Ein Lehrstück für angewandten Lobbyismus

Von Margaret Heckel · 10.03.2011
Der Verbraucher muss nun ausbaden, was unfähige Politiker und skrupellose Lobbyisten ihnen im Namen des Umweltschutzes aufgedrückt haben, kommentiert Journalistin Margaret Heckel die Vorgänge um die Einführung des E10-Kraftstoffs.
Es ist nur ein Satz. Doch wie alle guten Sätze der Weltgeschichte ist er groß genug, das Spektakel in Gang zu setzen. "Eine Tankfüllung reicht aus, um den Motor zu ruinieren" lautet der Satz.

Er verbreitet sich wie ein Lauffeuer unter allen, die ihr Auto neu betanken müssen. Der neue Kraftstoff, wenig vertrauenerweckend zudem schlicht "E10" genannt, hat keine Chance mehr. Zwar ist er bis zu zehn Cent pro Liter preiswerter und kommt so dem Schnäppchenfieber der Deutschen entgegen. Was aber sind ein paar Euro Mehrausgaben gegen das Risiko, mit einer Tankfüllung das Auto zu schrotten?

So nimmt das Drama seinen Lauf. Es ist ein Lehrstück für angewandten Lobbyismus. Keiner der Beteiligten gibt seine wahren Beweggründe preis. Jeder zeigt mit dem Finger auf den anderen. Und zahlen muss das Ganze, wie immer, der Bürger. In diesem Fall all diejenigen, die Auto fahren.

Leuchten wir also hinter die Kulissen des Spektakels. Da gibt es eine schwarz-rote Bundesregierung, die die Klimaschutzvorgaben der Europäischen Union erfüllen muss. Eine Baustelle ist der Verkehr. Doch die Autohersteller in Deutschland sind stolz auf ihre PS-starken Premiummodelle; sie haben keine besondere Lust auf Fünf- oder gar Drei-Liter-Motoren. Sollen doch die Franzosen solche Kleinwagen bauen, oder die Japaner.

Also kommt ihnen eine wunderbare Idee: Mischen wir dem Benzin doch einfach Biosprit bei, dann können wir die Klimaziele des Sektors einfach beim Tanken erreichen. Fünf Prozent Bio-Alkohol wurden dem Benzin ohnehin schon beigemischt. Das ließe sich doch leicht verdoppeln, oder? Die Ingenieure rechneten schnell aus, dass neun von zehn Autos in Deutschland das neue Gemisch problemlos tanken können.

Und so schieben die Autohersteller den Schwarzen Peter elegant weg. Die Bundesregierung stimmt zu. Hauptsache, die EU-Vorgaben werden erfüllt. Und als Nebeneffekt ist eine andere, sonst immer laute Lobbygruppe ruhig gestellt: Die Bauern profitieren besonders von den Entwicklungen. Sie bauen die Rohstoffe an, die nun in den Tank der Autos wandern sollen.

Der Verlierer bei diesem Lobbyisten-Manöver war die Mineralölindustrie. Jeder Liter Biosprit mehr ist ein Liter Erdöl weniger. Doch die Herrscher über die Tankstellen wussten, dass schon einmal die Einführung von E10 in Deutschland gescheitert war.

So mussten die Benzinkonzerne nur abwarten, dass sich der Flop wiederholte. Zumal sie einen mächtigen Spieler auf ihrer Seite wussten: Schon vor drei Jahren agitierte der ADAC gegen Biosprit. Nun verfeinerte die Automobilisten-Lobby ihre Strategie. Wann immer der Satz von der Tankfüllung zu hören war, die den Motor ruiniert, hätte der ADAC eigentlich dazu sagen müssen, dass neun von zehn Autos E10 gut vertragen. Doch die zweite Hälfte der Aussage kam nicht.

Auch die Politiker reagieren wie immer, nämlich zu spät. Kaum einer der verunsicherten Autofahrer kauft E10. Nun sollen verbindliche Listen an den Zapfsäulen ausgelegt werden. Jeder Autofahrer soll dort nachsehen können, ob sein Wagen E10 verträgt. Das wird den Ärger der Verbraucher nicht mildern. Sie müssen ausbaden, was unfähige Politiker und skrupellose Lobbyisten ihnen im Namen des Umweltschutzes aufgedrückt haben.

Das ist doppelt ärgerlich: Denn im Kern ist E10 eine gute Idee für den Klimaschutz. In Frankreich, den USA, Brasilien und Nordeuropa fahren Autos ohne jeden Schaden damit.

Biosprit verringert unsere Abhängigkeit von Erdöl. Allerdings darf E10 aus Lebensmitteln wie Mais oder Roggen nur ein Zwischenschritt sein. Wirklich sinnvoll wird diese Art der Energiegewinnung nur dann, wenn künftige technische Verfahren es ermöglichen, Biosprit aus den nicht verzehrbaren Resten von Pflanzen zu machen. Das ist bereits absehbar. Die ersten Pilotanlagen arbeiten schon. Denn Lebensmittel gehören auf den Teller und nicht in den Tank.

Margaret Heckel, Journalistin und Buchautorin, geboren 1966, studierte Volkswirtschaft in Heidelberg und den USA. Bevor sie sich 2009 als Journalistin selbstständig machte, war sie Politikchefin der Welt, Welt am Sonntag und Berliner Morgenpost. Davor leitete sie das Politikressort der Financial Times Deutschland und hat für die Wirtschaftswoche aus Leipzig, Berlin und Moskau berichtet. Sie ist Autorin des Bestsellers "So regiert die Kanzlerin".

Nach zwei Jahrzehnten im Print-Journalismus arbeitet Heckel heute vorwiegend online: 2009 ging ihre mit Michel Friedman entwickelte Kommentarseite www.starke-meinungen.de online sowiewww.das-tut-man-nicht.de – die Seite für moralische Fragen, ein gemeinsames Projekt mit Ursula Weidenfeld.
Publizistin Margaret Heckel
Publizistin Margaret Heckel© Michael Lüder
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