Ein literarischer Handwerker
Mit Romanen wie "Gottes Werk und Teufels Beitrag" erreichte der US-Autor John Irving ein Millionenpublikum. Dennoch fühlt er sich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land. Jetzt wird Irving 70 Jahre alt. Ein Porträt.
Irving: "Vielleicht es ist besser auf Deutsch? Ich werde probieren."
John Irving wechselte dann doch lieber in seine Muttersprache, als er vor einiger Zeit auf Lesereise in Deutschland war.
Der untersetzte kleine Mann mit dichtem, eisgrauem Haar verschränkt die Arme vor der Brust und nimmt den Blick nicht vom Text. Er sucht keinen Kontakt zum Publikum. Als Autor schreckt Irving vor Tabubrüchen nicht zurück, im Privatleben aber scheint er übervorsichtig zu sein.
"Ich treibe meine Kinder in den Wahnsinn, weil ich immer versuche zu kontrollieren, was nächste Woche passiert oder die Woche danach. Es ist mir sehr wichtig zu wissen, was jeden Tag passiert. Ich schreibe das Ende eines Romans als erstes! Es muss fürchterlich sein, mit jemandem wie mir zu leben: Ich frage meine Frau jetzt, was wir im August machen."
Im Interview in Berlin war Irving freundlich und zugewandt. Er lebt mit seiner Frau, dem gemeinsamen Sohn und einer übergewichtigen Labradorhündin namens "Dickens" in den Bergen von Vermont, erzählte er. In einem riesigen, einsam gelegenen Haus mit silbergrauen Holzschindeln und voller Familienfotos. Von seinen zwei erwachsenen Söhnen aus erster Ehe hat er drei Enkelkinder.
"I don't go out of the house much. My own wrestling-room, my own gym is in the house, my office is in the house, I have a place where my assistant works, my wife does all the shopping.”"
Irving ist am liebsten zu Hause. Morgens um acht setzt er sich in sein penibel aufgeräumtes Arbeitszimmer und schreibt, langsam, mit der Hand. Mittags trainiert er im Fitnessraum, wo er sich immer noch täglich dem Ringen hingibt, seiner zweiten großen Leidenschaft neben dem Schreiben. Abends kocht er, meist Italienisch. Seine kanadische Frau ist Verlegerin - und erledigt die Einkäufe.
Ein ruhiges, beständiges Leben, quasi das Gegenteil der skurrilen Welt seiner Bücher, in der Tragisches und schreiend Komisches perfekt komponiert die Leser in Atem hält. Eine Welt, die von Bären und Ringern nur so strotzt - und von bizarrem Sex.
Wenn sich deswegen in den US-amerikanischen Feuilletons mal wieder großes Geschrei erhebt, fühlt er sich wie ein Fremder im eigenen Land.
""Wegen des konservativen kulturellen Klimas in den Vereinigten Staaten derzeit wird wohl jeder, der ein Buch schreibt oder einen Film macht, zusehen, noch einen oder zwei Schritte weiter zu gehen, in eine Richtung, von der man weiß, dass sie diese Art von Kritik hervorrufen wird. Es ist ein regelrechter Angriff auf Leute, die Sex in Romanen und in Filmen beschreiben! Als ob die Menschen nicht seit Jahrhunderten Sex hätten. Lass sie doch so viel Sex haben, wie sie wollen!"
Dass Kritiker den Romanen außerdem vorwerfen, sie seien zu unterhaltsam, um ernsthafte Literatur zu sein, kümmert ihn wenig. Irving betrachtet sich als Handwerker und nicht als Intellektueller.
Durch Irvings sämtliche Romane zieht sich ein Thema: verlorene Kinder und abwesende Eltern. Der Schriftsteller hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er seinen leiblichen Vater nicht kannte. Er kam am 2. März 1942 in Exeter, New Hampshire zur Welt - als John Wallace Blunt junior, aber die Eltern hatten sich noch vor seiner Geburt getrennt.
Die Mutter sprach nie über den Vater, weshalb John ihn sich immer wieder erfand, in jedem Buch neu. Als er sechs war, heiratete seine Mutter den warmherzigen Geschichtsprofessor Colin Irving, der John adoptierte und ihm seinen Namen gab.
Obwohl John Irving den Stiefvater sehr liebte, blieb der unbekannte Erzeuger eine nagende Leerstelle und psychischer Ursprung seines literarischen Schaffens.
In John Irvings bislang persönlichsten Roman "Bis ich Dich finde" von 2005 geht die Suche der Hauptfigur Jack Burns nach dem unbekannten Vater gut aus.
John Irving selbst aber musste vor einigen Jahren erfahren, dass er seinen leiblichen Vater nie kennenlernen wird.
"Für mich selbst ist es kein ganz so glückliches Ende. Denn als ein Bruder, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn hatte, im Dezember 2001 Kontakt zu mir aufnahm, war es schon zu spät: Mein Vater war gestorben, fünf Jahre bevor mein Bruder mich fand. Und darum gibt es immer noch viele Dinge, die ich nicht weiß. Es scheint so, dass er mich zumindest bei einer Gelegenheit hat ringen sehen. Wahrscheinlich ist er zu einem meiner Wettkämpfe gekommen. Aber dafür gibt es keinen Beweis. Und ich werde es nie erfahren. Wenn ihm klar war, dass ich John Irving der Schriftsteller bin, dann hat er es nie erwähnt. Und ich hätte diese Dinge immer gerne gewusst."
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Bestsellerautor ohne Starallüren: Zu John Irvings 70. Geburtstag kommt eine Hommage an den Schriftsteller ins Kino
Ein Roadmovie auf dem Weg zur persönlichen Geschichte - Kinostart: "John Irving, und wie er die Welt sieht"
John Irving wechselte dann doch lieber in seine Muttersprache, als er vor einiger Zeit auf Lesereise in Deutschland war.
Der untersetzte kleine Mann mit dichtem, eisgrauem Haar verschränkt die Arme vor der Brust und nimmt den Blick nicht vom Text. Er sucht keinen Kontakt zum Publikum. Als Autor schreckt Irving vor Tabubrüchen nicht zurück, im Privatleben aber scheint er übervorsichtig zu sein.
"Ich treibe meine Kinder in den Wahnsinn, weil ich immer versuche zu kontrollieren, was nächste Woche passiert oder die Woche danach. Es ist mir sehr wichtig zu wissen, was jeden Tag passiert. Ich schreibe das Ende eines Romans als erstes! Es muss fürchterlich sein, mit jemandem wie mir zu leben: Ich frage meine Frau jetzt, was wir im August machen."
Im Interview in Berlin war Irving freundlich und zugewandt. Er lebt mit seiner Frau, dem gemeinsamen Sohn und einer übergewichtigen Labradorhündin namens "Dickens" in den Bergen von Vermont, erzählte er. In einem riesigen, einsam gelegenen Haus mit silbergrauen Holzschindeln und voller Familienfotos. Von seinen zwei erwachsenen Söhnen aus erster Ehe hat er drei Enkelkinder.
"I don't go out of the house much. My own wrestling-room, my own gym is in the house, my office is in the house, I have a place where my assistant works, my wife does all the shopping.”"
Irving ist am liebsten zu Hause. Morgens um acht setzt er sich in sein penibel aufgeräumtes Arbeitszimmer und schreibt, langsam, mit der Hand. Mittags trainiert er im Fitnessraum, wo er sich immer noch täglich dem Ringen hingibt, seiner zweiten großen Leidenschaft neben dem Schreiben. Abends kocht er, meist Italienisch. Seine kanadische Frau ist Verlegerin - und erledigt die Einkäufe.
Ein ruhiges, beständiges Leben, quasi das Gegenteil der skurrilen Welt seiner Bücher, in der Tragisches und schreiend Komisches perfekt komponiert die Leser in Atem hält. Eine Welt, die von Bären und Ringern nur so strotzt - und von bizarrem Sex.
Wenn sich deswegen in den US-amerikanischen Feuilletons mal wieder großes Geschrei erhebt, fühlt er sich wie ein Fremder im eigenen Land.
""Wegen des konservativen kulturellen Klimas in den Vereinigten Staaten derzeit wird wohl jeder, der ein Buch schreibt oder einen Film macht, zusehen, noch einen oder zwei Schritte weiter zu gehen, in eine Richtung, von der man weiß, dass sie diese Art von Kritik hervorrufen wird. Es ist ein regelrechter Angriff auf Leute, die Sex in Romanen und in Filmen beschreiben! Als ob die Menschen nicht seit Jahrhunderten Sex hätten. Lass sie doch so viel Sex haben, wie sie wollen!"
Dass Kritiker den Romanen außerdem vorwerfen, sie seien zu unterhaltsam, um ernsthafte Literatur zu sein, kümmert ihn wenig. Irving betrachtet sich als Handwerker und nicht als Intellektueller.
Durch Irvings sämtliche Romane zieht sich ein Thema: verlorene Kinder und abwesende Eltern. Der Schriftsteller hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er seinen leiblichen Vater nicht kannte. Er kam am 2. März 1942 in Exeter, New Hampshire zur Welt - als John Wallace Blunt junior, aber die Eltern hatten sich noch vor seiner Geburt getrennt.
Die Mutter sprach nie über den Vater, weshalb John ihn sich immer wieder erfand, in jedem Buch neu. Als er sechs war, heiratete seine Mutter den warmherzigen Geschichtsprofessor Colin Irving, der John adoptierte und ihm seinen Namen gab.
Obwohl John Irving den Stiefvater sehr liebte, blieb der unbekannte Erzeuger eine nagende Leerstelle und psychischer Ursprung seines literarischen Schaffens.
In John Irvings bislang persönlichsten Roman "Bis ich Dich finde" von 2005 geht die Suche der Hauptfigur Jack Burns nach dem unbekannten Vater gut aus.
John Irving selbst aber musste vor einigen Jahren erfahren, dass er seinen leiblichen Vater nie kennenlernen wird.
"Für mich selbst ist es kein ganz so glückliches Ende. Denn als ein Bruder, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn hatte, im Dezember 2001 Kontakt zu mir aufnahm, war es schon zu spät: Mein Vater war gestorben, fünf Jahre bevor mein Bruder mich fand. Und darum gibt es immer noch viele Dinge, die ich nicht weiß. Es scheint so, dass er mich zumindest bei einer Gelegenheit hat ringen sehen. Wahrscheinlich ist er zu einem meiner Wettkämpfe gekommen. Aber dafür gibt es keinen Beweis. Und ich werde es nie erfahren. Wenn ihm klar war, dass ich John Irving der Schriftsteller bin, dann hat er es nie erwähnt. Und ich hätte diese Dinge immer gerne gewusst."
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