Ein Narziss in seinem Garten

Von Natascha Pflaumbaum · 19.06.2009
Die Bühne füllt ein Gewächshaus nach dem Vorbild des Triptychons "Der Garten der Lüste". Der Don Karlos des katalanischen Regisseur Calixto Bieito flüchtet in die Harmlosigkeit. Die Koproduktion mit dem Teatre Romea wurde auf Spanisch aufgeführt und eröffnete die 15. Schillertage am Nationaltheater Mannheim.
Der gemeinhin als "Skandal"-Regisseur gehandelte katalanische Regisseur Calixto Bieito hat am Freitag die 15. Schillertage am Nationaltheater Mannheim eröffnet: mit seiner in Koproduktion mit dem Teatre Romea produzierten Fassung von Friedrich Schillers "Don Karlos". 90 Minuten dauerte die Aufführung, die in Spanisch mit deutschen Obertiteln gezeigt wurde.

Don Karlos ist ein liebenswürdiger Spinner: in Vans und Baggys tanzt und singt er zu der Musik seines ipods, die aus dicken weißen Kopfhörern dröhnt. Ab und zu sperrt Calixto Bieito den Phantasten Don Karlos in einen rollenden Käfigschrank, in dem der Junge wie ein Kleinkind jammert, weil sein Vater ihm nicht die erhoffte Anerkennung schenkt.

Sein Vater, König Philipp, ist so kalt wie sein stahlblaues Hemd: Zuwendung verwechselt er mit Vorteilsnahme, Liebe mit Machtvollzug. Die einzige Aufmerksamkeit gilt seinen Blumen, die er in einem riesigen Gewächshaus kultiviert. Es ist eine Flucht in die Harmlosigkeit, in die Banalität, die der Herrscher hier zelebriert, um sich von seinem einsamen Narzissmus abzulenken.

Dieses kathedralenhaft anmutende bühnenfüllende Gewächshaus, das Bieitos Bühnenbildnerin Rebecca Ringst nach dem Vorbild des berühmten Triptychon "Der Garten der Lüste" von Hieronymus Bosch gebaut hat, ist der private Ort dieser grausamen Familiengeschichte, ein Abbild des Königreiches allemal, in dem Philipp erfolgreich mit den Leichen seiner Untertanen düngt.

Es ist ein Familiendrama, das Bieito erzählt – natürlich verhandelt er auch die Kollision von Interessen: Freiheitsideal versus Staatsinteresse –, aber eigentlich geht es ihm eher darum, mit diesem Familienpsychogramm einer Herrscherfamilie die grausamen Auswüchse von Macht zu erklären. Darum erzählt Bieito Schillers Geschichte hier sehr straff und stringent, indem er auf die zahlreichen Nebenhandlungen und die diversen Intrigen verzichtet. Er zeichnet Charakterbilder seelisch verwahrloster Personen, die als Opfer zu Täter wurden. Don Karlos, Philipp, Elisabeth, Eboli, Marquis de Posa und auch der katholische Kardinal: alle haben dieselben massiven Probleme mit der Liebe, gieren nach Menschenbesitz, können nicht geben, sind sexbesessen und im klinischen Sinne sicherlich hochgradig psychopathologisch veranlagt. Ihr Machttrieb ist in allen Fällen unweigerlich mit dem Sextrieb verquickt, so wird auf der Bühne schon relativ häufig mit nacktem Hintern kopuliert, insofern kommt das skandalwitternde Publikum auf seine Kosten. Es ist aber nicht mehr der plumpe schockierende Effekt, auf den Bieito hier setzt, weil er diesen Szenen das Eklige und Ordinäre nimmt, das er ihnen bislang in früheren Inszenierungen häufig mitgab. Kein Skandal also!

Bieito, der sich als Operregisseur einen hervorragenden Ruf erarbeitet hat, gab dieser Orgie der Erniedrigung einen Untertitel: er nennt sie eine "surrealistische Messe im Stile eines Pasodoble" und unterlegt viele Szenen mit Musik: das Lacrimosa aus Verdis Requiem wechselt mit Pasodobleklängen. Das wirkt – gerade bei den philosophischen Monologen des Marquis de Posa - im klassischen Sinne melodramatisch, keineswegs platt illustrativ.

Weil dieser Don Karlos in allen Details sinnfällig ist, funktioniert er in dieser kondensierten Fassung auch so gut. Das Publikum war begeistert.