Ein moderner Maler
Lotto war "der erste italienische Maler, der sich seelischen Gefühlszuständen gegenüber sensibel zeigte", schrieb der Kunsthistoriker Bernard Berenson. Eine große Schau in Rom zeigt, wie real seine Geschöpfe wirken, da sie einen zutiefst individuellen Ausdruck haben.
Er ist nicht älter als 30. Ganz in schwarz gekleidet, man würde heute "trendy" sagen, mit einer schmucklosen kreisrunden ebenfalls schwarzen Kappe auf dem Kopf. Die rotbraunen dichten Haare fallen ihm, wo sie nicht von der Kappe gebändigt werden, auf die Schultern. Faszinierend ist das Gesicht mit der gesunden bräunlichen Hautfarbe: Er betrachtet sein Gegenüber aufmerksam. Er scheint zu analysieren, einzuschätzen, sich ein Bild zu machen. Die innere Spannung des jungen Mannes verrät sein kleiner schmallippiger Mund. Ganz leicht, man kann die Zähne noch nicht sehen.
Man will gar nicht glauben, dass dieses Gemälde mit dem Titel "Büste eines jungen Mannes" vor etwas mehr als 500 Jahren gemalt wurde. Vor rund einem halben Jahrtausend, man muss sich das einmal vor Augen halten! Der Mann auf dem Bild ist nicht einfach porträtiert worden. Mit großem Können und feinster Pinselführung schuf Lorenzo Lotto ein Bild mit einem zutiefst individuellen Ausdruck. Ungewöhnlich für die Malerei seiner Zeit, der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Giovanni Carlo Federico Villa ist Lotto-Experte und Kurator der Ausstellung in Rom:
"Lotto war einer jener raren Künstler der Renaissance, die unsere Vorstellung des 16. Jahrhunderts geformt haben. Seine malerische Linie ist eine entschiedene Alternative zum damals vorherrschenden Klassizismus Raffaels und Tizians."
Man traut es sich gar nicht laut zu sagen: Die bekannten Porträts der Malerstars Raffael und Tizian wirken im Vergleich zu den Werken Lottos schön aber oberflächlich, so ganz ohne psychologischen Tiefgang.
Kurator Villa zufolge ist diese künstlerische Eigenart Lottos auch der Grund dafür, dass der 1480 in Venedig geborene Maler nach seinem Tod 1557 in Loreto schnell vergessen wurde. So schnell vergessen, dass erst der amerikanische Kunsthistoriker Bernard Berenson mit seinem berühmten Aufsatz "Lorenzo Lotto. Essay über die konstruktive Kunstkritik" das Schaffen dieses Malers wieder bekannt machte. Berenson zufolge war Lotto "der erste italienische Maler, der sich seelischen Gefühlszuständen gegenüber sensibel zeigte".
Ein Gang über die zwei Etagen der Ausstellung in Rom − unten die eher religiös, oben die laizistisch inspirierten Werke − verdeutlicht, wie modern Lotto nicht nur zu seiner Zeit war, sondern auch heute noch ist.
Auf Lottos Gemälden sind Menschen dargestellt, die zu uns sprechen, die mit uns kommunizieren. Von der klassischen Porträteleganz der anderen Renaissancemaler − wunderschön aber übermenschlich der Realität enthoben − keine Spur. Lottos Geschöpfe scheinen real zu sein.
Kurator Villa zufolge liegt das Geheimnis der Porträtkunst Lottos in seinem europäisch-künstlerischen Hintergrund:
"Von Anbeginn gelang es Lotto, die deutsche Malschule − Dürers, Altdorfers und Grünewalds − mit der großen Tradition der Venetianer zu verbinden; mit dem Einfluss Antonello da Messinas im Porträt, mit Bellini im Fall der Altarbilder. In dieser Besonderheit ist Lotto ein wirklich europäischer und nicht nur italienischer Maler."
Und deshalb verzaubert er seit seiner Wiederentdeckung Ende des 19. Jahrhunderts die Kunstfreunde weltweit.
Was auf den meisten Gemälden, von denen eine Vielzahl für die Kunstschau in Rom aufwändig restauriert wurde, immer wieder auffällt: die vielen melancholischen und gespannt ihr Gegenüber betrachtenden Gesichter. Wie auf dem Bild "Busto di donna" von 1501. Eine recht füllige jüngere Frau schaut dem Betrachter direkt in die Augen. Sie scheint auf eine Reaktion des Gegenüber zu warten. Ein solcher Gesichtsausdruck ist höchst ungewöhnlich für die Zeit Lottos.
Das Doppelporträt von Giovanni Agostini und Nicolò della Torre von 1515 hingegen erinnert uns an zeitgenössische Fotokunst. Der Bildausschnitt, der die beiden Männer nicht komplett zeigt, die Art und Weise, wie sie den Ausstellungsbesucher anblicken: Man hat kein einfach nur schönes Renaissancebild vor sich, sondern zwei konkrete Menschen.
Ausstellungskurator Villa zufolge ist Lorenzo Lotto in seiner Darstellungsweise ein fast schon moderner Maler und wurde deshalb von seinen Zeitgenossen nicht unbedingt verstanden:
"Das Besondere Lottos ist seine Direktheit in Sachen Kommunikation. Ganz neu für die Malerei des 16. Jahrhunderts sprechen seines Sujets den Betrachter direkt an. Gleichzeitig schuf er Gemälde, die voller Rätsel sind, bei denen man nicht gleich weiß, was die dargestellten Personen einem sagen wollen. Lottos Bilder zeigen darin die Wurzeln heutiger Porträtkunst."
Informationen der Städtischen Ausstellungshallen Scuderie del Quirinale zur Ausstellung "Lorenzo Lotto" (in italienischer Sprache und mit Bildergalerie)
Man will gar nicht glauben, dass dieses Gemälde mit dem Titel "Büste eines jungen Mannes" vor etwas mehr als 500 Jahren gemalt wurde. Vor rund einem halben Jahrtausend, man muss sich das einmal vor Augen halten! Der Mann auf dem Bild ist nicht einfach porträtiert worden. Mit großem Können und feinster Pinselführung schuf Lorenzo Lotto ein Bild mit einem zutiefst individuellen Ausdruck. Ungewöhnlich für die Malerei seiner Zeit, der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Giovanni Carlo Federico Villa ist Lotto-Experte und Kurator der Ausstellung in Rom:
"Lotto war einer jener raren Künstler der Renaissance, die unsere Vorstellung des 16. Jahrhunderts geformt haben. Seine malerische Linie ist eine entschiedene Alternative zum damals vorherrschenden Klassizismus Raffaels und Tizians."
Man traut es sich gar nicht laut zu sagen: Die bekannten Porträts der Malerstars Raffael und Tizian wirken im Vergleich zu den Werken Lottos schön aber oberflächlich, so ganz ohne psychologischen Tiefgang.
Kurator Villa zufolge ist diese künstlerische Eigenart Lottos auch der Grund dafür, dass der 1480 in Venedig geborene Maler nach seinem Tod 1557 in Loreto schnell vergessen wurde. So schnell vergessen, dass erst der amerikanische Kunsthistoriker Bernard Berenson mit seinem berühmten Aufsatz "Lorenzo Lotto. Essay über die konstruktive Kunstkritik" das Schaffen dieses Malers wieder bekannt machte. Berenson zufolge war Lotto "der erste italienische Maler, der sich seelischen Gefühlszuständen gegenüber sensibel zeigte".
Ein Gang über die zwei Etagen der Ausstellung in Rom − unten die eher religiös, oben die laizistisch inspirierten Werke − verdeutlicht, wie modern Lotto nicht nur zu seiner Zeit war, sondern auch heute noch ist.
Auf Lottos Gemälden sind Menschen dargestellt, die zu uns sprechen, die mit uns kommunizieren. Von der klassischen Porträteleganz der anderen Renaissancemaler − wunderschön aber übermenschlich der Realität enthoben − keine Spur. Lottos Geschöpfe scheinen real zu sein.
Kurator Villa zufolge liegt das Geheimnis der Porträtkunst Lottos in seinem europäisch-künstlerischen Hintergrund:
"Von Anbeginn gelang es Lotto, die deutsche Malschule − Dürers, Altdorfers und Grünewalds − mit der großen Tradition der Venetianer zu verbinden; mit dem Einfluss Antonello da Messinas im Porträt, mit Bellini im Fall der Altarbilder. In dieser Besonderheit ist Lotto ein wirklich europäischer und nicht nur italienischer Maler."
Und deshalb verzaubert er seit seiner Wiederentdeckung Ende des 19. Jahrhunderts die Kunstfreunde weltweit.
Was auf den meisten Gemälden, von denen eine Vielzahl für die Kunstschau in Rom aufwändig restauriert wurde, immer wieder auffällt: die vielen melancholischen und gespannt ihr Gegenüber betrachtenden Gesichter. Wie auf dem Bild "Busto di donna" von 1501. Eine recht füllige jüngere Frau schaut dem Betrachter direkt in die Augen. Sie scheint auf eine Reaktion des Gegenüber zu warten. Ein solcher Gesichtsausdruck ist höchst ungewöhnlich für die Zeit Lottos.
Das Doppelporträt von Giovanni Agostini und Nicolò della Torre von 1515 hingegen erinnert uns an zeitgenössische Fotokunst. Der Bildausschnitt, der die beiden Männer nicht komplett zeigt, die Art und Weise, wie sie den Ausstellungsbesucher anblicken: Man hat kein einfach nur schönes Renaissancebild vor sich, sondern zwei konkrete Menschen.
Ausstellungskurator Villa zufolge ist Lorenzo Lotto in seiner Darstellungsweise ein fast schon moderner Maler und wurde deshalb von seinen Zeitgenossen nicht unbedingt verstanden:
"Das Besondere Lottos ist seine Direktheit in Sachen Kommunikation. Ganz neu für die Malerei des 16. Jahrhunderts sprechen seines Sujets den Betrachter direkt an. Gleichzeitig schuf er Gemälde, die voller Rätsel sind, bei denen man nicht gleich weiß, was die dargestellten Personen einem sagen wollen. Lottos Bilder zeigen darin die Wurzeln heutiger Porträtkunst."
Informationen der Städtischen Ausstellungshallen Scuderie del Quirinale zur Ausstellung "Lorenzo Lotto" (in italienischer Sprache und mit Bildergalerie)