Ein Liebestext auf Weltreise
Der Schriftsteller Urs Widmer hat einen Text über die erste Liebe vom Deutschen ins Spanische, Chinesische, Englische und zurück ins Deutsche übersetzen lassen. Ein Zeugnis dafür, was Sprache kann, wenn ein Autor sie singen lässt - zusammen mit anderer Prosa erschienen in "Stille Post".
"Stille Post" heißt das neue Bändchen mit kleiner Prosa des Schweizer Schriftstellers Urs Widmer. Das klingt nach Kindergeburtstag – und es ist in der Tat ein hübsches Spiel, das der Autor sich ausgedacht hat. Einen kleinen, "widmerfeinen" Text über die erste Liebe hat er geschrieben und übersetzen lassen.
Vom Deutschen ins Spanische, vom Spanischen ins Chinesische, vom Chinesischen ins Englische und irgendwann zurück ins Deutsche. Man ahnt das Ergebnis. Doppelsinn und Poesie des Stückes sind auf der Strecke geblieben. Die Worte haben ihr Leben verloren, ihre Melodie. Ein schönes Zeugnis dafür, was Sprache kann, wenn ein Autor sie singen lässt.
Neu ist in der Tat das Bändchen "Stille Post", doch die darin versammelte Prosa ist es meist nicht. Ein Großteil der Vignetten und Phantasien, der Betrachtungen und Fast-Geschichten wurde früher schon einmal veröffentlicht.
Nicht jedes Stück hätten wir ausgesucht, um als Kleinod wie neu zu glänzen zwischen zwei Buchdeckeln. Doch es gibt auch hier die hohe Kunst des Urs Widmer zu bewundern, uns so scheinbar leicht zu entführen in Sphären von Angst, Unsinn und Erkenntnis.
Wunderbar seine "Reise nach Istanbul", in der ein Mann - Frau und Kleinkind zurücklassend - aus dem Zug steigt, um schnell Zeitung und Zigaretten zu kaufen, dabei den Bahnhof verlässt und hört, wie sich in dem Moment eine Tür hinter ihm schließt, eine Tür ohne Griff.
Er schwebt, reist, hechelt nun durch Täler, Städte, Zeiten, durch Erinnerungen und Alpträume, trifft sich selbst als Kind, seine Eltern als Tote. Und als er endlich am Bahnsteig in Istanbul steht, um Frau und Kind abzuholen, erkennt er sie kaum, als sie auftauchen vor ihm. Seine Frau ist eine Greisin geworden, seine kleine Tochter eine Frau. Sie begrüßen sich, als sei alles normal. Was ja auch stimmt. Irgendwie. Sie sind angekommen, wo sie ankommen wollten.
Wie es halt ist im Leben. Ganz egal, wie das Erdentreiben uns beschenkt oder beutelt – irgendwann erreichen wir unweigerlich die Tore des Hades.
Möge uns Widmer kurz vorher noch einmal begegnen, der selbst Alpträume so famos fabulierend zu erzählen versteht, dass ein oberflächlicher Leser sich leicht täuschen lassen könnte von diesen flirrenden Texten.
Denn wenn Widmer wirklich weltwütend wird, dann lässt er seine Worte schon mal beängstigend munter durch die Zeilen hüpfen, um die Sinnlosigkeit von Gewalt oder Protz, die gefährliche Macht und Ohnmacht der Herrscher und Sklaven dieser Erde, die Ungerechtigkeit und Grausamkeit von Mensch und Gott ("Gott ist ein Raubvogel") aufzuzeigen und zu beklagen. Nicht lamentierend, nicht zynisch, das keineswegs. Widmer erweist sich auch hier als ein Meister der Ironie des Bösen.
Und als kluger Menschenfreund. Wie großartig seine kleine Fabel über Richard III, der in all seiner Grausamkeit immer in Angst lebt vor Rache und Hass und erst im Moment des Todes, im Augenblick der wundersamen Schwäche, erleichtert lächelt. Er ist frei. Kein belehrender knöcherner Zeigefinger, kein Pathos, kein sittlicher Appell. Und doch eine klare, eine zärtliche Botschaft.
Besprochen von Gabriele von Arnim
Urs Widmer: Stille Post. Kleine Prosa
Diogenes Verlag, Zürich 2011
176 Seiten, 19,90 Euro
Vom Deutschen ins Spanische, vom Spanischen ins Chinesische, vom Chinesischen ins Englische und irgendwann zurück ins Deutsche. Man ahnt das Ergebnis. Doppelsinn und Poesie des Stückes sind auf der Strecke geblieben. Die Worte haben ihr Leben verloren, ihre Melodie. Ein schönes Zeugnis dafür, was Sprache kann, wenn ein Autor sie singen lässt.
Neu ist in der Tat das Bändchen "Stille Post", doch die darin versammelte Prosa ist es meist nicht. Ein Großteil der Vignetten und Phantasien, der Betrachtungen und Fast-Geschichten wurde früher schon einmal veröffentlicht.
Nicht jedes Stück hätten wir ausgesucht, um als Kleinod wie neu zu glänzen zwischen zwei Buchdeckeln. Doch es gibt auch hier die hohe Kunst des Urs Widmer zu bewundern, uns so scheinbar leicht zu entführen in Sphären von Angst, Unsinn und Erkenntnis.
Wunderbar seine "Reise nach Istanbul", in der ein Mann - Frau und Kleinkind zurücklassend - aus dem Zug steigt, um schnell Zeitung und Zigaretten zu kaufen, dabei den Bahnhof verlässt und hört, wie sich in dem Moment eine Tür hinter ihm schließt, eine Tür ohne Griff.
Er schwebt, reist, hechelt nun durch Täler, Städte, Zeiten, durch Erinnerungen und Alpträume, trifft sich selbst als Kind, seine Eltern als Tote. Und als er endlich am Bahnsteig in Istanbul steht, um Frau und Kind abzuholen, erkennt er sie kaum, als sie auftauchen vor ihm. Seine Frau ist eine Greisin geworden, seine kleine Tochter eine Frau. Sie begrüßen sich, als sei alles normal. Was ja auch stimmt. Irgendwie. Sie sind angekommen, wo sie ankommen wollten.
Wie es halt ist im Leben. Ganz egal, wie das Erdentreiben uns beschenkt oder beutelt – irgendwann erreichen wir unweigerlich die Tore des Hades.
Möge uns Widmer kurz vorher noch einmal begegnen, der selbst Alpträume so famos fabulierend zu erzählen versteht, dass ein oberflächlicher Leser sich leicht täuschen lassen könnte von diesen flirrenden Texten.
Denn wenn Widmer wirklich weltwütend wird, dann lässt er seine Worte schon mal beängstigend munter durch die Zeilen hüpfen, um die Sinnlosigkeit von Gewalt oder Protz, die gefährliche Macht und Ohnmacht der Herrscher und Sklaven dieser Erde, die Ungerechtigkeit und Grausamkeit von Mensch und Gott ("Gott ist ein Raubvogel") aufzuzeigen und zu beklagen. Nicht lamentierend, nicht zynisch, das keineswegs. Widmer erweist sich auch hier als ein Meister der Ironie des Bösen.
Und als kluger Menschenfreund. Wie großartig seine kleine Fabel über Richard III, der in all seiner Grausamkeit immer in Angst lebt vor Rache und Hass und erst im Moment des Todes, im Augenblick der wundersamen Schwäche, erleichtert lächelt. Er ist frei. Kein belehrender knöcherner Zeigefinger, kein Pathos, kein sittlicher Appell. Und doch eine klare, eine zärtliche Botschaft.
Besprochen von Gabriele von Arnim
Urs Widmer: Stille Post. Kleine Prosa
Diogenes Verlag, Zürich 2011
176 Seiten, 19,90 Euro