Ein Meister des Politthrillers
Einen Goldenen Bären hat Constantin Costa-Gavras schon. 1990 wurde der griechisch-französische Regisseur für seinen Film "Music Box" ausgezeichnet. Bei der diesjährigen Berlinale fungiert der 74-Jährige nun als Jury-Präsident.
Gott sei dank ist er längst kein Streitfall mehr. Vorbei sind die Zeiten, da man sich noch als Pinochet-Anhänger beschimpfen lassen musste, weil man "Vermisst" zu manipulativ und reißbrettartig fand. Der Grundimpuls seiner Spielart der filmischen Anklage war stets die Eindeutigkeit. Die Welt lässt sich bei ihm spielend leicht aufteilen in Gute und Böse; letztere, etwa die Obristen in "Z", sind augenblicklich zu erkennen, so unzweifelhaft ist ihnen die Boshaftigkeit bereits ins Gesicht geschrieben. Dennoch stecken seine Filme voller Ambivalenzen. Und ihre Paranoia hat sich zumeist als hellsichtig erwiesen.
Neben Francesco Rosi, dem die Berlinale eine Hommage widmet, gehört der diesjährige Jurypräsident Constantin Costa-Gavras zu den wichtigsten internationalen Protagonisten des Politthrillers. Seine Filme sind eine brisante Mischung aus Verschwörung, Korruption und persönlicher Betroffenheit. Klassiker wie "Z", "Der unsichtbare Aufstand" und seine Verfilmung von Rolf Hochhuths Drama "Der Stellvertreter" erzählen von der Rebellion des Individuums gegen ein Unrechtssystem. Dabei setzte er selten ideologische Scheuklappen auf, spürte den Verfehlungen aller politischen Lager nach. "Das Geständnis" ist eine schonungslose Chronik der stalinistischen Säuberungsaktionen. Noch heute ist er ein Unentwegter, der darauf besteht, dass das Kino von politischen und sozialen Konflikten erzählen muss, die sonst durch das grobmaschige Netz der reinen Unterhaltung fallen würden. Seine Filme beziehen ihre beklemmende Wirkung daraus, dass sie einer eindringlichen Spannungsdramaturgie gehorchen.
"Die Zuschauer gehen nicht ins Kino, um dort über Ästhetik, Politik oder Geschichte belehrt zu werden. Sie wollen von einem Drama unterhalten und gefesselt werden. Für mich muss aber die Aussage, der Inhalt eines Films ein starkes Gewicht haben. Die Werke, die im Kino und im Theater Bestand haben, erzählen von Menschen, von ihrer Psychologie und ihrer gesellschaftlichen Situation. Die Idee des 'L’art pour l’art' irritiert mich. Man macht Filme nicht um ihrer selbst willen, sondern für die Zuschauer."
"Vermisst" demonstriert mustergültig, welche Brücken er den Zuschauern baut, damit sie sich auch auf unbequeme Wahrheiten einlassen. Weichgezeichnete, farbenfrohe Bilder ziehen sie in die Geschichte hinein. Erst allmählich bricht die grimmige Realität der chilenischen Vernichtungslager in die mulmige Idylle ein. Costa-Gavras erschließt dem amerikanischen Publikum die Zerrissenheit der eigenen Nation als Generationenkonflikt, bei dem Jack Lemmon die Rolle des lernfähigen Konservativen und seine Schwiegertochter Sissy Spacek die der treuherzigen Liberalen spielt. Lemmon ist eine kongeniale Besetzung, ein Treuhänder amerikanischer Rechtschaffenheit, der der Moral Majority auch dann geheuer bleiben kann, als er inmitten der Leichenberge eines fremden Landes das Vertrauen in die Grundwerte des eigenen verliert. Das State Department veröffentlichte übrigens zum ersten Mal in seiner Geschichte vor dem Start des Films ein rabiates Dementi: Tatsächlich, es gab einmal eine Zeit, in der Washington Hollywoodfilme noch zu fürchten hatte.
Der in Griechenland geborene Costa-Gavras, der während der Berlinale seinen 75. Geburtstag feiert, ging schon in jungen Jahren nach Paris, wo er an der Sorbonne studierte und später zur Filmhochschule ging. Im Filmgeschäft debütierte er als Assistent berühmter Regisseure wie René Clair und Jacques Demy, bevor er 1965 seinen ersten eigenen Film realisierte, den Thriller "Mord im Fahrpreis inbegriffen". Seither erhielt er weltweit zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1990 einen "Goldenen Bären" für "Music Box". Er hat allerdings lange gezögert, selbst an Festivaljurys teilzunehmen.
"Eine Jury läuft ständig Gefahr, sich zu irren, denn ihr Urteil hängt immer von den Empfindungen des Augenblicks ab. Man fällt sie aus einer spezifischen Atmosphäre heraus, die abhängen kann von dem aktuellen politischen Klima oder der Stimmung der Jurymitglieder. Es gibt Filme, die uns in einem bestimmten Moment unseres Lebens tief berühren, aber 10, 15 Jahre später ihre Wirkung verlieren. Nur wenige Geschichten halten der Zeit stand."
Seine eigenen Filme bestehen diesen Test oft überraschend gut. Beim erneuten Sehen offenbaren sie ungeahnte Nuancen, vor allem in jenen Szenen, die sacht aus dem Plot ausscheren und die Figuren für einen Moment einfach nur sich selbst überlassen: Etwa, wenn Yves Montand in "Z" oder Jack Lemmon in "Vermisst" in fremden Hotelzimmern die Fotos ihrer Familie aufstellen, oder wenn Jessica Lange in "Music Box" gedankenverloren den Sitz ihrer Nylonstrümpfe begutachtet.
Costa-Gavras entpuppt sich im Gespräch als ein wirklicher Cinéphiler, als ein unvermindert neugieriger und leidenschaftlicher Kinogänger. In den 80er Jahren leitete er als Präsident die "Cinémathèque française" und hat diesen Posten im letzten Sommer erneut übernommen. Dort engagiert er sich für die Bewahrung des Filmerbes und für ihre Vermittlung an das junge Publikum. Einen neuen, eigenen Film bereitet er auch gerade vor. Dessen Hauptfigur erinnert ein wenig an den Regisseur selbst.
"Es wird ein Roadmovie, in dem ich die Geschichte eines jungen Mannes erzähle, der um jeden Preis nach Paris will. Man weiß nicht genau, woher er stammt. Er überquert das Mittelmeer, reist durch Italien, Österreich und Deutschland. Als er in Paris ankommt, hat er eine Reihe von Abenteuern erlebt, die ein Spiegelbild des Problems der Migration in unserer westlichen Welt sind. Der Arbeitstitel lautet dementsprechend: 'Eden im Westen'."
Neben Francesco Rosi, dem die Berlinale eine Hommage widmet, gehört der diesjährige Jurypräsident Constantin Costa-Gavras zu den wichtigsten internationalen Protagonisten des Politthrillers. Seine Filme sind eine brisante Mischung aus Verschwörung, Korruption und persönlicher Betroffenheit. Klassiker wie "Z", "Der unsichtbare Aufstand" und seine Verfilmung von Rolf Hochhuths Drama "Der Stellvertreter" erzählen von der Rebellion des Individuums gegen ein Unrechtssystem. Dabei setzte er selten ideologische Scheuklappen auf, spürte den Verfehlungen aller politischen Lager nach. "Das Geständnis" ist eine schonungslose Chronik der stalinistischen Säuberungsaktionen. Noch heute ist er ein Unentwegter, der darauf besteht, dass das Kino von politischen und sozialen Konflikten erzählen muss, die sonst durch das grobmaschige Netz der reinen Unterhaltung fallen würden. Seine Filme beziehen ihre beklemmende Wirkung daraus, dass sie einer eindringlichen Spannungsdramaturgie gehorchen.
"Die Zuschauer gehen nicht ins Kino, um dort über Ästhetik, Politik oder Geschichte belehrt zu werden. Sie wollen von einem Drama unterhalten und gefesselt werden. Für mich muss aber die Aussage, der Inhalt eines Films ein starkes Gewicht haben. Die Werke, die im Kino und im Theater Bestand haben, erzählen von Menschen, von ihrer Psychologie und ihrer gesellschaftlichen Situation. Die Idee des 'L’art pour l’art' irritiert mich. Man macht Filme nicht um ihrer selbst willen, sondern für die Zuschauer."
"Vermisst" demonstriert mustergültig, welche Brücken er den Zuschauern baut, damit sie sich auch auf unbequeme Wahrheiten einlassen. Weichgezeichnete, farbenfrohe Bilder ziehen sie in die Geschichte hinein. Erst allmählich bricht die grimmige Realität der chilenischen Vernichtungslager in die mulmige Idylle ein. Costa-Gavras erschließt dem amerikanischen Publikum die Zerrissenheit der eigenen Nation als Generationenkonflikt, bei dem Jack Lemmon die Rolle des lernfähigen Konservativen und seine Schwiegertochter Sissy Spacek die der treuherzigen Liberalen spielt. Lemmon ist eine kongeniale Besetzung, ein Treuhänder amerikanischer Rechtschaffenheit, der der Moral Majority auch dann geheuer bleiben kann, als er inmitten der Leichenberge eines fremden Landes das Vertrauen in die Grundwerte des eigenen verliert. Das State Department veröffentlichte übrigens zum ersten Mal in seiner Geschichte vor dem Start des Films ein rabiates Dementi: Tatsächlich, es gab einmal eine Zeit, in der Washington Hollywoodfilme noch zu fürchten hatte.
Der in Griechenland geborene Costa-Gavras, der während der Berlinale seinen 75. Geburtstag feiert, ging schon in jungen Jahren nach Paris, wo er an der Sorbonne studierte und später zur Filmhochschule ging. Im Filmgeschäft debütierte er als Assistent berühmter Regisseure wie René Clair und Jacques Demy, bevor er 1965 seinen ersten eigenen Film realisierte, den Thriller "Mord im Fahrpreis inbegriffen". Seither erhielt er weltweit zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1990 einen "Goldenen Bären" für "Music Box". Er hat allerdings lange gezögert, selbst an Festivaljurys teilzunehmen.
"Eine Jury läuft ständig Gefahr, sich zu irren, denn ihr Urteil hängt immer von den Empfindungen des Augenblicks ab. Man fällt sie aus einer spezifischen Atmosphäre heraus, die abhängen kann von dem aktuellen politischen Klima oder der Stimmung der Jurymitglieder. Es gibt Filme, die uns in einem bestimmten Moment unseres Lebens tief berühren, aber 10, 15 Jahre später ihre Wirkung verlieren. Nur wenige Geschichten halten der Zeit stand."
Seine eigenen Filme bestehen diesen Test oft überraschend gut. Beim erneuten Sehen offenbaren sie ungeahnte Nuancen, vor allem in jenen Szenen, die sacht aus dem Plot ausscheren und die Figuren für einen Moment einfach nur sich selbst überlassen: Etwa, wenn Yves Montand in "Z" oder Jack Lemmon in "Vermisst" in fremden Hotelzimmern die Fotos ihrer Familie aufstellen, oder wenn Jessica Lange in "Music Box" gedankenverloren den Sitz ihrer Nylonstrümpfe begutachtet.
Costa-Gavras entpuppt sich im Gespräch als ein wirklicher Cinéphiler, als ein unvermindert neugieriger und leidenschaftlicher Kinogänger. In den 80er Jahren leitete er als Präsident die "Cinémathèque française" und hat diesen Posten im letzten Sommer erneut übernommen. Dort engagiert er sich für die Bewahrung des Filmerbes und für ihre Vermittlung an das junge Publikum. Einen neuen, eigenen Film bereitet er auch gerade vor. Dessen Hauptfigur erinnert ein wenig an den Regisseur selbst.
"Es wird ein Roadmovie, in dem ich die Geschichte eines jungen Mannes erzähle, der um jeden Preis nach Paris will. Man weiß nicht genau, woher er stammt. Er überquert das Mittelmeer, reist durch Italien, Österreich und Deutschland. Als er in Paris ankommt, hat er eine Reihe von Abenteuern erlebt, die ein Spiegelbild des Problems der Migration in unserer westlichen Welt sind. Der Arbeitstitel lautet dementsprechend: 'Eden im Westen'."