Ein Mann im beständigen Zustand des Werdens
Alan Posener lässt sich in seiner Kennedy-Biografie vom Phänomen JFK weder blenden, noch demontiert er es. Oliver Lubrich zeigt in der Zusammenstellung der Reisetagebücher Kennedys, wie sich der spätere US-Präsident vom Dandy zum politisch denkenden Menschen entwickelte.
Zwei präsidiale Notizen, beide in Berliner Reden, gingen in die Geschichte ein:
"Mister Gorbatshev, tear down this wall." Diesen Satz hatte Ronald Reagan gegen den Willen seiner engsten Berater noch per Hand in das Manuskript seiner Rede vom 12. Juni 1987 eingefügt. John F. Kennedys berühmtes "Isch bin ein Berliner", mit dem er vor 50 Jahren, am 26. Juni 1963, seine Rede vor dem Schöneberger Rathaus beendete, steht auf einem unscheinbaren Zettelchen. In Lautschrift. Kennedy war sprachunbegabt.
Beide Präsidenten waren in Deutschland zunächst nicht sehr beliebt. Reagan galt als hohler Schauspieler. Kennedy als der Mann, der den Bau der Mauer in Berlin ohne Gegenwehr hingenommen hatte und auf dessen Solidaritätsbesuch man zwei Jahre vergeblich wartete. Wie und warum aber konnte Kennedy die grundskeptischen Berliner zum Jubeln bewegen? Der Publizist Alan Posener hat dafür eine Erklärung:
"Zum Teil wohl deshalb, weil der junge, charismatische Präsident auch in Deutschland, besonders bei den jungen Deutschen, jenes unbestimmte Gefühl von Zukunft und Aufbruch mobilisiert, das zu Beginn der Sechzigerjahre nicht nur in Amerika in der Luft liegt. Mit seiner jugendlichen Ausstrahlung verkörpert Kennedy den deutschen Traum von Amerika. Neben ihm wirken de Gaulle und Adenauer wie Relikte einer anderen Zeit."
Kaum ein anderer amerikanischer Präsident bewegt die Fantasie der Menschen auch fast fünfzig Jahre nach seiner Ermordung so sehr wie John F. Kennedy. Das ist nicht allein seiner gewaltsam beendeten Präsidentschaft geschuldet oder der Tatsache, dass mit ihm das PR-Zeitalter der Politik begann und Kennedy im neuen Medium Fernsehen zu wirken wusste; dass der irische Katholik die Vormacht der protestantischen Anglosachsen brach und damit zum Hoffnungssymbol für andere Minderheiten in den USA wurde; oder dass er einer ehrgeizigen Dynastie entstammt, die den amerikanischen Traum vom armen Einwanderer bis zum Präsidenten verkörpert wie kaum eine zweite. Was an Kennedy am meisten fasziniert: Er ist ohne Zweifel schon als junger Mann eine interessante Persönlichkeit. Aber er ist eben nicht nur – er befindet sich in einem beständigen Zustand des Werdens.
"Mister Gorbatshev, tear down this wall." Diesen Satz hatte Ronald Reagan gegen den Willen seiner engsten Berater noch per Hand in das Manuskript seiner Rede vom 12. Juni 1987 eingefügt. John F. Kennedys berühmtes "Isch bin ein Berliner", mit dem er vor 50 Jahren, am 26. Juni 1963, seine Rede vor dem Schöneberger Rathaus beendete, steht auf einem unscheinbaren Zettelchen. In Lautschrift. Kennedy war sprachunbegabt.
Beide Präsidenten waren in Deutschland zunächst nicht sehr beliebt. Reagan galt als hohler Schauspieler. Kennedy als der Mann, der den Bau der Mauer in Berlin ohne Gegenwehr hingenommen hatte und auf dessen Solidaritätsbesuch man zwei Jahre vergeblich wartete. Wie und warum aber konnte Kennedy die grundskeptischen Berliner zum Jubeln bewegen? Der Publizist Alan Posener hat dafür eine Erklärung:
"Zum Teil wohl deshalb, weil der junge, charismatische Präsident auch in Deutschland, besonders bei den jungen Deutschen, jenes unbestimmte Gefühl von Zukunft und Aufbruch mobilisiert, das zu Beginn der Sechzigerjahre nicht nur in Amerika in der Luft liegt. Mit seiner jugendlichen Ausstrahlung verkörpert Kennedy den deutschen Traum von Amerika. Neben ihm wirken de Gaulle und Adenauer wie Relikte einer anderen Zeit."
Kaum ein anderer amerikanischer Präsident bewegt die Fantasie der Menschen auch fast fünfzig Jahre nach seiner Ermordung so sehr wie John F. Kennedy. Das ist nicht allein seiner gewaltsam beendeten Präsidentschaft geschuldet oder der Tatsache, dass mit ihm das PR-Zeitalter der Politik begann und Kennedy im neuen Medium Fernsehen zu wirken wusste; dass der irische Katholik die Vormacht der protestantischen Anglosachsen brach und damit zum Hoffnungssymbol für andere Minderheiten in den USA wurde; oder dass er einer ehrgeizigen Dynastie entstammt, die den amerikanischen Traum vom armen Einwanderer bis zum Präsidenten verkörpert wie kaum eine zweite. Was an Kennedy am meisten fasziniert: Er ist ohne Zweifel schon als junger Mann eine interessante Persönlichkeit. Aber er ist eben nicht nur – er befindet sich in einem beständigen Zustand des Werdens.
Anfangs fehlte es ihm an politischer Beobachtungsgabe
Der Germanist Oliver Lubrich veröffentlicht die jüngst erst aufgetauchten Reisetagebücher und Briefe des ganz jungen Kennedy. 1937 als Freshman, also in seinem ersten Collegejahr bereist Kennedy mit einem engen Freund Frankreich, Italien und Deutschland. Damals ist er ein etwas dandyhafter Schlacks, der mehr an Mädchen als an Politik interessiert zu sein scheint und dem es, was er durchaus selbst zu ahnen beginnt, an politischer Beobachtungsgabe weitgehend fehlt.
"Zwischenstopp in Garmisch, wo die Olympischen Spiele stattgefunden hatten, dann nach Oberammergau, wo ich den Christus sah – Anton Lang. Kamen gegen acht in München an und gingen gleich ins Hofbräuhaus, was sehr interessant war. Hitler scheint so beliebt zu sein wie Mussolini in Italien, wenngleich Propaganda seine stärkste Waffe ist."
Zwei Jahre später, während seines Aufenthalts kurz vor Kriegsausbruch 1939, ist er politisch schon gebildeter, sieht genauer hin, ja, er verfasst unter dem Titel "Why England slept" sogar ein Buch über die Appeasement-Politik Großbritanniens, das recht erfolgreich wird.
Ende Juli 1945 ist er bereits mit einer amerikanischen Delegation unterwegs. Er hat einer chronischen Krankheit zum Trotz, die ihm wegen falscher Behandlung zeit seines Lebens beinahe unerträgliche Rückenschmerzen verursachen wird, im Zweiten Weltkrieg gedient. Und er wird diese Erfahrungen niemals heroisieren – obgleich er selbst als Held gefeiert wurde. Jetzt, 1945, sehen wir einen jungen Mann, der aus seinen Beobachtungen ganz eigene Schlussfolgerungen zieht:
"Was politische Betätigung betrifft, sind uns die Russen voraus – sie öffneten Schulen, sie geben Zeitungen heraus, wir dagegen tun nichts dergleichen. Uns scheint eine klare politische Linie zu fehlen. Ich persönlich denke, dass die Russen noch einen weiten Weg vor sich haben, bis sie den furchtbaren ersten Eindruck, den sie bei den Berlinern hinterlassen haben, aus deren Erinnerung löschen können. Daher wird jede Betätigung, die unmittelbar von Moskau getragen wird, große Schwierigkeiten haben, bei den Deutschen breite öffentliche Unterstützung zu finden".
Wäre der älteste Bruder Joseph Junior, auserkorener Erbe des hoch ambitionierten Millionärs, Finanziers und amerikanischen Botschafters Joseph Kennedy Senior, nicht im Krieg gefallen, es wäre aus John Fitzgerald vermutlich ein recht erfolgreicher Journalist geworden. Doch nach dem Tod des Bruders ist er der Nächste in der Reihe. Er muss er die Vorstellungen des Vaters verwirklichen, er muss den ultimativen Härtetest bestehen und in die Politik.
Er macht gigantische Fehler - und lernt daraus
Er arbeitet hart, aber er ist alles andere als gehärtet in seinen Ansichten. Man fasst ihn schlecht, er will in keine Kategorie passen. Er ist Anti-Kommunist, aber nicht, weil er ein so glühender Anhänger der Freiheit des Individuums ist. Dazu ist er zu elitär, zu sehr Spross etablierter Klasse. Er ist etabliert, aber dennoch Sehnsuchtstraum all jener, die eben nicht zur Elite der "Wasps" gehören, die in der amerikanischen Gesellschaft nicht gänzlich angekommen sind. Anders als der von der Kennedy-Truppe als old fashioned verspottete Vizepräsident Johnson, ist er nie ein von Herzen überzeugter Bürgerrechtler.
Er macht gigantische Fehler. Sich auf die Informationen des Geheimdienstes CIA zu verlassen und eine Invasion Kubas in der Schweinebucht zu wagen, die grandios scheitert, dieser Fehler gehört zu seinen größten. Aber er, der immer im Werden begriffen ist, lernt daraus. In der Kubakrise lässt er sich von Militärs und Geheimdiensten nichts mehr vorschreiben und gewinnt das Pokerspiel mit dem Staats- und Parteichef der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow.
Er verkörpert den amerikanischen Traum, was ihn ja vor allem den jungen Deutschen so nah brachte, und versteht doch nie ganz die Stärke der Demokratie.
Aus Alan Poseners Buch "John F. Kennedy": "Was er – und mit ihm fast die gesamte politische Klasse des Westens – nicht begreift, ist, dass Amerika durch die Revolten der 1960er-Jahre an moralischer Statur nicht verliert, sondern gewinnt, weil die demokratische Gesellschaft beweist, dass sie zur Selbstkorrektur fähig ist. Ruhe ist nur in autokratischen Systemen erste Bürgerpflicht. Wie die meisten weißen Amerikaner Anfang der Sechzigerjahre versteht Kennedy bei aller Sympathie für die Bürgerrechte ihre Dringlichkeit nicht."
Poseners Buch ist eher biografische Skizze als historiografisches Ölgemälde. Er erschließt Kennedy auch mithilfe neuer Quellen – aber die wären nicht einmal ausschlaggebend. Die Stärke seines Buches liegt nicht in der Neuheit oder der Fülle des Materials. Es liegt in der Fähigkeit, sich weder von der Figur Kennedy blenden zu lassen, noch sie zu demontieren. Vielmehr wird klar: Kennedy fasziniert, denn er war – und er blieb – ein immerwährendes Versprechen.
Alan Posener: John F. Kennedy. Biographie
Rowohlt Verlag, Reinbek 2013
200 Seiten, 18,95 Euro
Rowohlt Verlag, Reinbek 2013
200 Seiten, 18,95 Euro
Oliver Lubrich (Hg.): John F. Kennedy – Unter Deutschen. Reisetagebücher und Briefe 1937-1945
Aus dem Amerikanischen von Carina Tessari
Aufbau-Verlag, Berlin 2013
256 Seiten, 22,99 Euro, auch als E-Book erhältlich
Aus dem Amerikanischen von Carina Tessari
Aufbau-Verlag, Berlin 2013
256 Seiten, 22,99 Euro, auch als E-Book erhältlich