklärte sie der Zeitschrift "Scientific American" 1994:

"Ich bin nie davon ausgegangen, dass Interpretieren zu meiner Arbeit gehört. Ich war (nach Afrika) gekommen, um Schätze zu entdecken, und so gut ich konnte, auszugraben und zu bewahren. Es gibt so vieles, was wir nicht wissen. Und je mehr wir herausfinden, desto klarer wird, dass die frühen Interpretationen völlig falsch waren."

Mary Leakey wurde am 6. Februar 1913 in London als Mary Douglas Nicol geboren. Sie wuchs in einem künstlerisch geprägten Elternhaus auf - ihr Vater war ein bekannter Landschaftsmaler - und schon als Kind begeisterte sie sich für Archäologie. Die Familie, die viel Zeit in Frankreich verbrachte, besuchte dort oft Ausgrabungsstätten und prähistorische Höhlen, deren Felsenmalereien das Mädchen in ein Skizzenbuch kopierte. In ihrer Autobiografie "Disclosing the Past" erinnert sie sich:

"Eines Tages ... besuchten wir Cap Blanc, wo es besonders schöne Darstellungen von Pferden gab. Ich war tief beeindruckt. Ebenso mein Vater. ... Die Wissbegierde übermannte mich!"

Doch nach dem plötzlichen Tod des Vaters sollte sie in London eine "angemessene Erziehung" erhalten. Allerdings vergraulte die freigeistige Mary sämtliche Gouvernanten und hielt es in keiner Schule aus. Dafür besuchte sie später an der Universität Vorlesungen in Archäologie und Geologie, und begeistert lernte sie bei Ausgrabungen in Devon drei Sommer lang das Handwerk archäologischer Feldarbeit.

Mit 20 Jahren begegnete sie auf einer Dinner Party ihrem späteren Mann, dem Archäologen Louis Leakey. 1937 siedelte das Ehepaar nach Kenia über, dann nach Tansania. Dort, in der Olduvai-Schlucht, begannen sie, nach versteinerten Überresten menschlichen Lebens zu suchen.

"Im Wesentlichen rutschen Mary und ich auf den Knien, die Augen höchstens eine Handbreit über dem Boden. Beim kleinsten Hinweis auf eine Versteinerung säubern wir die Stelle mit einer feinen Bürste oder einem Zahnstocher. Dafür braucht man Ausdauer - vor allem Ausdauer."

Berichtete Louis Leakey 1960 in der Zeitschrift "National Geographic". Jahrelang hatten sie nur fossile Werkzeuge gefunden - bis Mary Leakey Schädelfragmente eines etwa 18 Millionen Jahre alten Menschenaffen entdeckte. Einige Jahre später stieß sie auf einen Schädel, der mit 1,8 Millionen Jahren doppelt so alt war, wie alle bis dahin bekannten Vormenschenfunde. Er machte klar: Der Mensch stammt nicht aus Asien, sondern aus Afrika.

Ihr für die Wissenschaft bis heute wichtigster Fund aber war 1978 die Entdeckung versteinerter Fußspuren. Ein unglaubliches Gefühl sei das gewesen, das es bei Funden von Knochen oder Steinen nicht gäbe, erklärte sie später in einem Interview: Diese Fußspuren ermöglichten blitzartig eine Vorstellung vom Urmenschen!

""It is an extraordinary feeling, that you never get with just bones and stones, because there you have the outline of a flash, as you might say.”"

Denn, so erklärte Mary Leakey in ihrer Autobiografie:

"Die Spuren waren einzigartige Beweise dafür, dass unsere Vorfahren bereits vor etwas mehr als 3,5 Millionen Jahren aufrecht gingen! Etwas, worüber Anthropologen seit Jahrzehnten diskutierten - ohne Hoffnung, dies jemals beweisen zu können!"

Bereits Ende der 60er-Jahre hatte sich Mary Leakey von ihrem Mann getrennt und forschte seitdem mit einem eigenen Team. Längst galt die Autodidaktin als hervorragende Wissenschaftlerin, die mit ihrer akribischen Arbeitsweise und der exakten Dokumentation ihrer Zigtausend Funde neue Standards für die internationale anthropologische Forschung setzte. Und ihre insgesamt 1600 Kopien prähistorischer Felsenmalereien bilden heute eine einzigartige Sammlung, da die Originale fast alle zerstört sind.

Nach jahrzehntelanger Grabungsarbeit verbrachte Mary Leakey die letzten Jahre ihres Lebens in ihrem Haus in Nairobi. Dort fasste sie ihre Erkenntnisse in Büchern zusammen, und noch zwei Jahre vor ihrem Tod erklärte die 81-Jährige:

"Mehr als alles andere möchte ich in Ruhe gelassen werden, um mit meiner Arbeit voranzukommen!"
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