Ein Mann, der jeden Zettel aufhob
In dieser umfassenden Biografie über den französischen Philosophen Jacques Derrida - den Denker der "Dekonstruktion" - erfährt der Leser, dass dieser ein brillanter Fußballer war und hervorragend pokern konnte. Rekonstruiert wird das Leben des Franzosen aus 100 Interviews mit Kollegen, Freunden, Studenten und Verwandten sowie mithilfe seines Nachlasses.
Jacques Derrida gilt als Begründer und als wichtigster Vertreter der "Dekonstruktion". Dass der 1930 in Algier geborene Philosoph, Autor von 80 Büchern, es meisterhaft verstand, die Oberfläche philosophischer und poetischer Texte zu durchbrechen, ist bekannt. Dass er als Jugendlicher aber auch ein brillanter Fußballer war und bereits Pokern konnte, noch bevor er lesen lernte, das erfährt man nun aus Benoît Peeters umfassender Biografie.
Zwei Erfahrungen, die den Philosophen geprägt haben, hebt Peeters besonders hervor. Als Zwölfjähriger wurde der aus einem jüdischen Elternhaus stammende Derrida vom Gymnasium von Ben Aknoun verwiesen. Grund war ein vom Rektor willkürlich festgelegter Numerus Clausus, der vorschrieb, wie viele jüdische Schüler es in einer Klasse geben durfte. Eine ähnliche Zäsur stellte Derridas Inhaftierung 1981 in Prag dar. Unter falschem Vorwand wurde er am 30. Dezember verhaftet und erst nach massivem Protest der französischen Regierung kam er am 1. Januar wieder frei. "Ob man mich von der Schule oder ins Gefängnis warf", so Derrida, "ich glaubte stets, der andere müsse gute Gründe haben, mich anzuklagen".
Eine These, ob sich diese Verletzungen und dieses Schuldbewusstsein eventuell in seinem philosophischen Denken niedergeschlagen haben, wagt Peeters allerdings nicht. Ebenso zurückhaltend ist er, was die Deutung von Derridas Schriften anbelangt. Er beschränkt sich darauf, sie in dessen Vita zu verorten und ihre Rezeption zu beschreiben. Eine Einführung in die Philosophie Derridas will diese Biografie, so Peeters, nicht leisten. Dadurch bleibt sie aber auf einen Leserkreis ausgerichtet, der mit Derridas Schriften vertraut ist.
Minutiös hingegen wird in dem chronologisch aufgebauten Buch Derridas Werdegang beschrieben. Peeters gliedert die Biografie in drei Teile: "Jackie 1930 – 1962", heißt der erste Teil, der auf einen Wendepunkt in Derridas Leben hinausläuft: 1962 verzichtete der Philosoph mit dem Erscheinen seiner ersten Veröffentlichung "Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie" auf seinen Vornamen Jackie und nahm den Namen Jacques an. Seine Adoleszenz, so interpretierte Derrida sich selbst, dauerte zweiunddreißig Jahre. Sie endete im gleichen Jahr, in dem Algerien seine Unabhängigkeit erlangte.
Was sich in Derridas Leben zwischen Wiege und Tod ereignet hat – kostspielige Probleme mit dem Auto werden ebenso erwähnt wie Derridas besondere Aufmerksamkeit gegenüber der Sprache –, beschreibt Peeters ausführlich. Etwa 100 Interviews hat er mit Derridas Kollegen, Freunden, Studenten und Verwandten geführt, und er hat auch dessen Nachlass eingesehen. Da Derrida jeden von ihm beschriebenen Zettel aufgehoben hat, war dies eine zeitaufwendige Arbeit. Entstanden ist ein umfassendes biografisches Bild, das zurate ziehen muss, wer etwas über den Menschen Derrida, seine Arbeit und die Rezeption seines Werkes erfahren will.
Zwei Erfahrungen, die den Philosophen geprägt haben, hebt Peeters besonders hervor. Als Zwölfjähriger wurde der aus einem jüdischen Elternhaus stammende Derrida vom Gymnasium von Ben Aknoun verwiesen. Grund war ein vom Rektor willkürlich festgelegter Numerus Clausus, der vorschrieb, wie viele jüdische Schüler es in einer Klasse geben durfte. Eine ähnliche Zäsur stellte Derridas Inhaftierung 1981 in Prag dar. Unter falschem Vorwand wurde er am 30. Dezember verhaftet und erst nach massivem Protest der französischen Regierung kam er am 1. Januar wieder frei. "Ob man mich von der Schule oder ins Gefängnis warf", so Derrida, "ich glaubte stets, der andere müsse gute Gründe haben, mich anzuklagen".
Eine These, ob sich diese Verletzungen und dieses Schuldbewusstsein eventuell in seinem philosophischen Denken niedergeschlagen haben, wagt Peeters allerdings nicht. Ebenso zurückhaltend ist er, was die Deutung von Derridas Schriften anbelangt. Er beschränkt sich darauf, sie in dessen Vita zu verorten und ihre Rezeption zu beschreiben. Eine Einführung in die Philosophie Derridas will diese Biografie, so Peeters, nicht leisten. Dadurch bleibt sie aber auf einen Leserkreis ausgerichtet, der mit Derridas Schriften vertraut ist.
Minutiös hingegen wird in dem chronologisch aufgebauten Buch Derridas Werdegang beschrieben. Peeters gliedert die Biografie in drei Teile: "Jackie 1930 – 1962", heißt der erste Teil, der auf einen Wendepunkt in Derridas Leben hinausläuft: 1962 verzichtete der Philosoph mit dem Erscheinen seiner ersten Veröffentlichung "Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie" auf seinen Vornamen Jackie und nahm den Namen Jacques an. Seine Adoleszenz, so interpretierte Derrida sich selbst, dauerte zweiunddreißig Jahre. Sie endete im gleichen Jahr, in dem Algerien seine Unabhängigkeit erlangte.
Was sich in Derridas Leben zwischen Wiege und Tod ereignet hat – kostspielige Probleme mit dem Auto werden ebenso erwähnt wie Derridas besondere Aufmerksamkeit gegenüber der Sprache –, beschreibt Peeters ausführlich. Etwa 100 Interviews hat er mit Derridas Kollegen, Freunden, Studenten und Verwandten geführt, und er hat auch dessen Nachlass eingesehen. Da Derrida jeden von ihm beschriebenen Zettel aufgehoben hat, war dies eine zeitaufwendige Arbeit. Entstanden ist ein umfassendes biografisches Bild, das zurate ziehen muss, wer etwas über den Menschen Derrida, seine Arbeit und die Rezeption seines Werkes erfahren will.
Benoît Peeters: Derrida - Eine Biografie
Aus dem Französischen von Horst Brühmann
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013
935 Seiten, 39,95 Euro
Aus dem Französischen von Horst Brühmann
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013
935 Seiten, 39,95 Euro