Ein Leben in Wachs
Prinzen, Schwerverbrecher und Rockstars - Madame Tussauds wächserne Imitate ziehen die Menschen nicht mehr nur in London magisch an, sondern auch in New York, Hongkong und Berlin. Das Wachsfigurenkabinett ist ein weltweit agierendes Kulturunternehmen geworden, dessen Markenzeichen der Name seiner Gründerin ist: Madame Tussaud, geborene Marie Grosholtz. Eine neue Biografie erzählt von der Frau hinter dem Namen.
Marie Tussaud wuchs während der französischen Revolution in Paris auf, ging 1802 nach England und wurde dort zu einer gewieften Unternehmerin. Als eine begnadete Marketing-Expertin beschreibt die Journalistin Kate Berridge die Wachskünstlerin. Mit der schaurig-gruseligen Legende ihres Lebens lockte Marie Tussaud die Besucher: Die wächsernen Köpfe der guillotinierten Adeligen, Revolutionäre und Verbrecher seien vom Original gefertigt. So stand es neben vielen Exponaten zu lesen. Eigenhändig habe sie die abgeschlagenen Häupter aus den Körben neben der Guillotine gehoben.
Madame Tussauds wichtigster Vermarktungs-Gimmick war ihre eigene Biografie. Den voyeuristischen Grusel solcher Anekdoten verstärkte Madame Tussaud noch durch die Behauptung, viele der adeligen oder gar königlichen Opfer seien ihre Freunde oder Bekannte gewesen.
Die Wirklichkeit sah aller Vermutung nach anders aus, erzählt Kate Berridge in ihrer Biografie: Marie Tussauds Herkunft war bescheiden. Als uneheliches Kind einer Berner Köchin ging sie 1768 im Alter von sieben Jahren mit ihrer Mutter nach Paris, weil deren Arbeitgeber, der Wachskünstler Philippe Curtius, dort eine Wachsfigurenausstellung eröffnete. Von Curtius erlernte Marie das Handwerk des Wachsfigurenbildens und erbte später seine Sammlung - der Grundstock für ihr eigenes weltberühmtes Wachsfigurenkabinett.
In ihrer Biografie gibt Kate Berridge den Mythos von Madame Tussauds Leben anschaulich wieder und weist wiederholt darauf hin, wie unwahrscheinlich die von Tussaud kolportierte Version ihres Lebens sei. Doch die große Unzulänglichkeit des Buches ist es, weder die Legende mit Fakten zu widerlegen, noch größere Teile der wirklichen Biografie ans Licht zu bringen. Entschuldigend führt Berridge die dünne Dokumentenlage an.
Statt eigenständige Rechercheergebnisse zu präsentieren, plaudert Berridge lieber über die modischen Eigenarten der Pariser Gesellschaft und gibt gesellschaftliche und politische Revolutionsanekdoten wieder. So entsteht ein buntes, wenn auch unoriginelles Sittenporträt des Paris des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Zu einem wissenschaftlich fundierten historischen Erkenntnisgewinn taugt dieses Buch kaum.
Staunen und voll Respekt den Hut vor Madame Tussaud ziehen kann man nach der Lektüre dennoch. Ihr künstlerisches Handwerk perfekt beherrschend, widmete sie ihr erwachsenes Leben dem Ziel, finanziell selbstständig zu bleiben. Sie war es, die ihren 8 Jahre jüngeren Mann aushielt, nicht umgekehrt. Als die Pariser Ausstellung aufgrund der Wirtschaftlage schlechter lief, ging sie alleine nach England. Dort reiste sie 30 Jahre lang mit ihrem anfangs erst 2-jährigen Sohn und den Wachsfiguren von einem Ort zum anderen und legte mit dieser Wanderausstellung das Fundament für ihren bis heute andauernden Erfolg.
Eine alleinerziehende Mutter aus einfachen Verhältnissen, die ohne jegliche männliche Hilfe Ende des 18. Jahrhunderts ein gut laufendes Familienunternehmen aufbaut, aus dem mehr als einhundert Jahre später ein finanziell lukratives Kulturimperium geworden ist - das ist aus heutiger Sicht weitaus beeindruckender als die Legende von der jungen Frau, die den frisch Geköpften die Totenmasken abnehmen musste.
Rezensiert von Sibylle Salewski
Kate Berridge: Madame Tussaud
übers. von Friedrich Mader und Alexander Wagner,
Osburg Verlag Berlin 2009
368 Seiten, 22,90 EUR
Madame Tussauds wichtigster Vermarktungs-Gimmick war ihre eigene Biografie. Den voyeuristischen Grusel solcher Anekdoten verstärkte Madame Tussaud noch durch die Behauptung, viele der adeligen oder gar königlichen Opfer seien ihre Freunde oder Bekannte gewesen.
Die Wirklichkeit sah aller Vermutung nach anders aus, erzählt Kate Berridge in ihrer Biografie: Marie Tussauds Herkunft war bescheiden. Als uneheliches Kind einer Berner Köchin ging sie 1768 im Alter von sieben Jahren mit ihrer Mutter nach Paris, weil deren Arbeitgeber, der Wachskünstler Philippe Curtius, dort eine Wachsfigurenausstellung eröffnete. Von Curtius erlernte Marie das Handwerk des Wachsfigurenbildens und erbte später seine Sammlung - der Grundstock für ihr eigenes weltberühmtes Wachsfigurenkabinett.
In ihrer Biografie gibt Kate Berridge den Mythos von Madame Tussauds Leben anschaulich wieder und weist wiederholt darauf hin, wie unwahrscheinlich die von Tussaud kolportierte Version ihres Lebens sei. Doch die große Unzulänglichkeit des Buches ist es, weder die Legende mit Fakten zu widerlegen, noch größere Teile der wirklichen Biografie ans Licht zu bringen. Entschuldigend führt Berridge die dünne Dokumentenlage an.
Statt eigenständige Rechercheergebnisse zu präsentieren, plaudert Berridge lieber über die modischen Eigenarten der Pariser Gesellschaft und gibt gesellschaftliche und politische Revolutionsanekdoten wieder. So entsteht ein buntes, wenn auch unoriginelles Sittenporträt des Paris des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Zu einem wissenschaftlich fundierten historischen Erkenntnisgewinn taugt dieses Buch kaum.
Staunen und voll Respekt den Hut vor Madame Tussaud ziehen kann man nach der Lektüre dennoch. Ihr künstlerisches Handwerk perfekt beherrschend, widmete sie ihr erwachsenes Leben dem Ziel, finanziell selbstständig zu bleiben. Sie war es, die ihren 8 Jahre jüngeren Mann aushielt, nicht umgekehrt. Als die Pariser Ausstellung aufgrund der Wirtschaftlage schlechter lief, ging sie alleine nach England. Dort reiste sie 30 Jahre lang mit ihrem anfangs erst 2-jährigen Sohn und den Wachsfiguren von einem Ort zum anderen und legte mit dieser Wanderausstellung das Fundament für ihren bis heute andauernden Erfolg.
Eine alleinerziehende Mutter aus einfachen Verhältnissen, die ohne jegliche männliche Hilfe Ende des 18. Jahrhunderts ein gut laufendes Familienunternehmen aufbaut, aus dem mehr als einhundert Jahre später ein finanziell lukratives Kulturimperium geworden ist - das ist aus heutiger Sicht weitaus beeindruckender als die Legende von der jungen Frau, die den frisch Geköpften die Totenmasken abnehmen musste.
Rezensiert von Sibylle Salewski
Kate Berridge: Madame Tussaud
übers. von Friedrich Mader und Alexander Wagner,
Osburg Verlag Berlin 2009
368 Seiten, 22,90 EUR