"Ein nasser Hund"
Regie & Drehbuch: Damir Lukačević
Mit: Doguhan Kabadayi, Kida Khodr Ramadan, Mohammad Eliraqui, Derya Dilber u.v.m.
103 Minuten, ab 9. September 2021 im Kino
Erwachsenwerden im Wedding
09:23 Minuten
Ein jüdischer Junge gibt vor, Muslim zu sein, um in seinem türkisch und arabisch geprägten Freundeskreis keine Probleme zu bekommen. Der Filmemacher Damir Lukačević erzählt eine authentische Geschichte aus dem harten Berliner Bezirk Wedding.
Der 16-jährige Soheil (Doguhan Kabadayi) kommt mit seinen Eltern (Dorka Gryllus und Kida Khodr Ramadan) aus dem beschaulichen Göttingen ins taffe Berlin-Wedding. Ursprünglich stammt die Familie aus Iran. Unter den harten arabischen und türkischen Kids findet Soheil bald Anschluss.
Was er seinen neuen Freunden jedoch verschweigt: Er ist Jude. Um nicht aufzufallen, gibt er vor, Muslim zu sein. Das ist die Geschichte, die der Filmemacher Damir Lukačević in seinem neuen Film "Ein nasser Hund" erzählt.
Gesa Ufer: Herr Lukačević, was hat es eigentlich mit dem Titel auf sich?
Damir Lukačević: Der Film basiert ja auf Arye Sharuz Shalicars Autobiografie. Der vollständige Titel ist "Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude" – das spielt in dem Film auch eine Rolle. Aber wir hatten das Gefühl, dass wir, wenn wir den ganzen Titel als Filmtitel übernehmen, auch etwas spoilern und vielleicht Leute zu sehr abstoßen.
Aber wenn man nur den ersten Teil des Titels hört, hat man vielleicht ein Bild vor Augen, man denkt an so etwas wie "Tiere im Regen". Im Film kommt dann zweite Teil des Titels hinzu und der hat es in sich.
Ufer: Wie sind Sie auf diesen Stoff aufmerksam geworden?
Lukačević: Ich hatte 2011 eine Dokumentation über Jugendliche im Wedding gedreht, die ein Theaterstück auf die Beine gestellt haben. Und da bin ich auf dieses Buch gestoßen und dachte: Diese Jugendlichen mit ihrem türkisch-arabischen Hintergrund haben eine wahnsinnige Energie. Wenn man die nehmen würde und diese Geschichte von Arie, dann könnte das einen ziemlich guten Film ergeben.
Ufer: Die Rechnung ist aufgegangen: Ich habe den Film bei einer Preview in einem großen Kino im Wedding gesehen, wo nicht nur die Schauspieler, sondern auch viele ihrer Kumpels waren. Das war wirklich ein großes, wildes Fest im Kino.
Gleichzeitig wurde auch klar, was das für eine Herausforderung gewesen sein muss, das Vertrauen dieser Jugendlichen zu gewinnen und überhaupt so authentische Protagonisten zu finden. Wie sind Sie da vorgegangen?
Lukačević: Für mich klar, dass ich keine "normalen" Schauspieler nehmen kann, die dann Text lesen oder spielen. Ich wollte die Sprache der Jugendlichen und ihre Codes treffen. Ich habe deshalb nach jungen Leuten gesucht, die vielleicht keine Schauspielprofis sind, aber eben Profis, was diese Kultur und diese Menschen betrifft, die genau wissen, wovon sie sprechen.
Wir haben einen Aufruf gestartet. Ziel war ein Workshop über mehrere Wochen. Eine Kollegin und ich haben dafür das Buch nicht herausgegeben, sondern nur erzählt, worum es eigentlich geht, wir haben praktisch jede Szene mit den Jugendlichen noch mal improvisiert. Die hatten da Lust darauf. Und wir haben auch immer die Rollen getauscht: Jeder hat auch mal die Rolle des jüdischen Jungen gespielt, um einfach mal die andere Perspektive kennenzulernen.
Kida Ramadan in einer sensiblen Rolle
Ufer: Es spielen ja auch Schauspielprofis mit: Besonders Kida Ramadan ist ein Scoop. Den kennt man ja vor allem als Clanchef aus "4 Blocks". Hier spielt er nun Soheils Vater, einen jüdischen Konfektionsschneider, der fast daran verzweifelt, als sein Sohn im Wedding auf die schiefe Bahn gerät. Ihn in dieser Rolle zu sehen, das hat noch einmal doppelt Format. Mussten sie ihn denn lange überreden?
Lukačević: Mein Produzent Stefan Wagner hat schon mit ihm gearbeitet. Der hatte schon mit ihm gesprochen und meinte: Der hat Bock. Wir haben uns dann kennengelernt und gleich auf Anhieb gemocht.
Kida Khodr Ramadan ist schon eine große Nummer, gerade auch in der muslimischen Gemeinde. Da ist es schon sehr mutig, den jüdischen Vater zu spielen. Kida ist ja ein sehr weltoffener Mensch, er setzt sich für Toleranz ein. Das ist also auch sein Thema, was man vielleicht nicht weiß, wenn man ihn nur aus "4 Blocks" kennt.
In der Vorbereitung haben wir auch nie über Muslime und Juden gesprochen, sondern es ging uns immer darum, diese Figur des Vaters zu erarbeiten: Wie geht ein Vater damit um, wenn der Sohn bei den Gangs landet und abdriftet, von der Polizei nach Hause gebracht wird. Was macht man da als Vater?
Den Jugendlichen Raum geben
Ufer: Der Film ist sehr vielschichtig. Er beginnt damit, wie ein junger Palästinenser mitansehen muss, wie sein Vater von israelischen Grenzsoldaten zusammengeschlagen wird. Diese Szene erzählt auch, wie sich Feindbilder in den Köpfen dieser jungen, harten Weddinger Boys zementieren.
Andererseits gibt es auch die Szene, als Soheil sich gegenüber seinen Lehrern als Jude zu erkennen gibt. Da scheint er plötzlich in deren Achtung enorm zu steigen. Sie lassen Soheil sagen: "Das ist auch Rassismus." Da ging eine Art Raunen durch den Kinosaal. Versuchen Sie zu verstehen, woher diese Ressentiments stammen?
Lukačević: Es ging auch darum, diesen Jungs den Raum zu geben und die nicht zu verurteilen, also beide Seiten zu kennen und nicht zu sagen: Okay, es geht jetzt um Antisemitismus – und dann hat man gleich einen Vorwurf.
Sondern es geht darum, eine Geschichte zu erzählen. Beim Pitchen der Geschichte habe ich nie gesagt, es gehe um Antisemitismus. Das ist natürlich auch ein wichtiges Thema. Aber es geht vor allem auch um die Freundschaft.
Ufer: Ich könnte mir vorstellen, dass er unter Jugendlichen und gerade unter den Jugendlichen, die wir da im Wedding sehen, eine Menge bewirken kann. Was für Reaktionen haben Sie bisher auch gerade aus dieser Community erhalten?
Lukačević: Wahnsinnig positive. Es ja geht wirklich darum, dass die Sprache und die Codes stimmen, dass man sie nicht verurteilt. Und es gibt ja auch viele Szenen – ich will jetzt nicht spoilern –, in denen es darum geht, dass man deren Perspektive einnimmt, ohne die andere Seite zu verurteilen. Wie die darauf reagiert haben, ist der Hammer.
Der Berliner Wedding wird zum Filmstar
Ufer: Ein ganz wichtiger Nebendarsteller in diesem Film ist natürlich der Berliner Wedding selbst, ganz ikonisch etwa mit der großen Straßenkreuzung Pankstraße/Brunnenstraße mit den Bildern der Brüder Boateng an der Wand, dazu der Schriftzug "Gewachsen auf Beton". Dominik Graf hat gesagt, dass Berlin so schwer abzufilmen sei. Teilen Sie diesen Eindruck?
Lukačević: Dieses Interview kenne ich nicht. Aber problematisch ist, dass man kaum Drehgenehmigungen kriegt. Deshalb haben wir uns irgendwann dann auch gesagt: Jetzt nehmen wir die Kamera, wir gehen raus, wir gucken mal, was passiert, sonst kriegen wir einfach nicht die Bilder, die wir brauchen. Da waren wir dann etwas flexibel, ein bisschen so, wie wir es früher an der Filmhochschule gemacht haben. Das mag ich ja gerne.
Ansonsten haben mein Kameramann Sten Mende und ich tatsächlich sehr viel gesucht, sind aber immer wieder beim Wedding gelandet. Es waren einfach die besten Drehorte. Der Wedding bietet viel, hat viele Metaphern: diese ganzen Zäune, Gitter, Brücken und Gleise. Sten und ich waren begeistert.
Dann wurde der Wedding für mich tatsächlich ein heimlicher Hauptdarsteller, so wie Rom in den alten neorealistischen Filmen aus Italien, wie in Vittorio de Sicas "Fahrraddiebe".