Ein liberaler Reformer an der Spitze der russisch-orthodoxen Kirche?
Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche war in den vergangenen zwei Jahrzehnten der Patriarch von Moskau und ganz Russland, Alexi II. Er starb im vergangenen Dezember. Ende Januar wurde in einer geheimen Wahl unter zwei Kandidaten der Metropolit von Smolensk und Kaliningrad, Kyrill, zu Alexis Nachfolger gewählt.
Am 27. Januar wählten die Delegierten des Landeskonzils der orthodoxen Kirche Russlands mit 508 von 700 Stimmen den Metropoliten Kyrill zu ihrem neuen Oberhaupt. Sein einziger Gegenkandidat Metropolit Kliment erhielt 169 Stimmen. Der dritte Bewerber, der Minsker Metropolit Filaret, hatte am Tag der Wahl seine Kandidatur zugunsten Kyrills zurückgezogen.
Kyrill nimmt die Wahl an.
Mit der Wahl des 62 Jahre alten Kyrill hatte man allgemein gerechnet. Dem Metropoliten von Smolensk und Kaliningrad wurden nach dem Tod Alexis die Amtspflichten des Patriarchen kommissarisch übertragen. Kyrill nutzte die Aufmerksamkeit, die diese Aufgabe ihm brachte, für einen geschickten Wahlkampf. So zeigte er sich gerne mit dem russischen Präsidenten Medwedew und signalisierte der Öffentlichkeit, wen der Kreml als neuen Patriarchen favorisierte. Kyrill ist auch international kein Unbekannter. Er hatte einst beim Weltkirchenrat in Genf gearbeitet und 20 Jahre das Außenamt der russisch-orthodoxen Kirche geleitet, war also gewissermaßen der kirchliche Außenminister. In seiner Heimat hat ihn seine Medienpräsenz bekannt gemacht. Vor zwei Jahren plauderte er etwa in der beliebten Fernsehsendung "Ohne Krawatte" recht offenherzig aus seinem Leben.
Zum Beispiel darüber, weshalb er als Junge nicht zu den kommunistischen Pionieren gehören wollte.
"Ich sagte, ich werde mit Vergnügen Pionier, wenn man mir erlaubt, mit dem roten Halstuch in die Kirche zu gehen. Aber ich werde niemals Pionier, wenn mein Eintritt in die Pionierorganisation mir verbietet, religiöse Überzeugungen zu haben. Meine Seele werde ich nicht verbiegen und ein Doppelleben führe ich nicht."
Kyrill heißt mit bürgerlichem Namen Wladimir Gundjajew und kommt aus einer tief religiösen Familie. Großvater und Vater waren Geistliche und haben dafür viele Jahre in Stalins Straflagern gesessen. Der Sohn schwankt, ob er zuerst Physiker werden oder sofort am geistlichen Seminar studieren soll.
"Mit diesen Fragen bin ich zum damaligen Metropoliten von Leningrad, Nikodim, gegangen. Der hat mich aufmerksam angesehen und gesagt, weißt du, bei uns in der Sowjetunion gibt es viele Physiker, aber an Geistlichen mangelt es. Gehe gleich ins Seminar."
Kyrill gilt als dynamischer, intelligenter Mann, der ein modernes Russisch spricht und sogar der Rockmusik nicht abgeneigt ist. Er fährt gerne Bergski und liebt Autorennen. So mancher hält ihn deshalb für einen Liberalen. Dieser Einschätzung widerspricht der bekannte Moskauer Fernsehautor und Dokumentarfilmer Nikolaj Swanidze, der den neuen Patriarchen persönlich kennt.
"Er ist kein Liberaler. Weshalb meint man, dass jeder gebildete Mensch in Russland ein Liberaler ist? Das ist nicht so. Kyrill ist Mann mit einer ausgezeichneten europäischen Bildung, er spricht Fremdsprachen, ist ein sehr belesener Mensch, ein brillanter Redner, ein Polemiker. Ich kenne niemanden, weder in der Kirche, noch unter unseren Politikern, der in dieser Beziehung an ihn heranreicht. All das heißt nicht, dass er ein Liberaler ist. Aber natürlich gehört er nicht zu den kirchlichen Fundamentalisten. Doch von ihm radikale Reformen zu erwarten, das lohnt sich nicht. Er wird diesen Weg nicht gehen."
In der Fernsehsendung "Ohne Krawatte" wurde Kyrill vor zwei Jahren zu seiner Einstellung gegenüber der Homosexualität befragt.
"Das ist Sünde. Weshalb wir gegen Gay-Paraden sind? Weil das Propaganda ist und wenn die Machthaber diese Propaganda erlauben, dann wird sie im Bewusstsein der Massen zur Norm. Das ist dann zulässig und zugänglich – weshalb das also nicht ausprobieren? Dann können wir ja gleich Paraden von Drogensüchtigen mit Spritzen erlauben."
Kyrills Kritiker sehen in ihm einen patriotisch geprägten Mann. So ist etwa bekannt, dass er die russisch-orthodoxe Kirche gerne zur Staatskirche aufwerten würde. Das aber wäre eine Diskriminierung der anderen Konfessionen im Vielvölkerstaat Russland. Auf einem Rockkonzert im vergangenen Juli in Kiew bekam der damalige Metropolit Kyrill viel Beifall, als er auf der Bühne stand und das Jubiläum der Taufe der Heiligen Rus, also der Entstehung des Großrussentums feierte.
"Die Heilige Rus ist kein Imperium. Die Heilige Rus ist kein vergangenes oder zukünftiges Imperium. Die Heilige Rus ist das Ideal der Liebe, der Güte und der Wahrheit. Die Heilige Rus ist unbesiegbar. Die Heilige Rus ist Schönheit und Kraft. Wir alle zusammen sind die einige Heilige Rus."
Trotz seiner Nähe zum Kreml tritt Kyrill für die Unabhängigkeit von Staat und Kirche ein, wie sie die russische Verfassung festlegt. Das hat er gleich in seiner ersten Rede als Patriarch bekräftigt:
"Die Beziehungen zwischen Kirche und Staat sollten im Rahmen des gutwilligen Dialogs und der Zusammenarbeit auf verfassungsmäßiger Grundlage entwickelt werden, zum Wohl der Kirche und des Staates, zum Wohl des Volkes."
Vor dem neuen Patriarchen stehen in vieler Hinsicht große Herausforderungen, sagt Alexander Dworkin, Professor an der Orthodoxen Universität in Moskau.
"Kyrill muss eine goldene Mitte finden, um zu einer so verbindenden Figur zu werden wie sein Vorgänger Alexi. Auf der einen Seite gibt es die recht lauten Stimmen der Fundamentalisten, die jegliche Zusammenarbeit mit dem Staat ablehnen, weil sie als Form des orthodoxen Staates nur die Monarchie ansehen. Auf der anderen Seite gibt es am Rande der Kirche Reformer, die fordern, den Gottesdienst zu modernisieren und theologische Grundsätze neu zu bewerten. Beide Gruppen sind nicht groß, aber äußerst lautstark."
Andrej Kurajew, Professor an der Moskauer Geistlichen Akademie, ist davon überzeugt, dass die Wahl Kyrills für den russischen Staat ein Glücksfall ist, nicht zuletzt, weil auf Russland angesichts der Wirtschaftskrise schwere Zeiten zukommen.
"Der neue Patriarch ist ein Albtraum für den Kreml, weil Kyrill ein starker und kluger Mann ist und allein deshalb schon ein unabhängiger Mensch. Andererseits zweifele ich nicht daran, dass unsere Machthaber die Wahl Kyrills begrüßen. Denn sie sind auch kluge Leute und verstehen, dass unter den Umständen einer sozialen Krise, auf die wir uns hinbewegen, starke Verbündete für sie sehr wichtig sind."
Auch der Fernsehautor Nikolaj Swanidze schließt nicht aus, dass Patriarch Kyrill anders als sein Vorgänger Alexi in Russland politisches Gewicht bekommen könnte.
"Ich meine zwar nicht, dass er die Politik beeinflussen will. Doch das hängt davon ab, wie sich bei uns die Lage in den kommenden zwei Jahren entwickelt, wie sich die Krise auch auf sozialem Gebiet verschärft. Ich schließe nicht aus, dass sich der Kreml an ihn um Hilfe wenden wird, sollte es ganz schlimm kommen. Dass er dann als öffentlicher Psychotherapeut auftritt."
Bisher hat die russisch-orthodoxe Kirche ihre sozialen Tätigkeiten und die Diakonie stark vernachlässigt. Deshalb haben viele Gläubige ihr den Rücken gekehrt und sind zu anderen Konfessionen abgewandert. Ob sich das unter dem neuen Patriarchen ändern wird, muss die Zukunft zeigen.
Kyrill nimmt die Wahl an.
Mit der Wahl des 62 Jahre alten Kyrill hatte man allgemein gerechnet. Dem Metropoliten von Smolensk und Kaliningrad wurden nach dem Tod Alexis die Amtspflichten des Patriarchen kommissarisch übertragen. Kyrill nutzte die Aufmerksamkeit, die diese Aufgabe ihm brachte, für einen geschickten Wahlkampf. So zeigte er sich gerne mit dem russischen Präsidenten Medwedew und signalisierte der Öffentlichkeit, wen der Kreml als neuen Patriarchen favorisierte. Kyrill ist auch international kein Unbekannter. Er hatte einst beim Weltkirchenrat in Genf gearbeitet und 20 Jahre das Außenamt der russisch-orthodoxen Kirche geleitet, war also gewissermaßen der kirchliche Außenminister. In seiner Heimat hat ihn seine Medienpräsenz bekannt gemacht. Vor zwei Jahren plauderte er etwa in der beliebten Fernsehsendung "Ohne Krawatte" recht offenherzig aus seinem Leben.
Zum Beispiel darüber, weshalb er als Junge nicht zu den kommunistischen Pionieren gehören wollte.
"Ich sagte, ich werde mit Vergnügen Pionier, wenn man mir erlaubt, mit dem roten Halstuch in die Kirche zu gehen. Aber ich werde niemals Pionier, wenn mein Eintritt in die Pionierorganisation mir verbietet, religiöse Überzeugungen zu haben. Meine Seele werde ich nicht verbiegen und ein Doppelleben führe ich nicht."
Kyrill heißt mit bürgerlichem Namen Wladimir Gundjajew und kommt aus einer tief religiösen Familie. Großvater und Vater waren Geistliche und haben dafür viele Jahre in Stalins Straflagern gesessen. Der Sohn schwankt, ob er zuerst Physiker werden oder sofort am geistlichen Seminar studieren soll.
"Mit diesen Fragen bin ich zum damaligen Metropoliten von Leningrad, Nikodim, gegangen. Der hat mich aufmerksam angesehen und gesagt, weißt du, bei uns in der Sowjetunion gibt es viele Physiker, aber an Geistlichen mangelt es. Gehe gleich ins Seminar."
Kyrill gilt als dynamischer, intelligenter Mann, der ein modernes Russisch spricht und sogar der Rockmusik nicht abgeneigt ist. Er fährt gerne Bergski und liebt Autorennen. So mancher hält ihn deshalb für einen Liberalen. Dieser Einschätzung widerspricht der bekannte Moskauer Fernsehautor und Dokumentarfilmer Nikolaj Swanidze, der den neuen Patriarchen persönlich kennt.
"Er ist kein Liberaler. Weshalb meint man, dass jeder gebildete Mensch in Russland ein Liberaler ist? Das ist nicht so. Kyrill ist Mann mit einer ausgezeichneten europäischen Bildung, er spricht Fremdsprachen, ist ein sehr belesener Mensch, ein brillanter Redner, ein Polemiker. Ich kenne niemanden, weder in der Kirche, noch unter unseren Politikern, der in dieser Beziehung an ihn heranreicht. All das heißt nicht, dass er ein Liberaler ist. Aber natürlich gehört er nicht zu den kirchlichen Fundamentalisten. Doch von ihm radikale Reformen zu erwarten, das lohnt sich nicht. Er wird diesen Weg nicht gehen."
In der Fernsehsendung "Ohne Krawatte" wurde Kyrill vor zwei Jahren zu seiner Einstellung gegenüber der Homosexualität befragt.
"Das ist Sünde. Weshalb wir gegen Gay-Paraden sind? Weil das Propaganda ist und wenn die Machthaber diese Propaganda erlauben, dann wird sie im Bewusstsein der Massen zur Norm. Das ist dann zulässig und zugänglich – weshalb das also nicht ausprobieren? Dann können wir ja gleich Paraden von Drogensüchtigen mit Spritzen erlauben."
Kyrills Kritiker sehen in ihm einen patriotisch geprägten Mann. So ist etwa bekannt, dass er die russisch-orthodoxe Kirche gerne zur Staatskirche aufwerten würde. Das aber wäre eine Diskriminierung der anderen Konfessionen im Vielvölkerstaat Russland. Auf einem Rockkonzert im vergangenen Juli in Kiew bekam der damalige Metropolit Kyrill viel Beifall, als er auf der Bühne stand und das Jubiläum der Taufe der Heiligen Rus, also der Entstehung des Großrussentums feierte.
"Die Heilige Rus ist kein Imperium. Die Heilige Rus ist kein vergangenes oder zukünftiges Imperium. Die Heilige Rus ist das Ideal der Liebe, der Güte und der Wahrheit. Die Heilige Rus ist unbesiegbar. Die Heilige Rus ist Schönheit und Kraft. Wir alle zusammen sind die einige Heilige Rus."
Trotz seiner Nähe zum Kreml tritt Kyrill für die Unabhängigkeit von Staat und Kirche ein, wie sie die russische Verfassung festlegt. Das hat er gleich in seiner ersten Rede als Patriarch bekräftigt:
"Die Beziehungen zwischen Kirche und Staat sollten im Rahmen des gutwilligen Dialogs und der Zusammenarbeit auf verfassungsmäßiger Grundlage entwickelt werden, zum Wohl der Kirche und des Staates, zum Wohl des Volkes."
Vor dem neuen Patriarchen stehen in vieler Hinsicht große Herausforderungen, sagt Alexander Dworkin, Professor an der Orthodoxen Universität in Moskau.
"Kyrill muss eine goldene Mitte finden, um zu einer so verbindenden Figur zu werden wie sein Vorgänger Alexi. Auf der einen Seite gibt es die recht lauten Stimmen der Fundamentalisten, die jegliche Zusammenarbeit mit dem Staat ablehnen, weil sie als Form des orthodoxen Staates nur die Monarchie ansehen. Auf der anderen Seite gibt es am Rande der Kirche Reformer, die fordern, den Gottesdienst zu modernisieren und theologische Grundsätze neu zu bewerten. Beide Gruppen sind nicht groß, aber äußerst lautstark."
Andrej Kurajew, Professor an der Moskauer Geistlichen Akademie, ist davon überzeugt, dass die Wahl Kyrills für den russischen Staat ein Glücksfall ist, nicht zuletzt, weil auf Russland angesichts der Wirtschaftskrise schwere Zeiten zukommen.
"Der neue Patriarch ist ein Albtraum für den Kreml, weil Kyrill ein starker und kluger Mann ist und allein deshalb schon ein unabhängiger Mensch. Andererseits zweifele ich nicht daran, dass unsere Machthaber die Wahl Kyrills begrüßen. Denn sie sind auch kluge Leute und verstehen, dass unter den Umständen einer sozialen Krise, auf die wir uns hinbewegen, starke Verbündete für sie sehr wichtig sind."
Auch der Fernsehautor Nikolaj Swanidze schließt nicht aus, dass Patriarch Kyrill anders als sein Vorgänger Alexi in Russland politisches Gewicht bekommen könnte.
"Ich meine zwar nicht, dass er die Politik beeinflussen will. Doch das hängt davon ab, wie sich bei uns die Lage in den kommenden zwei Jahren entwickelt, wie sich die Krise auch auf sozialem Gebiet verschärft. Ich schließe nicht aus, dass sich der Kreml an ihn um Hilfe wenden wird, sollte es ganz schlimm kommen. Dass er dann als öffentlicher Psychotherapeut auftritt."
Bisher hat die russisch-orthodoxe Kirche ihre sozialen Tätigkeiten und die Diakonie stark vernachlässigt. Deshalb haben viele Gläubige ihr den Rücken gekehrt und sind zu anderen Konfessionen abgewandert. Ob sich das unter dem neuen Patriarchen ändern wird, muss die Zukunft zeigen.