Ein Leben im Zeichen der Literatur
Um es gleich vorweg zu sagen: Wer sich intime Geständnisse, Aufschluss über private Belange oder gar Tratschgeschichten erhofft, ist bei Italo Calvinos Briefen an der falschen Adresse. Dafür liefert der neue Band einen Querschnitt durch eine der spannendsten Intellektuellenbiographien Italiens.
Italo Calvino (1923-1985), bei uns als Repräsentant der italienischen Moderne bekannt und mit seinen phantastisch-allegorischen Clownerien Der geteilte Visconte (1952), Der Baron auf den Bäumen (1957) und Der Ritter, den es nicht gab (1959) oder mit seinem postmodernen Leser-Verwirrspiel Wenn ein Reisender in einer Winternacht (1979) durchaus erfolgreich, hat als Lektor des traditionsreichen Verlagshauses Einaudi nämlich Kulturgeschichte geschrieben. Seine Briefe, die jetzt unter dem Titel Ich bedauere, dass wir uns nicht kennen. Briefe 1941 - 1985 zum ersten Mal auf Deutsch erscheinen, legen davon ein beredtes Zeugnis ab.
Italo Calvino war ein leidenschaftlicher Briefschreiber. Aus der Zeit seiner Verlagstätigkeit liegen über fünftausend Dokumente vor. Der neue Band setzt sich aus einer Auswahl der vierteiligen italienischen Originalausgabe zusammen, von Franziska Meier klug ediert, und umfasst die Jahre zwischen 1941 und 1985.
Calvinos Lebensphasen von der Zeit seines - eher widerwillig betriebenen - Studiums der Agrarwissenschaften in Turin und Florenz fließen in die Schreiben ebenso ein wie die Turiner Verlagsarbeit, ein kurzes Zwischenspiel als Redakteur bei der kommunistischen Tageszeitung Unità, verschiedene Reisen und die Phase des Pendelns von Paris aus, wohin Calvino Ende der sechziger Jahre samt Ehefrau und Kind übersiedelte. Die Adressaten seiner Korrespondenz sind der Jugendfreund Scalfari, Calvinos Eltern, Kollegen, Literaturkritiker und immer wieder Schriftsteller.
Ein großer Einschnitt, das machen die Briefe an Scalfari deutlich, ist die Erfahrung des Partisanenkampfes. Der gerade erst Zwanzigjährige ergreift Partei und setzt sein Leben aufs Spiel. Dadurch gewinnt er auch im Alltag eine größere Handlungsautonomie und kann sich nach dem Krieg den Erwartungen seiner Eltern, beides berühmte Agrarwissenschaftler, widersetzen. Jetzt weiß er, worauf es ihm ankommt. Er will schreiben, sich mit Literatur beschäftigen und den politischen Wiederaufbau seines Landes in Gang bringen, was er, wie viele seiner Generation, mit großem Elan auch tut.
Calvino wechselt zum Studium der Literaturwissenschaften, verfasst Erzählungen und beliefert kommunistische Zeitschriften mit Beiträgen. In Turin lernt er den Schriftsteller Cesare Pavese kennen, der 1933 gemeinsam mit seinen Freunden Giulio Einaudi und dem später von den Faschisten getöteten Leone Ginzburg den Verlag Einaudi gegründet hatte. Pavese gefallen Calvinos Erzählungen, und er ist von dem scharfsinnigen Verstand und dem Idealismus des jüngeren Kollegen beeindruckt. 1946 gewinnt er ihn als Mitarbeiter.
Es ist die große Zeit von Einaudi: Der Verlag, davon ist man überzeugt, muss bei der Neugestaltung Italiens eine Schlüsselrolle spielen - und er tut es auch. Buchserien werden entworfen und bringen Debatten in Gang, gesellschaftliche Strömungen finden direkt Eingang in das Verlagsprogramm, die Kultur hat eine politische Funktion und steht im Zentrum aller Bestrebungen. Außerdem ist der Nachholbedarf enorm. Proust, Melville, Hemingway, Carlo Levi, Primo Levi, Pavese, Ginzburg, Bassani, Morante und Bulgakov erscheinen bei Einaudi, aber auch Benjamin, Adorno, C.G. Jung, Gombrich, Panofsky, Levi Strauss, Roland Barthes und große Enzyklopädien.
Italo Calvino fördert neue Talente, entwickelt Ideen für Buchprojekte und Zeitschriften, diskutiert literaturtheoretische Fragen. Der Ton seiner Briefe ist sachlich, seinen Autoren tritt Calvino als gestrenger Leser entgegen, ohne sie zu entmutigen. Gleichzeitig ist ein tiefer Enthusiasmus spürbar. Man merkt, dass Calvino von den Möglichkeiten der Literatur überzeugt ist und auf eine neue, laizistisch geprägte Gesellschaft hofft.
Ernüchterung setzt erst nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956 ein. Im Jahr darauf entscheidet sich Calvino zum Austritt aus der kommunistischen Partei und erklärt diesen Schritt in einem - ebenfalls abgedruckten - Schreiben an den Vorsitzenden Togliatti. Von nun an beherrschen ihn Skepsis und Müdigkeit. Calvino bemerkt eine Erstarrung der Kultur und der Gesellschaft, sein kämpferischer Geist der Nachkriegszeit ist verflogen. Nach wie vor widmet er den größten Teil seiner Zeit den Büchern der anderen, was Calvino auch für richtig befindet.
1967 zieht der Schriftsteller mit seiner Familie nach Paris um. Hier trifft er auf Roland Barthes und wird durch die zeichentheoretischen Diskussionen zu neuen Überlegungen angeregt. Wie kann man Elemente des Spiels in Literatur ummünzen? In diesen Jahren entstehen einige seiner schönsten Werke. Trotz seiner großartigen Prosa steckt Calvino tief in der Krise: seine letzten Briefe klingen niedergeschlagen und entmutigt, fast so, als sei ihm die nur noch knapp bemessene Lebenszeit gegenwärtig gewesen.
Obwohl man die schon in der Originalausgabe fehlenden Antwortschreiben der Adressaten schmerzlich vermisst, ist der Briefband eine große Bereicherung. Italo Calvinos Korrespondenz ist der Abriss eines Lebens, das ganz im Zeichen der Literatur stand.
Rezensiert von Maike Albath
Italo Calvino: Ich bedauere, dass wir uns nicht kennen. Briefe 1941 - 1985
Ausgewählt und kommentiert von Franziska Meier.
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner.
Carl Hanser Verlag, München 2007, 395 Seiten, 27, 90 Euro
Italo Calvino war ein leidenschaftlicher Briefschreiber. Aus der Zeit seiner Verlagstätigkeit liegen über fünftausend Dokumente vor. Der neue Band setzt sich aus einer Auswahl der vierteiligen italienischen Originalausgabe zusammen, von Franziska Meier klug ediert, und umfasst die Jahre zwischen 1941 und 1985.
Calvinos Lebensphasen von der Zeit seines - eher widerwillig betriebenen - Studiums der Agrarwissenschaften in Turin und Florenz fließen in die Schreiben ebenso ein wie die Turiner Verlagsarbeit, ein kurzes Zwischenspiel als Redakteur bei der kommunistischen Tageszeitung Unità, verschiedene Reisen und die Phase des Pendelns von Paris aus, wohin Calvino Ende der sechziger Jahre samt Ehefrau und Kind übersiedelte. Die Adressaten seiner Korrespondenz sind der Jugendfreund Scalfari, Calvinos Eltern, Kollegen, Literaturkritiker und immer wieder Schriftsteller.
Ein großer Einschnitt, das machen die Briefe an Scalfari deutlich, ist die Erfahrung des Partisanenkampfes. Der gerade erst Zwanzigjährige ergreift Partei und setzt sein Leben aufs Spiel. Dadurch gewinnt er auch im Alltag eine größere Handlungsautonomie und kann sich nach dem Krieg den Erwartungen seiner Eltern, beides berühmte Agrarwissenschaftler, widersetzen. Jetzt weiß er, worauf es ihm ankommt. Er will schreiben, sich mit Literatur beschäftigen und den politischen Wiederaufbau seines Landes in Gang bringen, was er, wie viele seiner Generation, mit großem Elan auch tut.
Calvino wechselt zum Studium der Literaturwissenschaften, verfasst Erzählungen und beliefert kommunistische Zeitschriften mit Beiträgen. In Turin lernt er den Schriftsteller Cesare Pavese kennen, der 1933 gemeinsam mit seinen Freunden Giulio Einaudi und dem später von den Faschisten getöteten Leone Ginzburg den Verlag Einaudi gegründet hatte. Pavese gefallen Calvinos Erzählungen, und er ist von dem scharfsinnigen Verstand und dem Idealismus des jüngeren Kollegen beeindruckt. 1946 gewinnt er ihn als Mitarbeiter.
Es ist die große Zeit von Einaudi: Der Verlag, davon ist man überzeugt, muss bei der Neugestaltung Italiens eine Schlüsselrolle spielen - und er tut es auch. Buchserien werden entworfen und bringen Debatten in Gang, gesellschaftliche Strömungen finden direkt Eingang in das Verlagsprogramm, die Kultur hat eine politische Funktion und steht im Zentrum aller Bestrebungen. Außerdem ist der Nachholbedarf enorm. Proust, Melville, Hemingway, Carlo Levi, Primo Levi, Pavese, Ginzburg, Bassani, Morante und Bulgakov erscheinen bei Einaudi, aber auch Benjamin, Adorno, C.G. Jung, Gombrich, Panofsky, Levi Strauss, Roland Barthes und große Enzyklopädien.
Italo Calvino fördert neue Talente, entwickelt Ideen für Buchprojekte und Zeitschriften, diskutiert literaturtheoretische Fragen. Der Ton seiner Briefe ist sachlich, seinen Autoren tritt Calvino als gestrenger Leser entgegen, ohne sie zu entmutigen. Gleichzeitig ist ein tiefer Enthusiasmus spürbar. Man merkt, dass Calvino von den Möglichkeiten der Literatur überzeugt ist und auf eine neue, laizistisch geprägte Gesellschaft hofft.
Ernüchterung setzt erst nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956 ein. Im Jahr darauf entscheidet sich Calvino zum Austritt aus der kommunistischen Partei und erklärt diesen Schritt in einem - ebenfalls abgedruckten - Schreiben an den Vorsitzenden Togliatti. Von nun an beherrschen ihn Skepsis und Müdigkeit. Calvino bemerkt eine Erstarrung der Kultur und der Gesellschaft, sein kämpferischer Geist der Nachkriegszeit ist verflogen. Nach wie vor widmet er den größten Teil seiner Zeit den Büchern der anderen, was Calvino auch für richtig befindet.
1967 zieht der Schriftsteller mit seiner Familie nach Paris um. Hier trifft er auf Roland Barthes und wird durch die zeichentheoretischen Diskussionen zu neuen Überlegungen angeregt. Wie kann man Elemente des Spiels in Literatur ummünzen? In diesen Jahren entstehen einige seiner schönsten Werke. Trotz seiner großartigen Prosa steckt Calvino tief in der Krise: seine letzten Briefe klingen niedergeschlagen und entmutigt, fast so, als sei ihm die nur noch knapp bemessene Lebenszeit gegenwärtig gewesen.
Obwohl man die schon in der Originalausgabe fehlenden Antwortschreiben der Adressaten schmerzlich vermisst, ist der Briefband eine große Bereicherung. Italo Calvinos Korrespondenz ist der Abriss eines Lebens, das ganz im Zeichen der Literatur stand.
Rezensiert von Maike Albath
Italo Calvino: Ich bedauere, dass wir uns nicht kennen. Briefe 1941 - 1985
Ausgewählt und kommentiert von Franziska Meier.
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner.
Carl Hanser Verlag, München 2007, 395 Seiten, 27, 90 Euro